Die Kraft der Wunder
Die Pfingstbewegung gilt als die weltweit am schnellsten wachsende Religionsrichtung. Auch in Argentinien ist sie auf dem Vormarsch: ein Zehntel der Argentinier gehört inzwischen zu ihren Anhängern. Was macht diese religiöse Bewegung so attraktiv und was macht ihren Erfolg aus? Ein Bericht aus der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires.
Sonntagvormittag in einem ehemaligen Stadtteil-Kino in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires. Der Saal mit den holzgetäfelten, fleckigen Wänden, den schwarzen Kunstledersitzen und der grellen Neonbeleuchtung ist voll. Die Menschen sind aufgestanden und bewegen sich im Takt der Musik, viele strecken mit entrücktem Gesicht die Arme gen Himmel.
Auf der mit bordeauxrotem Teppich ausgelegten Bühne singt ein adretter, junger Mann in schwarzem Anzug und weißem Hemd voller Inbrunst christlichen Latino-Pop ins Mikrofon. Er steht vor einem großen, viereckigen Bild: darauf ein gelbes Kreuz mit einer weißen Taube vor blauem Himmel – die Taube symbolisiert den Heiligen Geist. Es ist das Symbol der Kirche Visión de Futuro, die in dem einstigen Kino zu Hause ist.
Visión de Futuro, auf Deutsch Zukunftsvision, ist eine der vielen Pfingstkirchen Argentiniens. Pentekostale oder Pfingstkirchen, die an die Kraft des Heiligen Geistes glauben, bilden mit Abstand die größte Gruppe der insgesamt rund 12.000 evangelischen Gemeinden in Argentinien. Seit Anfang der achtziger Jahre boomt die evangelikale Bewegung in dem traditionell katholischen Land, und die Pfingstkirchen wachsen am schnellsten. Jeder zehnte Argentinier gehört inzwischen einer pentekostalen oder anderen evangelikalen Kirche an, in den ärmeren Schichten sind es bis zu 25 Prozent.
Wynarczyk: " Diese Kirchen bieten eine sehr praktische Religiosität an. Eine Religiosität, die es ihren Mitgliedern ermöglicht, im Glauben Lösungen für Probleme wirtschaftlicher, gesundheitlicher und familiärer Art zu suchen. " (Übersetzung)
Hilario Wynarczyk, argentinischer Soziologe, der auf dem Gebiet der boomenden evangelikalen Kirchen forscht.
Wynarczyk: " Diese Kirchen erlauben es den Menschen, lebhaft ihre Gefühle auszudrücken. Durch Gesang, lautes Beten, und sogar durch Bewegungen des Körpers. Und es sind Kirchen mit einer weniger strukturierten Theologie. Die Pastoren nehmen in gewisser Weise eigenmächtig theologische Veränderungen vor. Der charismatische Faktor macht diese Kirchen sehr attraktiv. Die Leute erleben ihren Glauben als etwas Unmittelbares und Praktisches. Als Glauben an einen realen, konkreten, lebendigen Gott, der in ihrem Alltagsleben handelt. " (Übersetzung)
In der Kirche Visión de Futuro hat Pastor Omar Cabrera Junior mit Verve zu predigen angefangen. Cabrera hat sich in den USA theologisch ausbilden lassen und die Leitung der Kirche von seinem verstorbenen Vater übernommen. Der Mann mit dem silbergrauen, borstigen Haar steht in einem eleganten, hellen Anzug vor der Gemeinde. Die hängt gebannt an seinen Lippen und begleitet die Predigt mit Applaus und spontanen Amen-Rufen.
Die Kraft Gottes ist hier, die Kraft Gottes ist hier, um auch Euch zu heilen – ruft Omar Cabrera von der Bühne herab. Er kommt immer wieder zurück auf diesen Satz, die Heilung ist zentral in den Pfingstkirchen. Schließlich bittet der Pastor alle, die gesundheitliche Probleme haben, aufzustehen, und beginnt ein Gebet für die Kranken.
Ich glaube, Herr, dass Deine Kraft hier ist, um zu heilen, um uns zu befreien, um die Herrschaft des Teufels zu brechen, betet Omar Cabrera, er bittet Gott darum, dass die Organe wieder funktionieren, dankt dem Herrn für seine Wunder. Dann schwärmen Kirchenhelfer aus, sprechen mit den Kranken, bringen einige nach vorne, die beteuern, dass es ihnen nun besser gehe als vorher.
Sie könne jetzt wieder ein bisschen besser sehen, erzählt eine alte Dame dem Pastor – die Stimmung in der Kirche ist euphorisch.
Cabrera: " In all unseren Gemeinden beten wir jedes Wochenende für die Kranken und erleben Wunder. Wir haben Wunder gesehen, die uns verblüfft haben. Mein Vater hat immer gesagt: Wunder erfüllen die Funktion der Kirchenglocken: Sie rufen die Menschen zur Erlösung. " (Übersetzung)
Pastor Omar Cabreras Vater hatte die Kirche Visión de Futuro in den siebziger Jahren gegründet. Durch die wundersame Heilung eines Cousins von einem Gehirntumor sei die gesamte katholische Familie des Vaters zum Evangelium bekehrt worden, erzählt Cabrera.
