Die Kraft der Worte

Von Nina Gruntkowski · 02.06.2010
Lange vor dem geschriebenen Wort wurden in Südafrika Geschichte und Geschichten von Mund zu Mund weitergegeben. Vor zehn Jahren ergriff Lebogang Mashile als eine der ersten Frauen mit dem Frauenkollektiv "Feel a Sista" öffentlich das Wort - heute zählt Lebo Mashile, wie sie allseits genannt wird, zu den großen Stimmen Südafrikas.
Kraftvoll strömen die Wörter über die Lippen von Lebo Mashile. Ihre wachen Augen suchen den Kontakt zum Publikum, ihr runder, fester Körper ist in ständiger Bewegung. Die Südafrikanerin hat ihren Traumjob gefunden: Gedichte schreiben und diese dann auf der Bühne vortragen. So bringt die 32-Jährige Persönliches und Politisches zur Sprache und gibt Einblicke in das Leben im neuen Südafrika. Mit ihrem Gedicht "You and I" beschreibt sie die magische Beziehung zwischen dem Publikum und dem Poeten auf der Bühne.

"Es ist, als würde ich in einen anderen Bewusstseinszustand treten und jede einzelne Person im Raum fühlen. Das gibt mir Kraft. Es ist wie eine Beziehung, ja ein Tanz. Und das Gedicht wird dabei lebendig."

Der unverkennbare us-amerikanische Akzent verrät, dass Lebo Mashile im Exil in den USA aufgewachsen ist, denn ihre südafrikanischen Eltern waren vor dem Apartheidregime geflohen. Im Ostküsten-Staat Rhode Island verbrachte sie ihre Kindheit in einem multikulturellen Umfeld.

"Ich habe schon immer in mehreren Welten gelebt. Meine Eltern waren Einwanderer und wir hatten unser Leben zu Hause, dann gab es das Leben auf der Straße mit meinen Freunden und wieder ein anderes in der Schule. Das hat mich sehr geprägt. Es ist ein Privileg, aber es bedeutet auch, dass du niemals ganz dazu gehörst. Dafür habe ich Zugang zu vielen verschiedenen Welten."

Nach dem Ende der Apartheid, 1994, ging sie mit ihren Eltern zurück nach Südafrika. Dort lebte die damals 16-Jährige mit ihrer Mutter bei den Großeltern in den South Western Townships, den ehemals von der Apartheidregierung eingerichteten Wohnvierteln für Schwarze. In Soweto sind die Häuser klein, und das Leben spielt sich größtenteils auf der Straße ab. Die neue Großfamilie ließ wenig Platz für Privatsphäre, erinnert sich die 32-Jährige und schüttelt lachend den Kopf mit den großen klimpernden Ohrringen.

"Da kennt wirklich jeder jeden! Das ist so anders als in der westlichen Welt, wo man nicht mal seinen Nachbarn kennt. Im Township kriegt man einfach alles mit - die guten und die schlechten Sachen!"

Angestoßen vom neuen Umfeld und der Suche nach der eigenen Identität fing die junge Frau an, Gedichte zu schreiben. Doch der Beruf der Poetin erschien Lebo Mashile zu unsicher. Deswegen begann sie ein Jura-Studium. Dann, gegen Ende des Studiums, entdeckte sie das vibrierende Nachtleben von Johannesburg. Und damit die fast jede Nacht stattfindenden Poetry-Sessions – wo sich Wortakrobaten auf offene Bühnen austoben können.

"Eines Nachts habe ich all meinen Mut zusammen genommen und eines meiner Gedichte vorgelesen. Ich verliebte mich Hals über Kopf in diese Sache. Von da an jagte ich jeder Auftrittsmöglichkeit hinterher."

Noch vor zehn Jahren war die Spoken-Word-Szene eine reine Männerdomäne. Lebo Mashile war eine Einzelkämpferin. 2003 suchte sie sich Unterstützung und gründete mit drei anderen Frauen das Kollektiv "Feel a Sista!". Die vier "Schwestern" bündelten ihre Finanzen, Energien und Kontakte und stellten eine eigene Bühnenshow auf die Beine, die durch die Clubs im ganzen Land tingelte.

"Es war die richtige Idee zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Die Leute waren bereit, Frauen über Sex und Politik reden zu hören. Das Ganze schlug ein wie eine Bombe und schon bald traten wir im ganzen Land auf."

Heute sind alle vier Frauen gut im Geschäft. Lebo Mashile zählt zu den großen Stimmen Südafrikas. Sie spricht aus, was sich viele nicht offen zu sagen trauen. In ihrer gewinnenden und gleichzeitig konfrontierenden Art greift sie etwa einen Sex-Skandal auf, der in der konservativen Provinzstadt Excelsior bis heute hinter vorgehaltener Hand für Gesprächsstoff sorgt.

Bis heute wird in Excelsior jede Frau, die eine etwas hellere Schokoladenfarbe als Hautfarbe trägt, schräg angeschaut, da man vermutet, sie sei das Ergebnis einer Affäre zwischen einem weißen, einflussreichen Mann und seiner schwarzen Hausangestellten, bringt die Poetin die Situation auf den Punkt.

Ihre Worte zur Diskriminierung anhand der Hautfarbe schlagen ein wie Donnerschläge, denn noch immer ist dies für viele Südafrikaner ein großes Thema. Doch was auf der Bühne so lebendig und spontan aussieht, ist wohl überlegt, denn Lebo Mashile legt jedes Wort auf die Goldwaage, bevor es über ihre Lippen geht.

"Ich mache keinen Freestyle - auch wenn dann mein Leben viel einfacher wäre! Die Poesie ist für mich ähnlich wie Jazz. Das Ganze wächst mit einem und nur, wenn man richtig daran arbeitet, kann es über den bloßen Moment hinaus bestehen."