"Die Kontrollen sind schon super"

Steffi Nerius im Gespräch mit Gabi Wuttke · 27.08.2011
Durch verschärfte Kontrollen könne erreicht werden, dass vielleicht nur noch zehn Prozent der Sportler dopen. Insofern sei alles auf dem richtigen Weg, sagt Steffi Nerius, die bei den Olympischen Spielen in Athen 2004 Zweite im Speerwurf wurde. Zusätzlich sprach sich Nerius für eine wirtschaftliche Absicherung von Sportlern aus.
Gabi Wuttke: Von Diskus bis Zehnkampf, Sie haben es in den Nachrichten gehört: Die Leichtathletik steht seit heute Morgen für eine ganze Woche oben bei den Weltmeisterschaften in Südkorea. Deutschland hat 72 Athleten nach Daegu geschickt, darunter die derzeit weltbeste Speerwerferin Christina Obergföll.

Die amtierende Weltmeisterin aber fehlt, die 39-jährige Steffi Nerius, geboren auf Rügen und jetzt in Leverkusen ansässig, hat sich von der großen Sportbühne verabschiedet. Ich habe sie gefragt, ob sie jetzt nicht doch gerne in Südkorea wäre.

Steffi Nerius: Nein, auf keinen Fall wäre ich gerne in Südkorea. Also, ich freue mich, dass jetzt die Weltmeisterschaften stattfinden. Aber ich fühle mich hier ganz wohl in Leverkusen und habe hier genug zu tun. Und ich habe tatsächlich die letzten zwei Jahre kein einziges Mal das Gefühl gehabt, ich möchte wieder Speer werfen, möchte wieder anfangen. Und insofern ist alles gut so, wie es ist.

Wuttke: Aber Sie verfolgen schon noch, was los ist in der Leichtathletikwelt?

Nerius: Ja, auf jeden Fall. Also, ich bin da schon interessiert und ich gucke mir auch die Wettkämpfe an. Ich muss ehrlicherweise sagen, ich werde mir gezielt das Speerwurffrauenfinale auch im Fernsehen angucken. Alles andere … Wenn ich sicherlich mal davor sitze, werde ich es mir auch angucken, aber ich werde jetzt nicht meinen Tagesablauf danach richten.

Wuttke: Bleiben wir doch mal bei den Disziplinen, die stark nachgefragt werden. Speerwerfen gehört so wie Hammerwerfen auch nicht dazu, ganz im Gegensatz zum Beispiel zu den Hundertmeterläufen. Können Sie sich erklären, warum die eine Disziplin in der ersten Reihe steht, und zwar immer, und die andere doch eher in der zweiten Reihe?

Nerius: Ich glaube, das ist schon tatsächlich immer so gewesen und das ist tatsächlich einfacher. So wie Fußball, das ist nicht so schwierig nachzuvollziehen, was passiert. Und beim Hundertmeterlauf laufen alle zusammen los und …

Wuttke: … aber das ist doch beim Speerwurf nicht anders.

Nerius: Beim Speerwurf hat man sechs Versuche tatsächlich und es kann in jedem Versuch irgendwas passieren. Das heißt, wenn man im ersten Durchgang irgendwas verpasst hat, dann ist natürlich ein guter Stadionsprecher gefragt, der sagt, okay, die und die führt und Superweite … Und deswegen ist das ein bisschen schwieriger, das dann auch …

Also, ist jetzt gar nicht so unbedingt sarkastisch gesagt, sondern das ist tatsächlich schwieriger, im Stadion zu sitzen und sechs Versuche. Also, man muss sich da schon sehr auf technische Disziplin konzentrieren, um da wirklich immer up to date zu sein.

Wuttke: Es gibt ja jetzt in Südkorea im deutschen Team nicht so viele Medaillenanwärter. Hat der Verband Ihrer Meinung nach recht, wenn er klagt, für eine gute Vorbereitung der Sportler zu wenig Geld zu haben, oder liegt das Problem für Sie ganz woanders?

Nerius: Ich denke, wir haben ziemlich viele gute Sportler vor Ort und insofern glaube ich nicht, dass wir da keine guten Erfolgschancen haben bei den Weltmeisterschaften. Was das Finanzielle anbetrifft, kann ich gar nichts zu sagen. Also, ich habe jetzt nur gehört, dass wir so viel wie noch nie Geld hatten, 2011, 2010. Insofern weiß ich es nicht.