Seine Eltern ließen sich in einem pfingstkirchlichen Seminar in den Vereinigten Staaten zu Missionaren ausbilden. Nach einigen Jahren missionarischer Arbeit in Argentinien habe Omar Cabrera Senior während eines Aufenthalts in den USA einen Auftrag Gottes erhalten, schildert der Sohn:
" Gott sagte zu ihm: Ich will, dass du nach Argentinien zurückgehst. Ich werde dich mit einer besonderen Liebe für meine verlorenen Schafe dort erfüllen. Und er teilte ihm einen Namen mit: Visión de Futuro, Zukunftsvision. So kam unsere Kirche zu ihrem unüblichen Namen. " (Übersetzung)
Viele der argentinischen Pfingstkirchen haben ungewöhnliche Namen: Sie heißen Hundert Prozent Jesus, Kathedrale der Wunder, Jesus Christus ist Liebe oder König der Könige. Eine Kirche kann in Argentinien jeder gründen, und nicht jeder, der sich Pastor nennt, hat ein theologisches Studium absolviert. Eine einheitliche Ausbildung gibt es nicht. Viele Pastoren haben sich selbst geschult oder sind in ihrer Gemeinde ausgebildet worden. Visión de Futuro, heute eine der größten pentekostalen Kirchen Argentiniens, unterhält ein eigenes Bibelinstitut. Die Kirche hat 250 Pastoren und ist in fast 200 Städten vertreten. Auf rund 90.000 schätzt Pastor Cabrera die Mitgliederzahl:
" Viele sind ursprünglich Katholiken. Sie wurden als Kinder katholisch getauft, sind aber nie zur Kirche gegangen. Unser Ziel ist, dass sich diese Menschen Jesus Christus nähern. Von unseren Mitgliedern erwarte ich vier Dinge: dass sie regelmäßig in die Kirche kommen, dass sie beten, dass sie geben, und dass sie anderen Menschen gegenüber Zeugnis ablegen von den Veränderungen, die Gott in ihrem Leben bewirkt hat. (…) Gott hat mich vom Fluch der Sünde und von der Armut erlöst. Früher lebte ich von Gelegenheitsjobs und kam mit dem Geld nicht aus. Dann hatte ich auch noch einen Unfall, es ging mir schlecht. Jemand erzählte mir von Jesus. Als ich das erste Mal in diese Kirche kam, erlebte ich eine totale Veränderung. Gott befreite mich als erstes von der Angst in meinem Leben. Ich fand eine feste, gut bezahlte Arbeit. Und danach segnete mich Gott mit der kleinen Firma, dich ich jetzt besitze. " (Übersetzung)
Zavaleta: " In dieser Kirche habe ich gefunden, was ich suchte. Die Antworten auf meine Fragen, meine Zweifel. Ob Wunder existieren oder nicht. Hier habe ich erlebt, dass es Wunder gibt. Ich hatte Arthritis und wurde gesund. Dann bekam ich Arthrose, und auch diese Krankheit wurde geheilt. " (Übersetzung)
Der Argentinier Luís Zavaleta und der Bolivianer Richard Quispe, zwei Mitglieder der Pfingstkirche Visión de Futuro in Buenos Aires. Ihre freimütig erzählten Geschichten sind typische Bekenntnisse neuer Pentekostaler. Ich war ein Sünder, oder: mir ging es schlecht, doch dann begegnete ich Gott und mein Leben wandte sich zum Besseren – das berichten nicht nur die Gläubigen, sondern auch viele Pastoren – und ziehen damit erfolgreich neue Kirchenmitglieder an.
Pablo Semán, argentinischer Soziologe, Anthropologe und Experte für Volksreligiosität: " Diese Art von Verwandlung, von jemandem, dessen Leben durch Probleme wie Drogen, Alkohol oder Verbrechen ruiniert war, in einen Evangelikalen oder Pentekostalen, ist historisch betrachtet relativ neu. (…) Eine ganze Generation von Pastoren und Gläubigen, die in den sechziger und siebziger Jahren in Erscheinung trat, sah in den Pfingstkirchen die Möglichkeit der Lösung solcher Probleme. Und einige waren so engagiert und geschickt, selber Kirchen zu gründen. " (Übersetzung)
Als Gründe für das anhaltende Wachstum evangelikaler und pentekostaler Kirchen in Argentinien werden oft die in den vergangenen Jahrzehnten gewachsene Armut und die zunehmende Abwesenheit des Staates genannt. Soziologe Semán bietet eine weitere Erklärung an. Die Pfingstkirchen hätten es besser verstanden als die Katholische Kirche, Elemente der Volksreligiosität zu integrieren – Stichwort Wunder. Außerdem breiteten sich die Pfingstkirchen schnell und unbürokratisch aus:
" Die Pfingstkirchen wachsen in den großen städtischen Zentren, wo die Bevölkerung schnell zugenommen hat, und wo die Katholiken große organisatorische Probleme haben. Die Gründung einer neuen Pfarrgemeinde muss umständlich beantragt werden, das geht über die Diözese und die Bischofskonferenz bis zum Vatikan und wieder zurück. In dieser Zeit haben die Pentekostalen bereits zehn kleine Kirchen eröffnet. Die Pfingstkirchen sind schneller da. " (Übersetzung)
Und: die Pfingstkirchler und anderen Evangelikalen sind besonders aktive Christen, während von den argentinischen Katholiken nur geschätzte zwei bis fünf Prozent sonntags in die Messe gehen.
