Die Konkursverwalter

30.06.2010
Der Publizist Ed Stuhler schaut weniger auf "die letzten Monate der DDR", wie der Titel nahelegt, sondern vor allem auf ihre östlichen Konkursverwalter. Die Zeitzeugen loben sich nach Kräften und lästern über die Weggefährten.
Am 12. April 1990 wählte die DDR-Volkskammer die Regierung unter Ministerpräsident Lothar de Maizière, 199 Tage amtierte sie und hatte von Anfang an einen beinahe irrwitzigen Auftrag: sich selbst abzuwickeln und ihren Staat gleich mit. "Laienspieler" nannte der Bayer Max Streibl die Truppe, und dieses Wort traf es in jeder Hinsicht.

Der Umschlag von Stuhlers Buch zeigt das Foto zweier Deutscher in bedrohlicher Umarmung: hier der massige Westler Kohl, da der schmächtige Ossi de Maizière, der Riese und der Zwerg. Eine schöne Metapher auf den Vereinigungsprozess. Doch der Titel trifft Stuhlers Anliegen nur bedingt: Der Autor schaut nicht auf "die letzten Monate der DDR", sondern lediglich auf ihre östlichen Konkursverwalter.

Was bleibt haften bei der Lektüre dieses Buches? Dass die Regierenden in Ost-Berlin unter permanenter Überforderung litten. Dass die "Ossis" im großen, internationalen Rahmen kaum gehört wurden. Dass es auch einen anderen, einen faireren Weg zur Einheit gegeben hätte als den per Beitritt nach Artikel 23 Grundgesetz. Dass zwar nur wenige, aber wichtige ostdeutsche Ansprüche im Einigungsvertrag fixiert wurden. Etwa die Anerkennung der Berufsabschlüsse. Oder die Schaffung von Naturparks auf 4 Prozent der DDR-Fläche. (In der alten Bundesrepublik waren es 0,4 Prozent.) Und, ach ja, die Vizeregierungssprecherin, "Mädchen" genannt, kam bisweilen in Jesuslatschen zur Arbeit - Angela Merkel.

Zwei Eigenheiten des Buchs stören bei der Lektüre: die Perspektive des Autors und die Machart seines Textes. Drei Dutzend Zeitzeugen wurden interviewt – viel zu viele, auch zu viele zweitrangige Figuren. Alle steckten damals im Politikbetrieb; "normale" Menschen, außenstehende Kritiker kommen nicht zu Wort. Die Zeitzeugen loben sich nach Kräften, und sie lästern über die Weggefährten. (Einige Ex-Minister wollten das Buch deshalb verbieten lassen.) Der Autor hat die Ex-Politiker nicht selbst interviewt, er nutzte das Material von Kollegen, entstanden für eine Fernseh-Dokumentation.

Dem aufmerksamen Leser drängt sich der Eindruck auf: Stuhler hat offenbar unzulänglich recherchiert, und, noch schlimmer: Er wertet nicht. Jede Behauptung, jeder Widerspruch bleibt stehen. Es fehlt an Distanz, Übersicht, an Einordnung durch Experten. Die Interviews wurden zu einer Art O-Ton-Collage verdichtet. Sprich: Es gibt kaum Autorentext, fast nur Zitate; manche gehen über Seiten, da verliert man rasch die Orientierung. Das macht – schade! - die Lektüre phasenweise zur Zumutung.
Für Ostalgiker bietet das Buch zum Glück wenig. Und als Materialsammlung mag es eines Tages wichtig werden. Stuhler schreibt, er wollte "das Besondere dieser Tage und die Motivationen der Akteure" dem Leser näherbringen. Dies zumindest ist ihm gelungen.

Über den Autor:
Ed Stuhler: Geboren 1945 in Schönebeck/Elbe. Machte Anfang der 60er-Jahre eine Lehre als Gummifacharbeiter. Wurde später Chemieingenieur und, Ende der 70er, Kultur- und Literaturwissenschaftler. Arbeitet seither als freischaffender Publizist, Text- und Buchautor. Veröffentlichte in den letzten Jahren diverse Arbeiten über Erich und Margot Honecker.


Besprochen von Uwe Stolzmann

Ed Stuhler: Die letzten Monate der DDR. Die Regierung de Maizière und ihr Weg zur deutschen Einheit.
Ch. Links Verlag, Berlin 2010. 247 S., 19,90 Euro.