Wuttke: Aber Sie haben doch Ihre eigenen Erfahrungen?

Nerius: Ja, ich habe das, was ich machen wollte an Trainingslagern, habe ich genehmigt bekommen, habe ich bezahlt bekommen, wenn ich einen Speer brauchte, habe ich einen Speer bekommen. Insofern ging es mir gut.

Wuttke: Kommen wir noch mal zum Hundertmeterlauf: Usain Bolt ist der Favorit, seine Chancen sind nach der krankheitsbedingten Absage von Asafa Powell möglicherweise noch gestiegen, zumal zwei weitere Titelaspiranten positiv getestet worden sind. Warum, glauben Sie, ist die Versuchung zu dopen offensichtlich immer noch größer als die Angst, erwischt zu werden?

Nerius: Ich glaube, es hängt tatsächlich davon ab, in was für einem System man groß geworden ist beziehungsweise in was für einem Land man auch wohnt. Und ich könnte durchaus verstehen, wenn Osteuropa – Jamaika kann ich jetzt nicht beurteilen, weiß ich nicht –, aber wenn man einfach die Chance hat …

Also, ich kann mich daran erinnern, 2004, Olympische Spiele in Griechenland, da hat der Olympia-Sieger eine lebenslange Rente bekommen. Wenn einer von Griechenland Olympia-Sieger geworden wäre, ein Haus am Meer und 250.000 Euro. Und in der Ukraine, wenn ich da eine Familie habe von 15 Familienmitgliedern und ich wüsste genau, wenn ich Olympia-Sieger werde, haben die ihr Leben lang ausgesorgt, das sind natürlich Anreize, wo ich durchaus verstehen kann, da geht man das Risiko ein. Zumal, wenn man erwischt wird, ist es so, dass das in zwei Jahren auch vergessen ist.

Wenn man in Deutschland das machen würde, ist man eigentlich sein ganzes Leben lang bestraft, wenn man einmal erwischt worden ist, denn das hängt einem an wie Pech. Jedenfalls ist es so, dass man manchmal noch gar nicht weiß, dann hat man drei Misstests, weil man dreimal nicht angetroffen worden ist, und mit einem Mal ist man positiv und wird zwei Jahre gesperrt und man hat verloren in Deutschland.

Und das Problem ist dann, was man gewinnt auf der anderen Seite, wenn man Olympia-Sieger wird in Deutschland, ist überhaupt gar nicht zu vergleichen. Insofern ist eigentlich dieses Risiko, was man hier eingeht, Schwachsinn. Also das bringt überhaupt gar nichts, weil man nur verliert.

Wuttke: Das heißt, Sie wären dann auch dafür, dass Sportler finanziell durch die Verbände abgesichert sein müssten, um Doping zu verhindern, weil Sie ja rekurrieren darauf, dass, wenn es den Leuten in ihrem normalen Leben schlecht geht, dann sind sie dopinganfälliger?

Nerius: Würde ich jetzt mal schon so behaupten. Das möchte ich natürlich jetzt nicht darauf schlussfolgern, dass es mehr Geld vom Verband geben soll, was natürlich schön wäre, aber grundsätzlich auch, was wir für ein Kontrollsystem haben in Deutschland. Und ich denke, auch in vielen – Großbritannien, Frankreich – europäischen Nachbarländern hat man gar keine Chance mehr, wirklich irgendwas zu machen, weil man einfach erwischt wird. Ich hatte aber auch nie den Anreiz, das zu machen, weil ich einfach stolz darauf war, meine Leistungen so erreicht zu haben, wie ich sie erreicht habe ohne irgendwelche Fremdmittel. Und insofern war das nie ein Thema für mich.

Die Kontrollen, die wir jetzt haben, die sind schon super. Wenn man das irgendwann mal schaffen sollte, das weltweit auch so dann durchzuziehen, wäre das natürlich perfekt.

Wuttke: Das heißt, dass jetzt in Südkorea zum ersten Mal bei einer Leichtathletik-WM auch Blutkontrollen durchgeführt werden, das ist gar nicht so erheblich für Sie?

