Die Kunst der Selbstverhinderung

Von Jochen Stöckmann · 17.12.2009
Vom "unglaublichsten Ausstellungsvorbereitungsterror aller Zeiten" sprach Veit Görner, Direktor der Kestner Gesellschaft Hannover. Gemeint waren die überzogenen Forderungen der Künstlerin Elke Krystufek, die schließlich zum Abruch der geplanten Ausstellung mit ihr führten. Nun wird die Ausstellung doch gezeigt, ist dafür aber um ein Exponat reicher.
Diesmal beginnt Elke Krystufek auf die feine Art: Ihre schriftlichen Auseinandersetzungen mit dem Direktor Veit Görner sind jetzt in der hannoverschen Kestnergesellschaft als Video zu sehen, als verwackelte Folge ausgedruckter E-Mails. Keine knallharte Chronologie des spektakulär angekündigten Scheiterns einer Ausstellung sondern ein bunter Strauß von Assoziationen:

Veit Görner: "Vielleicht geht es gar nicht so sehr um den Informationsgehalt, sondern vielmehr um das verwackelte Verhältnis. Also: Unklarheiten und so weiter. Und das wird da ganz schön abgebildet. Ich könnte da jetzt auf eine Rechtsposition mich zurückziehen und sagen, es ist eine Verletzung des Urheberrechts, eine Verletzung des Postgeheimnisses. Auf der anderen Seite muss ich sagen, der Film spricht für sich. Und ist ein Zeugnis, genauso, wie die Presseerklärung, die sie geschrieben hat."

So interpretiert Veit Görner die nunmehr ausgestellte Geschichte vom Zustandekommen einer Ausstellung, in der er als Direktor keine guten Noten bekommt. Vor allem nicht im Vergleich zu seinem Wiener Kollegen Peter Noever, einem wahren Musterschüler, der 2006 im Museum für angewandte Kunst für die Schau "Liquid Logic" eine Reise in die Südsee samt Videoinstallation finanzierte.

Veit Görner: "Es hat weniger mit Österreich und Deutschland zu tun als vielmehr mit der staatlichen Institution und der privat getragenen Institution Kunstverein: Wir müssen jede Ausstellung komplett zu 100 Prozent finanzieren - und da haben wir keine Möglichkeiten."

In Hannover war Elke Krytufek nach der Rückkehr von ihrer zweiten, über die Kestner-Gesellschaft finanzierten Südsee-Expedition damit konfrontiert, dass für den Filmschnitt kein Geld mehr aufzutreiben war. Aber vielleicht war dieses Scheitern von vornherein eingeplant, kalkuliert, um am Ende mit Friedrich-Wilhelm Murnau gleichzuziehen, der auf der Südseeinsel Palau seinen Stummfilm "Tabu" gedreht hatte.

Elke Krystufek: "Ich meine, ein Tabu wird sehr deutlich sichtbar: Das größte Tabu ist nicht Sexualität, sondern Geld. Das wird, glaube ich, immer deutlicher, auch gesamtgesellschaftlich gesehen. Und Murnau hatte auch sehr viel Geldkämpfe mit der Filmfirma, hat den Film selbst produziert und ist darüber gestorben. Mich interessieren solche Biografien extrem, weil es auch das infrage stellt: Was ist Kunstproduktion oder was sind Karrieren?"

Ihren Südsee-Phantasmen konnte die Künstlerin nicht mehr nachhängen, also konzentrierte sie sich auf die penible Aufzählung von Fehlverhalten vor Ort in der Kestner-Gesellschaft. Der Kunstverein hat in seiner langen Geschichte 391 Künstler ausgestellt, nur 32 davon waren weiblich. Ihre Namen stehen nun in roter Ölfarbe auf der weißen Wand, in einem Meer blauer Männernamen.

