Die Kirche im Dorf lassen

Früher waren die Kirchen die höchsten Bauten im Ort, zeigten so den Stellenwert des Glaubens an. In den Städten werden sie schon lange von anderen Glaubensbekenntnissen überragt - von Banktürmen, Bürosilos, Wohngeschossern. Und auf dem Land, also der traditionellen Kulturlandschaft? "Und erhalte uns die Kirche" ist ein Ruf, der landauf landab für die Erhaltung alter Kirchen erhoben wird - von Christen wie von Atheisten. Kirchen waren ein Zentrum des Dorflebens, prägten die Identität des Ortes und seiner Bewohner mit. Früher. Und heute?
Die Kirche im Dorf lassen. Auf Napoleon, so besagt ein Fingerzeig, soll die Redewendung zurückgehen. 1804 hatten die Protestanten im katholischen Rheinland keine Glaubensfreiheit, Napoleon forderte sie ein. Solange diese nicht eingeführt sei, dürfe keine Kirche innerhalb der Ortsgrenzen gebaut werden.
Dies ist eine Deutung der sprichwörtlichen Redewendung, die im Sinne "man solle nicht zu weit gehen, etwas nicht übertreiben" gebraucht wird.

Weit zu sehen. Dorfkirchen in Brandenburg
Von Michael Frantzen

Brandenburg ist reich. Reich an Kirchen. Schätzungsweise 1400 Dorfkirchen gibt es. Eine fast 800-jährige Schatzkarte hat dieser Tage der Prestel Verlag unter die Spurensucher gebracht. "Brandenburgische Dorfkirchen und ihre Hüter" (1) heißt sie und kreist die einstigen, mancherorts auch noch heutigen Mittelpunkte einer Kulturlandschaft ein.
Ein Ort, der es nicht auf diese LandSchatzKarte brachte, ist Möbiskrug. Das ist keine Kritik am Auswahlprinzip des besagten Titels, sondern vielmehr der Vielzahl brandenburgischer Kirchen geschuldet. Und warum nun Möbiskrug hier und jetzt? Weil die Hälfte der 1400 brandenburgischen Dorfkirchen verfällt. Vielen Dörfern fehlt das Geld, um sie zu sanieren. Und so halten wir nun Ausschau. Nicht nach dem Verfall, sondern nach so etwas wie der heilen Welt. Also nach Dorfkirchen, die noch in Schuss sind und hoch hinaus wollen. Zum Beispiel da in der Nähe der Oder.


"Ist alles prima: Die Glocken läuten, die Orgel spielt, die Heizung ist wunderbar, wir sind das ganze Jahr über in der Möbiskruger Kirche, auch im tiefsten Winter."

Paradiesische Zustände sind das hier – in Möbiskruge, einem dieser typischen Brandenburger Straßendörfer, wo es bis auf Sand und Kiefern nicht viel gibt. Außer einer Hauptstraße, ein paar Querstraßen – und über allem thronend auf einem kleinen Hügel: Die Kirche von anno 1315.

"Es ist immer schön, wenn eine Kirche zwei Türme hat. Dann ist sie besonders groß und mächtig. Im Grunde genommen ist es ja nur ein Turm, aber die beiden Spitzen sind eben extra ausgebildet, so dass man von weitem sagen kann: Die Möbiskruger Kirche hat zwei Türme!"

Sollte ja auch ausstrahlen: auf die ganze Region. Meint Pfarrer Zörner.

Hat früher auch ganz gut geklappt. Vor dem Zweiten Weltkrieg. Da sind sie sogar aus den Nachbardörfern hierher gekommen. Erzählt man sich.

Jetzt hält hier keiner mehr. Schon gar nicht die Lkw-Fahrer. Die fahren weiter nach Eisenhüttenstadt – zu EKO-Stahl. Und lassen Zörners Schmuckstück links liegen. Dabei gäb es so viel zu sehen.