Pastor Hugo Baravalle, Präsident der Christlichen Allianz Evangelischer Kirchen in Argentinien, der mehrheitlich Pfingstkirchen angehören: " Die große Mehrheit unserer Kirchenmitglieder ist praktizierend. (…) Sie kommen nicht nur sonntags in die Kirche, sondern praktizieren ihren Glauben auch während der Woche, helfen anderen Menschen, besuchen Kranke, reden von Gott, beten bei sich zuhause, lesen die Bibel, folgen Gott im Alltag, und nicht nur während des Gottesdienstes am Sonntag. " (Übersetzung)
Buenos Aires, im März dieses Jahres. Am Obelisken, dem Wahrzeichen der Stadt mitten im Zentrum, feiern mehr als hunderttausend Menschen ein christliches Festival – organisiert von dem bekannten evangelikalen Prediger Luís Palau. Für die Großveranstaltung wird an zwei Abenden hintereinander der Verkehr in der Innenstadt gesperrt. Palau, ein in den USA lebender Argentinier, hat dafür die Genehmigung der Behörden erhalten – ein Zeichen für die gestiegene Bedeutung der evangelikalen und pentekostalen Bewegung in dem südamerikanischen Land, ein Zeichen auch für einen gewachsenen politischen Einfluss.
Jorgelino Burgos ist einer der freiwilligen Festivalhelfer. Früher sei er drogenabhängig gewesen, erzählt er, dann habe ihn ein Freund mit in eine Pfingstkirche genommen. Dort fand Jorgelino Halt und einen ordnenden Rahmen für sein Leben. Seit mittlerweile 20 Jahren ist er clean und ein überzeugter Pentekostaler:
" Ich bin begeistert von diesem Glauben. Der Gottesdienst ist lebendiger, nicht so langweilig. Du spürst richtig, dass Gott anwesend ist. Du freust dich über die Wunder, die im Leben der Brüder und Schwestern passieren. Und wenn du singst, fühlst du dich frei. " (Übersetzung)
Iglesia Universal del Reino de Dios – so heißt die Pfingstkirche, die im Stadtbild von Buenos Aires am stärksten auffällt. An ehemaligen Kinos und anderen großen Gebäuden prangt ihr auffälliges Logo: eine weiße Taube auf einem roten Herz. Die Universale Kirche des Reichs Gottes ist ein Import aus dem Nachbarland Brasilien. Dort wurde sie 1977 von einem Lotterieangestellten gegründet, heute ist die Universale Kirche des Reichs Gottes ein millionenschweres religiöses Wirtschaftsimperium mit Fernsehsendern, Radiostationen und Immobilien, das seine Missionare in die ganze Welt entsendet, vor allem aber in die Länder Lateinamerikas.
Freitagnachmittag in Buenos Aires. Am imposanten Hauptsitz der Kirche an der zentralen Avenida Corrientes hat sich eine Menge von Gläubigen zur sogenannten spirituellen Entladung versammelt. In dem großen, modernen Saal, einer früheren Markthalle, herrscht eine ekstatische Atmosphäre. Ein Mann im grauen Anzug läuft auf der Bühne hin und her und predigt lautstark und schnell mit starkem brasilianischen Akzent. Immer wieder ruft er Im Namen von Jesus Christus, und Komm raus!
Die Austreibung von Dämonen ist zentrales Element der Liturgie in der Universalen Kirche des Reichs Gottes. Eine Reihe von Männern und Frauen ist vor dem großen roten Kreuz zusammengekommen, dass vor der Bühne aufragt. Uniformierte Mitarbeiter der Kirche legen ihnen die Hand auf, schreien Sal!, Komm raus! – ein Ritual, um die bösen Geister aus ihren Köpfen und Körpern zu verbannen. Bei einigen kommt es zu regelrechten Kämpfen - die Dämonen scheinen sich zu wehren.
Vor dem Kreuz spielt sich eine gänsehauterzeugende Szene ab. Eine offensichtlich vor Schmerzen schreiende Frau kauert auf dem Boden, der Pastor brüllt auf sie ein, zwingt sie, das Kreuz zu berühren, ruft immer wieder Komm raus! Dann plötzlich wird die Frau ruhig, richtet sich auf, der Pastor sagt Du bist geheilt, im Namen von Jesus, fragt die Frau, wie es ihr geht, gut, sagt sie.
Hilario Wynarczyk, Soziologe und Experte auf dem Gebiet der evangelikalen Kirchen: " In der Universalen Kirche des Reichs Gottes gibt es spiritistische und afro-brasilianische religiöse Elemente. Der Kampf gegen Dämonen, die Austreibung von Dämonen wird sehr stark betont – viel stärker als in anderen evangelikalen Kirchen. " (Übersetzung)
Wegen des starken Einflusses anderer, insbesondere afro-brasilianischer religiöser Elemente, wird die mächtige Kirche aus dem Nachbarland von den argentinischen Pfingstkirchen nicht als eine der ihren betrachtet.
