"Die Kultur spielt nur eine bedingte Rolle"

Moderation: Dieter Kassel |
Kultur spielt im französischen Präsidentschaftswahlkampf kaum ein Rolle, glaubt arte-Chef Gottfried Langenstein. Der Präsident des deutsch-französischen Kultursenders sieht eher wirtschaftliche und soziale Fragen als wahlentscheidend an. Alle Kandidaten setzten wegen der Verunsicherung auf die nationale Karte. Interessant sei, dass sich einige bekannte Intellektuelle auf die Seite Sarkozys geschlagen hätten, obwohl "traditionell" die sozialistische Partei "Heimat" der französischen Intellektuellen sei.
Dieter Kassel: Am 22. April wird in Frankreich ein neuer Staatspräsident gewählt. Es könnte auch eine Präsidentin werden, denn unter den drei aussichtsreichsten Kandidaten befindet sich neben dem früheren Innenminister Nikolas Sarkozy und dem Kandidaten der Mitte Francois Beyrou auch eine Frau, die Sozialistin Ségolène Royal. Frankreich gilt als Kulturnation, Frankreich gilt als Land, in dem sich die Intellektuellen noch in die Politik einmischen dürfen, sollen und können. Und deshalb reden wir über den Wahlkampf der drei genannten Kandidaten, aber auch der insgesamt acht anderen mit dem Präsidenten des deutsch-französischen Kulturkanals arte, Gottfried Langenstein. Guten Tag!

Gottfried Langenstein: Guten Tag.

Kassel: Herr Langenstein, welche Rolle spielt denn die Kultur im französischen Wahlkampf?

Langenstein: Sie spielt schon ein Stück weit eine Rolle, aber nicht so stark wie in den früheren Jahren. Man hat eindeutig den Eindruck, dass hier Sorgen um die ökonomische Situation in Frankreich und Sorgen um die soziale Situation in Frankreich im Vordergrund stehen und weniger die Kultur, wiewohl es auch Äußerungen über die Kultur gibt, gerade von den Kleineren, von den Kandidaten, die weniger aussichtsreich sind, gibt es schon Forderungen, 1 Prozent des Staatshaushalts für die Kultur einzusetzen, und es gibt natürlich auch so manche Bündnisse von Intellektuellen mit einzelnen Kandidaten.

Kassel: Wie sieht es denn bei den drei Kandidaten aus, von denen einer oder eine mit gewisser Wahrscheinlichkeit am Ende Präsident werden wird? Spielt da bei denen die Kultur gar keine Rolle?

Langenstein: Bei denen spielt die Kultur nur eine bedingte Rolle. Also sie äußern sich natürlich dazu und sagen, Kultur ist wichtig, Wissen ist bedeutend. Bayrou, der zweimal Bildungsminister war, vertritt die Auffassung, Frankreich muss sozusagen führend werden in der Bildungsoffensive, es muss die beste Bildung Europas in Frankreich geben. Er will damit dann sozusagen das Land nach vorne bringen.

Ségolène Royal und auch Sarkozy plädieren auch beide für eine Wissens- und Bildungsoffensive, weil man natürlich in Frankreich spürt, man hat etwas aufzuholen im globalisierten Wettbewerb. Die Intellektuellen selber halten sich aber erstaunlich weit fern. Es gibt zwar bei Ségolène Royal 150 Intellektuelle, die im "Nouvelle Observateur" am 1. März 2003 einen Aufruf gestartet haben, darunter auch Arianne (???), Jeanne Moreau oder Patrice Geraud.

Aber dieser Aufruf richtet sich eher gegen Sarkozy und ist weniger eine Unterstützung für Ségolène Royal selber. Das liegt daran, dass Ségolène Royal ihren Wahlkampf sehr stark darauf baut, mit den kleinen Leuten Frankreichs Stimmen zu bekommen, und sich mit denen sehr stark verbündet. Sie sagt es, "ecoutez le peuple!", wir wollen das Volk hören, und das ist natürlich für die Intellektuellen relativ schwierig, sich dann dort mit als Alliierte zu zeigen. Insofern hat sie keine wirkliche Unterstützung bei Intellektuellen in der Form, wie es früher Mitterand und andere hatten.

Kassel: Kann man sagen, die Intellektuellen fühlen sich ein wenig heimatlos, denn eigentlich, was die drei aussichtsreichsten Kandidaten angeht, wäre ja Frau Royal die logischste Wahl. Sie ist die Kandidatin der Sozialistin. Aber ich habe manchmal so ein bisschen den Eindruck: Sie haben jetzt von den einfachen Leuten gesprochen, dem Volk zuhören, das mag ja sein, aber so klassisch links, wie man sich das gerade in Frankreich so vorstellt, ist sie nicht, oder?

