Die Kita-Klemme

Von Claudia van Laak, Britta Mersch und Anke Petermann |
Es ist immer noch nicht ganz klar, wie viele Kitaplätze in Deutschland im August fehlen werden, wenn jedes Kind unter drei Jahren einen Rechtsanspruch auf Außerhausbetreuung hat. Fakt ist: Es fehlen Plätze. Die Situation ist bundesweit aber sehr unterschiedlich.
Deutschlandweit erwartet man, dass etwa 40 Prozent der unter Dreijährigen einen Kitaplatz brauchen, in den Ballungszentren liegt die Zahl bei bis zu 60 Prozent. Folgt man diesen Schätzungen fehlen in den Ballungszentren bundesweit immer noch 150.000 Plätze.

Auf dem Land hingegen scheint die Lage besser auszusehen. Der Deutsche Landkreistag geht davon aus, dass in 70 Prozent der Landkreise Eltern auf jeden Fall einen Betreuungsplatz bekommen, in 22 Prozent würden fast alle Kinder untergebracht. Vor allem in Nordrhein-Westfalen werden große Engpässe erwartet so Christian Ude, Präsident des Deutschen Städtetags:

"Die schwierigsten Konstellationen haben wir in Städten in einigen alten Bundesländern, vor allem im Ruhrgebiet. Da liegt das Angebot zum Teil noch bei unter 25 Prozent und der Bedarf könnte doppelt so hoch sein und da wird es zu tatsächlichen Verwerfungen kommen und auch zu Klagen, so fürchten wir."

Viel zu wenig Kita-Plätze in NRW
Die Situation ist tatsächlich nicht gut in NRW: Für rund 437.000 Kinder unter drei Jahren stehen nach aktuellem Stad nur 145.000 Betreuungsplätze zur Verfügung. Die Plätze reichen also noch längst nicht aus. Hektisch versucht man jetzt, die Lage noch in den Griff zu bekommen. Britta Mersch hat sich in Köln umgehört, wo es alles andere als leicht ist, einen Kita-Platz zu finden

Kind: "Dann gehen wir zu Robin."
Mutter: "Dann gehen wir zu Robin."
Kind: "Dann kann der auch einen Kuchen essen."

Nina Sawatzki hat ihre Tochter Jula-Marie gerade von der Kita abgeholt. Jula-Marie ist zweieinhalb Jahre alt und geht in eine Kita im Kölner Stadtteil Nippes. Ganz glücklich ist ihre Mutter mit der Einrichtung aber nicht:

"Das ist eine Kita, die sich neu gebildet hatte und die hatten ziemliche Anlaufprobleme, bis sich das Team gefestigt hatte und meiner Meinung nach war es auch zu wenig transparent, der Informationsfluss von der Leitung bis über die Erzieher war oft sehr mager und durch den ständigen Personalwechsel, die hatten innerhalb von einem Jahr sechs, sieben Leute, die gekommen und gegangen sind, war das für Kinder in dem Alter sehr schwierig, da Bezugspersonen zu finden."

Einfach wechseln kann Nina Sawatzki die Kita aber nicht. Denn in Köln gestaltet sich die Suche nach einem Betreuungsplatz schwierig. Als Jula-Marie etwa zwei Monate alt war, hat sich Nina Sawatzki nach einer geeigneten Kita umgesehen. Mit mäßigem Erfolg:

Illusionen werden schnell genommen
Im "Man geht mit der Einstellung ran, man guckt sich Kitas an und findet dann eine Traumkita und bekommt einen Platz. (...) Die Illusion wurde einem eigentlich relativ schnell genommen, dadurch dass dann auch in den Kitas, wenn man die Anmeldebögen herausschreibt, man einfach auch auf bestimmte Wartelisten gesetzt wird und man sieht dann wirklich diese Leitz-Ordner vor einem liegen und wird ganz hinten drauf geheftet und das ist dann so die Warteliste. Insofern ist das ein bisschen demotivierend."

Moment stehen in Köln für 34 Prozent der Kinder unter drei Jahren Betreuungsplätze zur Verfügung. Zum neuen Kindergartenjahr soll die Quote auf 40 Prozent steigen, dann soll es insgesamt rund 11.900 Plätze geben. Zum Vergleich: Vor sieben Jahren gab es in der U3-Betreuung nur 2300 Plätze. Dr. Agnes Klein, Jugenddezernentin der Stadt Köln, geht davon aus, dass der Bedarf noch nicht gedeckt ist.

"Land und Bund gehen von 32 Prozent aus. Wir haben einen Ratsbeschluss, der 40 Prozent festlegt. Das Deutsche Jugendinstitut geht im großstädtischen Raum von 60 bis 70 Prozent Bedarf aus. (...) Wir denken zunächst einmal, 40 Prozent ist eine Marge, mit der wir operieren und wir werden dann auch jetzt im Lauf schon die entsprechenden Erhöhungen in die Diskussion werfen. (...) Das heißt, wir planen jetzt intern schon Richtung 50 Prozent und so wird das weitergehen."

Wie groß der Bedarf tatsächlich sein wird, lässt sich noch nicht abschätzen. Die Zusagen an die Eltern wurden gerade verschickt. Aber weil sich viele Eltern bei mehreren Kitas anmelden, hat man noch keinen Hinweis auf die genaue Zahl der Bewerber. Für Nina Sawatzki immerhin ist eine Lösung in Sicht. Im Juni wird Jula-Marie in eine neue Kita gehen, im Kölner Stadtteil Ehrenfeld. Die Kita wird gerade neu gegründet:

"Im Grunde genommen waren das Eltern von der Kita, in der wir jetzt, die mit sehr viel Engagement sich da reingeklemmt haben und aus einer gewissen Unzufriedenheit mit der Situation, wie sie bis dato war, in der bisherigen Einrichtung, gesagt haben, sie wagen es, eine Elterninitiative zu gründen."

Eltern kümmern sich selbst um Kita-Versorgung
"Hier wird unser Atelier sein…."

Antonietta Abbruscato ist Vorstandsvorsitzende von Multikita e.V., dem Verein, der neu gegründet wurde, um die "Cheeky Bambini" ins Leben zu rufen, eine multilinguale Kindertagesstätte. Die Mutter von Zwillingen hat viel Kraft in die Gründung gesteckt, ehrenamtlich versteht sich.

"Die Idee hatte ich schon länger, weil es in Köln nur eine zweisprachige Kita gibt, mit Italienisch und sie hat auch keine Plätze und dazu kam auch noch, dass mein Mann Architekt ist und zufällig zwei, drei Kitas ausbaut und neu baut und über ihn bin ich an ganz viele Informationen gekommen und dann habe ich gedacht, ok, wir haben schon so viel Knowhow, warum sollen wir das nicht auch mal probieren."

Doch ganz problemlos verläuft so eine Neugründung nicht. Schwierig war vor allem die Suche nach einer geeigneten Immobilie.

"Wir hatten entweder Lagerhallen im Industriegebiet oder ehemalige Banken oder Ladenflächen, die überhaupt nicht geeignet waren und dann waren wir im ständigen Kontakt mit dem Landesjugendamt, das dafür zuständig ist, die Betriebserlaubnis zu erteilen. Nur damit kann man überhaupt eine Kita eröffnen und sie sagen immer, Daumen hoch, Daumen runter, ob die Räumlichkeiten geeignet sind."

Schließlich haben die Verantwortlichen ein Loft im Kölner Stadtteil Ehrenfeld gefunden. Ein schöner, heller Raum mit hohen Decken, Parkettböden und einem großen Garten. Vom Jugendamt bekommen die Gründer Mietzuschüsse, doch die reichen nicht aus:

"Das ist aber hier noch einen Tick teurer und wir haben eine horrende Maklerprovision bezahlt, die aber in den ganzen Anträgen überhaupt nicht erwähnt wird. Das heißt, dieses Geld mussten wir organisieren, ohne dass das überhaupt irgendwo vorgesehen ist, ohne dass wir Zuschüsse bekommen."

