Die Kunst und das Weiter-Leben der Stasi

Von Lutz Rathenow |
Man darf eine Sensation schon einmal eine Sensation nennen. Der Film "Das Leben der Anderen" ist eine, die das Bild der Schmunzel- und Spreewaldgurken-DDR noch einmal ändern könnte. Es gelang die erste künstlerisch überzeugende Darstellung der menschenzerstörenden Konsequenz einer Machtausübung in den speziellen Ausformungen der DDR.
Das Wort vom "Überwachungsstaat" greift dabei zu kurz. Nicht Bespitzeln und Abhören allein ergeben jene gruslige Aura des Totalitären, sondern ein Bündel von Maßnahmen, die direkt und indirekt das Leben der davon Betroffenen beeinflussen. In der Stasi-Sprache hieß der Begriff dafür "Zersetzungsmaßnahmen". Damit sind Menschen gemeint und keine chemischen Prozesse. (Manchmal verraten Worte mehr über die Absichten ihrer Erfinder als diese ahnen. Ein Leben in den perversen Denkkapriolen einer auf Menschenzerstörung umgedrehten Psychologie stumpft eben doch ab und erzeugt einen realsozialistisch grundierten Zynismus eigener Art. In dem Film kann er besichtigt werden, in der Realität lebt er in Weißrussland oder Usbekistan fort. Und in modifizierter Form beim politischen und wirtschaftlichen Führungspersonal in Russland. Der Putinismus mit demokratischen Antlitz stellt auch Deutschland vor praktische Umgangsfragen.)

Und Berlin hat auch durch diesen Film plötzlich wieder eine Stasi-Debatte. Sie kommt wie immer dann, wenn gar keiner damit rechnet. "Das Leben der Anderen" führt in Vorstellungen zu anschließendem Applaus und Fragen junger Leute: Was wurde eigentlich aus diesem DDR-Erbe, zum Beispiel aus jenen Offizieren. Die Antwort erhielt man kürzlich in der ehemaligen Stasi-U-Haft Hohenschönhausen. MfS-Offiziere verhöhnten ihre damaligen Opfer. Sie wollen nicht nur höhere Renten - sie möchten auch noch moralisch die Guten gewesen sein.

Und Berlins Kultursenator Thomas Flierl saß dabei und benahm sich so als ob er seine potentiellen Wähler nicht zu sehr verärgern wollte. Die Vorwürfe an ihn und seine Partei sind mehr als logisch. Wer solche Wähler an sich bindet, verliert mit jeder Rücksichtnahme ein Stück der eigenen demokratischen Glaubwürdigkeit. So wird Flierls neues Berliner Gedenkstättenkonzept punkto Mauer und DDR-Unterdrückung meist skeptisch betrachtet. Dabei entscheiden nicht einzelne Formulierungen, sondern der spürbare Wille, den verschiedenen Stätten zu einem wichtigen Platz im öffentlichen Bewusstsein zu verhelfen.

Die ehemalige Stasi-U-Haft in Hohenschönhausen gerät immer wieder zum zentralen Streitpunkt. Sie verkörpert mehr als andere Stätten die aus Stein gebaute und als Gefängniszelle zu besichtigende schmutzige Seite der DDR. Wen wundert es, wenn die Bürgermeisterin von Hohenschönhausen (natürlich PDS) Markierungstafeln mit deutlichen Begriffen für das, was hier geschah, nicht akzeptieren will.

Der Film provozierte übrigens auch Opfer der DDR, die staunen, wie viel Anteilnahme sich ein Offizier des MfS erschauspielern kann. Der sein Überwachungsobjekt in einem finalen und für ihn höchst riskanten Drahtseilakt schützten will. Das Kunstwerk gerät hier zum plausiblen Märchen - es hätte so sein können - das an meist noch bitterere Realitäten erinnert.