In der Universalen Kirche des Reichs Gottes ist ein Mann namens Luís nach vorne gekommen und erzählt dem brasilianischen Prediger seine Geschichte. Mir geht es ziemlich schlecht, sagt er, ich war mal Chef eines multinationalen Unternehmens, jetzt bin ich nichts mehr, ich habe mich von meiner Frau getrennt, bin mit einer anderen zusammen, aber mit ihr läuft es auch nicht gut. Der Pastor hört zu, stellt suggestive Fragen, dann beginnt das Exorzismus-Ritual.
Jorge Weishein, lutheranischer Pastor der Evangelischen Kirche am Río de la Plata und Kenner des Phänomens der Pfingstkirchen: " Diese Kirchen geben den Menschen geistliche Stärke, um den alltäglichen Kampf zu bestehen – in einem immer feindlicheren Umfeld, das sie immer mehr zu Einzelkämpfern macht. Von der Kirche bekommen sie die geistlichen Waffen, um Satan gegenüberzutreten, der ihnen das Leben schwer macht. (…) Vom Teufel besessen sein, das ist eine Metapher für die soziale Ausgrenzung der Leute. Der sozial Ausgegrenzte ist besessen. Er kann jedoch wieder in die Gesellschaft zurückkehren, und zwar, indem er sein Leben in Christus’ Hände gibt. Indem er den disziplinären Rahmen der religiösen Einrichtung akzeptiert und der Kirche sein Geld gibt, kann er zu Wohlbefinden und Wohlstand kommen. "
In der Universalen Kirche des Reichs Gottes ist der Moment fürs Finanzielle gekommen. Der Prediger ruft zu Spenden auf und rattert Zahlen herunter: Sie können 500 Pesos geben, 300, 100, 50, 20, 10 oder einen Peso. Wer sät, wird ernten, wer gibt, wird empfangen, so der Pastor. Auch werden Umschläge für den Diezmo verteilt, den zehnten Teil des Einkommens. Die Gläubigen strömen nach vorne und überreichen Geldscheine und Umschläge. Fünfmal pro Tag findet in den Filialen der Kirche Gottesdienst statt, jedes Mal werden Spenden und der Diezmo verlangt. Deswegen hat die Universale Kirche des Reichs Gottes bei vielen den Ruf, sich an den Menschen zu bereichern. Der Präsident der Christlichen Allianz Evangelischer Kirchen in Argentinien, Pastor Hugo Baravalle, distanziert sich von den Geldeintreibungspraktiken der Brasilianer. Doch verteidigt er den Diezmo, den Zehnten, der auch in den anderen Pfingstkirchen von den Mitgliedern erwartet wird:
" Der Diezmo, das sind zehn Prozent unseres Einkommens, die alle von uns geben, damit sie für das Werk Gottes verwendet werden. Das ist keine Verpflichtung, wir tun es freiwillig. In der Bibel heißt es: Bringt mir den Zehnten ganz in mein Kornhaus, auf dass in meinem Hause Speise sei, und prüft mich hierin, ob ich euch nicht des Himmels Fenster auftun werde und Segen herabschütten in Fülle. Gott sagt, wenn du glaubst und tust, was ich dir sage und mir den Zehnten gibst, wird es dir an nichts fehlen. " (Übersetzung)
Frau: " Am Anfang fiel es mir manchmal schwer, den Zehnten zu geben, weil mein Geld nicht reichte. Inzwischen bezahle ich am Monatsanfang zuerst den Zehnten, und komme mit dem Rest meines Lohnes gut aus, habe immer genug zu essen. Mein Arbeitgeber bezahlte seine Lohnschulden. Und ich konnte neue Dinge für den Haushalt kaufen. " (Übersetzung)
erzählt eine Frau in der Pfingstkirche Zukunftsvision, nachdem sie während des Sonntagsgottesdienstes ihren Umschlag abgegeben hat. Sie sagt, dass sie früher als Putzfrau gearbeitet hat, und jetzt als Küchenhilfe etwas mehr verdiene. Nicht alle Gemeindemitglieder trennen sich, wie sie, von zehn Prozent ihres Einkommens, laut Pastor Omar Cabrera tun das weniger als die Hälfte. Die Einnahmen verwende seine Kirche für Gehälter, Verwaltung, Mieten, Radio- und Fernsehprogramme sowie soziale Zwecke, sagt er. Geld vom Staat bekommt in Argentinien keine Religionsgemeinschaft, außer der Katholischen Kirche.
In der Kirche Visión de Futuro ist der zweieinhalbstündige Gottesdienst zuende. Gutgelaunt plaudernd verlassen die Menschen den Saal. Das ehemalige Kino wird auch am nächsten Sonntag wieder voll sein, so wie Tausende anderer evangelikaler Kirchen in ganz Argentinien.
