"Die Länder haben Mitspracherechte und ein Vetorecht"

Reiner Geulen im Gespräch mit Gabi Wuttke · 28.10.2010
Verwaltungsrechtler Reiner Geulen sieht eine Zustimmungspflicht des Bundesrates zur Laufzeitverlängerung für die Atomkraftwerke und ist " so gut wie sicher, dass das Bundesverfassungsgericht im nächsten Jahr das Gesetz für nichtig erklären wird". Das ergebe sich unter anderem aus dem Problem der "unsicheren Altreaktoren" und den erheblichen Mehrbelastungen der Länder, die sich aus der Gesetzesentscheidung ergäben.
Gabi Wuttke: Der Bau und Ausbau von Flughäfen, Renten für Strahlenopfer der NVA, Dosenpfand oder das Bombodrom in Brandenburg – in vielen Fällen konnte der Verwaltungsrechtler Reiner Geulen für seine Mandanten einen Erfolg vor Gericht erzielen, auch und in gerade in Atomrechtsfragen. Bevor heute die Laufzeitverlängerung für die deutschen Atomkraftwerke im Bundestag verabschiedet wird und damit die Frage geklärt werden muss, ob der Bundesrat dieses Gesetz blockieren kann, ist er am Telefon. Guten Morgen, Herr Geulen!

Reiner Geulen: Guten Morgen!

Wuttke: Zu welchem Schluss kommen Sie: Haben die Länder Mitspracherecht oder nicht?

Geulen: Ja, die Länder haben Mitspracherechte und ein Vetorecht. Das ergibt sich ganz einfach daraus, dass die Länder ja die ganze Verwaltung machen für diese Atomkraftwerke. Der Bund macht das nicht, darf es nicht und hat auch gar keinen Verwaltungsunterbau. Und die Aufgaben – und das ist der entscheidende Punkt –, die durch diese Laufzeitverlängerung für die Länder, auf die Länder zukommen, sind unglaublich und werden auch von der Bundesregierung immer verharmlost. Praktisch läuft es darauf hinaus, dass die Folgen der Nutzung der Kernspaltung und der Kerntechnologie um weitere 30, 40 oder 50 Jahre verlängert werden. Das ist der entscheidende Punkt. Deshalb muss der Bundesrat zustimmen, und deshalb ist das ganze Gesetz verfassungswidrig.

Wuttke: Wer gegen das Mitspracherecht der Länder argumentiert, der sagt: Nur weil die Länder mehr Verwaltungsaufgaben zu erfüllen hätten, führe das noch lange nicht zu einem Zustimmungsrecht des Bundesrats.

Geulen: Ja. Schauen Sie, der entscheidende Punkt ist der: Man muss einfach mal vergleichen, was jetzt durch diese Verlängerung bewirkt wird. Erstens werden Reaktoren, die nicht gegen terroristische Angriffe ausgelegt sind, weiter in Betrieb bleiben können – Biblis-A ist ein ganz wichtiges Beispiel. Um das mal ganz deutlich zu sagen: Man kann sich inzwischen auf dem internationalen Waffenmarkt ohne Weiteres solche Panzerfäuste kaufen, kann auf den Flüssen an den Reaktoren vorbeifahren oder den Straßen mit einem Auto, diese Panzerfaust abschießen und kann damit, jedenfalls bei diesen Altreaktoren, ohne Weiteres die Hülle verletzen und einen Supergau auslösen.

Das ist der entscheidende Punkt. Da müssten die Länder unglaubliche Arbeit machen, um das zu verhindern. Das ist aber gar nicht zu sehen, man kann die nicht nachrüsten. Das sind also ganz wesentliche Aufgaben, die die Länder da bekommen. Ein weiterer Punkt bezieht sich auf die Frage des Abbaus der Reaktoren. Reaktoren müssen ja am Ende abgebaut werden, auch unter Atomaufsicht. Das dauert nach gegenwärtigem Stand vielleicht 20 bis 30 Jahre. Es ist noch kein Reaktor wirklich abgebaut worden. Und die ganze Nutzung der Reaktoren verzögert sich damit über die Laufzeitverlängerung hinaus ungefähr bis zum Jahr 2070, 2080.

Wuttke: Heißt das, in Ihrer Argumentation wiegt der Schutz vor Terroranschlägen weit mehr als das, was die Bundesregierung "moderate Laufzeitverlängerung" nennt?

Geulen: Ja. Die Bundesregierung will überhaupt keinen Schutz vor Terroranschlägen regeln. Es ist zum Beispiel symptomatisch, dass, als das verhandelt wurde mit den Reaktorbetreibern, mit den Energieversorgern, der Herr Röttgen, der ja immer sehr auf grün und auf Atomausstieg gesetzt hat, überhaupt nicht anwesend war und hinterher gesagt hat, na ja, es ging da nicht um Sicherheitsfragen. So sehen die das. Die wollen diese unsicheren Altreaktoren verlängern und betrachten das nicht als eine Sicherheitsfrage. Das ist in keiner Weise akzeptabel.