Aber die konspirative Solidarität des Überwachers funktioniert nicht, er treibt die Frau, die er schützen möchte, in den Tod. Es klappt nicht, funktionierendes Rädchen im Getriebe zu bleiben und gleichzeitig dessen Drehrichtung ändern zu wollen. (Natürlich darf und muss auch heute über Stasi-Mitarbeiter nachgedacht und geforscht werden: Wie viele quittierten aus psychischen Gründen den Dienst? Manche landeten in der Psychiatrie, wie viele Selbstmorde gab es unter ihnen? Ein Oberleutnant Stiller desertierte unter Lebensgefahr in den Westen, ein anderer Offizier wurde noch in den achtziger Jahren hingerichtet.) Wir sollten nicht zuviel Empörung in die Polemik gegen beständig alternde Stasi-Offiziere investieren.

So wichtig sind sie nicht und werden es nie wieder sein, da mögen sie noch so laut herumtönen und ihre Lernunfähigkeit demonstrieren. Es geht um alle anderen, für die sind Gedenkstätten da. Und die Filme. Und noch eine Einsicht: Wir wachen als ehemalige DDR-Oppositionelle zu sehr über die politisch korrekte Darstellung der Vergangenheit und hemmen so ihre überzeugende Entfaltung in der Gegenwart. Es macht wenig Sinn, viertrangige ungenaue historische Details zu beanstanden und die überzeugende Vermittlung des Gesamten aus den Augen zu verlieren. Wie bei "Das Leben der Anderen" haben manchmal jene die besseren Ideen, die das nicht alles selbst erlebt haben. Der junge aus bundesdeutschen Verhältnissen stammende Regisseur zeigt, dass die DDR-Geschichte ein Teil der deutschen Geschichte geworden ist und nur noch gesamtdeutsch betrieben werden kann.

Und noch eine Zwischenbilanz: Täter gestalten die Geschichte und ein Opfer bleibt ein Opfer. Ihm fehlt die Faszination, er kann nicht über die Gründe der Tat sinnieren. Es verlangt einfach Mitleid, was irgendwann lästig wird. Und den eigenen Selbsterhaltungstrieb aktiviert, der vermeiden will, jemals selbst ein Opfer zu werden. Am Täter vergleicht man sich, das Opfer verbreitet eine Aura des Gescheitertseins. In jeder noch so demokratischen Leistungsgesellschaft fast noch problematischer als in der Diktatur, die auch Leistung politisch instrumentell verwalten will.

Aber die DDR-Oppositionellen waren nicht nur Opfer, ihre Geschichten müssen als Täter-Geschichten erzählt werden: jene künftigen Filme können auf spannende Geschichten zurückgreifen. Und werden absurde Konstellationen erfinden, um die Realität hautnah und plausibel darzustellen.


Lutz Rathenow, Schriftsteller, 1952 in Jena geboren, Studium Germanistik/Geschichte, kurz vor dem Examen wegen nicht konformer Ansichten und Handlungen relegiert, Transportarbeiter, 1977 Übersiedlung nach Ostberlin, knapp 15. 000 Seiten Stasi-Akten zeugen von Aktivitäten und Repressalien, wegen des ersten nur im Westen verlegten Buches 1980 kurzzeitig verhaftet, Lyriker, Essayist, Kinderbuchautor, Satiriker, Kolumnist, Gelegenheitsdramatiker. Zusammen mit Harald Hauswald (Fotografie) schrieb er den erfolgreichen Foto-Text-Band "Ost-Berlin - Leben vor dem Mauerfall" (Jaron Verlag, 2005, englisch/deutsch).
2006 erscheinen: "Ein Eisbär aus Apolda" (Kindergeschichten), "Gelächter, sortiert" (Fußballgedichte) und wieder mit dem Kult-Fotografen Harald Hauswald "Gewendet - vor und nach dem Mauerfall. Fotos und Texte aus dem Osten" (Jaron Verlag).