Die Küche zur Bühne

Von Julia Eickmann |
Vier Mal im Jahr räumen Marco Antonio Reyes Loredo und seine Freundin in Hamburg die Möbel aus der Wohnung und laden zu "Konspirativen Küchenkonzerten" ein. Ihre Plattform für bildende Kunst und Musik kann man sich online oder in regionalen TV-Sendern ansehen.
"Man hört mich, deswegen kann ich schon anfangen ... "

Seine Hände fliegen vor Marco Antonio Reyes Loredo auf und ab. Aufgeregt, aber nicht nervös erklärt der dunkelhaarige Mann seinem Publikum die Regeln für die anstehende Aufzeichnung der Konspirativen Küchenkonzerte. Im T-Shirt, eine weiße Schürze um die Hüften geschlungen, steht er auf der improvisierten Bühne in seinem Wohnzimmer. Annähernd 60 Gäste sitzen dicht gedrängt auf Hockern, Stühlen und Bänken zu seinen Füßen.

"Sollte es euch überkommen und der ein oder andere Beat heute Abend sollte euch in die Glieder fahren und ihr möchtet tanzen: Macht es einfach! Wo ihr den Platz hernehmt, ist mir egal, macht es einfach! Fühlt euch wie bei mir zu Hause, denn ihr seid es."

Dass dieser Raum eine Wohnung sein soll, ist tatsächlich schwer zu erraten. Schwarzer Molton-Stoff verhängt Wände und Türen. An der Decke hängen schwere Filmleuchten. Auf dem Fußboden zeigen Klebestreifen die Laufwege des Kameramanns an. Aber es stimmt: Wenn nicht gerade eine Fernsehaufzeichnungen ansteht, leben hier Marco Reyes-Loredo und seine Freundin. Hier, das ist der erste Stock einer ehemaligen Farbenfabrik, mitten in einem Gewerbegebiet im Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg. Insellage hinter dem Hafen, ziemlich einsam.

"Es wohnen andere Menschen hier, die aber auf dieser Insel eher so ein Eremiten- und Einsiedler-Dasein fristen. Weil man will hier hingehen, oder ich wollte auch hier hingehen, damit mich nicht jeder besuchen kommt. Ich wollte meine Ruhe haben."

Seine Ruhe hat der 31-Jährige sich selber verdorben. Vier Mal im Jahr räumen seine Freundin und er sämtliche Möbel aus der Wohnung, und laden groß zum gemeinsamen Essen, Kunst machen und musizieren ein.

"Meine Möbel haben auch alle Rollen. Ich hab das nicht so mit der festen Verortung."

Vielleicht liegt ihm die Beweglichkeit in den Genen. Der Vater Bolivianer, die Mutter aus Polen, kommt Marco Reyes Loredo in Weimar zu Welt. Die Liebe führt ihn dann nach Hamburg. Er studiert Kulturanthropologie und pflegt seine Hobbys. Das Kochen zum Beispiel. Und das Radiomachen. So verwundert es wenig, dass er vor den Küchenkonzerten eine Radio-Koch-Show macht. Die Idee des geselligen Hobby-Redners: Man kommt sich beim Kochwein näher und kann über Gott und die Welt sprechen.

"Also habe ich eine Stunde lang mit Menschen gekocht, mich mit ihnen betrunken, habe die Welt aus den Angeln gehoben, habe unendliche Bücher mit ihnen geschrieben, von denen aber keines sich tatsächlich materialisiert hat, aber in dieser Stunde (klatscht): Wir waren zusammen und danach war auch alles gut. Und immer wieder haben Leute gefragt: Willst Du das nicht mal fürs Fernsehen machen. Und da habe ich gesagt: Nein, fernsehen ist doof."

So doof, dass er nicht einmal einen Fernseher besitzt. So doof, dass sich der smarte Mann nicht einmal fotografieren lässt. Es muss erst der Umzug in die Fabriketage folgen. Die Bedingungen sind hier einfach ideal: Parkplätze vor der Tür, Starkstromanlage, Gästetoilette. Und dann kommt der befreundete Sänger Nils Koppruch vorbei. Er bestaunt die offene Küche, die der Hausherr aus Resten gebaut hat: der Tresen aus Steinen einer abgerissenen Scheune seiner Eltern, gefundene Glasbausteine, das Ganze auf einem Podest aus alten Brettern: Die Küche sieht aus wie eine Bühne. Nils Koppruch schlägt vor, hier eine Kochshow zu drehen.

"Und ich sagte: Nein, Nils, Fernsehen ist scheiße. Und er sagte: Doch, du wirst eine Fernsehsendung machen. Und ich sagte: Nein, Nils. Und er sagte: Pass auf, der Deal ist folgender: Ich spiele für dich und du kochst für mich und meine Freunde. Und dann hab ich gedacht: Nils Koppruch würde "Kleines grünes Haus" oder "Er sieht sie an" oder was auch immer in meiner Küche spielen!? Ich würde alles dafür tun!"

Die erste Show gefällt ihm zwar nicht, ist ihm sogar peinlich, aber Aufgeben ist keine Eigenschaft des Energiebündels Reyes-Loredo. Das geht besser, sagt er sich. Zurückstecken ist nicht. Und Freunde, die ihm helfen, hat der sympathische Netzwerker, der sich selber nie so nennen würde, genug. Anscheinend kennt er Gott und die Welt. Künstler und Filmschaffende unterstützen die Küchenkonzerte gerne – und unentgeltlich.

"Wir haben ja eine Idee und wir möchten das gerne mit den Leuten umsetzen, die wir toll finden. Es kamen hier auch Leute wie unsere Regisseurin Geli Fuchs, die ich einfach verehre, seit ich halbwegs denken kann, und die hat gesagt, sie möchte uns helfen, dafür mussten wir ihr exakt einen Schoko- und einen Zitronenkuchen geben, und möchte mit uns einfach ein Format ausprobieren, was sie an ihre Anfänge erinnert."

Sonst produziert Geli Fuchs unter anderem die NDR Talkshow und das Talkformat Beckmann. Nicht nur bei Teilnehmenden und Zuschauern kommen die Konspirativen Küchenkonzerte gut an. 2010 gibt es eine Nominierung für den Grimme-Preis. Und entsprechende Avancen von Fernsehsendern, das Format zu übernehmen:

"Wir machen es genau so, nur anders. Nur in blau und n bisschen kleiner und hier kommt der und der hin ... und da haben wir gesagt: Nö."

Auch wenn sich das Hobby zum kräftezehrenden Vollzeit-Job entwickelt hat: Ums Geld geht es dem Macher nicht. Seine dunklen Augen blitzen auf, wenn er erzählt, was er hier schaffen will: eine Plattform für bildende Kunst und zeitgenössische Musik zugleich. Unfassbar, dass so etwas nach dem Niedergang des Musikfernsehens noch keinem anderen eingefallen ist, findet Marco Reyes-Loredo, und wendet schwungvoll die Kartoffel-Rösti für die Gäste.

"[Und] da muss man jetzt nicht irgendwie der Geilste sein. Da sind wir unter den Blinden die Einäugigen."

Link zum Thema:
www.konspirativekuechenkonzerte.de