"Zum Beispiel diese Fenster hier. Diese ganz schmalen sind vor-reformatorisch. Später dann, in der Reformationszeit hat man diese größeren Fenster eingebaut – auch damals war das schon: Durchsichtigkeit, Glasnost."

Die guten, alten Zeiten. Als noch jede Kirche ihren eigenen Pfarrer hatte. Ist heute anders. Zörner muss von Möbiskruge aus noch zwölf weitere Dörfer betreuen – samt ihrer Kirchen.

Die Strecke nach Fünfeichen kennt Zörner in- und auswendig. Immer die B 246 Richtung Beeskow entlang, 20 Minuten sind es bis zur mittelalterlichen Dorfkirche. Ist die größte im Pfarrsprengel. Und die mit dem höchsten Turm: 32 Meter!

Der ist aus Holz, die Fassade aus grauem Feldstein. Das Holz kam aus dem nahe gelegenen Schlaubetal, die Steine gab es gratis dazu. Auch wenn sie fast nichts hatten früher, Sand und Steine gab es im Überfluss. Streubüchse Brandenburg!

Hübsch anzusehen ist sie – die spätgotische Kirche. Eine hübsche Hülle. Denn zum Gottesdienst kommt kaum noch jemand.

"Wenn wirklich alle reingehen, gehen nicht alle rein. Aber da nicht alle reingehen, gehen alle rein"

Massen-Andrang. Den erlebt die Kirche von Rießen nördlich von Fünfeichen nur noch bei Hochzeiten. Lassen sich gerne ablichten, die Hochzeitspaare. Vor der 400 Jahre alten Fachwerk-Kirche samt ihres akkuraten Jägerzaunes.

Überhaupt ein Glück, dass die Kirche noch steht. Irgendwann im letzten Jahrhundert muss der Kirchturm aus dem Gleichgewicht geraten sein, machten sich die Nachbardörfer lustig über den "schiefen Turm von Rießen"; bis es den Rießenern Mitte der 60er zu bunt wurde – und sie alles wieder ins Lot brachten. In Eigeninitiative!

Seitdem, meint der Herr Pfarrer, schauen die Rießener wieder gerne auf zu ihrem Gotteshaus.

"In vielen Orten ist es so, dass die Kirche am höchsten Ort liegt. Das ist so. Ja! Normal!"

Literatur zum Thema:
Huber, Kara (Hrg.): Brandenburgische Dorfkirchen und ihre Hüter
Prestel, 2008


Abseits gelegen. Kirchen im Wendland
Von Claus Stephan Rehfeld

Die Kirche im Dorf lassen – eine Redewendung, die nicht aus dem Hannoverschen Wendland stammen kann. Um 1705 soll Christian Hennigs den Begriff "Wendland" geprägt haben. Benannt nach den Wenden, den Drawenen, die einst dort siedelten. Der Drawehn ist das Kerngebiet der Rundlinge im Wendland. Dort, westlich der Jeetzel, liegen Dorfanlagen der besonderen Art. Die Häuser stehen nicht entlang einer Straße, sondern im Rund um den Dorfplatz. Sie sind mit dem Giebel nach dem Dorfanger ausgerichtet. Rund 100 Rundlinge haben sich in der Geestlandschaft angesiedelt. Und sie alle haben nur einen Weg, eine Art Sackgasse. Das ist eine Besonderheit, um die andere geht es in den nächsten Minuten.

Im Wendland ist vieles anders. Zwischen Elbe und Heide hat sich der Landstrich eingenistet. Dorthin kommt man nicht zufällig des Weges. Die Elbmarsch, dahinter die Drawehn-Hügel, viele magere, wenige fette Äcker.
Ein Brand verändert hier eher etwas als es die Zeit vermag. Ein Landstrich des Gleichmaßes, nicht der Ausschläge. In einer stillen Ecke von Niedersachsen, sie liegt mitten in Deutschland.

Im Wendland ist vieles anders. Reetgedeckte Fachwerkhäuser scharren sich im Kreis um den Dorfplatz. Rundlinge werden die Orte genannt. Malen sie eine Sonne mit zehn kurzen Sonnenstrahlen. Der Kreis ist der Dorfplatz, zehn kurze Striche stehen für zehn Höfe.
Machen Sie aus der Sonne eine Gänseblume. Der Stengel zeigt den einzigen Zufahrtsweg an, Ein- und Ausfahrt zugleich; eine Sackgasse mit Kreisverkehr. Traditionelle Rundlinge kennen keinen Durchgangsverkehr.

Rundlinge liegen auf einer erhöhten Stelle. Und nahe einer Niederung mit einem Gewässer. Aber immer abseits großer Wege, erst recht großer Handelswege. Der Landstrich, das Wendland - schon immer eine abseitsgelegene Region.
Rundlingsdörfer heißen Satow oder Satemin oder Bussau oder … - fast alle Rundlinge haben einen slawischen Ortsnamen. Im achten Jahrhundert war hier slawisches Siedlungsgebiet, die Rundlinge folgten später.

Das muss man wissen, hier ist vieles anders. Die Kirchen stehen außerhalb der Rundlinge, nie im Dorf, nicht im Zentrum. Vom Kirchturm kann man ins Rundlingsdorf reinschauen, nicht aber aus dem Dorf rausblicken.
Die Kirchen sind eine Randerscheinung; stehen außerhalb des Dorfes für die Auseinandersetzung zwischen Heiden und Christen. Erst war es Heidenland, dann wurde es Christianisiert. Das dauerte lange, die Kirchen am Rande zeigen es an.

Im Wendland ist vieles anders. Noch im späten Mittelalter war die slawische Bevölkerung nicht christianisiert. Weil sie keinen Christen waren, mussten die Wenden auch keinen Zehnten an die Kirche entrichten.
Das ist belegt, vieles andere ist eine Sache der Deutungen und Annahmen. Warum stehen die Kirchen abseits der Rundlingsdörfer? War es religiöse Schonung? Oder spielten topographische Faktoren eine größere Rolle?

Skizze aus der Vogelperspektive. Bussau. Rundlingsdorf. Steilgiebelhäuser bilden einen Kreis um den kleinen Dorfplatz. Von ihm führt nur ein Weg aus dem Ort. Gegenüber vom Ein- und Ausweg liegt der Schulzenhof.
Vom Dorfplatz führt der Weg durch einen Engpass zu den höher gelegenen Ackerflächen, vorbei an Kirche und Friedhof. Sie liegen außerhalb des Dorfes auf einer höher gelegenen Stelle. Wie bei allen Rundlingen. Weil Niederungen ein feuchtes Gebiet sind? Oder war im Dorfrund einfach kein Platz mehr?

Wir wissen es nicht.

Jedenfalls vermitteln Rundlinge den Eindruck von einander zugewandt leben, von Gemeinschaft, Offenheit, Geborgenheit. Hier ist vieles anders.

Literatur zum Thema:
Kulke, Erich: Damals im Hannoverschen Wendland
Verlagsgesellschaft Köhring, 1990
Jürries / Wachter (Hrg.): WENDLAND LEXIKON
Bd. 1, S. 354ff
Köhring-Verlag, 2000
Meibeyer, Wolfgang: Rundlinge und andere Dörfer im Wendland
Verlag Geller, 2001
Michael, Eckhard: Zur Kirchengeschichte des Hannoverschen Wendlandes im Mittelalter
Reihe "Hannoversches Wendland", 15. Jahresheft, S. 199-223
Selbstverlag des Heimatkundlichen Arbeitskreises, 2001


Die Kirche von außen. Kirchen in Bayern
Von Barbara Roth

Wer die Stichworte "Kirche Bayern" in die Suchmaschine eingibt, der wird belohnt. 1.220.000 Einträge drängeln sich im Bildschirm und drohen den Schreibtisch zu überschwemmen. Wir ahnen den Grund. Und jeder, der mindestens einen bayerischen Reiseführer zur Hand genommen hat, wird mit dem Kopf nicken. Und die in Bayern waren oder leben, die können Geschichten erzählen: Vom Dorfleben, von Sitten und Bräuchen, von Kirchen und Marterln. Also von religiösen Wahrzeichen landauf, landab. Kirche und Bayern – das ist ein eigenes Kapitel. Ein langes Kapitel, das sich fortschreibt. Manchmal sogar auf überraschende Art und Weise.

