Die Kultur des Erinnerns
In der Haftanstalt "Roter Ochse" in Halle haben die Nationalsozialisten 500 politische Gefangene hinrichten lassen. Später haben im "Roten Ochsen" sowjetische Militärtribunale tausende Gefangene aus ganz Sachsen-Anhalt verurteilt. Zu DDR-Zeiten hat das MfS den "Roten Ochsen" als Untersuchungshaftanstalt geführt. Seit einem Jahrzehnt ist die Haftanstalt Gedenkstätte für die Opfer politischer Verfolgung.
Für die einen ist es die Farbe der Ziegelsteine, für andere die Vogelperspektive. Von oben haben die Gebäude der Haftanstalt die Silhouette eines liegenden Ochsen. Oder ist es der Ruf des Nebelhorns, laut wie das Brüllen dieses Tieres, der die Tagelöhner vor den Toren der Stadt zur Arbeit gerufen hat?
Keiner weiß genau, weshalb der Rote Ochse so heißt, aber der Name ist berüchtigt. Er steht vor allem für die Gräuel der braunen und der roten Diktatur. Schon 1842 wird das Haus als königlich-preußische Haft- und Besserungsanstalt eröffnet. Eine Strafanstalt für Gefangene, die langjährige Haftstrafen abbüßen. Die Baugeschichte lässt sich von unten nach oben an der Fassade ablesen. Feldsteine, dunkle Klinker, rote Backsteine. Der Rote Ochse ist Irrenanstalt, Lazarett, Hinrichtungsstätte unter den Nazis und Haftanstalt des Ministeriums für Staatssicherheit. Heute steht an den Toren JVA, Justizvollzugsanstalt. Direkt neben dem Frauentrakt ist eine schmale Metalltür, der provisorische Eingang zur Gedenkstätte. Die Besucherschleuse ist noch im Bau, verhängt mit grauen Plastikplanen. Noch sind die Innenräume der Gedenkstätte leer. Es riecht nach frischer Farbe, die Wände sind unten in blassem blau und lindgrün gestrichen, oben weiß getüncht. Einziger Blickfang sind die blau lackierten Holztüren vor den Zellen in der ersten Etage. Anne- Katrin Preuße vom Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt arbeitet seit langem an der Konzeption für die Gedenkstätte. Verschiedene Diktaturen haben die Räume genutzt und umgebaut. Viele authentische Spuren sind verschwunden.
"Also einmal die NS-Zeit und dann wieder die Zeit nach 45, die russische Besatzungszeit mit dem sowjetischen Militärtribunal und die Zeit in der DDR als die Staatssicherheit das Gebäude genutzt hat, das ist das besondere Konzept. Da den verschiedenen Opferverbänden gerecht zu werden, das ist besonders schwierig. "
Wolfgang Stiehl ist Vorsitzender der Vereinigung für die Opfer des Stalinismus, die Zeit nach 1945. Er fährt oft nach Halle zu den Arbeitstreffen mit der Leitung der Gedenkstätte und den Opferverbänden. Aber die Büroadresse seines Opferverbandes ist die Gedenkstätte am Moritzplatz in Magdeburg. Dort sitzt der massige große Mann mit Brille und weißen Haaren an einem Holztisch. Im dem ehemaligen Stasiknast riecht es scharf und muffig. Der Geruch, der Linoleumfußboden, die Blümchentapete, hier ist alles wie früher. Wolfgang Stiehl weiß, dass es im Roten Ochsen in Halle ganz anders aussieht, nicht so als wäre die Zeit stehen geblieben. Er legt seine schwere Hand auf einen Stapel Din A 4 Seiten. Drehbuch steht in dicken Lettern auf der Titelseite. Es ist die vorläufige Konzeption für die Gedenkstätte in Halle. Der gelernte Bäckermeister blättert, nickt zufrieden. Beim 17. Juni 1953 haben wir uns durchgesetzt, sagt er, gegen den Interessenverband der Verfolgten des Naziregimes.