Mehr Unterstützung von öffentlicher Seite gewünscht
Von der Stadt Köln wünscht sich Antonietta Abbruscato mehr Beratung. Bestimmungen und Regelungen änderten sich oft, darüber werde man oft nur über Newsletter informiert. Jugenddezernentin Agnes Klein weiß, dass die Gründung einer Kita kein einfaches Geschäft ist:

"Da sind ja verschiedene Dinge zu beachten. Was wir zum Beispiel auch beispielhaft im Land NRW anbieten, gerade für die Investoren, ist eine Beratung in dem Sinne, dass sie ihr Grundstück und ihr Vorhaben bei der Stadt Köln in die Ämterrunde geben können. (...) Ist das ein Gelände, was z.B. in einem Bebauungsplangebiet liegt? Ist das kompatibel mit den Anforderungen des Bebauungsplans? (...) Es macht keinen Sinn, zum Beispiel sich ein Gelände auszusuchen, das mitten in einem Grünzug liegt."

Denn die Kölner wünschen sich, dass ihre Grünflächen erhalten bleiben. Selbst wenn die Stadt zurzeit kontinuierlich am Ausbau der U3-Plätze arbeitet – es lässt sich schon absehen, dass die Zahl der Plätze nicht reichen wird. Wie genau mit Klagen umgegangen wird und wer zum Beispiel für Schadenersatzansprüche aufkommen muss – ob das die Kommunen sind, die Länder oder der Bund – ist im Moment noch nicht geklärt. Agnes Klein macht Eltern darauf aufmerksam, dass auch ein Platz in der Tagespflege den Rechtsanspruch erfüllen kann. Aktuell seien noch 300 Plätze frei – und in der Tagespflege gebe es neue Lösungen:

"Viele Träger öffnen sich auch jetzt dafür, Großtagespflege zu errichten. Dann tun sich mehrere Tagespflegepersonen zusammen und können bis zu neun Kinder gemeinsam betreuen. Das ist ein sehr gutes Angebot, was wir auch gezielt unterstützen."

Ohnehin wünscht sich Agnes Klein, dass sie Angebote näher zusammenrücken und sie nicht in Konkurrenz zueinander stehen. Das heißt zum Beispiel, dass die Kinder aus Tagespflege und Kita auch mal zusammen spielen und gemeinsam gefördert werden. So könnte auch der spätere Wechsel von der Tagespflege in eine Kita gut gestaltet werden. Sicher ist: Die Betreuung der Kleinen wird die Stadt Köln noch viele Jahre beschäftigen, auf mehreren Ebenen. Denn die Geburtenzahlen steigen.


In Hessen ist die Situation etwas entspannter

Etwas entspannter als in Nordrhein Westfalen scheint die Situation in Hessen auszusehen. Zwar wird auch dieses Bundesland den Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für unter Dreijährige wohl nicht umsetzen können. Um dem Ziel aber näher zu kommen setzt die schwarzgelbe Landesregierung parallel zu den Bundes-Finanzhilfen zum Kitaausbau auch auf ein Kinderförderungsgesetz, das die Auslastung der Kitas ab 2014 verbessern soll.

Das kommt bei Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbänden und Opposition allerdings nicht besonders gut an. Und auf dem Land – wo es im Gegensatz zu Frankfurt und dem Rhein-Main-Speckgürtel, sehr gut aussieht mit den Kitaplätzen, erst recht nicht. Anke Petermann hat sich in der östlichen Wetterau zwischen Hanau und Fulda umgesehen.

Klara ist erst anderthalb, aber beim Brettspiel mit den hölzernen Früchten will sie unbedingt mitmachen. Ihr blondes Zöpfchen wippt auf dem Kopf, wenn sie würfelt. Sarah Otremba hat sechs Zwei- und Dreijährige um sich geschart, die Hälfte der "Flöhe". So heißen die Kleinsten in der Kita "Wirbelwind" in Kefenrod, östliche Wetterau. Sarah Otremba und ihr junger Kollege müssen auf Klara besonders gut aufpassen, denn die Kita ist auf Kleinkinder eigentlich nicht zugeschnitten. Kein separater Wickelraum, der Turnraum verwandelt sich erst nachmittags mit Hilfe mobiler Betten in einen Schlafraum, erzählt die Leiterin der beiden Kefenröder Kitas.

"Momentan sieht’s manchmal so aus, dass man ein müdes Kind auf dem Schoß hat, das dann mal ne halbe Stunde aufm Schoß schlafen muss, weil halt wirklich erst ab 13 Uhr der Schlafraum zur Verfügung steht."
Bärbel Bruss erklärt das Provisorium mit der überhasteten Reaktion auf die sinkenden Geburtenzahlen.

"Auf dem Land waren ja die Kitas nicht mehr ausgelastet, also wurden U3-Kinder aufgenommen. Aber das wurde immer so im Galoppverfahren gemacht, und vieles wurde nicht richtig durchdacht wie: Man nimmt Anderthalbjährige auf, aber man hat gar keinen Schlafraum. Ich meine, es funktioniert irgendwie, aber es gibt schon Tage, wo man denkt, Gott wenn man jetzt ein Bett hätte, könnte man das Kind hinlegen."

Vorbei die Zeit des planlosen Galopps
Mit der Einführung des Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz für die Kleinsten werden solche Wünsche wahr. Vorbei die Zeiten des planlosen Galopps. Pünktlich zum 1.8. will die Gemeinde Kefenrod ihre zweite Kita zur Krippe für unter Dreijährige umgebaut haben, mit Mini-Toiletten, getrennten Schlaf- und Wickelräumen, sowie kleinkindgerechtem Außengelände.

Sarah Otremba hatte fünf Stellenangebote fürs Anerkennungsjahr zur Auswahl, entschied sich für die Kefenröder Kita und nun dafür, ab 1.8. in die umgebaute Krippe im Nachbarort umzuziehen.

"Und ich denke schon, dass das einfach schon entspannter wird und man einfach mehr auf die Bedürfnisse eingehen kann."

20 Plätze in zwei Gruppen bietet das "Zwergenland" ab August, mit einer Öffnungszeit von 7 bis 17 Uhr. 17 von 20 Plätzen sind besetzt, Wartelisten gibt es nicht. In Kefenrod wird der Rechtsanspruch eingelöst. Wie wohl, so schätzt Bärbel Bruss, in den meisten Gemeinden der östlichen Wetterau, die bis zum Sommer noch fleißig an-, um- und ausbauen.

Parallel dazu will die schwarzgelbe Landesregierung die Finanzierung der Kitas mit einem Kinderförderungsgesetz auf neue Füße stellen. Die höchste Förderung gibt es für maximal ausgelastete Gruppen. Mit dem Rechtsanspruch auf Betreuung für unter Dreijährige habe das neue Gesetz aber nichts zu tun, versichert Hessens Sozialminister von der CDU. Gerhard Merz von der SPD hält dagegen. Dass man die Kita-Förderung nun von besetzten Plätzen abhängig machen wolle, sei sehr wohl eine Reaktion auf den Mehrbedarf bei den unter Dreijährigen.

"Weil eine der Grundannahmen für dieses Gesetzes ist: besser ein schlechter Platz als gar kein Platz."

