Die Krise und ich

Action, bitte!

Von Brigitte Neumann · 26.02.2014
Je länger die Arbeitslosigkeit dauert, desto geringer wird der Optimisumus. Die Frage lautet: Schaffe ich es noch mal, mich hochzuziehen und Boden unter die Füße zu kriegen?
Oh schön, Literatur, sagen die Leute. Mensch als Literaturkritikerin, da kannste im Liegen arbeiten. Und immer lesen. Was du willst. Stell ich mir paradiesisch vor. Unsereins kann sich das nur im Urlaub leisten. Und du: Immer.
Ja, die Leute haben recht. Es war schön. Und rückblickend betrachtet, war es ein wahnsinniger Luxus. Aber nun sind neue Zeiten angebrochen. Jeder muss runter, auf den Boden der Tatsachen. Die Nischen werden systematisch ausgetrocknet. Das praktisch Verwertbare zählt. Praktisch. Verwertbar. Zählen. Das sind neue Wörter für so Leute wie mich. Aber wenn kaum noch jemand für Journalismus und auch nicht für Literatur bezahlen will oder es inzwischen auch nicht mehr kann, dann stehen solche Nischenbewohner wie ich plötzlich ganz ohne Job da. Bitte jetzt nicht einwenden: Aber im Kiosk gibt’s doch immer noch genauso viele Zeitungen und das Fernsehen ist doch immer noch voll. Und - mein Gott - diese Bücher, bei Amazon kriegt man sie haufenweise und für Pfennige nachgeschmissen. Wir reden jetzt nicht über Paniktriebe und Ramschwirtschaft. Wir bleiben jetzt mal bei meinen Tatsachen, okay? Vor fünf Jahren habe ich 30 Bücher im Jahr besprochen, jedes davon für sechs verschiedene Abnehmer. Letztes Jahr waren es acht Bücher für jeweils drei verschiedene Redaktionen. Um meine Miete zahlen zu können, die Altersvorsorge und was alles so zusammen kommt, gebe ich jetzt Rhetorikkurse bei der Feuerwehr.
Und auch sonst passieren sehr komische Sachen.
Zum Beispiel heute: Ich wache auf, weil ein Mann auf meinem Balkon steht und an einem Gerüst baut. Ich öffne die Tür, grüße höflich und frage dann: Darf ich wissen, was Sie da machen? Er nuschelt irgendwas von undichtem Dach. Ich rufe die dicke Hausmeisterin an und versuche ihr klarzumachen, dass ich, die neue Mieterin, vorher darüber informiert werden sollte, wenn auf meinem Balkon fremde Männer arbeiten. Sie lässt mich gar nicht erst ausreden, keift was vom Schimmel in der Wohnung über mir und das sei ja wohl auch in meinem Interesse, dass der nicht zu mir runter wächst. Ich falle ihr auch ins Wort: Nächstes Mal sagen Sie mir bitte vorher Bescheid, gell? Wollen wir hoffen, dass es kein nächstes Mal mehr gibt, rotzt sie zurück. Und Tschüß.
Ich brauch die Marken für die Waschküche von ihr. Sonst! Ich habe solche Lust, sie anzupöbeln. Mal richtig pöbeln. Schon bei der Vorstellung wird mir wohler.
Ich schnappe den Abholzettel von der Post. Eine Buchsendung liegt bei Herrn Großfeld, 1. Stock.
"Ach, das ist ja interessant. Sie sind also Frau Neumann. Ich seh Sie immer mit Ihrem Auto. Neulich haben Sie übrigens verkehrswidrig geparkt. Nicht wahr, das wissen Sie ja selbst."
Ich gucke offenbar entgeistert.
"Ja, kennen Sie mich nicht wieder? Wir haben uns doch letzte Woche auf der Straße sogar angelächelt."
Ich sag was von: Neu hier. Und da stellt er die Frage, die ihn offenbar wirklich umtreibt:
"Frau Neumann, was wollen Sie denn überhaupt in diesem Viertel? Sie gehören doch gar nicht hierher."
Die Kraft lässt nach
Manchmal sitze ich wirklich mittags im Bett und fühle mich so, wie Herr Großfeld mich sieht, als Fremdkörper. Ich sitze da und horche in die Welt. Wie die Autobahn grollt, die S-Bahn pfeift und Airbus seine Belugas über die Dächer schickt. Wie betriebsam die Anderen doch sind. Und es scheint mir dann, als hätte die Welt sich aus dem Staub machen, mich einfach hängen lassen. Es fühlt sich scheiße an. So als wär ich beim Bergsteigen abgerutscht und hielte mich notdürftig an irgendeinem Gestrüpp fest. Die Frage ist: Schaffe ich es noch mal, mich hochzuziehen und Boden unter die Füße zu kriegen? Schaffe ich es, bevor die Kraft nachlässt? Es gab Monate, da war ich felsenfest überzeugt davon: Aber selbstverständlich! Heute würde ich sagen: Ich weiß es nicht.
Es mag 15 Jahre her sein, da hab ich mal eine lange Sendung über Arbeitslose gemacht. Einer der Interviewpartner war ein ehemaliger Buchhalter. Nie im Leben werde ich diesen Mann vergessen. Er war hager, feinsinnig und trug einen kabelgrauen Anzug.
"Mein Problem ist die Zeit", sagte er. "Wenn ich zuhause sitze, spür ich sie nicht mehr. Und wenn ich die Zeit nicht mehr spüre, dann fühl ich mich wie tot. Deshalb gehe ich jeden Tag an die Elbe und schau dem Wasser beim Fließen zu. Das Wasser fließt, die Zeit vergeht. Wenn ich das seh, dann bin ich wieder beruhigt."
Ich wohn jetzt neuerdings nah an der Elbe. Wenn es nichts zu tun gibt, gehe ich auch dort hin. Manchmal gucke ich mich nach dem Buchhalter um, er müsste jetzt im Rentenalter sein. Er ist nie da. Aber zu jeder Tageszeit tummeln sich viele andere Leute an der Elbe. Vielleicht alles Menschen wie er und ich, getarnt als Spaziergänger. Würde es uns helfen, wenn wir voneinander wüssten? Würde es die Schmach lindern, ein Downgrader zu sein?
Downgrading, ein hübsch nebulöses Wort - Hört sich nach öko an, schützt die Schöpfung oder macht mal Pause - schuftet nicht bis zum Umfallen. Ich meine hier aber etwas anderes. Ich meine, die Beine unterm Tisch ausstrecken, damit die Hosen nicht so schnell ausbeulen, die Bahncard kündigen, das FAZ-Abo kündigen, mich runterstufen lassen auf Mindestbeitrag bei der Gewerkschaft, alles in allem:
Noch keine Suppenküche, aber vermehrt Suppe kochen.
(Übrigens: Das Buch, das Herr Großfeld für mich aufbewahrt hatte, hieß "Antifragilität - Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen." Der Tipp des Autors, eines berühmten Professors für Risk Management: macht einfach los, tut was, denkt nicht lange nach. Sondern handelt, scheitert, steht wieder auf und werdet dabei robust. Den Kämpfern gehört die Welt.
Mein Tipp: Niemand sollte dieses Buch lesen. Denn Lesen macht zweifellos fragil. )
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