Elke Krystufek: "Was ich so schön finde daran, dass diese Arbeit natürlich die Recherche ermöglicht. Also, es gibt ja noch eine Installation, für die ich noch einen Platz suche von den Frauenkalendern von Frau Luise F. Pusch, die hier in Hannover tätig ist, da sind über 30.000 Frauenbiografien gesammelt, wo man dann Details nachlesen kann und genau den Status solch einer Recherche kann auch die Installation bieten."

Ganz treffsicher ist die Recherche nicht ausgefallen: Gleich neben "Umbo", dem blauen Künstlernamen des Fotografen Otto Umbehr, leuchtet "Kilengi", ebenfalls in Blau. Das allerdings war der Titel einer Ausstellung über afrikanische Kunst, nicht Umbos Nachname. Und dass Elke Krystufek sich auf Luise F. Pusch beruft und deren jahrzehntelanger Erfahrung in ermüdenden Gleichstellungsübungen, stellt ihre künftigen Arbeiten nicht unbedingt unter Kunstverdacht. Aber um Sinnenreiz und Augenkitzel geht es auch nicht mehr, wenn die Wiener Akademieprofessorin die Kunstgeschichte neu schreiben möchte:

"Mich interessiert auch, was macht jetzt die Generation nach mir? Ich bin ja auch schon mid-career. Was machen die Frauen, die jetzt 20 sind, wie gehen die mit Feminismus um und was gibt es da für Genderfragen? An der Akademie in Wien habe ich bewusst eine feministische Assistentin ausgewählt und meine Nachfolge ist jetzt ein Transgender-Professor, den wir lanciert haben an der Akademie. Wir haben also auch ein Stück dieser Geschichte mit verändert."

Und dann erzählt die Malerin - nach einer trostlosen Übung in Statistik - doch Geschichten: mit einer Porträtserie, sparsam gehängt in der fast leer wirkenden Jugendstilhalle. Neben berühmten Künstlernamen findet sich da auch eine Filmfigur aus Alexander Kluges Film "Die Artisten in der Zirkuskuppel ratlos":

Elke Krystufek: "Leni Peikert scheitert ja als Figur, Geld für ihren Zirkus aufzutreiben. Bas Jan Ader scheitert bei seiner Überfahrt durch den Ozean. Kirchner ist durch seinen Selbstmord gescheitert an seinem Lebensentwurf. Die Expressionisten sind auch gescheitert in dem, was sie finden wollten in der Südsee."

Nämlich schöne, nackte Körper - Männerklischees, glaubt man Krystufek. Dieses Vorurteil erhärtet sie mit einem bereits von der Biennale in Venedig bekannten Verfahren, der Inversion, einer platten und einfachen Umkehrung: Wo bisher die Herren Künstler nackte Frauen malten, holt sich nun eine Frau nackte Männermodelle ins Atelier. "Does a female painting speak rather 2 a woman?", ist als Frage an den Rand gekritzelt, ob ein Akt- oder Pornobild aus weiblicher Sicht eher Frauen anspricht:

"Gerade meine Bilder sprechen ja sehr vehement, weil sie eben oft sehr textlastig sind - und die Texte eine andere Art von Auseinandersetzung ermöglichen."

Genau das aber bewirken ganze Kolonnen von handschriftlichen Notaten nicht. Eher nährt diese Art der literarischen Absicherung und Beglaubigung schwacher Gemälde ein Misstrauen gegen die krampfhaften Versuche, sich überall, in jedem Genre zu beweisen. Beim Direktor der Kestner-Gesellschaft wäre das gar nicht nötig, denn Veit Görner hat längst verstanden, was das gar nicht so neue Prinzip künstlerischer Institutionenkritik angeht:

"Sie brauchen das System, das sie bekämpfen, um überhaupt ökonomisch erfolgreich sein zu können. Und wir haben uns dann darauf geeinigt, die Ausstellung doch durchzuführen. Was wir nicht nachgegeben haben, waren ihre Forderungen, dass sie Texthoheit beansprucht hat. Da muss ich dann einfach sagen: Ich als Autor schreibe meine Texte und sie als Künstlerin malt ihre Bilder - und ich male ihr nicht rein und sie schreibt mir nicht rein. Ende!"