Fortunato Mallimaci, Religionssoziologe: " Die Mehrheit der Leute geht in diese Kirchen, weil sie dort etwas zu finden glaubt, was es woanders nicht gibt. Warum findet sie es dort und nicht woanders? Warum fühlen sich die meisten Menschen heute einer religiösen Gruppe und nicht einer politischen Partei zugehörig? Warum finden die Menschen in religiösen und nicht in säkularen Verheißungen die Befriedigung ihrer Bedürfnisse? Das müssen wir als Gesellschaft diskutieren. " (Übersetzung)
Auf der mit bordeauxrotem Teppich ausgelegten Bühne singt ein adretter, junger Mann in schwarzem Anzug und weißem Hemd voller Inbrunst christlichen Latino-Pop ins Mikrofon. Er steht vor einem großen, viereckigen Bild: darauf ein gelbes Kreuz mit einer weißen Taube vor blauem Himmel – die Taube symbolisiert den Heiligen Geist. Es ist das Symbol der Kirche Visión de Futuro, die in dem einstigen Kino zu Hause ist.
Visión de Futuro, auf Deutsch Zukunftsvision, ist eine der vielen Pfingstkirchen Argentiniens. Pentekostale oder Pfingstkirchen, die an die Kraft des Heiligen Geistes glauben, bilden mit Abstand die größte Gruppe der insgesamt rund 12.000 evangelischen Gemeinden in Argentinien. Seit Anfang der achtziger Jahre boomt die evangelikale Bewegung in dem traditionell katholischen Land, und die Pfingstkirchen wachsen am schnellsten. Jeder zehnte Argentinier gehört inzwischen einer pentekostalen oder anderen evangelikalen Kirche an, in den ärmeren Schichten sind es bis zu 25 Prozent.
Wynarczyk: " Diese Kirchen bieten eine sehr praktische Religiosität an. Eine Religiosität, die es ihren Mitgliedern ermöglicht, im Glauben Lösungen für Probleme wirtschaftlicher, gesundheitlicher und familiärer Art zu suchen. " (Übersetzung)
Hilario Wynarczyk, argentinischer Soziologe, der auf dem Gebiet der boomenden evangelikalen Kirchen forscht.
Wynarczyk: " Diese Kirchen erlauben es den Menschen, lebhaft ihre Gefühle auszudrücken. Durch Gesang, lautes Beten, und sogar durch Bewegungen des Körpers. Und es sind Kirchen mit einer weniger strukturierten Theologie. Die Pastoren nehmen in gewisser Weise eigenmächtig theologische Veränderungen vor. Der charismatische Faktor macht diese Kirchen sehr attraktiv. Die Leute erleben ihren Glauben als etwas Unmittelbares und Praktisches. Als Glauben an einen realen, konkreten, lebendigen Gott, der in ihrem Alltagsleben handelt. " (Übersetzung)
In der Kirche Visión de Futuro hat Pastor Omar Cabrera Junior mit Verve zu predigen angefangen. Cabrera hat sich in den USA theologisch ausbilden lassen und die Leitung der Kirche von seinem verstorbenen Vater übernommen. Der Mann mit dem silbergrauen, borstigen Haar steht in einem eleganten, hellen Anzug vor der Gemeinde. Die hängt gebannt an seinen Lippen und begleitet die Predigt mit Applaus und spontanen Amen-Rufen.
Die Kraft Gottes ist hier, die Kraft Gottes ist hier, um auch Euch zu heilen – ruft Omar Cabrera von der Bühne herab. Er kommt immer wieder zurück auf diesen Satz, die Heilung ist zentral in den Pfingstkirchen. Schließlich bittet der Pastor alle, die gesundheitliche Probleme haben, aufzustehen, und beginnt ein Gebet für die Kranken.
Ich glaube, Herr, dass Deine Kraft hier ist, um zu heilen, um uns zu befreien, um die Herrschaft des Teufels zu brechen, betet Omar Cabrera, er bittet Gott darum, dass die Organe wieder funktionieren, dankt dem Herrn für seine Wunder. Dann schwärmen Kirchenhelfer aus, sprechen mit den Kranken, bringen einige nach vorne, die beteuern, dass es ihnen nun besser gehe als vorher.
Sie könne jetzt wieder ein bisschen besser sehen, erzählt eine alte Dame dem Pastor – die Stimmung in der Kirche ist euphorisch.
Cabrera: " In all unseren Gemeinden beten wir jedes Wochenende für die Kranken und erleben Wunder. Wir haben Wunder gesehen, die uns verblüfft haben. Mein Vater hat immer gesagt: Wunder erfüllen die Funktion der Kirchenglocken: Sie rufen die Menschen zur Erlösung. " (Übersetzung)
Pastor Omar Cabreras Vater hatte die Kirche Visión de Futuro in den siebziger Jahren gegründet. Durch die wundersame Heilung eines Cousins von einem Gehirntumor sei die gesamte katholische Familie des Vaters zum Evangelium bekehrt worden, erzählt Cabrera.