"Also, wenn ihr daraus macht, dass es ein Volksaufstand war, dann machen wir ganz heftig Protest. Wir sehen es aber anders und das ist auch in der Historie bewiesen, dass es keine Achtgroschen Jungs aus Westberlin waren, sondern dass es ein Aufstand war, der sehr schnell und spontan aus der Bevölkerung heraus kam. "
So soll es auch gezeigt werden. Vor allem die Dokumentation zur Diktatur der Kommunisten und später der SED-Diktatur bereiten ihm Magenschmerzen. Da sind die fünf Jahre nach 1945, die Zeit der Sowjetischen Miltärtribunale. Tatsächliche und vermeintliche nationalsozialistische Verbrecher werden im Roten Ochsen verurteilt. Jeglicher Widerstand gegen die sowjetischen Besatzer sollte unterdrückt werden, heißt es in einer Dokumentation über das Strafgefängnis.
"Das ist einer der wesentlichen Knackpunkte, dass die Opfer des Nationalsozialismus vierzig Jahre lang von der Propaganda suggeriert bekommen haben, da sind jetzt die schuldigen Nazis eingesperrt. "
Das sowjetische Miltiärtribunal verurteilt nur alte Nazis, das ist eine Propagandalüge der SED-Diktatur, sagt Wolfgang Stiehl. Nach dem Abzug der Amerikaner aus Halle beherrscht der Sowjetische Staatssicherheitsdienst fünf Jahre lang das Geschehen im Roten Ochsen. Viele Unschuldige bezahlen mit dem Leben. Exekutiert, verschollen in den Lagern des Gulag, Zwangsarbeit in Workuta. Dieses Kapitel deutscher Geschichte kommt in der Ausstellung zu kurz, sagt Wolfgang Stiehl.
"Die Stasi ist in meinen Augen nichts weiter als ein Produzent von Angst und diese Basis, dass das 1923 schon in der Sowjetunion losging, die ist auch in dem, was ich jetzt für diese zwei Räume vor mir habe, nicht ausreichend drin. "
Die Haftanstalt in Halle ist auch Teil seiner eigenen Biographie. Mit neunzehn beginnt er, der Bäckergeselle aus Schönebeck bei Magdeburg, ein Studium an der Arbeiter- und Bauernfakultät der Universität Halle-Wittenberg. Der junge Student liest antikommunistisch-satirische Zeitschriften, verteilt Handzettel mit dem Aufdruck " Iwan raus". Nur vier Monate vor dem 17. Juni 1953 wird Wolfgang Stiehl verhaftet. Das Urteil lautet: Sechs Jahre Zuchthaus und Untersuchungshaft im Roten Ochsen in Halle. Heute weiß er aus seiner Stasiakte, dass ein Kommilitone ihn damals denunziert hat.
Der Historiker Michael Viebig steht im zweiten Stock der Gedenkstätte. Ein langer Flur mit hellgrau gestrichenen Türen. In den Räumen, nicht größer als ein normales Kinderzimmer, hat die Stasi fast 7000 Untersuchungshäftlinge verhört und eingesperrt. Außen auf den Holztüren steht Fertig. Der in weißer Kreide geschriebene Schriftzug stammt vom 4. Dezember 1989.
"Als das Bürgerkomitee hier durchging und versuchte die Stasi zu zwingen ihre Tätigkeit in diesem gastlichen Hause aufzugeben, haben sie die Türen versiegelt. Damit sie wussten, wo sie schon waren, haben sie Fertig drauf geschrieben. Das steht überall. "
In einem Zimmer kleben noch Reste der Blümchentapete. An den Türrahmen sind daumennagelgroße Plastikknöpfe zu sehen. Es ist die Befestigung für eine Reißleine. Ein Reißen an dem dünnen Metalldraht aktiviert den Alarm in der Zentrale, das belegen die Unterlagen aus der Gauckbehörde. Was die Lichtsignale der blauen und roten Glaskugellampen im Flur genau bedeuten, das weiß niemand so genau. Fest steht: Wann immer Häftlinge über den Flur geführt wurden, die Stasimitarbeiter sollten sicher sein: Ihnen würde nichts passieren. Für die Opfer ist es ein Ort der Demütigung. Selbst im Toilettenraum bleibt nichts verborgen. In der Mitte steht die Toilettenschüssel, an der Tür ist ein Spion. Vor dem Guckloch hängt ein dünnes Aluminiumblech.
