"Die Kraft des Himmels habe ich einfach gespürt"

Isabelle Müller im Gespräch mit Herbert A. Gornik |
"Der Glaube an die Kraft des Himmels (...) hat mich immer wieder aus meinem Loch gezogen", sagt Isabelle Müller, die in ihrem Buch "Phönix Tochter. Die Hoffnung war mein Weg" ihr Leben schildert, zu dem Missbrauch, Krebserkrankung und andere schwierige Stationen gehörten.
Herbert A. Gornik: Isabelle Müllers Buch "Phönix Tochter. Die Hoffnung war mein Weg" hat 286 Seiten, kostet 17,95 Euro und ist erschienen im Krüger-Verlag. Isabelle Müller ist zu Gast im Deutschlandradio Kultur. "Phönix Tochter", der Vogel Phönix verbrennt und ersteht wieder neu aus der Asche auf. Wo sind Sie verbrannt in Ihrer Geschichte und wo haben Sie den Eindruck, es ist wie, als wenn ich neu zusammengesetzt wäre danach?

Isabelle Müller: Also es ist tatsächlich so, dass ich mehrmals verbrannt bin in meinem Leben. Als Kind natürlich war das das erste Mal, nach dem Missbrauch meines Vaters. Da bin ich verbrannt. Und nach meinem ersten Selbstmordversuch mit 13 Jahren, da war ich so verzweifelt, dass ich nicht mehr weiter wusste, und da bin ich fast daran kaputt gegangen. Ich bin allerdings wiedererstanden. Und in Deutschland ist es mir auch passiert, da bin ich auch verbrannt. Als meine jüngste Tochter, als sie später verheiratet war und diese zwei Kinder bekam und glücklich war, erfolgreich, erkrankte unsere jüngste Tochter an Krebs im Alter von drei Jahren, und da habe ich auch gedacht, dass ich sterbe.

Gornik: Der Untertitel Ihres Buchs heißt "Die Hoffnung war mein Weg". Nun könnte man aus vielen Stationen Ihres Buchs den Schluss ziehen, da war Hoffnungslosigkeit und man könnte eigentlich verzweifeln und verbittern und sagen, das Leben ist eben so schlecht, wie es ist. Was hat Sie dazu bewogen, doch immer wieder neu anzufangen?

Müller: Ich glaube, der Glaube an die Kraft des Himmels, das hat mich immer wieder aus meinem Loch gezogen.

Gornik: Ist der Himmel der Himmel der Theologen, der Katholiken, der Protestanten, der Juden oder der Muslime oder der Schamanen oder der Konfuzianer oder der Daoisten oder was verstehen Sie unter Himmel?

Müller: Der Himmel, der über uns ist, die Schöpfungskraft, das ist für mich der Himmel. Der Himmel ist für mich die Kraft, die uns umgibt. Diese Kraft spürt man, diese Kraft drückt sich aus in der Natur zum Beispiel, in uns, wir Menschen sind Ausdruck dieser Kraft. Wir sind Beispiele, wir sind Kreaturen. Die Natur besteht auch aus Kreaturen und biologischen Systeme. Und das alles bildet die Kraft. Es ist eine Symbiose irgendwie. Und wenn man diese Kraft spürt, ist das für mich Gott, das man spürt.

Gornik: Der Mann Ihrer Mutter, Ihr Vater, erkrankt an Krebs, und in Ihrem Buch findet sich eine Szene: Ihre Mutter sieht nachts – hat eine Vision – sieht nachts einen Geist, der mit Gras in der Hand auf sie zutritt und sagt, sie soll – sie ist ja beschäftigt mit dieser Krebserkrankung des Mannes – sie soll dieses Gras essen. Was bedeutet eine solche bildhafte Sprache?

Müller: Meine Mutter ist wie gesagt Schamanin gewesen und sie hat an die Kraft des Himmels im Allgemeinen geglaubt. Mein Vater war 40, als er erkrankte, und er wurde gebracht nach Lourdes – für zwei Tage war er also weg. Und meine Mutter hat diese Vision gehabt nachts, als sie allein im Haus war, wir Kinder schliefen, und sie wusste nicht, dass es Jesus war. Also sie hat, obwohl sie eine Eingeborene war aus Vietnam, die keine Schulbildung genossen hatte, hat sie später erst erfahren, dass es Jesus war, weil nach ihrer Beschreibung musste es der Mann sein. Er hatte ja eine Krone aus Blättern, aus Lorbeerblättern, und war nackt und hatte nur so einen Lendenschurz aus Stoff.

Gornik: Nun hatte Jesus aber eine Dornenkrone und nicht gerade einen Lorbeerkranz.

Müller: Ja, aber sie sagte, das waren Lorbeeren. Ich meine, es muss nicht unbedingt die Dornen sein, Lorbeeren sind auch etwas Symbolisches. Und sie hat natürlich den Sinn nicht verstanden, warum sollte sie Gras essen. Als mein Vater zurückkehrte aus Lourdes, schleppte der Helfer, also der Fahrer, zwei Kanister Heilwasser und darunter Gras, weil – da fiel meine Mutter aus allen Wolken – wie die heilige Mutter Maria, also die Mutter Gottes, verlangt hatte damals, als sie der Bernadette Soubirous erschienen war, verlangte sie, dass man das Wasser trank und dass man Gras aß, das dort wuchs, um besser zu heilen, damit die Sünden abgewaschen werden und damit man geheilt wurde. Und das konnte meine Mutter nicht wissen, das wusste nicht einmal mein Vater. Und natürlich war dies ein Zeichen. Und es war tatsächlich so, mein Vater hat dieses Gras gegessen, meine Mutter auch, wir Kinder sollten auch dieses Gras essen, und mein Vater wurde wieder gesund.