Seine Eltern ließen sich in einem pfingstkirchlichen Seminar in den Vereinigten Staaten zu Missionaren ausbilden. Nach einigen Jahren missionarischer Arbeit in Argentinien habe Omar Cabrera Senior während eines Aufenthalts in den USA einen Auftrag Gottes erhalten, schildert der Sohn:
" Gott sagte zu ihm: Ich will, dass du nach Argentinien zurückgehst. Ich werde dich mit einer besonderen Liebe für meine verlorenen Schafe dort erfüllen. Und er teilte ihm einen Namen mit: Visión de Futuro, Zukunftsvision. So kam unsere Kirche zu ihrem unüblichen Namen. " (Übersetzung)
Viele der argentinischen Pfingstkirchen haben ungewöhnliche Namen: Sie heißen Hundert Prozent Jesus, Kathedrale der Wunder, Jesus Christus ist Liebe oder König der Könige. Eine Kirche kann in Argentinien jeder gründen, und nicht jeder, der sich Pastor nennt, hat ein theologisches Studium absolviert. Eine einheitliche Ausbildung gibt es nicht. Viele Pastoren haben sich selbst geschult oder sind in ihrer Gemeinde ausgebildet worden. Visión de Futuro, heute eine der größten pentekostalen Kirchen Argentiniens, unterhält ein eigenes Bibelinstitut. Die Kirche hat 250 Pastoren und ist in fast 200 Städten vertreten. Auf rund 90.000 schätzt Pastor Cabrera die Mitgliederzahl:
" Viele sind ursprünglich Katholiken. Sie wurden als Kinder katholisch getauft, sind aber nie zur Kirche gegangen. Unser Ziel ist, dass sich diese Menschen Jesus Christus nähern. Von unseren Mitgliedern erwarte ich vier Dinge: dass sie regelmäßig in die Kirche kommen, dass sie beten, dass sie geben, und dass sie anderen Menschen gegenüber Zeugnis ablegen von den Veränderungen, die Gott in ihrem Leben bewirkt hat. (…) Gott hat mich vom Fluch der Sünde und von der Armut erlöst. Früher lebte ich von Gelegenheitsjobs und kam mit dem Geld nicht aus. Dann hatte ich auch noch einen Unfall, es ging mir schlecht. Jemand erzählte mir von Jesus. Als ich das erste Mal in diese Kirche kam, erlebte ich eine totale Veränderung. Gott befreite mich als erstes von der Angst in meinem Leben. Ich fand eine feste, gut bezahlte Arbeit. Und danach segnete mich Gott mit der kleinen Firma, dich ich jetzt besitze. " (Übersetzung)
Zavaleta: " In dieser Kirche habe ich gefunden, was ich suchte. Die Antworten auf meine Fragen, meine Zweifel. Ob Wunder existieren oder nicht. Hier habe ich erlebt, dass es Wunder gibt. Ich hatte Arthritis und wurde gesund. Dann bekam ich Arthrose, und auch diese Krankheit wurde geheilt. " (Übersetzung)
Der Argentinier Luís Zavaleta und der Bolivianer Richard Quispe, zwei Mitglieder der Pfingstkirche Visión de Futuro in Buenos Aires. Ihre freimütig erzählten Geschichten sind typische Bekenntnisse neuer Pentekostaler. Ich war ein Sünder, oder: mir ging es schlecht, doch dann begegnete ich Gott und mein Leben wandte sich zum Besseren – das berichten nicht nur die Gläubigen, sondern auch viele Pastoren – und ziehen damit erfolgreich neue Kirchenmitglieder an.
Pablo Semán, argentinischer Soziologe, Anthropologe und Experte für Volksreligiosität: " Diese Art von Verwandlung, von jemandem, dessen Leben durch Probleme wie Drogen, Alkohol oder Verbrechen ruiniert war, in einen Evangelikalen oder Pentekostalen, ist historisch betrachtet relativ neu. (…) Eine ganze Generation von Pastoren und Gläubigen, die in den sechziger und siebziger Jahren in Erscheinung trat, sah in den Pfingstkirchen die Möglichkeit der Lösung solcher Probleme. Und einige waren so engagiert und geschickt, selber Kirchen zu gründen. " (Übersetzung)
Als Gründe für das anhaltende Wachstum evangelikaler und pentekostaler Kirchen in Argentinien werden oft die in den vergangenen Jahrzehnten gewachsene Armut und die zunehmende Abwesenheit des Staates genannt. Soziologe Semán bietet eine weitere Erklärung an. Die Pfingstkirchen hätten es besser verstanden als die Katholische Kirche, Elemente der Volksreligiosität zu integrieren – Stichwort Wunder. Außerdem breiteten sich die Pfingstkirchen schnell und unbürokratisch aus:
" Die Pfingstkirchen wachsen in den großen städtischen Zentren, wo die Bevölkerung schnell zugenommen hat, und wo die Katholiken große organisatorische Probleme haben. Die Gründung einer neuen Pfarrgemeinde muss umständlich beantragt werden, das geht über die Diözese und die Bischofskonferenz bis zum Vatikan und wieder zurück. In dieser Zeit haben die Pentekostalen bereits zehn kleine Kirchen eröffnet. Die Pfingstkirchen sind schneller da. " (Übersetzung)
Und: die Pfingstkirchler und anderen Evangelikalen sind besonders aktive Christen, während von den argentinischen Katholiken nur geschätzte zwei bis fünf Prozent sonntags in die Messe gehen.
