Die Kirche und das Dritte Reich

Von Hajo Goertz · 11.10.2008
Nicht erst seit Rolf Hochhuths Drama von 1963 "Der Stellvertreter" steht das Verhältnis des Vatikans zum Dritten Reich im Zweilicht. Um Aufhellungen bemühen sich Kirchengeschichtler schon lange. Sie erhoffen sich Klärungen, nachdem der Vatikan die Akten aus den 1930er-Jahren geöffnet hat. Der Münsteraner Kirchenhistoriker Hubert Wolf hat in den päpstlichen Geheimarchiven recherchiert und legt in einem Buch sein Forschungsergebnis vor.
Adolf Hitler suchte bald nach der Machtübernahme Ende Januar 1933, seine künftige Diktatur durch das Ermächtigungsgesetz zu legitimieren. In seiner Regierungserklärung dazu versicherte er im März:

Hitler: "Die nationale Regierung sieht in den beiden christlichen Konfessionen wichtigste Faktoren der Erhaltung unseres Volkstums. … ihre Rechte sollen nicht angetastet werden."

Ein Zuckerbrot, das die katholischen Bischöfe veranlasste, ihre bisherige Erklärung zur Unvereinbarkeit von Nationalsozialismus und Christentum zurückzunehmen. Ein Satz aus Hitlers Regierungserklärung fand in Rom einen besonders aufmerksamen Zuhörer, den politischen Arm des Papstes, Kardinalstaatssekretär Eugenio Pacelli:

Hitler: "Ebenso legt die Reichsregierung, … den größten Wert darauf, die freundschaftlichen Beziehungen zum Heiligen Stuhle weiter zu pflegen und auszugestalten."

Pacelli hatte sich in den 1920er-Jahren als Nuntius in Deutschland lange um einen völkerrechtlichen Vertrag zwischen dem Deutschen Reich und dem Vatikan, bemüht. Nun wurde ein solches Reichskonkordat ausgerechnet vom Intimfeind der Kirche, Adolf Hitler, offeriert. Nach relativ kurzen, sachlich durchaus zähen Verhandlungen wurde der Vertrag am 20. Juli im Vatikan paraphiert, am 12. September 1933, vor jetzt also 75 Jahren, trat es in Kraft. Es gilt bis heute.

Wolf: "Das Reichskonkordat ist natürlich eines der Themen, die in der zeitgeschichtlichen Forschung am meisten umstritten war in den letzten drei Jahrzehnten."

Stellt der Kirchenhistoriker Hubert Wolf fest. Der Professor an der Universität Münster ist einer der besten Kenner der vatikanischen Archive. Aufgrund seiner Recherchen in Rom legt er in diesen Tagen ein neues Buch vor: "Papst und Teufel. Die Archive des Vatikan und das Dritte Reich". Der werbekräftige Titel bezieht sich auf eine Äußerung von Papst Pius XI. von 1929, der gezielt auf den Sowjetkommunismus, den italienischen Faschismus und den aufkommenden Nationalsozialismus in Deutschland erklärte:

"Wenn es sich darum handeln würde, auch nur eine einzige Seele zu retten, einen größeren Schaden von den Seelen abzuwenden, so würden Wir den Mut aufbringen, sogar mit dem Teufel in Person zu verhandeln."

Der Titel ist bezeichnend für das Buch. Wolf gelingt die in der Historikerzunft selten geübte Praxis, Neugier auf geschichtliche Vorgänge, Zusammenhänge und Hintergründe zu wecken und sogar seriöse Kirchengeschichte spannend darzustellen. Der Pakt zwischen dem Papst und dem Teufel Hitler, das Reichskonkordat, bildet ein zentrales Kapitel seines Buches. Wolf geht es darum, einer heftigen, auch ökumenisch bedeutsamen Wissenschaftskontroverse auf die Spur zu kommen. Vor allem führende evangelische Kirchenhistoriker behaupteten…

Wolf: " … einen engen Zusammenhang zwischen der Zustimmung des Zentrums zum Ermächtigungsgesetz, der Rücknahme der Verurteilung des Nationalsozialismus durch die deutschen Bischöfe und dem Reichskonkordat. Und zwar funktioniert aber diese sogenannte Junktimsthese nur dann, wenn einer auf der kirchlichen Seite die Fäden zieht."

Das sollte Kardinalstaatssekretär Pacelli gewesen sein, seit 1939 Papst Pius XII. Dagegen standen vor allem katholische Historiker:

Wolf: "Die zweite Position …, die sagt, diesen Zusammenhang gibt es nicht, das ist ein eher zufälliges Zusammentreffen von Ereignissen. Diese Position wirkte immer relativ apologetisch, also die kirchliche Position wird verteidigt."

Wolf kommt nach seinen Erkundungen in Rom zu dem Ergebnis:

Wolf: "Wie sich jetzt zeigt, wenn man die neu .. für die Forschung zugänglichen Archive im Vatikan … konsultiert, kann man sagen: Diesen Zusammenhang hat es nicht gegeben. Ja, es ist sogar so, dass Pacelli ziemlich sauer darüber ist, dass die Bischöfe und das Zentrum in Deutschland etwas machen, ohne eine konkrete Gegenleistung in der Hand zu haben."

Weniger klar bleibt für Wolf das Schweigen Pacellis als Papst zum Holocaust, da die Akten seines Pontifikats nach vatikanischen Gepflogenheiten noch nicht verfügbar sind. Aber selbst die greifbaren Quellen lassen Fragen offen: Warum setzte die damals noch so genannte Inquisition das Buch des Nazi-Chefideologen Alfred Rosenberg "Der Mythus des 20. Jahrhunderts" auf die Liste der für Katholiken verbotenen Bücher, Hitlers "Mein Kampf" aber nicht? Zwar beschäftigen sich die Kardinäle in Rom intensiv mit dem Pamphlet, allerdings galt es ihnen als Werk eines Staatsoberhaupts. Daher vermutet Wolf:

"Der Kardinalstaatssekretär scheint im Jahr 1937 auf jeden Fall entschlossen gewesen zu sein, auf politischem Gebiet die Konflikte mit den faschistischen Regimen möglichst gering zu halten."

Für Pacellis Zurückhaltung, als Papst öffentlich die Judenverfolgung zu brandmarken, könnte auch das Kapitel aufschlussreich sein, in dem Wolf einen "Streit im Vatikan über den Antisemitismus" darstellt, der in die 1920er Jahre zurückreicht. Der Autor schlussfolgert,

"… dass es unbestreitbar auch einen christlichen beziehungsweise katholischen Antisemitismus – verharmlosend meist Antijudaismus genannt – gegeben hat."

Wolf zieht diese Linie bis in die Gegenwart: Papst Benedikt XVI. hat erst in diesem Jahr mit der fallweisen Erlaubnis der vorkonziliaren Liturgie angeordnet, dass am Karfreitag zwar nicht mehr, wie früher, für die "perfiden Juden" gebetet werde, wohl aber für die Bekehrung der Juden. Diese Abwertung des hebräischen Glaubens hat nicht nur bei Juden, auch bei Katholiken heftige Kritik ausgelöst.

Hubert Wolf: Papst und Teufel. Die Archive des Vatikan und das Dritte Reich
Verlag C.H. Beck, München 2008
360 Seiten mit 29 Abbildungen; 24,90 Euro