Nerius: Das ist interessant, dass es tatsächlich auch viele Absagen gibt, wo man sich fragt, hm? – Die hätten im Zweifelsfall vielleicht mitgemacht, wenn sie gewusst hätten, dass da keine Blutkontrollen sind. Keine Ahnung, das ist jetzt ein bisschen Unterstellung, aber ich denke, dass einfach die Wissenschaft immer so versucht, ein Schrittchen weiterzukommen. Und für mich war es schon immer interessant: Kann man durch die Blutkontrollen nicht eventuell doch übers ganze Jahr verfolgen, was da passiert, und nicht durch eine Urinkontrolle, was in den letzten drei Wochen passiert ist? Und insofern wird es immer spannender und vielleicht, das wäre natürlich super, schafft man das, dass vielleicht nur noch zehn Prozent dopen. Und insofern ist alles auf dem richtigen Weg.

Wuttke: Schon jetzt heißt es ja, die Leichtathletik-WM hätte ein Image-Problem und jetzt in Südkorea gäbe es nicht genügend Stars. Frau Nerius, könnten Sie sich vorstellen, dass der beinamputierte Oscar Pistorius am Ende auch beim Publikum allen den Rang abläuft?

Nerius: Also grundsätzlich bin ich natürlich Trainerin im Behindertensport und finde es grundsätzlich erst mal super im Zuge der Integration, dass so jemand im nichtbehinderten Feld mitlaufen kann. Wobei ich da geteilter Meinung bin, ob das jetzt unbedingt bei den Weltmeisterschaften oder Olympischen Spielen sein muss …

Wuttke: … warum?

Nerius: Ja, ich finde also, bei Meetings finde ich es super. Aber es ist einfach so, dass es Regularien gibt, und dann ist meines Wissens da, dass keine künstlichen Gelenke erlaubt sind. Also, ich musste mir tatsächlich auch einen Tapeverband von meinem Mittelfinger abmachen, obwohl ich mir das immer aufgerissen habe, und es steht einfach in den Regularien, dass es verboten ist, entweder Gelenke zu fixieren, zu tapen, oder halt künstliche Gelenke zu haben.

Und ich glaube, wenn einer richtig athletisch ist, dass der ohne Probleme einen Weltrekord läuft mit so einer Behinderung im nichtbehinderten Bereich … Insofern wird es Diskussionsstoff geben und ich denke, spätestens wenn er schneller läuft als die anderen, wird das auch nicht mehr erlaubt sein.

Wuttke: Das heißt, Sie wären durchaus dafür, dass Sport von Behinderten und Nichtbehinderten weiter getrennt wird?

Nerius: Ja. Das soll gar nicht negativ sein. Ich denke, der Behindertensport tut sich gar keinen Gefallen damit, wenn wer permanent mit einem Nichtbehinderten verglichen wird. Und insofern denke ich, spreche ich da eher im Namen mehrerer Athleten, dass das getrennt bleibt, weil dann geht es total unter.

Und wir sind gerade dabei eigentlich im Behindertensport, dass das Ansehen eigentlich oder beziehungsweise die Popularität und das Medieninteresse größer wird, und ich glaube nicht, dass wir uns damit einen Gefallen tun würden.

Wuttke: Aber entscheidend ist ja in der Welt des Sports, Liebling des Publikums zu sein, oder?

Nerius: Auf jeden Fall. Und deswegen ist es super für den Behindertensport, dass ein Oscar Pistorius einfach die Medien auf sich zieht, das Ganze interessant macht, den Behindertensport einfach so ein bisschen ins Rampenlicht stellt. Und ich denke, der Usain Bolt tut der Leichtathletik auch supergut. Das ist einfach so ein Showman, dadurch kommen viele Leute ins Stadion und unterstützen das. Und für die PR, für die Marketingstrategie der Leichtathletik ist das perfekt.

Wuttke: Am Tag des Beginns der Leichtathletik-Weltmeisterschaft in Südkorea im Interview der "Ortszeit" von Deutschlandradio Kultur die amtierende Weltmeisterin im Speerwurf, Steffi Nerius. Frau Nerius, besten Dank und schönen Tag!

Nerius: Danke, gleichfalls! Tschüss!


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