Pastor Hugo Baravalle, Präsident der Christlichen Allianz Evangelischer Kirchen in Argentinien, der mehrheitlich Pfingstkirchen angehören: " Die große Mehrheit unserer Kirchenmitglieder ist praktizierend. (…) Sie kommen nicht nur sonntags in die Kirche, sondern praktizieren ihren Glauben auch während der Woche, helfen anderen Menschen, besuchen Kranke, reden von Gott, beten bei sich zuhause, lesen die Bibel, folgen Gott im Alltag, und nicht nur während des Gottesdienstes am Sonntag. " (Übersetzung)
Buenos Aires, im März dieses Jahres. Am Obelisken, dem Wahrzeichen der Stadt mitten im Zentrum, feiern mehr als hunderttausend Menschen ein christliches Festival – organisiert von dem bekannten evangelikalen Prediger Luís Palau. Für die Großveranstaltung wird an zwei Abenden hintereinander der Verkehr in der Innenstadt gesperrt. Palau, ein in den USA lebender Argentinier, hat dafür die Genehmigung der Behörden erhalten – ein Zeichen für die gestiegene Bedeutung der evangelikalen und pentekostalen Bewegung in dem südamerikanischen Land, ein Zeichen auch für einen gewachsenen politischen Einfluss.
Jorgelino Burgos ist einer der freiwilligen Festivalhelfer. Früher sei er drogenabhängig gewesen, erzählt er, dann habe ihn ein Freund mit in eine Pfingstkirche genommen. Dort fand Jorgelino Halt und einen ordnenden Rahmen für sein Leben. Seit mittlerweile 20 Jahren ist er clean und ein überzeugter Pentekostaler:
" Ich bin begeistert von diesem Glauben. Der Gottesdienst ist lebendiger, nicht so langweilig. Du spürst richtig, dass Gott anwesend ist. Du freust dich über die Wunder, die im Leben der Brüder und Schwestern passieren. Und wenn du singst, fühlst du dich frei. " (Übersetzung)
Iglesia Universal del Reino de Dios – so heißt die Pfingstkirche, die im Stadtbild von Buenos Aires am stärksten auffällt. An ehemaligen Kinos und anderen großen Gebäuden prangt ihr auffälliges Logo: eine weiße Taube auf einem roten Herz. Die Universale Kirche des Reichs Gottes ist ein Import aus dem Nachbarland Brasilien. Dort wurde sie 1977 von einem Lotterieangestellten gegründet, heute ist die Universale Kirche des Reichs Gottes ein millionenschweres religiöses Wirtschaftsimperium mit Fernsehsendern, Radiostationen und Immobilien, das seine Missionare in die ganze Welt entsendet, vor allem aber in die Länder Lateinamerikas.
Freitagnachmittag in Buenos Aires. Am imposanten Hauptsitz der Kirche an der zentralen Avenida Corrientes hat sich eine Menge von Gläubigen zur sogenannten spirituellen Entladung versammelt. In dem großen, modernen Saal, einer früheren Markthalle, herrscht eine ekstatische Atmosphäre. Ein Mann im grauen Anzug läuft auf der Bühne hin und her und predigt lautstark und schnell mit starkem brasilianischen Akzent. Immer wieder ruft er Im Namen von Jesus Christus, und Komm raus!
Die Austreibung von Dämonen ist zentrales Element der Liturgie in der Universalen Kirche des Reichs Gottes. Eine Reihe von Männern und Frauen ist vor dem großen roten Kreuz zusammengekommen, dass vor der Bühne aufragt. Uniformierte Mitarbeiter der Kirche legen ihnen die Hand auf, schreien Sal!, Komm raus! – ein Ritual, um die bösen Geister aus ihren Köpfen und Körpern zu verbannen. Bei einigen kommt es zu regelrechten Kämpfen - die Dämonen scheinen sich zu wehren.
Vor dem Kreuz spielt sich eine gänsehauterzeugende Szene ab. Eine offensichtlich vor Schmerzen schreiende Frau kauert auf dem Boden, der Pastor brüllt auf sie ein, zwingt sie, das Kreuz zu berühren, ruft immer wieder Komm raus! Dann plötzlich wird die Frau ruhig, richtet sich auf, der Pastor sagt Du bist geheilt, im Namen von Jesus, fragt die Frau, wie es ihr geht, gut, sagt sie.
Hilario Wynarczyk, Soziologe und Experte auf dem Gebiet der evangelikalen Kirchen: " In der Universalen Kirche des Reichs Gottes gibt es spiritistische und afro-brasilianische religiöse Elemente. Der Kampf gegen Dämonen, die Austreibung von Dämonen wird sehr stark betont – viel stärker als in anderen evangelikalen Kirchen. " (Übersetzung)
Wegen des starken Einflusses anderer, insbesondere afro-brasilianischer religiöser Elemente, wird die mächtige Kirche aus dem Nachbarland von den argentinischen Pfingstkirchen nicht als eine der ihren betrachtet.
