„Die Kirche muss sich noch an die katholische Pluralität gewöhnen“
Der Tübinger Theologe Bernd Jochen Hilberath hat die Lehrverurteilung gegen den Befreiungstheologen Jon Sobrino aus El Salvador durch die Glaubenskongregation im Vatikan bedauert. Die katholische Kirche brauche zwar Regeln, diese Fragen würden aber „zu zentralistisch“ entschieden, sagte der Professor für Katholische Dogmatik an der Universität Tübingen.
Tom Grote: Am Telefon ist Bernd Jochen Hilberath. Er ist Professor für katholische Dogmatik an der Uni Tübingen und Leiter des Institutes für Ökumenische Forschung. Guten Morgen Herr Hilberath!
Bernd Jochen Hilberath: Guten Morgen!
Grote: Auch der aktuelle Papst war einmal Professor für katholische Dogmatik an der Uni Tübingen. Sind Sie also auch seiner Meinung, was die Verurteilung der Lehren Sobrinos angeht?
Hilberath: Theologen dürfen unterschiedlicher Meinung sein, und das ist auch ein Problem in dem vorliegenden Fall. Es ist die Frage, woher hat die Glaubenskongregation die Kompetenz, eine Theologie zu beurteilen? Oberstes Organ in der katholischen Kirche sind eigentlich die Bischöfe mit dem Papst. Also es ist schon ein Problem, wenn eine Behörde ein Urteil fällt. Und die Frage ist, nach welchen Kriterien: Also wir haben es sicher hier möglicherweise auch mit einer kirchenpolitischen Situation zu tun, aber auf jeden Fall auch mit einer theologiepolitischen Situation.
Grote: Der „Südkurier“ aus Konstanz, der schreibt heute, es war legitim, solche Abweichler zu kritisieren, und die Art und Weise ist auch in Ordnung, denn das ist auch Aufgabe der katholischen Kirche. Ist das heute wirklich noch die Aufgabe der katholischen Kirche?
Hilberath: Die katholische Kirche als ein Netzwerk von Ortskirchen, das leider im Moment eine stark zentralistische Führung noch hat, die diesem Netzwerk nicht ganz gerecht wird, braucht natürlich gewisse Kommunikationsregeln, um die Identität dieser Großgruppe zu sichern. Das Problem ist also nicht dies. Das Problem ist eher, wie, nach welchen Regeln und Verfahrensweisen vergewissert sich diese Großgruppe ihrer Identität, und das ist bei uns immer noch zu sehr zentralistisch geregelt.
Die Frage ist ja etwa, wie kann, wenn eine Behörde der Meinung ist, ein Theologe vertritt gefährliche oder irrige Meinungen, wie kann man da in einem Gespräch das klären, oder weiß die Glaubenskongregation, wissen die dort Beschäftigten von vorne herein, was die wahre Lehre ist. Das heißt, die katholische Kirche muss sich erst noch an die Pluralität ihrer Theologien, Spiritualitäten und so weiter gewöhnen und braucht dafür Verfahrensweisen. Das ist hier schon ein Manko in diesem Fall.
Grote: Denn die große Frage ist ja, was ist denn wirklich so gefährlich speziell an den Lehren Sobrinos?
Hilberath: Man kann zunächst mal nur vermuten, dass dahinter, auch wie es ja in dem Beitrag von Herrn Kroll hieß, auch eine kirchenpolitische Auseinandersetzung steht: Der Papst wird in zwei Monaten nach Lateinamerika fahren. Es könnte also auch sein, dass interessierte Kreise dort im Vorfeld ein Signal setzen wollten, zumindest ein „Hab Acht“ in Richtung Befreiungstheologie und Pastoral der Befreiung. Es wird aber wohl auch so sein, dass einige in der Behörde der Meinung sind, theologisch, also mehr binnentheologisch, methodologisch ist das gefährlich.
Aber beides hängt damit zusammen, wie auch sehr schön in dem Beitrag von Herrn Kroll gesagt wurde, wer in Lateinamerika lebt und sich auf die Situation einlässt, der urteilt anders. Dieses Sehen, Urteilen, Handeln, ein methodischer Dreischritt ursprünglich der christlichen Arbeiterjugend, haben ja die Befreiungstheologen zu ihrem Programm gemacht. Und wer dort hingeht und länger dort lebt, der sieht anders, der urteilt anders, auch wenn er vom Evangelium her urteilen will. Aber es ist ein anderer Standort, und er kommt auch zu anderem Handeln.
