Die Kunst des (Aber)-Glaubens
Finster dreinblickende Holzfiguren oder Fruchtbarkeitsgöttinnen mit breiten Hüften bevölkern die Glasvitrinen im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe. Winzige Zeugen längst versunkener Kulturen, denen aber womöglich in konzentrierter Form eine Stilgeschichte der Antike anzusehen ist.
Marmormännchen mit dreieckigen Gesichtern, finster dreinblickende Holzfiguren oder Fruchtbarkeitsgöttinnen mit breiten Hüften bevölkern die Glasvitrinen im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe. Entstanden sind die "Götter, Götzen und Idole" in der Zeit von 5000 vor Christi bis ins 3. Jahrhundert hinein, kaum eines der archäologischen Fundstücke aus dem Orient, aus Mykene oder Saba, Italien und Norddeutschland ist größer als zehn, allenfalls 15 Zentimeter. Winzige Zeugen längst versunkener Kulturen also, denen aber womöglich in konzentrierter Form eine Art künstlerischer Entwicklung, eine Stilgeschichte der Antike anzusehen ist.
"Wir haben immer wieder wunderbare, fast naturalistisch gestaltete Figuren, aber auch schon eine starke Abstraktion und Stilisierung gerade bei den prähistorischen Holzidolen mit einfachen Augen-Ritzlinien. Also, diese Abstraktion und auch das Figürliche laufen offensichtlich immer wieder parallel."
In generalisierende kunsthistorische Kategorien wollen die eigensinnigen Götzen sich nicht fügen, also schärft Kurator Frank Hildebrandt mit einer unkonventionellen Präsentation auf verschiedenfarbigen Filzunterlagen den Blick für jedes einzelne Objekt. Da sind etwa zwei winzige, faszinierende Tonköpfe aus dem fünften beziehungsweise dritten Jahrtausend vor Christi, mit kahlem Schädel und melancholisch großen Augen der eine, mit den geweiteten Pupillen einer Eule der andere. Auf diese Details versteht sich der Archäologe:
"Im Großen und Ganzen sind diese nett anzusehenden kleinen Idolfigürchen durchaus mit der Gewalt in der Welt konfrontiert. Denn viele haben große Augen, stechende Augen, sie sollen Übel abwehren. Sie sollen den Träger dieses Idols, den Besitzer des Idols einfach schützen."
Eine Art Amulett also. Aber welchen Einfluss die kleinen Figuren im täglichen Leben tatsächlich hatten, das wird erst mit genauer Kenntnis der jeweiligen Ausgrabungssituation und weiterer archäologischer Funde am historisch verbürgten Ort deutlich:
"Wenn Sie zum Beispiel die Idole nehmen und sie mit Gefäßen, die damit verknüpft sind, sehen: war es eine ärmliche Bestattung, war es eine wohlhabendere Schicht, die diese Figürchen mitgegeben hat? Es ist also eine Vielzahl von Fragestellungen, die allein durch den Kontext zu beantworten sind."
Die genaue Fundsituation aber lässt sich kaum mehr rekonstruieren, nachdem die meisten der 210 ausgestellten Objekte bis heute unbeachtet in den Depots lagerten. Darum hat Kurator Frank Hildebrandt diese erste Schau zum Thema "Götterbilder" genutzt, um zumindest die kleinen Skulpturen selbst genauer zu untersuchen, aus der direkten Anschauung heraus zu ergründen, welche Rolle etwa die sogenannten Kykladen-Idole im antiken Griechenland gespielt haben:
"Achtzig bis neunzig Prozent weiblich, mit abgestreckten Füßen, die Rücken abgeflacht. Die männlichen Figuren sind alle Musikanten, hat das mit einem Ritus zu tun, mit einer Initiation? Was man mit ihnen gemacht hat, das fasziniert archäologisch mehr als die ästhetische Komponente."
Wenn der Archäologe dann aber von den Wesen erzählt, die monatelang seinen Schreibtisch bevölkerten, gleicht er in seiner Begeisterung Picasso, der die jahrtausendealten Figürchen als Künstler schätzte - und für die Moderne wiederentdeckte:
"Mir gefallen diese Kykladen-Idole in ihrer Abstraktheit in ihrem schönen, weiß glitzernden und feinteiligen Marmor ganz besonders gut. Andererseits sehen sie ein Buch des Archäologen Johannes Overbeck. Dieser Johannes Overbeck schrieb um 1850 herum, daß es sich bei den Kykladen-Idolen lediglich um "kleine Scheusale aus Marmorsplittern handelt."
Ob nun kleines Scheusal oder verehrter Kobold, die wechselnde Wertschätzung der Idole dokumentiert eine zweite Abteilung mit Büchern über Martin Luthers Feldzug gegen die "Abgötterei" und zahlreichen Kupferstichen, in denen die von Johann Joachim Winckelmann im 18. Jahrhundert geschürte Antiken-Begeisterung ihren Ausdruck findet. Dem Begründer der Archäologie galten die "Figuren der Gottheiten" als Anfang aller Kunst. Umso beschämender fanden es die Deutschen, dass sie damals noch keine eigenen Idole aufzuweisen hatten:
"Nun gab es das Problem, dass die prähistorischen Idole zu jener Zeit noch nicht entdeckt waren, so dass man dazu neigte, erst einmal Idole zu erfinden. Man brachte sie zu Papier, zeichnete sie - entwickelte also auch eine Bildersprache für diese Götzen."