Langenstein: Das ist sie sicher nicht, und mit dem Namen Royal spielt sie ja auch. Also das Königliche spielt in Frankreich offenbar eine Rolle. Man hat zwar den König dekapitiert, aber das höfische Gefühl ist in dem Land ja immer noch sehr präsent, das darf man ja nicht übersehen, trotz der französischen Revolution, und insofern arbeitet sie schon auch auf anderen Registern, aber sie stellt ja im Wahlkampf sehr stark darauf ab, weil sie spürt, dass sie damit den Wahlkampf gewinnen kann.

Bei Sarkozy finden sich auch Leute ein, es ist Glucksman, es ist Finkielkraut, es ist Max (???), der früher auch auf der Seite Mitterrands war. Das ist schon auffällig, also dass die großen Philosophen dann eher bei Sarkozy stecken. Das liegt aber eher daran, wie Finkielkraut es formuliert, dass die Sozialistische Partei sich im Koma befindet. Sie ist für die Intellektuellen nicht richtig lebendig, nicht richtig greifbar, und deswegen alliiert man sich mit ihr nicht.

Kassel: Es gab ja gerade von der Sozialistischen Partei oder gerade von Madame Royal vor wenigen Tagen ein komisches nationalistisches Signal. Da hat sie ernsthaft gefordert, jeder Franzose solle eigentlich eine Nationalflagge besitzen, damit er die am Nationalfeiertag auch hissen kann. Aber natürlich steckt noch mehr dahinter. Da gab es natürlich von den üblichen Verdächtigen Applaus. Wie haben denn da die Intellektuellen und die Kultur reagiert, weil das ist ja nun gerade auch von einer Sozialistin ein eigenartiger Vorschlag?

Langenstein: Das ist eine Veränderung, die man im Wahlkampf übrigens bei allen drei Kandidaten im Moment sieht. Es gibt auf Grund der großen sozialen Beunruhigung in Frankreich und der ökonomischen Beunruhigung in Frankreich über die Globalisierungseffekte im Lande eine Angst vor der Welt und auch eine Angst vor dem Verlust der Kontrolle Frankreichs über seine Ökonomie. Und da macht es sich sehr, sehr gut zu sagen, man tut etwas für die nationale Identität.

Sarkozy hat ja selbst ein eigenes Ministerium dafür angekündigt, Ministerium für Immigration, und das zweite Wort dabei ist sehr interessant, Identite Nationale, also für die nationale Identität Frankreichs, ein eigenes Ministerium dafür zu gründen. Und darauf antwortet nun Ségolène mit ihrem Wunsch, jeder soll die Flagge aus dem Fenster hängen, um sozusagen auch Frankreich nach vorne zu stellen. Das ist eine Gegenreaktion auf den Vorschlag von Sarkozy, und es ist ein Spiel mit nationalen Stimmen, die man hofft im ersten Wahlgang zu gewinnen, um nicht Beyrou nach vorne kommen zu lassen, und da versucht man auf der rechten Seite dann auch zu fischen.

Kassel: Welche Rolle spielt eigentlich bei diesen drei Kandidaten, aber vielleicht auch bei anderen, Europa? Ist es ein rein innenpolitischer Wahlkampf oder nicht?

Langenstein: Die Stimmen dazu zu beurteilen, ist schwierig, weil man natürlich in diesem national gefärbten Wahlkampf spürt, dass schon die Karte Frankreich sehr stark gespielt wird. Beide Seiten, ganz egal ob es die Seite von Ségolène Royal ist oder ob es die von Sarkozy ist, oder ob es Francois Bayrou ist, reden erst mal über das Airbusproblem. Jeder sagt, Airbus muss gestärkt werden, die französische Seite bei Airbus muss gestärkt werden. Sarkozy plädiert für eine größere Beteiligung von Lagadere . Francois Bayrou will einen neuen Airbusvertrag verhandeln, wo die französische Seite die Führungsrolle kriegt. Ségolène Royal spricht davon, dass man nicht zulassen darf, dass dieser Plan 8 von Airbus überhaupt umgesetzt wird.

Also alle drei beschäftigen sich damit, und damit sind sie erstmal, was ein proaktives europäisches Verhalten angeht, relativ zurückhaltend. Sie geben sich natürlich alle als große Europäer zu kennen, aber haben gewisse Unterschiede. Bei Sarkozy ist ganz klar, der Beitritt der Türkei kommt nicht in Frage, es gibt nur einen Assoziierungsvertrag. Bei Beyrou und Ségolène Royal gibt es durchaus Stimmen, dass man die Türkei beitreten lassen kann, dass man dafür aber wiederum in Frankreich ein Referendum braucht. Wenn das dann ausginge wie bei der Verfassung, wäre das ein schwieriger Vorgang.

