"Die Krankheit wird außerordentlich unterschätzt"

Stefan Kaufmann im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 15.11.2010
Der Direktor am Berliner Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie, Stefan Kaufmann, hat von der öffentlichen Hand mehr Engagement bei den sogenannten Armutskrankheiten verlangt. Ein großes Problem ist, dass Investitionen in Impfstoffe für die Pharmaindustrie nicht lukrativ sind, sagt Kaufmann.
Liane von Billerbeck: Eine tückische Krankheit, hierzulande fast nur noch im Gedächtnis der Älteren, wenn die sich an die Kriegs- und Nachkriegsjahre erinnern, das ist die Lungenkrankheit Tuberkulose. Doch die Tbc breitet sich weltweit aus, sie befällt vor allem arme und unterernährte Menschen in Ländern der Dritten Welt. Jahr für Jahr sterben Millionen Menschen an Tbc. In den vergangenen vier Tagen bis heute findet in Berlin die 41. Weltkonferenz für Lungengesundheit statt, Professor Stefan Kaufmann, einer der renommiertesten Fachleute, nimmt daran teil. Und mit ihm, dem Direktor des Max-Planck-Instituts für Infektionsbiologie, habe ich in einer Konferenzpause gesprochen. Seit Robert Koch gilt die Tbc als behandelbar, dennoch sind derzeit zwei Milliarden Menschen damit infiziert. Das ist ein Drittel der Weltbevölkerung. Wie kann das sein? Unterschätzen wir die Krankheit?

Stefan Kaufmann: Ja, die Krankheit wird außerordentlich unterschätzt. In der Tat haben wir Medikamente zur Behandlung der Tuberkulose, aber leider wird nicht jeder Kranke behandelt. Die Zahl zwei Milliarden Menschen infiziert ist einerseits erschreckend, andererseits aber müssen wir klarstellen, dass nur ein kleiner Teil dieser Infizierten auch erkranken wird. Bei vielen Menschen wird also der Erreger sehr wohl in Schach gehalten, aber später kann dann eine Krankheit ausbrechen.

von Billerbeck: Was sind denn die Ursachen für die rasante Ausbreitung der Tbc?

Kaufmann: Die Tuberkulose war eigentlich nie vom Erdboden verschwunden, sie spielte immer eine große Rolle, auch vor 100 Jahren. Da war es in erster Linie Europa und die USA. Dort hat man das Problem weitestgehend, aber nicht vollständig in Griff bekommen. Nun hat sich der Fokus mehr auf die Entwicklungsländer gestürzt, und es sind in erster Linie nun Länder Subsahara-Afrikas, Südostasiens. Aber auch die ganz großen Länder, nämlich Indien und China, leiden außerordentlich unter diesem Problem. Aufgrund der großen Bevölkerungszahlen in Indien und in China haben wir dort auch in Absolutzahlen die meisten Tuberkulosefälle.

von Billerbeck: Liegt das auch an mangelnder Hygiene?

Kaufmann: Das liegt auch an mangelnder Hygiene, aber in etwas anderer Art, als wir es sonst gewohnt sind. Die Tuberkulose ist eine Lungenkrankheit, das heißt, sie wird durch Husten, Spucken übertragen, und wenn Sie vor 100 Jahren in einer Straßenbahn in Deutschland, zum Beispiel in Berlin, saßen, dann sahen Sie noch diese Plakate: Nicht auf den Boden spucken!, und das war damals auch berechtigt. Also Hygiene spielt eine Rolle, aber das Problem kann auch mit bester Hygiene nicht in Griff bekommen können, denn husten muss jeder, und wenn Sie in einem Buschtaxi zum Beispiel in Afrika mit jemandem mit Tuberkulose im selben Wagen sitzen, dann wird er auch husten oder sie, und Sie können sich anstecken.

von Billerbeck: Wie wird denn die Tuberkulose eigentlich diagnostiziert?

Kaufmann: Die Tuberkulose wird sehr unterschiedlich in den reichen und in den armen Ländern diagnostiziert. In unseren Breiten werden aufwendige Methoden eingesetzt, die in der Tat ein ganz Spektrum sind. Die Lungentuberkulose kann man mit Röntgenuntersuchungen einigermaßen feststellen, dazu kommt das klinische Bild – Nachtschweiß, starker Husten, Auswurf –, und schließlich gibt es jetzt auch immunologische Tests, die dazu beitragen, dass man die Tuberkulose in unseren Ländern sehr wohl diagnostizieren kann. Bei uns wird auch noch natürlich die Mikrobiologie eingesetzt, das heißt der Erregernachweis. Das ist aber die einzige Methode, die sich die armen Länder leisten können. Eine Methode, die Robert Koch vor 125 Jahren bereits beschrieben hatte und die fast genauso heute eingesetzt wird. Die ist aber leider häufig falsch, denn die Tuberkulose wird nicht immer mit diesen Methoden diagnostiziert, da der sogenannte Sputumtest doch recht unspezifisch und recht unsensitiv, also nicht sehr empfindlich ist.

von Billerbeck: Trotzdem habe ich gelesen, dass die UNICEF und auch die WHO in ihren Richtlinien darauf beharren, dass die jeweils örtlich üblichen Diagnosemethoden angewandt werden sollen. Wieso denn das, wenn die so ungenau sind?

