Die Krise findet nicht statt - im Theater

Von Dina Netz |
Die Finanz- und Wirtschaftskrise findet kaum statt auf deutschen Bühnen. Die vorhandenen Stoffe, die sich anböten, werden nicht genutzt, aktuelle Texte zur Krise sind nicht in Sicht. Die Autoren verstecken sich lieber in den Feuilletons, mit Ausnahme von Elfriede Jelinek.
"Theater ist Krise" hat Heiner Müller mal gesagt, das aber eher psychologisch als ökonomisch gemeint. Von der Wirtschaftskrise sind die Sprechtheater bisher weitgehend verschont geblieben, da sie, nicht wie die häufig von Sponsoren abhängenden Museen, in der Regel vollständig von der öffentlichen Hand finanziert werden. Doch da die Kassen der Städte leer sind, geht es mit etwas Verzögerung nun auch der Kultur an den Kragen, die ja nur eine freiwillige Leistung ist. Die Diskussionen um den Erhalt der Bühnen in Oberhausen, Krefeld, Hagen dürften nur die Vorboten heftiger Verteilungskämpfe sein.

So langsam, wie die Krise bei den Theaterhäusern ankommt, so langsam macht sie sich auch in den Spielplänen breit. Als beherrschendes Thema der Sprechtheaterbühnen kann man die Wirtschafts- und Finanzkrise jedenfalls nicht ausmachen. Die Klassiker werden inszeniert wie immer, in den Uraufführungen neuer Stücke geht es um dieselben Paarbeziehungen oder gesellschaftlichen Probleme wie schon seit Jahren.

Und selbst die Stücke, die den Stoff zur Krise bieten würden, werden dafür nicht genutzt: Vor kurzem hatte in Köln "Leonce und Lena" von Büchner in der Regie von Jan Bosse Premiere - das böte mit seiner Kritik am nur noch um sich selbst kreisenden Adel durchaus Potential für Banker- oder Kapitalismuskritik. Aber Jan Bosse hat das Stück bloß parodiert und sich langweilende Schickeria-Schnösel auf die Bühne gestellt - das will man im Moment wirklich nicht sehen.

Natürlich gibt es Einzelbeispiele für Theater, die auf die großen ökonomischen Umwälzungen reagieren: In Hamburg ist an einer freien Bühne "Kleiner Mann, was nun?" von Hans Fallada zu sehen. In Limburg hatte gerade eine Inszenierung des "Jedermann" von Hugo von Hofmannsthal Premiere, in dem ja der Käuflichkeit die Macht des Glaubens entgegen gesetzt wird. Oder der Schauspieler Rolf Becker war ziemlich erfolgreich auf Tour mit einer Lesung aus Karl Marx' "Kommunistischem Manifest"; das ist natürlich leichter zu bewerkstelligen als eine ganze Inszenierung. Oder Rimini Protokoll haben soeben die Daimler-Hauptversammlung beobachtet.

Was die Stücke angeht, so sind die kapitalismuskritischen Themen schon seit Jahren auf den Bühnen: Georg Büchners "Woyzeck", Gerhart Hauptmanns "Weber" oder "Vor Sonnenaufgang", Arthur Miller - diese Stücke und Autoren, die die ökonomischen Sorgen kleiner oder mittelgroßer Leute behandeln, sind schon lange präsent, zum Beispiel durch sozialkritische Regisseure wie Volker Lösch. Über den Zusammensturz des ganzen Wirtschaftssystems gibt es halt noch kein Stück - da müsste man vielleicht eher in der Science-Fiction-Literatur oder bei den Wirtschafts-Thrillern gucken.

In vielen Inszenierungen kommt die Krise als Zitat vor, aber eben nicht als wesentlicher Bestandteil: Zum Beispiel lässt Johan Simons in seiner Aufführung der Kieslowski-Trilogie "Drei Farben" in München ein Auto auf die Bühne krachen.

Dass noch nicht mehr von der Krise auf den Bühnen zu sehen ist, hat auch mit den langen Planungsvorläufen zu tun: Die Spielpläne für die nächste Spielzeit werden immer kurz vor dem Sommer vorgestellt. Als also im vergangenen Herbst ungefähr absehbar wurde, welches Ausmaß die Krise annehmen würde, hatten die Theater ihr Programm bereits geplant. Viele Theaterleute scheuen sich sicher auch, über etwas zu arbeiten, dessen Konsequenzen noch gar nicht überschaubar sind und wozu jeden Tag neue Hiobsbotschaften eintreffen.

Und die Stücke zur Krise von Moritz Rinke oder Roland Schimmelpfennig, auf die man förmlich wartet? Diejenigen Theaterautoren, die überhaupt so nah an der Aktualität segeln und sich für Wirtschaftsthemen interessieren könnten, verdrücken sich bisher in die Feuilletonteile der Zeitungen. Moritz Rinke hat kürzlich über den Zustand Deutschlands im "Tagesspiegel" geschrieben. Kathrin Röggla hat in der "Zeit" darüber nachgedacht, ob die Finanzkrise als Stoff für einen Katastrophenfilm taugt. Texte, die eine kürzere Halbwertzeit haben als ein Bühnenstück, das nach der Premiere monatelang gezeigt wird.

Offenbar riskieren die Autoren noch nicht, etwas Endgültiges oder vorläufig Geltendes über die Krise zu schreiben. Nur Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek hat es schon gewagt: Kommende Woche hat in Köln ihr neues Stück "Die Kontrakte des Kaufmanns. Eine Wirtschaftskomödie" Uraufführung. Eigentlich waren die österreichischen Bankenskandale ihr Ausgangspunkt. Aber manchmal muss man Glück im Unglück haben - aktueller könnte Jelineks Stück nicht sein.