"So dass der, der da drin saß, sich beobachtet fühlen musste. Das sind so billige, miese Geschichten, die muss man unbedingt zeigen. Wir werden es vielleicht tun mit dem Meinungsbericht einer Frau, wo sie sagt. So das letzte Stück Intimität im Knast, wo sie dir nichts können, selbst da wirst du noch beobachtet und du weißt auch noch von wem. Dann entsteht so ein Schamgefühl, dass du nur noch raus willst aus diesem Laden, das kannst du aber nur, wenn du eine Aussage gemacht hast. Mit solchen Methoden wird hier gearbeitet. Das zeigen wir anhand der übrig gebliebenen Toilette mit dem Spion. "
Dokumentieren, was erhalten ist, weglassen, was historische Quellen nicht eindeutig belegen – aber auf keinen Fall bewerten, so beschreibt der Historiker Michael Viebig das Konzept für die Ausstellung. Ein Ort in der Gedenkstätte zeigt, wie schwierig das ist. Streitpunkt in der Konzeption ist der Hinrichtungsraum. Ein kahler Raum fast ohne Tageslicht, ein Symbol für den Naziterror. Im grau gestrichenen Fußboden ist eine dicke Glasplatte eingelassen. Darunter sind sandfarbene Steine zu sehen, eine Betonplatte, daneben ein rostiger Gully. Genau an dieser Stelle haben die Nationalsozialisten 1942 ein Fallbeil aufgestellt. Bis zum 10. April 1945 wurden hier 549 Menschen geköpft.
"Wir haben an einem Tag jemanden, der mehrere Morde begangen hat, der sein eigenes Kind umgebracht hat und wir haben am gleichen Tag jemanden, der hingerichtet worden ist, weil er im Widerstand war. Dann ist das für mich verdammt schwierig, die einfach so kommentarlos nebeneinander zu stellen. "
Sollen hier die Namen aller Opfer stehen? Nein, sagt der Historiker Michael Viebig. Nein, sagt auch Wolfgang Stiehl, Sprecher der Vereinigung der Opfer des Stalinismus.
"Tot sind sie alle. Tot von Henkers Hand im Namen einer schlimmen Diktatur, aber es sind eben nicht alles politisch Verfolgte. Das war das, weshalb wir uns dagegen auch gewehrt haben, alle Namen da anzubringen, sondern zu differenzieren. Einen allgemeinen Text der Würdigung und im Nebenraum das Totenbuch, wo sich jeder informieren kann. "
Sein wichtigster Gegenspieler ist Joseph Gerats, ein zierlicher Mann, weit über achtzig. Er vertritt die Interessen der Opfer des Naziregimes und die der Hinterbliebenen. Er steht im Hinrichtungsraum, beugt sich über die im Boden eingelassene Glasplatte.
"Hier sind Frauen hingerichtet worden, Männer, Priester, drei Priester sind hier hingerichtet worden. Belgische Studenten sind hier hingerichtet worden. Also das war ein furchtbares Geschehen und deshalb war unsere Forderung von Anfang an, das sollte nicht so namenlos bleiben. "
Aber wie den Getöteten ein Gesicht geben, ohne den Widerstandskämpfer und den Kriminellen in einem Atemzug zu nennen ? Monatelang haben die Opferverbände um einen Kompromiss gerungen. Schließlich ist nur ein einziges Opfer ein echter Krimineller, ein Mörder, sagt Joseph Gerats.