Wuttke: Für den Bundesumweltminister hat Hans-Jürgen Papier, der kürzlich in Pension gegangene Präsident des Bundesverfassungsgerichts, ein Gutachten geschrieben. Inzwischen hält das aber nicht für ausgeschlossen, dass Karlsruhe ein Mitspracherecht der Länder mit demselben Argument ablehnt wie beim Luftsicherheitsgesetz: Die Länder handeln im Auftrag des Bundes.

Geulen: Also Herr Papier und der andere Gutachter von Herrn Röttgen, das ist der Herr Wieland, haben im Grunde eindeutig gesagt, dass die Zustimmung der Länder beim Bundesrat zwingend erforderlich ist. Überhaupt ist das Ganze in meinen Augen ein wenig eine Phantomdiskussion, und zwar einfach deswegen, weil die enormen Folgen dieser Verlängerung der Betriebszeiten der Atomreaktoren bisher überhaupt nicht diskutiert worden sind. Das Ganze wird auf einer verfassungsrechtlichen Ebene abgehandelt – da sagen übrigens die meisten, und auch die, die die Bundesregierung beauftragt hat, dass es nicht geht, dass der Bundesrat zustimmen muss –, aber die Folgen für viele Jahrzehnte, um nicht zu sagen, für weit über ein halbes Jahrhundert, außer den genannten Punkten kommt noch die Entsorgung in Frage, also diese unglaubliche Erhöhung der Mengen von Abfällen, die nach Gorleben oder sonst wohin gebracht werden müssen, das ist der eigentliche Punkt. Ich kann Ihnen nur sagen: Ich bin so gut wie sicher, dass das Bundesverfassungsgericht im nächsten Jahr das Gesetz für nichtig erklären wird.

Wuttke: Sie haben sich viele Gedanken um diese Laufzeitverlängerung gemacht, zum Beispiel in diesem Zusammenhang über die Euratom-Richtlinie aus dem vergangenen Jahr. Was hat es damit eigentlich auch sich?

Geulen: Also die Euroatom hat eine Richtlinie gemacht, die besagt im Wesentlichen, dass kein Bestandsschutz für Reaktoren besteht, so wie das in Deutschland immer gesagt wurde, sondern dass die optimiert und nachgebessert werden müssen, wenn sie unsicher sind. Insbesondere gilt das für die terroristischen Risiken. Das bedeutet also, dass nach einer bestimmten Zeit, drei bis fünf Jahre etwa, in Deutschland die Reaktoren nachgerüstet werden müssten. Das ist aber weder vorgesehen noch möglich, sodass aus diesem Grund dieses Gesetz auch verletzt die Regelungen dieser Richtlinie, die sagt, die Sicherheit ist zu optimieren. In Deutschland wird durch dieses Gesetz genau das Gegenteil gemacht: Die Richtlinie ist bereits in Kraft, wird aber erst wirksam in etwa drei bis fünf Jahren, sodass das Gesetz ohnehin nur eine Laufzeitverlängerung von etwa drei bis fünf Jahren gewährleisten kann.

Wuttke: Falls das Bundesverfassungsgericht den Ländern Recht zuspricht, wäre dann der rot-grüne Atomausstieg verfassungswidrig und die Kernkraftwerke könnten noch länger laufen? Auch das wird ja diskutiert.

Geulen: Na ja, das kommt dann manchmal so aus Bayern, also wenn ihr unser Gesetz von 2010 angreift, dann greifen wir nachträglich noch mal euer Gesetz von ...

Wuttke: Nicht alles was aus Bayern kommt, muss schlecht sein.

Geulen: Muss nicht schlecht sein, ganz bestimmt nicht, aber das ist so ein bisschen so dieses, na dann wollen wir euch auch ärgern. Schauen Sie, zu diesem Atomgesetz von 2002, also dem rot-grünen Ausstiegsgesetz, gibt es mehrere Entscheidungen von höheren Gerichten, die sagen, vor allem vom Bundesverwaltungsgericht, die sagen: Das ist verfassungskonform zustande gekommen. Der Grund liegt einfach darin, dass in diesem Gesetz der Atomausstieg geregelt wurde, also keine Belastung, sondern eine Entlastung der Aufsichtsbehörden der Länder, während jetzt da das genaue Gegenteil stattfindet. Das ist der Kernpunkt dieser Sache. Ich bin da nicht nur ganz zuversichtlich, sondern bin sicher, dass dieses Gesetz, also das Ausstiegsgesetz auf jeden Fall Bestand hat.

Wuttke: Im Interview der "Ortszeit" von Deutschlandradio Kultur der Verwaltungsrechtler und Rechtsanwalt Reiner Geulen. Besten Dank, schönen Tag!

Geulen: Ja, schönen Tag, tschüss!
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