1768 begannen zwei findige Brüder, in großem Stile Götterfiguren aus grauer Vorzeit zu fälschen, auch diese "Prillwitzer Idole" haben ihren Platz in der kulturgeschichtlichen Ausstellung. Denn Radegast und Pogada, Hunds- oder Vogelkopf konnten den Menschen vermutlich genauso viel oder ebenso wenig helfen wie alle Götzen. Gegenüber ihren feingliedrigen und ausdrucksstarken Kollegen aus Ägypten oder Syrien aber machen die plumpen Nachahmungen nur mehr deutlich, wie eng echte Kunst und authentischer Kult einst zusammengingen.
Homepage: Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg
"Wir haben immer wieder wunderbare, fast naturalistisch gestaltete Figuren, aber auch schon eine starke Abstraktion und Stilisierung gerade bei den prähistorischen Holzidolen mit einfachen Augen-Ritzlinien. Also, diese Abstraktion und auch das Figürliche laufen offensichtlich immer wieder parallel."
In generalisierende kunsthistorische Kategorien wollen die eigensinnigen Götzen sich nicht fügen, also schärft Kurator Frank Hildebrandt mit einer unkonventionellen Präsentation auf verschiedenfarbigen Filzunterlagen den Blick für jedes einzelne Objekt. Da sind etwa zwei winzige, faszinierende Tonköpfe aus dem fünften beziehungsweise dritten Jahrtausend vor Christi, mit kahlem Schädel und melancholisch großen Augen der eine, mit den geweiteten Pupillen einer Eule der andere. Auf diese Details versteht sich der Archäologe:
"Im Großen und Ganzen sind diese nett anzusehenden kleinen Idolfigürchen durchaus mit der Gewalt in der Welt konfrontiert. Denn viele haben große Augen, stechende Augen, sie sollen Übel abwehren. Sie sollen den Träger dieses Idols, den Besitzer des Idols einfach schützen."
Eine Art Amulett also. Aber welchen Einfluss die kleinen Figuren im täglichen Leben tatsächlich hatten, das wird erst mit genauer Kenntnis der jeweiligen Ausgrabungssituation und weiterer archäologischer Funde am historisch verbürgten Ort deutlich:
"Wenn Sie zum Beispiel die Idole nehmen und sie mit Gefäßen, die damit verknüpft sind, sehen: war es eine ärmliche Bestattung, war es eine wohlhabendere Schicht, die diese Figürchen mitgegeben hat? Es ist also eine Vielzahl von Fragestellungen, die allein durch den Kontext zu beantworten sind."
Die genaue Fundsituation aber lässt sich kaum mehr rekonstruieren, nachdem die meisten der 210 ausgestellten Objekte bis heute unbeachtet in den Depots lagerten. Darum hat Kurator Frank Hildebrandt diese erste Schau zum Thema "Götterbilder" genutzt, um zumindest die kleinen Skulpturen selbst genauer zu untersuchen, aus der direkten Anschauung heraus zu ergründen, welche Rolle etwa die sogenannten Kykladen-Idole im antiken Griechenland gespielt haben:
"Achtzig bis neunzig Prozent weiblich, mit abgestreckten Füßen, die Rücken abgeflacht. Die männlichen Figuren sind alle Musikanten, hat das mit einem Ritus zu tun, mit einer Initiation? Was man mit ihnen gemacht hat, das fasziniert archäologisch mehr als die ästhetische Komponente."
Wenn der Archäologe dann aber von den Wesen erzählt, die monatelang seinen Schreibtisch bevölkerten, gleicht er in seiner Begeisterung Picasso, der die jahrtausendealten Figürchen als Künstler schätzte - und für die Moderne wiederentdeckte:
"Mir gefallen diese Kykladen-Idole in ihrer Abstraktheit in ihrem schönen, weiß glitzernden und feinteiligen Marmor ganz besonders gut. Andererseits sehen sie ein Buch des Archäologen Johannes Overbeck. Dieser Johannes Overbeck schrieb um 1850 herum, daß es sich bei den Kykladen-Idolen lediglich um "kleine Scheusale aus Marmorsplittern handelt."
Ob nun kleines Scheusal oder verehrter Kobold, die wechselnde Wertschätzung der Idole dokumentiert eine zweite Abteilung mit Büchern über Martin Luthers Feldzug gegen die "Abgötterei" und zahlreichen Kupferstichen, in denen die von Johann Joachim Winckelmann im 18. Jahrhundert geschürte Antiken-Begeisterung ihren Ausdruck findet. Dem Begründer der Archäologie galten die "Figuren der Gottheiten" als Anfang aller Kunst. Umso beschämender fanden es die Deutschen, dass sie damals noch keine eigenen Idole aufzuweisen hatten:
"Nun gab es das Problem, dass die prähistorischen Idole zu jener Zeit noch nicht entdeckt waren, so dass man dazu neigte, erst einmal Idole zu erfinden. Man brachte sie zu Papier, zeichnete sie - entwickelte also auch eine Bildersprache für diese Götzen."
1768 begannen zwei findige Brüder, in großem Stile Götterfiguren aus grauer Vorzeit zu fälschen, auch diese "Prillwitzer Idole" haben ihren Platz in der kulturgeschichtlichen Ausstellung. Denn Radegast und Pogada, Hunds- oder Vogelkopf konnten den Menschen vermutlich genauso viel oder ebenso wenig helfen wie alle Götzen. Gegenüber ihren feingliedrigen und ausdrucksstarken Kollegen aus Ägypten oder Syrien aber machen die plumpen Nachahmungen nur mehr deutlich, wie eng echte Kunst und authentischer Kult einst zusammengingen.
Homepage: Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg