Die Klarinette als Mikrofon seiner Seele

Von Ita Niehaus |
"Er schlägt Brücken zwischen Generationen, Kulturen und Schichten, und er tut es mit vollendeter Kunst" sagte Leonard Bernstein einmal über ihn. Heute wird er 75 Jahre alt: Giora Feidman.
Giora Feidman: "Sogar wenn ich Mozart spiele im Konzert, komme ich immer durch die Eingangshalle auf die Bühne. Weil ich dieses Programm im Gehirn stoppen will: Man kauft eine Karte, setzt sich hin, der Künstler steht im Scheinwerferlicht, als wenn er etwas Besonderes wäre. Ich muss das Gehirn aus- schalten zwischen Gefühl und Seele. Damit wir fühlen können. Denn wir können Musik nicht ver- stehen, wir müssen sie fühlen."
Musik ist für Giora Feidman geistige Nahrung, ohne die wir nicht leben können. Sie ist eine "Sprache der innersten Seele", die alle Menschen auf der ganzen Welt verstehen. Und die Klarinette ist das Mikrofon seiner Seele, wie er selber sagt.

Giora Feidman: "Die Botschaft von Musik sollte sein, dass Musik die Kanäle öffnen kann, um Liebe auszudrücken. Das ist die Aufgabe des Künstlers, die Menschen in die Lage zu versetzen, Liebe zu fühlen. Das ist, was ich gelernt habe. Ich bin ein Sänger. Ein Klezmer spielt nicht, er singt. Singen ist eine Notwendigkeit, es ist kein Talent, keine Privileg, kein Beruf. Jeder ist ein Sänger und Tänzer. Du isst, du trinkst, du schläfst und genauso musst du auch singen und tanzen."

Alles verbindet sich zu einer Einheit. "Du gehst, du sprichst, du singst, du tanzt" hat Giora Feidman seine Erinnerungen genannt, die gerade erschienen sind. Sie zu schreiben, war eine ganz besondere Erfahrung.

Giora Feidman: "Weil ich viele Dinge entdeckt habe. Deine Mutter und dein Vater etwa, sie haben den größten Einfluss auf dein Leben. Ob du willst oder nicht. Während ich das Buch schrieb, habe ich sie ganz neu kennengelernt."

Giora Feidman wurde als Sohn jüdischer Einwanderer aus Bessarabien 1926 in Argentinien geboren. Er wuchs in einer Familie auf, in der es seit Generationen schon immer Berufsmusiker gab, die Klezmer gespielt haben, auf Hochzeiten etwa. Sein Vater war damals eine Berühmtheit in Argentinien. Und er war sein erster Lehrer.
Giora Feidman: "”Er war ein Guru. Als ich das Buch schrieb, entdeckte ich, eigentlich ist er kein Lehrer. Man ist ein Lehrer, wenn man fünf Schüler unterrichtet. Aber wenn du ein Guru bist, unterrichtest du nicht, dann transportierst du Energie. Er hat der Gemeinschaft gedient, seine Erfahrungen geteilt, er hat mich rausgeschickt, auf einer Hochzeit zu spielen oder im wichtigsten Orchester von Buenos Aires. Alles, was mein Vater mir beigebracht hat, ob Hochzeitsfeier oder Konzertsaal, Musik ist eine Sprache.""

Als Musiker ein Diener der Gemeinschaft zu sein - diese Einstellung hat Giora Feidman durchs ganze Leben geleitet. Mit 18 Jahren wurde er Klarinettist im Orchester des Teatro Colón in Buenos Aires, mit 21 Bassklarinettist im Israel Philharmonic Orchestra, dem er 18 Jahre lang angehörte. Zu Beginn der Siebzigerjahre gab Feidman seine ersten Klezmer Konzerte.

Giora Feidman: "”Wie ich im Buch sage: das Wort Klezmer besteht aus 2 hebräischen Wörtern kle zemerr. Unser Körper ist ein Instrument, ein Gefäß des Liedes, mit einer Stimme, um die Sprache auszudrücken, die man Musik nennt. Punkt. Es macht keinen Unterschied zwischen Klassik, Folklore oder Jazz. Es gibt nur eine Sprache: Musik.""

Giora Feidman wird auch König des Klezmer genannt, doch das wird seiner Vielseitigkeit nicht gerecht. Mozart, Gershwin, Bach, biblische Gesänge, Jazz - all das gehört zu seinem Repertoire. Immer wieder hat er auch in Film- und Theaterproduktionen mitgespielt.

Seinen großen Durchbruch in Deutschland hatte Giora Feidman 1984 in Peter Zadeks inzwischen legendärer "Ghetto"-Inszenierung. In seinen Erinnerungen beschreibt er, wie er damals an seine Grenzen stieß, als er bei den Proben mit Männern in NS-Uniformen Tag für Tag auf der Bühne stand. Er war kurz davor abzubrechen, doch er blieb.

Giora Feidman: "Gott hat mich gesandt. Und da kann man nicht nein sagen. Du spürst die Energie und dann musst du es tun. Du hast keine Möglichkeit, ja oder nein zu sagen. Gott hat mich gesandt, diese Rolle zu spielen."

Giora Feidman will Brücken bauen und zu Frieden und Versöhnung beitragen zwischen Völkern und Religionen. Die Aussöhnung zwischen Deutschen und Juden ist für ihn weitgehend abgeschlossen.

Giora Feidman: "Ich muss mich nicht aussöhnen mit jemandem, der 60 Jahre alt ist, er war nicht daran beteiligt. Es gibt die Sorge, sie würden es wieder tun. Nein, das werden sie nicht, das wird niemand."

Seit fast 50 Jahren lebt Feidman hauptächlich in Israel. Er wünscht sich vor allem eines.
Giora Feidman: "Frieden schließen mit den Palästinensern, solange ich noch lange, das ist wirklich ein ganz starkes Gefühl. Wir müssen eine Lösung finden, wir müssen aufhören, uns umzubringen, wir müssen es stoppen."

75 Jahre wird Giora Feidman - und seine Karriere ist noch längst nicht beendet. 75 Jahre, das ist aber schon einmal ein Anlass, ein bisschen zurückzublicken.

Giora Feidman: "”Ich hatte ein schönes Leben. Weil ich gelernt habe, Respekt vor der Musik zu haben. ich kann im selben Konzert Piazolla, Mozart oder was man Klezmer nennt, spielen. Ich kann es tun, weil es Musik ist. Ganz einfach.""