"Die lächerliche Finsternis"

Ein Hörspiel als Bühnen-Blockbuster

2011 erhielt Wolfram Lotz den Kleist-Förderpreis.
2011 erhielt Wolfram Lotz den Kleist-Förderpreis. © picture alliance / dpa / Patrick Pleul
Von Stefan Keim · 13.12.2014
Berlin, Essen, Hamburg, Wien: "Die lächerliche Finsternis" wurde bereits auf zahlreichen Bühnen aufgeführt. Das Besondere: Bei dem Werk von Wolfram Lotz handelt es sich um ein Hörspiel.
"I cried, I wept like some grandmother."
Eine legendäre Szene des Kinos, aus Francis Ford Coppolas Kriegsfilm "Apocalypse Now". Der kahle Kopf Marlon Brandos, um ihn herum Dunkelheit. Colonel Kurtz berichtet von einem Massaker an Kindern. Erst hat er geweint, dann erkannte er die Genialität der Grausamkeit, das Herz der Finsternis.
"And I thought, my God, the Genius of that. The Genius!"
"Die lächerliche Finsternis" heißt nun das Hörspiel von Wolfram Lotz. Nicht nur im Titel bezieht er sich klar auf Coppola und die Erzählung von Joseph Conrad. Auch die Handlung folgt dem Vorbild, allerdings mit anderen Charakteren. Colonel Kurtz tritt nicht auf, sondern ein wahnsinniger Offizier namens Deutinger. Der wird verrückt, weil er sich in der Mathematik des Krieges verheddert, die Logik nicht mehr erkennt.
Lotz schreibt - wie er selbst sagt - "nach Francis Ford Conrads 'Herz der Apokalypse'", sein Text ist eine ironisch zugespitzte Neudichtung. Im Prolog kommt ein somalischer Pirat zu Wort, der in Hamburg vor Gericht steht. Lotz geht von einem realen Ereignis aus, gibt dem Piraten aber eine sehr gepflegte, an den Stil des 19. Jahrhunderts angelehnte Sprache.
Der Pirat erzählt von seinem Traum, ein Fischer zu werden, und davon, dass es vor seiner Küste keine Fische mehr gibt. Weil die internationalen Fischereiflotten alles weg fangen. Also beginnt er ein Diplomstudium der Piraterie an der Hochschule von Mogadischu. Ein reales Schicksal, satirisch gebrochen, böse pointiert. Das ist ein Stoff, der auf die Bühne gehört.
Grenzen pulverisieren
So wie Wolfram Lotz vom Theater in seinen Stücken immer wieder Unmögliches fordert, tut er es auch im Hörspiel vom Radio. Immer wieder verlangt er Stille, dann völlig verfremdete Geräusche. Die Figuren treten aus ihren Rollen heraus, diskutieren die Möglichkeiten, wie sich die Handlung weiter entwickeln könnte. Das hat etwas Spielerisches und Unterhaltsames ohne dass der politische Biss verloren ginge.
Stille lässt sich auf der Bühne sogar leichter umsetzen als im Hörspiel. Aber im Kern ist es diese Lust, Grenzen zu pulverisieren, die so viele Theaterleute reizt. Wolfram Lotz erkennt keine Gesetzmäßigkeiten an und zwingt die Interpreten seiner Texte, alle Routine wegzulassen, ihre Kunst neu zu erfinden.
So ist aus der geplanten Bühnenaufführung seines Stücks "Einige Nachrichten an das All" am Schauspiel Dortmund vor einigen Jahren ein Film geworden. Und nun wird ein Hörspiel zum Theater, bevor es überhaupt für den Funk produziert wurde. Das wird Anfang 2015 geschehen, Leonhard Koppelmann inszeniert "Die lächerliche Finsternis" für den SWR.
Plädoyer gegen die Schere im eigenen Kopf
An die übliche Hörspiellänge von 55 Minuten hat sich Lotz übrigens auch nicht gehalten. Und sich durchgesetzt, sein Text wird nicht gekürzt, sondern auf einem der wenigen Sendeplätze laufen, auf dem noch längere Radiostücke möglich sind. So ist der Erfolg der "lächerlichen Finsternis" auch ein Plädoyer gegen die Schere im eigenen Kopf, gegen die Selbstzensur durch Kompromisse.
Wenn ein Autor etwas zu sagen hat zu heutigen Formen von Kolonialismus, dann findet er auch entsprechende Bühnen und Sendeplätze. Das macht schon ein bisschen Hoffnung. Die Formatierungs-Apokalypse hat noch nicht ganz gesiegt.
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