" Da sind andere, die als Kriminelle deklariert worden sind. Eine Frau, die bei einem Bombenangriff Nähnadeln an sich genommen hat und dann aber hingerichtet worden ist, das kann man nicht als kriminell bezeichnen. Das war so ein Problem der Hinrichtungsraum. Aber wir denken, dass wir durch unseren hartnäckigen Kampf, das hat Monate gedauert, zu einer Lösung gekommen sind. "
Nun steht der ausgehandelte Kompromiss. Auch Joseph Gerats ist zufrieden. Wenn die Gedenkstätte im nächsten Jahr für Besucher geöffnet wird, kann jeder in einem Totenbuch die Namen aller Opfer nachlesen. An der Rückseite des Hinrichtungsraumes werden außerdem genau 549 Fächer eingerichtet. Biographische Details für die Besucher, die es genau wissen wollen. Ursprünglich sollte die Zeit des Naziterrors auf zwei Etagen dokumentiert werden. Geblieben ist eine. Die Todeszellen mit den originalgetreu restaurierten blau lackierten Holztüren werden als Ausstellungsräume genutzt. Damit will sich Joseph Gerats noch immer nicht abfinden. Er sieht in die kleinen Zellen. Da steht nichts drin, alle Wände sind weiß gestrichen. Museal aber nicht original, sagt er.
"Das gefällt uns nicht so ganz aber es ist sicher auch schwierig, weil es so viele Umbauten hier gegeben hat, weil auch durch die Tätigkeit des MfS hier in diesen Räumen vieles verändert wurde. Es steht vielleicht die Frage kann man den authentischen Charakter herstellen oder nicht. Unserer Meinung nach hätte man manches mehr als eine Gedenkstätte gestalten müssen, wie es in der Nazizeit war, an einigen Stellen wäre das möglich gewesen. "
In den Räumen neben der Hinrichtungsstätte mussten die Naziopfer ihre eigenen Särge zimmern. Einige der Schreiner- und Schlosserwerkzeuge sind erhalten. In einer Ecke steht noch immer eine Kreissäge aus dem Jahr 1936. Die Stasi hat alles von den Vorgängern übernommen und das wird dem Besucher auch gezeigt. Nicht gezeigt werden die alten Waschmaschinen, die zu DDR-Zeiten im Hinrichtungsraum standen. Das Waschwasser wurde damals durch eben den Gully abgeleitet, der neben dem Fundament für das Fallbeil liegt. Im Roten Ochsen bleiben viele historische Spuren auf den ersten Blick für den Laien unsichtbar. Vorträge in den Schulungsräumen und Führungen sollen das Angebot der Gedenkstätte ergänzen.
"An den Besucher stellen sich hohe Anforderungen, das ist völlig klar. Weil es durch die wenigen Tafeln und die wenigen Räume es schwierig ist, die historischen Vorgänge zu verstehen, das wird sehr schwierig sein. "
Im Februar 2006 soll es endlich soweit sein. Bis dahin will Joseph Gerats Klarheit über ein historisches Detail, das ihn sehr beschäftigt. Er steht in der ersten Etage vor dem einzigen Plakat, das bereits hängt. Dokumentiert wird das Schicksal von Studentenpfarrer Johannes Hamel. Unter der Überschrift: Kirchenkampf in Halle ist ein Foto zu sehen. Da geht ein älterer Mann mit weißen Haaren am Starnberger See spazieren. Die Geschichte: Pfarrer Hamel wird im Februar 1953 also nur wenige Monate vor dem 17. Juni wegen "antisowjetischer und antidemokratischer Hetze" festgenommen. Fünf Monate lang sitzt er in Untersuchungshaft im Roten Ochsen. Joseph Gerats steht davor und zuckt ratlos mit den Schultern.
" Es wird nicht erwähnt, dass er vor ´33 SA-Mann war, dass er sich freiwillig bei der Wehrmacht gemeldet hat, dass er Offiziersbewerber war und dass seine Einheit an Kriegsverbrechen teilgenommen hat. Na ich denke, dass man das erläutern muss für die Besucher, die hier die Gedenkstätte besuchen, dass man da ein paar Worte zu sagen muss. "
Bis zur Eröffnung im Februar 2006 werden die Vertreter der Opferverbände mit den Mitarbeitern der Gedenkstätte sich noch oft an einen Tisch setzen. Noch ist nicht jedes Detail besprochen, aber das Konzept steht. Die Insider der Gedenkstättenarbeit wissen: Der Rote Ochse stellt hohe Anforderungen an die Besucher: Wer nicht selber nachliest, kein echtes Interesse hat, wird nicht viel verstehen.