Kaufmann: Na ja, das ist richtig und falsch, aus meiner persönlichen Sicht. Richtig ist es, dass jeder einen Mindeststandard gewährt bekommen soll, und das sind eben die Methoden, die in diesen Ländern eben auch möglich sind. Sie haben sonst immer das Problem, dass der Reiche die Rolls-Royce-Version bekommt und der Ärmere eben eine Kleinwagenversion. Es gibt aber auch Fälle, wo ich das falsch halte, und das ist zum Beispiel immer dann gegeben, wenn zum Beispiel eine Kinderklinik mit großer Unterstützung europäischer Finanziers bessere Methoden einsetzen kann. Dann, finde ich, gibt es zwar eine gewisse Ungerechtigkeit, aber ich denke, es ist besser, wenn zehn, 20 Prozent der Bevölkerung etwas Besseres bekommen als gar keiner. Es ist also eine sehr schwierige Frage zu beantworten, und man muss sich da auch manchmal im Einzelfall so oder anders entscheiden.

von Billerbeck: Sie haben vor Monaten einen Aufruf zum Handeln an die Bundesregierung mit unterzeichnet, und darin wird mehr Geld gefordert, um Therapien für Krankheiten wie eben auch die Tuberkulose zu entwickeln. Da steht drin: Wir haben in Sachen Diagnose, Impfung und Therapie der Tuberkulose die letzten 25 bis 30 Jahre verschlafen, die Erreger nicht. Wie konnte das geschehen?

Kaufmann: Nun, die Diagnose – Sie haben es bereits gesagt – ist heute schon in erster Linie eine Krankheit der Armut. Ganz allgemein gesprochen stehen die Antibiotika nicht so sehr im Zentrum der Interessen der Pharmaindustrie, denn die Investitionen in Antibiotika sind groß, und der sogenannte Return of Investment, also das Rückfließen ...

von Billerbeck: Der Gewinn.

Kaufmann: ... der Gewinn ist also da meistens sehr gering. Impfstoffe sind ähnlich einzuschätzen. Relativ große, aufwendige Untersuchungen sind nötig, um einen Impfstoff zu entwickeln, und der Rückfluss, also der Gewinn ist eher gering. Das addiert sich natürlich dann oder multipliziert sich dann ganz besonders bei Infektionskrankheiten der Armut, und das ist die Tuberkulose. Ein Beispiel, ich gebe Ihnen die Zahlen: Von den 1400 Medikamenten und Arzneimitteln des letzten Viertels des letzten Jahrhunderts, also von 1975 bis 2000, von diesen 1400 Medikamenten, Arzneimitteln, waren ganze drei für Tuberkulose.

von Billerbeck: Das heißt, weil die Pharmakonzerne mit TBC-Medikamenten in Entwicklungsländern nicht genug verdienen, sterben jährlich Millionen Menschen?

Kaufmann: Ja, und ich mache ihnen das auch nicht zu einem simplen Vorwurf, denn die Pharmaindustrie muss natürlich auch sehen, wo sie ihre Investitionen wieder zurückbekommt. Ich denke, das kann eben heute am besten passieren, wenn wir sogenannte Produktentwicklungspartnerschaften gründen, bei denen die öffentliche Hand, private Stiftungen auch etwas dazugeben, damit etwa ein neuer Impfstoff oder ein neues Medikament entwickelt wird und dafür aber die Pharmaindustrie sich bei ihren Gewinnen sehr zurückhält und nur mehr oder weniger die Ausgaben ersetzt bekommt. Ich glaube, auf diese Weise können wir einen Schritt weiterkommen, und da gibt es auch einige Hoffnungsschimmer. Obwohl das alles sehr viel länger dauern wird, als wir es alle gerne hätten.

von Billerbeck: Was fordern Sie da konkret von der Bundesregierung?

Kaufmann: Nun, ich denke, die Bundesregierung ist gefordert, sich bei den Armutskrankheiten so stark wie möglich zu engagieren, und zu den Armutskrankheiten gehören natürlich nicht nur Malaria, nicht nur Tropenkrankheiten, dazu gehört auch die Tuberkulose.

von Billerbeck: Wenn wir jetzt bei der 41. Weltkonferenz für Lungengesundheit, an der Sie ja in Berlin teilnehmen, sehen, dass da viele Hundert, ich glaube 2500 Experten zusammenkommen, was bringen solche Zusammenkünfte für die Bekämpfung der Tuberkulose?

Kaufmann: Nun, solche Zusammenkünfte sind sicherlich ein Treffen, wo Wissenschaft ausgetauscht wird, bei diesem Kongress besonders wird aber auch die Erfahrung der Leute uns nähergebracht, die wirklich mit dem Problem zu tun haben, sprich also die Kliniken, die Gesundheitsfürsorge, Menschen, die sich direkt vor Ort also in Subsahara-Afrika und in Südostasien mit dem Problem auseinandersetzen. Wir sehen zahlreiche Teilnehmer aus Indien, wir sehen zahlreiche Teilnehmer aus China, und das reflektiert eben auch irgendwie, dass man in diesen Ländern die Gefahr der Tuberkulose sehr viel ernster nimmt, als sie vielleicht vor noch einigen zehn Jahren genommen wurde. Und der zweite Punkt ist natürlich auch, dass es ein großer Austausch an Informationen gibt eben mit den Klinikern, mit den Gesundheitsbetreuern vor Ort und den Wissenschaftlern, denn nur gemeinsam sind wir stark.

von Billerbeck: Professor Stefan Kaufmann war das, Direktor des Berliner Max-Planck-Instituts für Infektionsbiologie. Herzlichen Dank für das Gespräch!

Kaufmann: Ich danke Ihnen für Ihr Interesse!
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