In der Universalen Kirche des Reichs Gottes ist ein Mann namens Luís nach vorne gekommen und erzählt dem brasilianischen Prediger seine Geschichte. Mir geht es ziemlich schlecht, sagt er, ich war mal Chef eines multinationalen Unternehmens, jetzt bin ich nichts mehr, ich habe mich von meiner Frau getrennt, bin mit einer anderen zusammen, aber mit ihr läuft es auch nicht gut. Der Pastor hört zu, stellt suggestive Fragen, dann beginnt das Exorzismus-Ritual.
Jorge Weishein, lutheranischer Pastor der Evangelischen Kirche am Río de la Plata und Kenner des Phänomens der Pfingstkirchen: " Diese Kirchen geben den Menschen geistliche Stärke, um den alltäglichen Kampf zu bestehen – in einem immer feindlicheren Umfeld, das sie immer mehr zu Einzelkämpfern macht. Von der Kirche bekommen sie die geistlichen Waffen, um Satan gegenüberzutreten, der ihnen das Leben schwer macht. (…) Vom Teufel besessen sein, das ist eine Metapher für die soziale Ausgrenzung der Leute. Der sozial Ausgegrenzte ist besessen. Er kann jedoch wieder in die Gesellschaft zurückkehren, und zwar, indem er sein Leben in Christus’ Hände gibt. Indem er den disziplinären Rahmen der religiösen Einrichtung akzeptiert und der Kirche sein Geld gibt, kann er zu Wohlbefinden und Wohlstand kommen. "
In der Universalen Kirche des Reichs Gottes ist der Moment fürs Finanzielle gekommen. Der Prediger ruft zu Spenden auf und rattert Zahlen herunter: Sie können 500 Pesos geben, 300, 100, 50, 20, 10 oder einen Peso. Wer sät, wird ernten, wer gibt, wird empfangen, so der Pastor. Auch werden Umschläge für den Diezmo verteilt, den zehnten Teil des Einkommens. Die Gläubigen strömen nach vorne und überreichen Geldscheine und Umschläge. Fünfmal pro Tag findet in den Filialen der Kirche Gottesdienst statt, jedes Mal werden Spenden und der Diezmo verlangt. Deswegen hat die Universale Kirche des Reichs Gottes bei vielen den Ruf, sich an den Menschen zu bereichern. Der Präsident der Christlichen Allianz Evangelischer Kirchen in Argentinien, Pastor Hugo Baravalle, distanziert sich von den Geldeintreibungspraktiken der Brasilianer. Doch verteidigt er den Diezmo, den Zehnten, der auch in den anderen Pfingstkirchen von den Mitgliedern erwartet wird:
" Der Diezmo, das sind zehn Prozent unseres Einkommens, die alle von uns geben, damit sie für das Werk Gottes verwendet werden. Das ist keine Verpflichtung, wir tun es freiwillig. In der Bibel heißt es: Bringt mir den Zehnten ganz in mein Kornhaus, auf dass in meinem Hause Speise sei, und prüft mich hierin, ob ich euch nicht des Himmels Fenster auftun werde und Segen herabschütten in Fülle. Gott sagt, wenn du glaubst und tust, was ich dir sage und mir den Zehnten gibst, wird es dir an nichts fehlen. " (Übersetzung)
Frau: " Am Anfang fiel es mir manchmal schwer, den Zehnten zu geben, weil mein Geld nicht reichte. Inzwischen bezahle ich am Monatsanfang zuerst den Zehnten, und komme mit dem Rest meines Lohnes gut aus, habe immer genug zu essen. Mein Arbeitgeber bezahlte seine Lohnschulden. Und ich konnte neue Dinge für den Haushalt kaufen. " (Übersetzung)
erzählt eine Frau in der Pfingstkirche Zukunftsvision, nachdem sie während des Sonntagsgottesdienstes ihren Umschlag abgegeben hat. Sie sagt, dass sie früher als Putzfrau gearbeitet hat, und jetzt als Küchenhilfe etwas mehr verdiene. Nicht alle Gemeindemitglieder trennen sich, wie sie, von zehn Prozent ihres Einkommens, laut Pastor Omar Cabrera tun das weniger als die Hälfte. Die Einnahmen verwende seine Kirche für Gehälter, Verwaltung, Mieten, Radio- und Fernsehprogramme sowie soziale Zwecke, sagt er. Geld vom Staat bekommt in Argentinien keine Religionsgemeinschaft, außer der Katholischen Kirche.
In der Kirche Visión de Futuro ist der zweieinhalbstündige Gottesdienst zuende. Gutgelaunt plaudernd verlassen die Menschen den Saal. Das ehemalige Kino wird auch am nächsten Sonntag wieder voll sein, so wie Tausende anderer evangelikaler Kirchen in ganz Argentinien.
Fortunato Mallimaci, Religionssoziologe: " Die Mehrheit der Leute geht in diese Kirchen, weil sie dort etwas zu finden glaubt, was es woanders nicht gibt. Warum findet sie es dort und nicht woanders? Warum fühlen sich die meisten Menschen heute einer religiösen Gruppe und nicht einer politischen Partei zugehörig? Warum finden die Menschen in religiösen und nicht in säkularen Verheißungen die Befriedigung ihrer Bedürfnisse? Das müssen wir als Gesellschaft diskutieren. " (Übersetzung)