Kinderbetreuung wird zur Chefsache
Im Krippenbereich scheiterte jedenfalls soeben der Vorstoß, die Gruppen zu vergrößern. Tausende von Menschen hatten in ganz Hessen gegen den Entwurf zum Kinderförderungsgesetz demonstriert. Nun macht Ministerpräsident Volker Bouffier von der CDU die Kleinstkindbetreuung mit Nachbesserungen zur Chefsache:

"In ganz Hessen gibt es keine Gruppe die größer ist als 12 Kinder, trotzdem wurde die Diskussion ständig geführt, dass bis zu 16 Kinder theoretisch jetzt in eine Gruppe hineinkommen sollen. Das war weder gewollt, noch ist das sinnvoll, aber um das klarzustellen, werden wir im Gesetzt auch festschreiben, dass es bei höchstens 12 Kindern bleiben muss."

Bei den Kleinsten jedenfalls. Die höchste Förderung kommt also den Kitas zu, die ihre Gruppen mit einem Dutzend Ein- bis Dreijähriger auslasten, und mit 25 älteren Kindergartenkindern. Aber, so bemängelt Gerhard Merz von der SPD:

"Wer das nicht kann oder wer das nicht will, der verzichtet auf einen Anteil von Landesförderung und die Kitas im ländlichen Raum, da ist der Punkt, dass sie das häufig gar nicht können. Dieser Mechanismus wird einen Druck ausüben zum Zusammenlegen von Einrichtungen zur betriebswirtschaftlichen Optimierung. Deswegen ist ja meine Parole seit langem, dass dieses Gesetz eigentlich heißen müsste 'Gesetz zur betriebswirtschaftlichen Optimierung des Führens von Kindertagesstätten' und nicht 'Kinderförderungsgesetz'."

Beim Einlösen des Rechtsanspruchs auf Betreuung für die Kleinsten, so schätzt der Oppositionspolitiker, kommt Hessen mit einem blauen Auge davon. Doch die Unterfinanzierung der frühkindlichen Bildung durch das Land behebe das Kinderförderungsgesetz nicht. Vor der Sommerpause soll es verabschiedet werden.


Im Osten kein Horror
Das wird also weiter zu beobachten sein. Ein Sache die der Blick auf die Statistik heute schon zeigt: Im Vergleich zum Westen ist der Osten Deutschlands ein Paradies in punkto Kita- und Krippenversorgung. Deshalb ist für die Kommunen in den neuen Ländern auch der 1.August kein Horror-Termin – fast alle Eltern, die einen Krippenplatz für ihr unter Dreijähriges Kind haben wollen, dürften auch einen bekommen. Berlin weicht allerdings ein wenig ab vom guten Trend. Claudia van Laak wirft einen Blick auf die Hauptstadt und ihr Brandenburger Umland.

Musikstunde im Kindergarten in Caputh, etwa 20 Kilometer südwestlich der Berliner Stadtgrenze. Ein großes neues Gebäude direkt am Schwielowsee. Bewegungsraum, Speisesaal, draußen ein großer Garten mit alten Bäumen, ein Spielplatz.

"Wir haben das große Glück, ich denke auch aufgrund unserer idyllischen Lage hier, dass die Leute eigentlich gerne hierher kommen. Und wir wirklich sagen können, dass wir personell eigentlich fast immer richtig ausgestattet sind."

freut sich Kitaleiterin Claudia Cremer. Bevor die 41-Jährige nach Caputh kam, arbeitete sie viele Jahre lang in Berliner Kitas. Die guten Arbeitsbedingungen in Caputh gaben den Ausschlag für den Wechsel von Claudia Cremer nach Brandenburg. Dazu kommt: Die Erzieherinnen sind Angestellte der Gemeinde Schwielowsee und werden deshalb nach Tarif bezahlt. Das Essen für die Kindergarten-, die Schulkinder und die Pädagogen bereitet ein eigens angestellter Koch zu, Tiefkühlkost und Vorgekochtes sind tabu.

"Das war von vorneherein hier auch in der Gemeinde so, dass man sich entschieden hat, dass wir in allen unseren Kitas eigene Küchen haben, eigenes Personal beschäftigen. Dass hier mit regionalen Produkten gekocht wird."