Grote: Also hat Sobrino Recht mit seiner Interpretation, weil er an einem anderen Ort ist?
Hilberath: Er hat nicht automatisch Recht, weil er an einem anderen Ort ist, aber die Frage ist, ob jemand, der diesen Ort nicht teilt und bisher nicht wirklich sich auf diesen Ort eingelassen hat, ob der aus der Ferne quasi, aus der Distanz eine solche Theologie beurteilen kann. Da braucht es einfach eine Kommunikation miteinander, noch besser ein Stück weit Leben miteinander, um zu sehen, was dort wirklich trägt.
Grote: Welches Licht wirft denn diese Schelte auf das Pontifikat Benedikts, der sich ja schon als Kardinal Ratzinger sehr schwer tat mit den Befreiungstheologen?
Hilberath: Ja, es ist schade, dass also jetzt doch unter Benedikt XVI. nicht das passiert, was wir vielleicht gehofft haben: Dass es zu Ende ist mit solchen Ermahnungen oder gar Abstrafungen, falls sich das weiter verschärfen würde. Aber es bestätigt sich auf der anderen Seite, dass Joseph Ratzinger mit dieser Art, Theologie zu treiben, von seiner eigenen Theologie her nicht sehr viel anfangen kann, also dass er eher dort Gefahren und Probleme sieht. Das sind dann grundsätzliche Fragen über das Verhältnis von Glaube und Geschichte von Reich Gottes und Politik und Kirche und Welt.
Grote: Sie haben vorhin schon angedeutet, das Ganze wäre ein großes politisches Problem. Wie politisch darf denn die katholische Kirche sein?
Hilberath: Also ich möchte noch einmal sagen, das ist zunächst eine Hypothese, ob das auch ein politisches Problem ist. Aber man darf schon vermuten, dass interessierte Kreise dahinter stehen. Das war auch die Bischofsbesetzungs-Politik um Johannes Paul II., und man weiß, dass das Opus Dei in Lateinamerika einen großen Einfluss, und das ist ja auch nicht unpolitisch, sondern setzt eine andere politische Option.
Ihre Grundsatzfrage wird von mir her so beantwortet: Es geht ja vom Evangelium her, von Jesus Christus her, auf den wir uns berufen, nicht um die Kirche, sondern es geht um das Reich Gottes. Und Reich Gottes heißt, dass Menschen so miteinander leben, wie das von Gott her gewollt ist, in Friede, Eintracht und so weiter. Alles andere, was wir reflektieren und tun in diesem Sinne, ist im Sinne des Evangeliums.
Insofern kann man die Politik überhaupt nicht aus dem Handeln von Kirchen und Christenmenschen heraushalten, sondern es ist geradezu unsere Aufgabe, sie entsprechend zu gestalten, ohne jetzt parteipolitisch grundsätzlich sich festzulegen, aber Partei zu ergreifen etwa für die Armen, die Unterdrückten, das gehört zur Aufgabe von Christenmenschen.
Grote: Aber was strebt der Papst denn mit dieser Kritik an, wenn nicht die Entpolitisierung der katholischen Kirche?
Hilberath: Ich denke, dass er das nicht anstrebt. Es heißt ja auch ausdrücklich, dass diese Option für die Armen nicht unterminiert werden soll, dass es wichtig ist, auf der Seite der Armen zu stehen. Der Papst hat vermutlich eine andere Vorstellung davon, wie Kirche präsent ist bei den Armen, etwa über die Caritas, Diakonische Werke, aber nicht so, dass diese Erfahrung allzu sehr in die Methodologie der Theologie einfließt.
Es gibt in der Notifikation, so weit man überhaupt schon den Text vor sich hat, eben die Bemerkung, der Ort der Theologie seien nicht die Armen, sondern der Glaube der Kirche. Das halte ich für einen falschen Gegensatz.
Grote: Es steht ja auch drin, er interpretiert Jesus Christus falsch, so der Vorwurf der Kongregation. Was ist denn falsch an Sobrinos Interpretation?
Hilberath: Da müsste man jetzt den Text im Einzelnen haben. Ich vermute, dass mit dieser Kritik nicht nur Sobrino und nicht das für die Befreiungstheologie und Befreiungschristologie Typische getroffen wird, sondern vermutlich auch eine weiter verbreitete Art und Weise, wie heute in der Theologie über Jesus Christus nachgedacht wird.
Da würde ich mich jetzt doch dafür interessieren, der Papst hat zwar die Notifikation unterschrieben, aber wer das im Einzelnen in der Glaubenskongregation überprüft hat und ob dieser Mensch oder diese Gruppe möglicherweise ihre eigene Theologie zum Maßstab macht, um andere Theologien zu beurteilen, was ein problematischer Fall ist. Denn es muss eine legitime Pluralität geben. Schon im Neuen Testament wird über Jesus Christus unterschiedlich gesprochen und theologisiert.
Grote: Vielen Dank für das Gespräch.
Bernd Jochen Hilberath: Guten Morgen!
Grote: Auch der aktuelle Papst war einmal Professor für katholische Dogmatik an der Uni Tübingen. Sind Sie also auch seiner Meinung, was die Verurteilung der Lehren Sobrinos angeht?
Hilberath: Theologen dürfen unterschiedlicher Meinung sein, und das ist auch ein Problem in dem vorliegenden Fall. Es ist die Frage, woher hat die Glaubenskongregation die Kompetenz, eine Theologie zu beurteilen? Oberstes Organ in der katholischen Kirche sind eigentlich die Bischöfe mit dem Papst. Also es ist schon ein Problem, wenn eine Behörde ein Urteil fällt. Und die Frage ist, nach welchen Kriterien: Also wir haben es sicher hier möglicherweise auch mit einer kirchenpolitischen Situation zu tun, aber auf jeden Fall auch mit einer theologiepolitischen Situation.
Grote: Der „Südkurier“ aus Konstanz, der schreibt heute, es war legitim, solche Abweichler zu kritisieren, und die Art und Weise ist auch in Ordnung, denn das ist auch Aufgabe der katholischen Kirche. Ist das heute wirklich noch die Aufgabe der katholischen Kirche?
Hilberath: Die katholische Kirche als ein Netzwerk von Ortskirchen, das leider im Moment eine stark zentralistische Führung noch hat, die diesem Netzwerk nicht ganz gerecht wird, braucht natürlich gewisse Kommunikationsregeln, um die Identität dieser Großgruppe zu sichern. Das Problem ist also nicht dies. Das Problem ist eher, wie, nach welchen Regeln und Verfahrensweisen vergewissert sich diese Großgruppe ihrer Identität, und das ist bei uns immer noch zu sehr zentralistisch geregelt.
Die Frage ist ja etwa, wie kann, wenn eine Behörde der Meinung ist, ein Theologe vertritt gefährliche oder irrige Meinungen, wie kann man da in einem Gespräch das klären, oder weiß die Glaubenskongregation, wissen die dort Beschäftigten von vorne herein, was die wahre Lehre ist. Das heißt, die katholische Kirche muss sich erst noch an die Pluralität ihrer Theologien, Spiritualitäten und so weiter gewöhnen und braucht dafür Verfahrensweisen. Das ist hier schon ein Manko in diesem Fall.
Grote: Denn die große Frage ist ja, was ist denn wirklich so gefährlich speziell an den Lehren Sobrinos?
Hilberath: Man kann zunächst mal nur vermuten, dass dahinter, auch wie es ja in dem Beitrag von Herrn Kroll hieß, auch eine kirchenpolitische Auseinandersetzung steht: Der Papst wird in zwei Monaten nach Lateinamerika fahren. Es könnte also auch sein, dass interessierte Kreise dort im Vorfeld ein Signal setzen wollten, zumindest ein „Hab Acht“ in Richtung Befreiungstheologie und Pastoral der Befreiung. Es wird aber wohl auch so sein, dass einige in der Behörde der Meinung sind, theologisch, also mehr binnentheologisch, methodologisch ist das gefährlich.
Aber beides hängt damit zusammen, wie auch sehr schön in dem Beitrag von Herrn Kroll gesagt wurde, wer in Lateinamerika lebt und sich auf die Situation einlässt, der urteilt anders. Dieses Sehen, Urteilen, Handeln, ein methodischer Dreischritt ursprünglich der christlichen Arbeiterjugend, haben ja die Befreiungstheologen zu ihrem Programm gemacht. Und wer dort hingeht und länger dort lebt, der sieht anders, der urteilt anders, auch wenn er vom Evangelium her urteilen will. Aber es ist ein anderer Standort, und er kommt auch zu anderem Handeln.
Grote: Also hat Sobrino Recht mit seiner Interpretation, weil er an einem anderen Ort ist?
Hilberath: Er hat nicht automatisch Recht, weil er an einem anderen Ort ist, aber die Frage ist, ob jemand, der diesen Ort nicht teilt und bisher nicht wirklich sich auf diesen Ort eingelassen hat, ob der aus der Ferne quasi, aus der Distanz eine solche Theologie beurteilen kann. Da braucht es einfach eine Kommunikation miteinander, noch besser ein Stück weit Leben miteinander, um zu sehen, was dort wirklich trägt.