Anne-Kathrin Preuße vom Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt ist dennoch voller Zuversicht.
"Ich denke das ist auch wichtig, dass man aus einer Runde in der Gedenkstätte nicht raus geht und sagt, gut ich habe alles gesehen, bin alles abgelaufen. Die unterschiedlichen Epochen müssen hängen bleiben und das haben wir versucht über diese Etagengestaltung zu realisieren und wir sind optimistisch, dass das Konzept aufgeht. "
Keiner weiß genau, weshalb der Rote Ochse so heißt, aber der Name ist berüchtigt. Er steht vor allem für die Gräuel der braunen und der roten Diktatur. Schon 1842 wird das Haus als königlich-preußische Haft- und Besserungsanstalt eröffnet. Eine Strafanstalt für Gefangene, die langjährige Haftstrafen abbüßen. Die Baugeschichte lässt sich von unten nach oben an der Fassade ablesen. Feldsteine, dunkle Klinker, rote Backsteine. Der Rote Ochse ist Irrenanstalt, Lazarett, Hinrichtungsstätte unter den Nazis und Haftanstalt des Ministeriums für Staatssicherheit. Heute steht an den Toren JVA, Justizvollzugsanstalt. Direkt neben dem Frauentrakt ist eine schmale Metalltür, der provisorische Eingang zur Gedenkstätte. Die Besucherschleuse ist noch im Bau, verhängt mit grauen Plastikplanen. Noch sind die Innenräume der Gedenkstätte leer. Es riecht nach frischer Farbe, die Wände sind unten in blassem blau und lindgrün gestrichen, oben weiß getüncht. Einziger Blickfang sind die blau lackierten Holztüren vor den Zellen in der ersten Etage. Anne- Katrin Preuße vom Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt arbeitet seit langem an der Konzeption für die Gedenkstätte. Verschiedene Diktaturen haben die Räume genutzt und umgebaut. Viele authentische Spuren sind verschwunden.
"Also einmal die NS-Zeit und dann wieder die Zeit nach 45, die russische Besatzungszeit mit dem sowjetischen Militärtribunal und die Zeit in der DDR als die Staatssicherheit das Gebäude genutzt hat, das ist das besondere Konzept. Da den verschiedenen Opferverbänden gerecht zu werden, das ist besonders schwierig. "
Wolfgang Stiehl ist Vorsitzender der Vereinigung für die Opfer des Stalinismus, die Zeit nach 1945. Er fährt oft nach Halle zu den Arbeitstreffen mit der Leitung der Gedenkstätte und den Opferverbänden. Aber die Büroadresse seines Opferverbandes ist die Gedenkstätte am Moritzplatz in Magdeburg. Dort sitzt der massige große Mann mit Brille und weißen Haaren an einem Holztisch. Im dem ehemaligen Stasiknast riecht es scharf und muffig. Der Geruch, der Linoleumfußboden, die Blümchentapete, hier ist alles wie früher. Wolfgang Stiehl weiß, dass es im Roten Ochsen in Halle ganz anders aussieht, nicht so als wäre die Zeit stehen geblieben. Er legt seine schwere Hand auf einen Stapel Din A 4 Seiten. Drehbuch steht in dicken Lettern auf der Titelseite. Es ist die vorläufige Konzeption für die Gedenkstätte in Halle. Der gelernte Bäckermeister blättert, nickt zufrieden. Beim 17. Juni 1953 haben wir uns durchgesetzt, sagt er, gegen den Interessenverband der Verfolgten des Naziregimes.
"Also, wenn ihr daraus macht, dass es ein Volksaufstand war, dann machen wir ganz heftig Protest. Wir sehen es aber anders und das ist auch in der Historie bewiesen, dass es keine Achtgroschen Jungs aus Westberlin waren, sondern dass es ein Aufstand war, der sehr schnell und spontan aus der Bevölkerung heraus kam. "
So soll es auch gezeigt werden. Vor allem die Dokumentation zur Diktatur der Kommunisten und später der SED-Diktatur bereiten ihm Magenschmerzen. Da sind die fünf Jahre nach 1945, die Zeit der Sowjetischen Miltärtribunale. Tatsächliche und vermeintliche nationalsozialistische Verbrecher werden im Roten Ochsen verurteilt. Jeglicher Widerstand gegen die sowjetischen Besatzer sollte unterdrückt werden, heißt es in einer Dokumentation über das Strafgefängnis.