Im Übrigen sprechen sie sich auch dafür, dass die Verfassung wieder angefasst werden soll, aber keine so große Verfassung wie die, die wir das letzte Mal auf den Weg gebracht haben, sondern eher eine kleine Fassung der Verfassung, mit der man versuchen soll, sozusagen die Bevölkerung wieder für Europa zu gewinnen.

Kassel: Machen wir Europa mal viel kleiner, Herr Langenstein. Gehen wir auf das deutsch-französische Verhältnis und auf was Spezielles. Einer der drei aussichtsreichsten Kandidaten ist ja eine Frau, Ségolène Royal. In Deutschland haben wir nun eine Bundeskanzlerin seit einer Weile. Spielt das in Frankreich eine Rolle, vielleicht auch diese mögliche Parallelität, dass die beiden ja auch befreundeten, aber doch schwierig befreundeten Nationen vielleicht bald beide von einer Frau regiert werden?

Langenstein: Das spielt in Frankreich in der Tat eine Rolle. Also ich erlebe es auch immer wieder in persönlichen Gesprächen in Paris, dass man gefragt wird, wie das ist mit einer deutschen Bundeskanzlerin, wie wir damit leben. Das wird mit großer Aufmerksamkeit wahrgenommen. Die deutsche Bundeskanzlerin bekommt in Frankreich gute Noten, wird gut wahrgenommen, und insofern ist das durchaus ein Beispiel, dass auch in Frankreich möglicherweise eine Frau regieren könnte. Das war bislang in Frankreich nicht gedacht und ist jetzt durch die Situation in Deutschland durchaus denkbar geworden. Insofern hat es schon etwas Paradigmatisches, dass wir eine deutsche Bundeskanzlerin haben, auch für die französischen Präsidentschaftswahlen. Wie es am Ende ausgeht, wird von dem Dritten abhängen, der im Prinzip mit ins Rennen geht.

Kassel: Sie haben es schon deutlich gesagt, die Wirtschaft Frankreichs und soziale Fragen, das bestimmt den Wahlkampf sehr stark. Interessante Zahl dazu: Während in Deutschland selbst linke Kreise sich langsam an den Gedanken gewöhnen, dass die Rente mit 67 kommt, gab es eine Umfrage in Frankreich neulich, da kam heraus, dass die Mehrheit der Franzosen 55 für das ideale Renteneintrittsalter halten. Kann man sagen, was sozial-wirtschaftliche Debatten angeht, ist Frankreich ein bisschen weiter hinten in Europa als Deutschland?

Langenstein: Ja, sogar erheblich. Ich glaube, dass wir in Deutschland durch die Wiedervereinigung gezwungen worden sind, bei der Wirtschaftskrise um 2000 massiv soziale Reformen zu machen, die die sozialen Systeme reformieren, die in Frankreich noch ausstehen. In Frankreich war dieser ökonomische Druck nicht da. Frankreich hat selbst über die Börsenkrise hinweg immer noch Wachstumszahlen in der Wirtschaft gehabt und hat deswegen soziale Reformen im Land nicht angepackt. Es wird auch ein Problem der Überalterung der Gesellschaft kommen, nicht in der Größenordnung wie Deutschland, weil in Frankreich die Geburtenraten noch deutlich stärker sind als in Deutschland. Aber gleichwohl wird es auch dort eine Überalterung geben, und das Land wird an seinem Sozialsystem arbeiten müssen. Aber das steht jetzt an.

Sie haben auch eine wesentlich höhere Staatsquote als wir in Deutschland, Staatsquote liegt bei 54 Prozent, wir liegen in Deutschland deutlich unter 50 Prozent, und sie haben vor allem auch im globalen Wettbewerb nicht Boden gewonnen, sondern eher Boden verloren. Die Lohnstückkosten, die in Deutschland seit dem Jahr 2000 auf etwa 95 Prozent des Niveaus des Jahres 2000 gesunken sind, sind in Frankreich auf 118 Prozent gestiegen. Das ist eine große Differenz und damit ist das Land nicht mehr so wettbewerbsfähig und ist im Welthandel nur noch bei einem Anteil von 4 Prozent, der deutlich niedriger als Deutschland ist, das zwischen 8 und 9 Prozent Anteil am Welthandel hat. Also da sind sicher Notwendigkeiten im Land, umzusteuern, das wissen alle drei Kandidaten, aber es ist sehr, sehr schwierig in der Bevölkerung zu vermitteln, weil die Bevölkerung glaubt, das sei nur ein europäisches Problem und kein globales.

Kassel: Vielen Dank für das Gespräch.
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