Grote: Welches Licht wirft denn diese Schelte auf das Pontifikat Benedikts, der sich ja schon als Kardinal Ratzinger sehr schwer tat mit den Befreiungstheologen?
Hilberath: Ja, es ist schade, dass also jetzt doch unter Benedikt XVI. nicht das passiert, was wir vielleicht gehofft haben: Dass es zu Ende ist mit solchen Ermahnungen oder gar Abstrafungen, falls sich das weiter verschärfen würde. Aber es bestätigt sich auf der anderen Seite, dass Joseph Ratzinger mit dieser Art, Theologie zu treiben, von seiner eigenen Theologie her nicht sehr viel anfangen kann, also dass er eher dort Gefahren und Probleme sieht. Das sind dann grundsätzliche Fragen über das Verhältnis von Glaube und Geschichte von Reich Gottes und Politik und Kirche und Welt.
Grote: Sie haben vorhin schon angedeutet, das Ganze wäre ein großes politisches Problem. Wie politisch darf denn die katholische Kirche sein?
Hilberath: Also ich möchte noch einmal sagen, das ist zunächst eine Hypothese, ob das auch ein politisches Problem ist. Aber man darf schon vermuten, dass interessierte Kreise dahinter stehen. Das war auch die Bischofsbesetzungs-Politik um Johannes Paul II., und man weiß, dass das Opus Dei in Lateinamerika einen großen Einfluss, und das ist ja auch nicht unpolitisch, sondern setzt eine andere politische Option.
Ihre Grundsatzfrage wird von mir her so beantwortet: Es geht ja vom Evangelium her, von Jesus Christus her, auf den wir uns berufen, nicht um die Kirche, sondern es geht um das Reich Gottes. Und Reich Gottes heißt, dass Menschen so miteinander leben, wie das von Gott her gewollt ist, in Friede, Eintracht und so weiter. Alles andere, was wir reflektieren und tun in diesem Sinne, ist im Sinne des Evangeliums.
Insofern kann man die Politik überhaupt nicht aus dem Handeln von Kirchen und Christenmenschen heraushalten, sondern es ist geradezu unsere Aufgabe, sie entsprechend zu gestalten, ohne jetzt parteipolitisch grundsätzlich sich festzulegen, aber Partei zu ergreifen etwa für die Armen, die Unterdrückten, das gehört zur Aufgabe von Christenmenschen.
Grote: Aber was strebt der Papst denn mit dieser Kritik an, wenn nicht die Entpolitisierung der katholischen Kirche?
Hilberath: Ich denke, dass er das nicht anstrebt. Es heißt ja auch ausdrücklich, dass diese Option für die Armen nicht unterminiert werden soll, dass es wichtig ist, auf der Seite der Armen zu stehen. Der Papst hat vermutlich eine andere Vorstellung davon, wie Kirche präsent ist bei den Armen, etwa über die Caritas, Diakonische Werke, aber nicht so, dass diese Erfahrung allzu sehr in die Methodologie der Theologie einfließt.
Es gibt in der Notifikation, so weit man überhaupt schon den Text vor sich hat, eben die Bemerkung, der Ort der Theologie seien nicht die Armen, sondern der Glaube der Kirche. Das halte ich für einen falschen Gegensatz.
Grote: Es steht ja auch drin, er interpretiert Jesus Christus falsch, so der Vorwurf der Kongregation. Was ist denn falsch an Sobrinos Interpretation?
Hilberath: Da müsste man jetzt den Text im Einzelnen haben. Ich vermute, dass mit dieser Kritik nicht nur Sobrino und nicht das für die Befreiungstheologie und Befreiungschristologie Typische getroffen wird, sondern vermutlich auch eine weiter verbreitete Art und Weise, wie heute in der Theologie über Jesus Christus nachgedacht wird.
Da würde ich mich jetzt doch dafür interessieren, der Papst hat zwar die Notifikation unterschrieben, aber wer das im Einzelnen in der Glaubenskongregation überprüft hat und ob dieser Mensch oder diese Gruppe möglicherweise ihre eigene Theologie zum Maßstab macht, um andere Theologien zu beurteilen, was ein problematischer Fall ist. Denn es muss eine legitime Pluralität geben. Schon im Neuen Testament wird über Jesus Christus unterschiedlich gesprochen und theologisiert.
Grote: Vielen Dank für das Gespräch.