"Das ist einer der wesentlichen Knackpunkte, dass die Opfer des Nationalsozialismus vierzig Jahre lang von der Propaganda suggeriert bekommen haben, da sind jetzt die schuldigen Nazis eingesperrt. "
Das sowjetische Miltiärtribunal verurteilt nur alte Nazis, das ist eine Propagandalüge der SED-Diktatur, sagt Wolfgang Stiehl. Nach dem Abzug der Amerikaner aus Halle beherrscht der Sowjetische Staatssicherheitsdienst fünf Jahre lang das Geschehen im Roten Ochsen. Viele Unschuldige bezahlen mit dem Leben. Exekutiert, verschollen in den Lagern des Gulag, Zwangsarbeit in Workuta. Dieses Kapitel deutscher Geschichte kommt in der Ausstellung zu kurz, sagt Wolfgang Stiehl.
"Die Stasi ist in meinen Augen nichts weiter als ein Produzent von Angst und diese Basis, dass das 1923 schon in der Sowjetunion losging, die ist auch in dem, was ich jetzt für diese zwei Räume vor mir habe, nicht ausreichend drin. "
Die Haftanstalt in Halle ist auch Teil seiner eigenen Biographie. Mit neunzehn beginnt er, der Bäckergeselle aus Schönebeck bei Magdeburg, ein Studium an der Arbeiter- und Bauernfakultät der Universität Halle-Wittenberg. Der junge Student liest antikommunistisch-satirische Zeitschriften, verteilt Handzettel mit dem Aufdruck " Iwan raus". Nur vier Monate vor dem 17. Juni 1953 wird Wolfgang Stiehl verhaftet. Das Urteil lautet: Sechs Jahre Zuchthaus und Untersuchungshaft im Roten Ochsen in Halle. Heute weiß er aus seiner Stasiakte, dass ein Kommilitone ihn damals denunziert hat.
Der Historiker Michael Viebig steht im zweiten Stock der Gedenkstätte. Ein langer Flur mit hellgrau gestrichenen Türen. In den Räumen, nicht größer als ein normales Kinderzimmer, hat die Stasi fast 7000 Untersuchungshäftlinge verhört und eingesperrt. Außen auf den Holztüren steht Fertig. Der in weißer Kreide geschriebene Schriftzug stammt vom 4. Dezember 1989.
"Als das Bürgerkomitee hier durchging und versuchte die Stasi zu zwingen ihre Tätigkeit in diesem gastlichen Hause aufzugeben, haben sie die Türen versiegelt. Damit sie wussten, wo sie schon waren, haben sie Fertig drauf geschrieben. Das steht überall. "
In einem Zimmer kleben noch Reste der Blümchentapete. An den Türrahmen sind daumennagelgroße Plastikknöpfe zu sehen. Es ist die Befestigung für eine Reißleine. Ein Reißen an dem dünnen Metalldraht aktiviert den Alarm in der Zentrale, das belegen die Unterlagen aus der Gauckbehörde. Was die Lichtsignale der blauen und roten Glaskugellampen im Flur genau bedeuten, das weiß niemand so genau. Fest steht: Wann immer Häftlinge über den Flur geführt wurden, die Stasimitarbeiter sollten sicher sein: Ihnen würde nichts passieren. Für die Opfer ist es ein Ort der Demütigung. Selbst im Toilettenraum bleibt nichts verborgen. In der Mitte steht die Toilettenschüssel, an der Tür ist ein Spion. Vor dem Guckloch hängt ein dünnes Aluminiumblech.