Gornik: Wir merken an Ihrem leichten Akzent, Isabelle Müller hieß einmal Isabelle Gaucher, Sie sind nämlich die Tochter eines Franzosen und einer vietnamesischen Mutter. Und dieses Buch ist eine Liebeserklärung auch an Ihre Mutter, an Phönix, im Luan (Anm. d. Redaktion: Schwer verständlich im Hörprotokoll) eigentlich auf Vietnamesisch. Was verdanken Sie Ihrer Mutter?

Müller: Ich verdanke ihr sehr viel. Sie hat mir ihre Kraft gegeben und ihre Weisheit. Sie war einfach stark, und sie hat durch die Weisheit uns diese Kraft vermittelt.

Gornik: Nun kann man mit Weisheit alleine so einen Missbrauch, den Sie erlebt haben, oder eine Krebserkrankung der Tochter oder eine Krebserkrankung des Mannes oder eine Krebserkrankung des Mannes Ihrer Mutter nicht einfach überstehen, da muss noch etwas anderes dazukommen. Was haben Sie in sich gespürt, wie haben Sie das gemacht?

Müller: Die Kraft des Himmels habe ich einfach gespürt.

Gornik: Wie erfährt man die Kraft des Himmels?

Müller: Die spürt man einfach. Man ruft danach, man sehnt sich danach. Ich bin ein Mensch, der eigentlich daran glaubt, dass man Dinge herbeirufen kann. Wenn man Hilfe braucht, wenn man nicht mehr weiter weiß, ruft man einfach zum Himmel und sagt: Helft mir! Und irgendwie geht ein Türchen auf.

Gornik: Warum sollten wir uns mit diesem, ja, Geistersehen – das halten ja viele für Spiritismus und eigentlich der Seele abträglich –, was können uns solche Geistwesen, wie Sie sie beschreiben, bieten?

Müller: Solche Geistwesen können uns Hilfe bieten, und zwar sie sprechen durch Zeichen. Es sind verschiedene Arten der Hilfe. Sie können sich so ausdrücken in Visionen zum Beispiel, also keine Träume, sondern Visionen, die wir sehen. Sie können sich auch in Träumen ausdrücken, deutliche Träume mit bestimmten symbolischen Anweisungen. Und sie können sich natürlich bemerkbar machen, zum Beispiel durch Geruch. Ich habe selbst zum Beispiel meine Mutter gerochen, ich wusste, dass sie im Raum ist, nach ihrem Tod, und es war unverkennbar. Und diese Zeichen sollte man interpretieren können. Und wenn man das ein bisschen gelernt hat, ist es natürlich leichter, man weiß, was es zu bedeuten hat, und wenn man es nicht deuten kann, sollte man dann gerade eben diese Geister und die Ahnen zum Beispiel, also die guten Geister rufen und drum bitten, uns die Fähigkeit zu geben, diese Zeichen zu interpretieren. Und insofern ist es eine wahnsinnige, schöne, gute Hilfe, wenn man das kann.

Gornik: Verstehe ich Sie richtig, das Entscheidende ist der Ruf – man muss solche Geister rufen, man muss den Himmel, wie Sie sagen, bitten um Hilfe, ohne dass man bittet, ohne dass man ruft, hört man auch nichts und wird einem nichts gegeben?

Müller: Genau. Also manche Menschen sind faul und wollen nicht einfach auf ihre Intuition hören. Und es passiert manchmal, dass Sachen geschehen oder dass Zeichen kommen, und die Menschen achten nicht einfach drauf. Ja, aber das Rufen ist sehr wichtig.

Gornik: Wir kennen in der christlichen Tradition die Vorstellung von Engeln, und in der Theologie wird häufig gesagt, es kommt nicht darauf an, die Frage zu beantworten, ob es Engel gibt – ich parallelisiere das jetzt –, es ist nicht die Frage, ob es Geister gibt, sondern es ist die Frage, ob man Engel überhaupt erkennen kann und dann nachher, wenn einem ein Engel begegnet, ein Schutzengel etwa, deuten kann, was einem da passiert ist. Also würden Sie das auch parallelisieren und sagen, es kommt darauf an, einen Geist zu erkennen, zu interpretieren und dann sein Leben entsprechend zu ändern, sonst ist es auch nicht wichtig?

Müller: Also es ist so, ich mache da einen Unterschied zwischen Geistern und Engeln. Geister sind Erscheinungen, die – ich würde sagen, es ist ein Ausdruck der Seele, es ist der Rest der Seele, die um uns herumschwirrt. Engel können wiederum menschliche Gestalt annehmen. Das sind zum Beispiel Menschen, die wir zufällig – ich glaube nicht an Zufall –, aber die wir "zufällig" in Anführungsstrichen treffen, die einem den Weg weisen, die sich gerade da im richtigen Moment befinden und uns den Weg zeigen und sagen, das würde ich machen oder das solltest du nicht tun.

Gornik: So einen Spagat zwischen spirituellen Kulturen leistet Isabelle Müller in ihrem Buch "Phönix Tochter. Die Hoffnung war mein Weg", 286 Seiten, 17,95 Euro kostet das Buch und ist erschienen im Krüger-Verlag. Isabelle Müller, herzlichen Dank!