Die dadurch entstehenden höheren Kosten trägt die Gemeinde, Bürgermeisterin und Gemeinderat ziehen an einem Strang. In den drei Ortsteilen von Schwielowsee Caputh, Ferch und Geltow - besuchen fast alle Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren eine der drei gemeindeeigenen Kitas. Bei den unter Dreijährigen sind es 65 Prozent – das dürfte ein bundesweiter Spitzenwert sein. Deshalb hat Bürgermeisterin Kerstin Hoppe auch keine Angst vor dem 1. August – dem Datum, an dem der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz in Kraft tritt.

"Wir haben bisher wirklich die Kraft gehabt, jedem einen Platz anbieten zu können."

Bildung als Standortfaktor
Kerstin Hoppe ist Mitglied der CDU und stellvertretende Bundesvorsitzende der kommunalpolitischen Vereinigung ihrer Partei. In dieser Funktion kommt sie viel herum. Nach wie vor wundert sie sich über das Familienbild vieler Parteifreunde im Westen der Republik. Für die 47-Jährige ist es selbstverständlich, dass Mütter nach der Schwangerschaft schnell wieder in ihren Beruf einsteigen wollen und dass sie als Bürgermeisterin das Wohl der Kinder in ihrer Gemeinde ganz oben anstellt.

"Es geht ja darum, dass gerade die Frage: Habe ich eine gute Kindertagesstätte? Habe ich eine tolle Grundschule? Diese Frage ist ein Standortfaktor bei der Entscheidung der Eltern, hierherzuziehen."

Bildung als Standortfaktor – die komfortable Kita- und Schulsituation dürfte ein Grund dafür sein, dass die Gemeinde wächst – gegen den Brandenburger Trend. Schwielowsee gibt mehr Geld als andere Kommunen für seine Kinder aus. Ganz bewusst, sagt CDU-Bürgermeisterin Hoppe.

"Also, ich würde immer sagen, es ist niemals eine Belastung, weil, es ist eine Hauptaufgabe, der wir uns stellen, die für uns verpflichtend ist. Und wir haben natürlich Eigenanteile zu tragen. Aber, die tragen wir gerne, weil, die Kinder sind ja unsere Zukunft."

Der Kontrast könnte größer nicht sein: In Caputh hören die Kinder das Plätschern des Schwielowsees und das Zwitschern der Vögel. In Berlin-Marzahn Auto-, Straßenbahn- und S-Bahn-Lärm.
In Caputh blicken sie auf Wasser, Schilf und Erlen, in Marzahn auf Plattenbauten, Discounter, Möbelmärkte. Direkt unter der neu eröffneten Kita der Arbeiterwohlfahrt in der Marzahner Chaussee: eine Spielothek und eine Fast-Food-Kette mit Drive-in. Uta Erben von der AWO:

"Auch für mich war das im ersten Moment: Oh, McDonald, geht eigentlich gar nicht, und die Spielothek, das geht eigentlich gar nicht. Und dann hab ich mir die Räume angeguckt und konnte mir dann aber vorstellen, wie das aussehen könnte, wenn man Gruppenräume schafft."

Florian, Colin, Beverly und die anderen sitzen bei Fleischklößchen und Kroketten um einen runden Tisch. Eine Handvoll Kinder und zwei Erzieher in einem riesigen Raum, in dem mindestens 50 Hungrige versorgt werden können. Die im Januar eröffnete Kita der Arbeiterwohlfahrt in Berlin-Marzahn könnte theoretisch 125 Kinder aufnehmen. Doch im Moment dürfen nur 30 kommen.

Kitas sind da - aber es fehlt Personal
"Also die Plätze werden gebraucht, aber die Mitarbeiter sind nicht da."

erläutert Uta Erben von der AWO.