"So dass der, der da drin saß, sich beobachtet fühlen musste. Das sind so billige, miese Geschichten, die muss man unbedingt zeigen. Wir werden es vielleicht tun mit dem Meinungsbericht einer Frau, wo sie sagt. So das letzte Stück Intimität im Knast, wo sie dir nichts können, selbst da wirst du noch beobachtet und du weißt auch noch von wem. Dann entsteht so ein Schamgefühl, dass du nur noch raus willst aus diesem Laden, das kannst du aber nur, wenn du eine Aussage gemacht hast. Mit solchen Methoden wird hier gearbeitet. Das zeigen wir anhand der übrig gebliebenen Toilette mit dem Spion. "
Dokumentieren, was erhalten ist, weglassen, was historische Quellen nicht eindeutig belegen – aber auf keinen Fall bewerten, so beschreibt der Historiker Michael Viebig das Konzept für die Ausstellung. Ein Ort in der Gedenkstätte zeigt, wie schwierig das ist. Streitpunkt in der Konzeption ist der Hinrichtungsraum. Ein kahler Raum fast ohne Tageslicht, ein Symbol für den Naziterror. Im grau gestrichenen Fußboden ist eine dicke Glasplatte eingelassen. Darunter sind sandfarbene Steine zu sehen, eine Betonplatte, daneben ein rostiger Gully. Genau an dieser Stelle haben die Nationalsozialisten 1942 ein Fallbeil aufgestellt. Bis zum 10. April 1945 wurden hier 549 Menschen geköpft.
"Wir haben an einem Tag jemanden, der mehrere Morde begangen hat, der sein eigenes Kind umgebracht hat und wir haben am gleichen Tag jemanden, der hingerichtet worden ist, weil er im Widerstand war. Dann ist das für mich verdammt schwierig, die einfach so kommentarlos nebeneinander zu stellen. "
Sollen hier die Namen aller Opfer stehen? Nein, sagt der Historiker Michael Viebig. Nein, sagt auch Wolfgang Stiehl, Sprecher der Vereinigung der Opfer des Stalinismus.
"Tot sind sie alle. Tot von Henkers Hand im Namen einer schlimmen Diktatur, aber es sind eben nicht alles politisch Verfolgte. Das war das, weshalb wir uns dagegen auch gewehrt haben, alle Namen da anzubringen, sondern zu differenzieren. Einen allgemeinen Text der Würdigung und im Nebenraum das Totenbuch, wo sich jeder informieren kann. "
Sein wichtigster Gegenspieler ist Joseph Gerats, ein zierlicher Mann, weit über achtzig. Er vertritt die Interessen der Opfer des Naziregimes und die der Hinterbliebenen. Er steht im Hinrichtungsraum, beugt sich über die im Boden eingelassene Glasplatte.
"Hier sind Frauen hingerichtet worden, Männer, Priester, drei Priester sind hier hingerichtet worden. Belgische Studenten sind hier hingerichtet worden. Also das war ein furchtbares Geschehen und deshalb war unsere Forderung von Anfang an, das sollte nicht so namenlos bleiben. "
Aber wie den Getöteten ein Gesicht geben, ohne den Widerstandskämpfer und den Kriminellen in einem Atemzug zu nennen ? Monatelang haben die Opferverbände um einen Kompromiss gerungen. Schließlich ist nur ein einziges Opfer ein echter Krimineller, ein Mörder, sagt Joseph Gerats.
" Da sind andere, die als Kriminelle deklariert worden sind. Eine Frau, die bei einem Bombenangriff Nähnadeln an sich genommen hat und dann aber hingerichtet worden ist, das kann man nicht als kriminell bezeichnen. Das war so ein Problem der Hinrichtungsraum. Aber wir denken, dass wir durch unseren hartnäckigen Kampf, das hat Monate gedauert, zu einer Lösung gekommen sind. "
Nun steht der ausgehandelte Kompromiss. Auch Joseph Gerats ist zufrieden. Wenn die Gedenkstätte im nächsten Jahr für Besucher geöffnet wird, kann jeder in einem Totenbuch die Namen aller Opfer nachlesen. An der Rückseite des Hinrichtungsraumes werden außerdem genau 549 Fächer eingerichtet. Biographische Details für die Besucher, die es genau wissen wollen. Ursprünglich sollte die Zeit des Naziterrors auf zwei Etagen dokumentiert werden. Geblieben ist eine. Die Todeszellen mit den originalgetreu restaurierten blau lackierten Holztüren werden als Ausstellungsräume genutzt. Damit will sich Joseph Gerats noch immer nicht abfinden. Er sieht in die kleinen Zellen. Da steht nichts drin, alle Wände sind weiß gestrichen. Museal aber nicht original, sagt er.
