Die Komponistin und Pianistin Maria Herz

Im Exil des Vergessens

55:22 Minuten
Auf einer bräunlichen Fotografie ist ein Paar in einem Garten zu sehen, das in die Kamera lächelt.
Maria Herz erhielt Unterstützung von ihrem Mann. © Zentralbibliothek Zürich
Von Georg Beck · 11.12.2020
Maria Herz. 1920 konnte sie sich in Köln als Komponistin mit Liedern, Kammermusik und Orchesterwerken etablieren. 1935 verstummte sie im erzwungenen Exil. Ihre Musik blieb in den Schubkästen. In Zürich kann ihr Nachlass nun entdeckt werden.
Bis vor kurzem kannte niemand diesen Namen: Maria Herz. Wer war diese Frau, die sich als Pianistin und Komponistin in den 1920er Jahren in Köln etablieren konnte?

Musikalische Frühförderung

Am Anfang steht ein musikliebendes Elternhaus. Geboren als Maria Bing am 19. August 1878 als jüngstes Kind einer jüdischen Kölner Textildynastie, erhält sie früh eine professionelle Ausbildung in der Klavierklasse von Max Pauer, Professor am Kölner Konservatorium.
Eine nachkolorierte Stadtansicht vom Rheinufer der Stadt Köln mit fertig erstelltem Dom und viele historische Gebäude am Ufer samt alten Dampfschiffen auf dem Fluss.
Rheinischer Abend, wie ihn Maria Herz in ihrer aktiven Zeit in dieser Stadt erlebt hatte - historische Ansicht der Stadt, die in den späten 1910er-Jahren festgehalten wurde.© imago images / United Archives
Nach der Heirat 1901 mit dem Kölner Chemiker Albert Herz und dem Umzug der Familie nach England, nimmt Maria Herz Kompositionsunterricht bei dem Komponisten und Kunstmaler Arthur Edmund Grimshaw, schreibt erste Werke im romantischen Stil, veranstaltet kommentierte Konzerte, in denen sie als Pianistin und Komponistin, aber auch als Referentin in Erscheinung tritt.

Gestrandet in Köln

Ein Besuch der Familie in Köln im Sommer 1914 hat Folgen. Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs verhindert die Rückkehr der Familie nach England. Sie muss mit den vier Kindern in Köln bleiben.
Nach dem frühen Tod des Ehemanns nimmt Maria Herz erneut Kompositionsunterricht, zunächst bei August von Othegraven und Hermann Hans Wetzler, ab 1927 auch beim angesehenen Komponisten Philipp Jarnach. Zum Freundeskreis zählt der Dirigent Otto Klemperer, erster Kapellmeister an der Kölner Oper.

Erfolge unter männlichem Namen

1926 setzt die Komponistin den Vornamen ihres verstorbenen Ehemannes vor ihren Namen, im Bemühen, im männerdominierten Geschäft als Albert Maria Herz besser Fuß zu fassen, was auch gelingt. Regelmäßig werden nun ihre neuen Werke gespielt, den Höhepunkt bildet die Uraufführung der "Vier kleinen Orchestersätze" op. 8 am 15. Oktober 1928 im Kölner Gürzenich unter Hermann Abendroth.
Zwei historische Bilder zeigen Bilder einer jungen Frau mit damals typisch hochgesteckten, dunklen Haaren.
Der Enkel Albert Herz hat diese Bilder seiner Großmutter Maria Herz in seiner Sammlung. Rechts ein Bild als junge, unverheiratete Frau.© Maria Herz / Privatsammlung Albert Herz
Bis 1934 schuf Maria Herz rund 30 Werke – Orchesterwerke und Solokonzerte, Kammermusik und Klavierlieder. Von der politischen Entwicklung ins Exil getrieben, geht sie zunächst nach England, übersiedelt nach dem Zweiten Weltkrieg nach New York, wo sie am 22. Oktober 1950 im Alter von 72 Jahren stirbt.

Neue Aufmerksamkeit durch Schenkung

Der Nachlass blieb bei Nachfahren in den Vereinigten Staaten, bis ihn der in Zürich wohnhafte Enkel Albert Herz 1995 in die Schweiz überführte und 2015 der Zentralbibliothek Zürich schenkte. Seitdem wird die Musik von Maria Herz wiederentdeckt, ihre Werke wieder aufgeführt.

Im Zickzack durch Europa

Seit 1934 war sie auf dem Sprung gewesen: Ihre Geburtsstadt Köln ist ein ungastliches Pflaster geworden. Wie ein gehetztes Tier irrt sie durchs Hakenkreuzland, mal hier mal dort zur Untermiete, in Berlin, in Trier, wo eine ihrer Töchter eine Töpferwerkstatt betreibt.
Im Februar 1935 erreicht sie London, geht dann wieder nach Europa. Dieses Mal in die Schweiz, hat auch dort wechselnde Adressen. Zwischendrin ist sie in Paris, in Lyon, wieder in der Schweiz, wieder in Lyon. Die Route ihrer Aufenthaltsorte ist in diesen Jahren ein einziger Zickzack-Kurs. Bis sich Maria Herz Mitte 1938 endgültig in ihrem englischen Exil einrichten wird, bleibt sie ruhelos, ist permanent unterwegs, als könne sie sich einfach nicht damit abfinden, dass ihr alles genommen ist – ihr Zuhause, ihre Familie, ihre Sicherheit, ihre Hoffnungen, ihr Beruf.

Momente des Exils

In der Sendung wird die Zeit beleuchtet, die Maria Herz während des 2. Weltkriegs in Birmingham verbringt. Die Stadt, damals schon die zweitgrößte des Vereinigten Königreichs, wird zum Zufluchtsort. Sie bezieht im Winter des Jahres 1940 im Stadtteil King's Norton ein Haus. Bis 1945 wird sie dortbleiben, mit ihrem Sohn Robert zusammenleben – es wird ihr Kriegs-Exil sein.

Neuorientierung

Dort wird sie ausharren und teilnehmen an den Unternehmungen, den Bestrebungen ihrer anderen drei Kinder, die verstreut in der Welt leben: in der Schweiz, in den Vereinigten Staaten, wird teilnehmen am Schicksal des Landes, des Kontinents – und sie wird ihren Weg in der Musik weitergehen, wenn auch anders als zuvor – notgedrungen anders: Sie hört Radiokonzerte, sie konzipiert Vorträge, sie schreibt Briefe, sie gärtnert.

Frühes Verstummen

Was sie selbst angeht, wendet sie sich als Künstlerin – gegen Ende ihrer Komponistentätigkeit – mehr der Vergangenheit zu. In ihrem letzten Werk, dem Konzert für Klavier, Flöte und Streicher adaptiert sie barocke Formen.
Dies scheint ihr Hoffnung gegeben zu haben auf Verlässlichkeit, auf Grund am Rande von Abgrund. Warum dies ihre letzte Komposition geworden ist, darüber hat sich Maria Herz später nie geäußert. Fest steht: die Partitur zu diesem Concerto hat Maria Herz noch mit ins Exil genommen, hat das Stück im Exil zu Ende geschrieben und danach nie wieder etwas, keine einzige Note mehr.

Späte Uraufführung

Anzumerken bleibt nur soviel, dass diese neoklassizistische Musik erst 85 Jahre später uraufgeführt wird – im Herbst 2020 in Zürich, dort, wo heute der Enkel von Maria Herz wohnt, Albert Herz, der gerade einmal vier Jahre alt gewesen ist, als er seine Großmutter, 1949, zum ersten und letzten Mal gesehen hatte.
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