"Wir haben in allen Kindertagesstätten Personalbedarf, und gerade wenn man neue Einrichtungen eröffnet oder erweitert, ist es sehr schwer, neues Personal zu finden."

Ein generelles Problem, nicht nur in Berlin. Erzieherinnen und Erzieher sind begehrt, können sich Arbeitgeber und Kita aussuchen – und dürften sich deshalb eher gegen den Bezirk Marzahn-Hellersdorf entscheiden. Das weiß auch Bezirksstadträtin Julia Witt von der Linken.

"Dass natürlich Bezirke wie Pankow, wie Kreuzberg, wie die Innenstadtbezirke für junge Frauen natürlich attraktiver als Arbeitsumfeld sind. Weil sie dann sagen, da bin ich mitten in der Stadt."

Wer allerdings Wert darauf legt, am Aufbau und der Konzeption einer neuen Kita mitzuwirken und sich nicht an Spielothek und McDonalds im Haus stört, der ist an der Marzahner Chaussee richtig. Sebastian Zetsche zum Beispiel, einer von fünf Erziehern. Dass sich trotz des großen Personalmangels nur wenige für diesen Beruf entscheiden, kann er aber gut verstehen.

"Er ist unattraktiv. Das soziale Ansehen ist für den Beruf nicht da. Die Bezahlung schreckt viele Menschen ab, brutto pendelt sich das eigentlich bei 1800 Euro ein, das ist bundesweit so im Schnitt der Fall."

Arbeitslose Männer werden umgeschult
Mit der Umschulung von arbeitslosen Männern zu Erziehern und mit einer berufsbegleitenden Ausbildung versuchen die Länder Berlin und Brandenburg, die Personalnot zu lindern. Einige Kitas drücken beide Augen zu, setzen Praktikantinnen oder Ein-Euro-Kräfte für Arbeiten ein, die eigentlich ausgebildeten Erziehern vorbehalten ist. Mancherorts sind die Gruppen größer als sie laut Gesetz sein dürften.

In Berlin besuchen derzeit 45 Prozent der Kinder unter drei Jahren eine Kita, im Ostberliner Bezirk Marzahn-Hellersdorf sogar 65 Prozent – der Anteil ist genauso hoch wie im brandenburgischen Caputh. Es dürfte also nur wenige Eltern geben, die nach dem 1.August ihren Rechtsanspruch einklagen müssen. Aber der Bezirk wächst – die Zahl der benötigten Kita-Plätze genau vorherzusagen ist unmöglich, weiß Stadträtin Julia Witt.

"Wir haben einen deutlichen Zuzug, der sich innerhalb des letzten Jahres nochmal enorm dynamisiert hat. Wir haben einen deutlichen Zuzug von Familien aller sozialen Gruppen, und insofern sind wir daran interessiert, dass all diese Personen nicht nur Arbeit finden, sondern auch eine Unterbringung für ihre Kinder."

Deshalb nutzen der Bezirk und die freien Träger das Sonderprogramm des Bundes für den Kitabau. Aber was nützen uns neue Gebäude, wenn wir keine Erzieher finden, meint Stadträtin Julia Witt. Sie kritisiert: Die schwarz-gelbe Bundesregierung habe den Rechtsanspruch im Gesetz verankert, ohne sich um das Personal zu kümmern.

"Die Tatsache, dass der Bund eine Leistungserbringung beschließt als Gesetz, aber nichts in die Wege leitet, um die Leistungserbringer zur Verfügung zu stellen, ist eine Absurdität, die gegenüber den Eltern und der Öffentlichkeit nur extrem schwer verständlich zu machen ist."

Die neue Kita in Marzahn sucht noch mindestens zehn Erzieher. 50 Kinder stehen auf der Warteliste, fertig eingerichtete Räume bleiben unbenutzt. Im brandenburgischen Caputh dagegen ist die Situation entspannt: alle Stellen besetzt, nur wenige Kinder auf der Warteliste.