"Das gefällt uns nicht so ganz aber es ist sicher auch schwierig, weil es so viele Umbauten hier gegeben hat, weil auch durch die Tätigkeit des MfS hier in diesen Räumen vieles verändert wurde. Es steht vielleicht die Frage kann man den authentischen Charakter herstellen oder nicht. Unserer Meinung nach hätte man manches mehr als eine Gedenkstätte gestalten müssen, wie es in der Nazizeit war, an einigen Stellen wäre das möglich gewesen. "
In den Räumen neben der Hinrichtungsstätte mussten die Naziopfer ihre eigenen Särge zimmern. Einige der Schreiner- und Schlosserwerkzeuge sind erhalten. In einer Ecke steht noch immer eine Kreissäge aus dem Jahr 1936. Die Stasi hat alles von den Vorgängern übernommen und das wird dem Besucher auch gezeigt. Nicht gezeigt werden die alten Waschmaschinen, die zu DDR-Zeiten im Hinrichtungsraum standen. Das Waschwasser wurde damals durch eben den Gully abgeleitet, der neben dem Fundament für das Fallbeil liegt. Im Roten Ochsen bleiben viele historische Spuren auf den ersten Blick für den Laien unsichtbar. Vorträge in den Schulungsräumen und Führungen sollen das Angebot der Gedenkstätte ergänzen.
"An den Besucher stellen sich hohe Anforderungen, das ist völlig klar. Weil es durch die wenigen Tafeln und die wenigen Räume es schwierig ist, die historischen Vorgänge zu verstehen, das wird sehr schwierig sein. "
Im Februar 2006 soll es endlich soweit sein. Bis dahin will Joseph Gerats Klarheit über ein historisches Detail, das ihn sehr beschäftigt. Er steht in der ersten Etage vor dem einzigen Plakat, das bereits hängt. Dokumentiert wird das Schicksal von Studentenpfarrer Johannes Hamel. Unter der Überschrift: Kirchenkampf in Halle ist ein Foto zu sehen. Da geht ein älterer Mann mit weißen Haaren am Starnberger See spazieren. Die Geschichte: Pfarrer Hamel wird im Februar 1953 also nur wenige Monate vor dem 17. Juni wegen "antisowjetischer und antidemokratischer Hetze" festgenommen. Fünf Monate lang sitzt er in Untersuchungshaft im Roten Ochsen. Joseph Gerats steht davor und zuckt ratlos mit den Schultern.
" Es wird nicht erwähnt, dass er vor ´33 SA-Mann war, dass er sich freiwillig bei der Wehrmacht gemeldet hat, dass er Offiziersbewerber war und dass seine Einheit an Kriegsverbrechen teilgenommen hat. Na ich denke, dass man das erläutern muss für die Besucher, die hier die Gedenkstätte besuchen, dass man da ein paar Worte zu sagen muss. "
Bis zur Eröffnung im Februar 2006 werden die Vertreter der Opferverbände mit den Mitarbeitern der Gedenkstätte sich noch oft an einen Tisch setzen. Noch ist nicht jedes Detail besprochen, aber das Konzept steht. Die Insider der Gedenkstättenarbeit wissen: Der Rote Ochse stellt hohe Anforderungen an die Besucher: Wer nicht selber nachliest, kein echtes Interesse hat, wird nicht viel verstehen.
Anne-Kathrin Preuße vom Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt ist dennoch voller Zuversicht.
"Ich denke das ist auch wichtig, dass man aus einer Runde in der Gedenkstätte nicht raus geht und sagt, gut ich habe alles gesehen, bin alles abgelaufen. Die unterschiedlichen Epochen müssen hängen bleiben und das haben wir versucht über diese Etagengestaltung zu realisieren und wir sind optimistisch, dass das Konzept aufgeht. "