Die Kunst des Materiellen

Andy Warhol formulierte es so: „Good business is the best art.“ Die Kunst der Selbstvermarktung beherrschte er wie wenige vor und nach ihm. Die Tate-Modern-Galerie nimmt den Warhol-Satz nun als Prämisse für ihre Ausstellung über „Kunst in einer materiellen Welt“. Die Londoner Schau vereint Werke von Warhol, Koons, Hirst, Kippenberger und Murakami.
Im April war Sir Peter ziemlich sauer. Er hatte von einer neuen Pop-Art-Ausstellung der Tate Modern gehört und davon, dass in der Schau nichts von ihm zu sehen sein würde. Was ihn allerdings auch nicht weiter überraschte, denn, so schimpfte er damals in der „Times“, bei der Tate stehe er ohnehin längst auf dem Abstellgleis. Sir Peter Blake ist immerhin der Pop-Art-Pionier auf der Insel. Das Cover für das Sergeant-Pepper-Album der Beatles stammt von ihm. Unter anderem.

Aber zum Glück war alles nur ein kleines Missverständnis. In „Pop Life“, der neuen Schau der Tate Modern, ist tatsächlich kein Platz für Sergeant Pepper und seine Yellow Submarines. Hier ist alles schon wieder ein paar Drehungen weiter, aggressiver und viel zynischer.

Es geht, so der Untertitel der Ausstellung, um „Kunst in einer materiellen Welt“. Konkret: Um den Aufstieg des Künstlers zum Manipulator der Märkte und Medien und zum Celebrity-Superstar. Die Künstler-Karrieristen der 80er- und 90er-Jahre: sie stehen hier im Mittelpunkt.

Mitte der 80er-Jahre eröffnete Keith Haring in New York seinen „Pop Shop“, der ihm als Galerie und Verkaufsraum diente. Jeder, so der Graffiti-Künstler, solle sich einen Haring leisten können: nicht nur die reichen Sammler, auch die Laufkundschaft der kleinen Leute von der Straße.

In „Pop Life“ ist der Laden, der erst vor vier Jahren dichtmachte, wieder aufgebaut inklusive Disco-Soundtrack, Harings Comics und Strichmännchen an Wänden, Fußboden und Decke und mit einem Kassenhäuschen für den Verkauf von T-Shirts, Skateboards und Baseballmützen.

Poppig tönt es auch in Galerie 17. Auf einem Plasmabildschirm – Größe XXL – läuft ein Musikvideo mit der Schauspielerin Kirsten Dunst. Produziert hat es Tokios „King of Pop“, der Allround-Künstler Takashi Murakami.

Was immer er herstellt als Bildhauer, Designer, Werbegrafiker und Filmemacher: Murakami vertreibt seine Sachen selbst über seine eigene Produktionsfirma Kaikai Kiki. Und er lässt keine kommerzielle Gelegenheit ungenutzt. Auch Modeartikel aus dem Hause Luis Vuitton tragen sein Logo.

Murakami ist die fernöstliche Variante zu westlichen Megastars der Kunstszene wie Jeff Koons und Damien Hirst. Sie haben hier, wie Murakami, jeweils einen Raum für sich. „King of Kitsch“ Jeff Koons ist unter anderem vertreten mit seiner „Made in Heaven“-Softporno-Serie aus den 90er-Jahren. Die Skulpturen, Fotos und Drucke zeigen ihn beim Sex mit seiner Ex-Lebensgefährtin Ilona Staller alias Cicciolina.

Von Damien Hirst zeigt „Pop Life“ Einzelstücke seiner Sotheby’s-Auktion, bei der er vergangenes Jahr sensationelle 111 Millionen Pfund umsetzte. Sein „Goldenes Kalb“ im Formaldehyd-Tank ist einer der Höhepunkte der Schau.

Keith Haring ist zwar schon fast 20 Jahre tot, aber er und Murakami und Leute wie Koons und Hirst seien durchaus die Vorbilder für die nächste Künstlergeneration, meint Kuratorin Catherine Wood.

„Das wollen wir hier auch zeigen. Es geht nicht darum, möglichst schnell reich zu werden, nur weil die Märkte boomen. Wer als Künstler ehrgeizig und motiviert ist, kann es weit bringen, auch wenn er, wie Keith Haring, sich anfangs mit dem Verkauf von Schlüsselanhängern über Wasser halten muss.“

Marketing und Umsatz, Showbiz und Glamour, Ruhm und Publicity: Erfolgreich vorexerziert hat das alles der Mann, der in dieser Schau sozusagen als „Schirmherr“ der Pop-Art und Lehrmeister der künstlerischen Selbstinszenierung agiert: Andy Warhol. Drei Räume widmet ihm die Ausstellung und fast 100 und von insgesamt 150 Exponaten.

Gerade dieses Übergewicht an „Warholabilien“ aber ist eine der Schwächen der Ausstellung. Sie suggeriert eine Dominanz des Pop-„Übervaters“, die zu pauschalisierend und übertrieben wirkt. Starkult, Kunst als Ware und das Big Business von Berühmtheit und Erfolg: Ist das wirklich nur das Erbe dieses Herren?

Eines muss man den Ausstellungsmachern der Tate lassen: ihre guten Nasen für das, was ankommt und gut geht. Dafür haben sie einen guten Riecher. Und was geht auf der Insel besser als Gold von Hirst und Chromstahl von Koons!

Nur über den Titel der Schau waren sich die Tate-Leute lange nicht einig. Jemand hatte vorgeschlagen „Der Künstler im Zeitalter des Pop“, andere plädierten für „Der Künstler im Zeitalter der Publicity“. Beides wurde verworfen, ebenso der Obertitel „Sold Out“. Gegen ihn hatte Damien Hirst so einiges einzuwenden, angeblich.

„Ein anderer Vorschlag war: ‚Der Warhol-Effekt‘. Wir wollten klar machen, dass es hier um einen Übergang geht, weg von der klassischen Pop-Art bei Warhol mit seinen gemalten Cola- und Suppendosen, hin zum gezielten Einsatz der Medien im Alltag. ‚Sold Out‘ und ‚Warhol-Effekt‘ erschienen uns nicht aussagekräftig genug. Und außerdem: Bei ‚Sold Out‘ hätten die Leute ja denken können: Was? Ausverkauft? Keine Karten mehr?“

Schlimmer als eine ausverkaufte Ausstellung wäre das „Sold Out“ im Sinne eines Ausverkaufs der Kunst. Aber das wollen wir Murakami, Koons und Co. nicht unterstellen. Die Diskussion darüber fällt in der Tate ohnehin ganz unter den Tisch.

Service:
Pop Life: Art in a Material World
Tate Modern, London
1.10.2009–17.1.2010

Kunsthalle Hamburg
6.2.-9.5.2010