Es ist Sonntag. Später Vormittag. Die Glocken von Sankt Nikola rufen zum Gottesdienst.

Spaziergängerin: "Also jeden Sonntag gehen wir jetzt nicht in die Kirche. Vielleicht mal Weihnachten oder an sp besonderen Festen, das ja."

Mit der Volksfrömmigkeit ist es auch im Freistaat nicht mehr weit her. Egal ob in der Stadt oder auf dem Dorf. Wer zum Gottesdienst geht, kommt bewusst.

Gottesdienstbesucher: "Ich bin damit aufgewachsen, meine Eltern sind sehr gläubig. Ich gehe jeden Sonntag in die Kirche."

Fast Zweidrittel der Einwohner von Landshut sind römisch-katholisch. Doch sonntags bleiben die Kirchenbänke leer. Josef Thanhammer, der Pfarrer von Sankt Nikola, ist für gut 5800 Gläubige zuständig. Seiner Predigt lauschen an diesem Sonntag keine 200 Personen.

Pfarrer: "Der Gottesdienstbesuch in unserem Land geht von Jahr zu Jahr kontinuierlich zurück. Die Sonntagsgottesdienste sind auch in unserer Pfarrgemeinde mit nur 13 Prozent nicht gerade gut besucht. Und weit unter dem Durchschnitt der Diözese Regensburg. Viele Christen nehmen nur noch ab und zu oder gar nicht mehr am kirchlichen Leben teil."

Von wegen heile Welt im katholischen Bayern, das der deutsche Papst seine Heimat nennt.

Glück: "In meiner Heimat gibt es den berühmten Spruch: Die Kirche von außen, die Berge von unten und das Wirtshaus von innen."

Alois Glück, der Landtagspräsident, muss es wissen. Zum Kirchgang am Sonntag gehört danach der Gang ins Wirtshaus einfach dazu.

"Damit verbunden ist auch immer ein anschließender Frühschoppen. Da trifft sich die Ortsgemeinschaft. Und dann geht der Sonntag eigentlich richtig los."

Am Stammtisch im Gasthaus zur Post gleich neben der Kirche treffen sich die Männer. So will es der Brauch. Warum? Weil sie daheim nur im Weg rum stehen würden, sagt einer der alten Herren und lacht. Ihre Frauen müssen ja das Sonntagsessen kochen.

Am Stammtisch geht es zünftig zu. Und das Bier fließt reichlich. Lautstark und quer über den Tisch tauschen die Männer den neusten Dorfklatsch aus. Sie erzählen sich von der guten alten Zeit und debattieren über Politik.

"Unser Stammtisch, das sind die Alt-Burschen. Politisieren gehört dazu. Bei uns ist das Thema auf alle Fälle auch die Rente, weil wir ja alle Rentner sind. Jetzt kommt die Besteuerung noch dazu. Die Jagd und die Jugendsünden. … Da kann ich net mitreden."

Die Männer sind froh um ihre Dorfkneipe am Ort. Schon ihre Väter haben sie hier zum Kartenspielen getroffen, erzählen sie. Früher war das Wirtshaus neben der Kirche das wichtigste Haus am Ort. Und heute?

"Der Stammtisch hält ja die Dorfgemeinschaft zusammen. Und wenn die Leute sehen, da ist ein Stammtisch, dann kommen auch die Fremden und sagen, das muss eine gute Wirtschaft sein, weil sonst gehen ja auch die Einheimischen nicht hin."

Doch auch am Stammtisch zeigt die heile Welt Risse. Der Frühschoppen am Sonntag nach dem Kirchgang ist längst keine Selbstverständlichkeit mehr. Denn gut 470 bayerische Gemeinden sind mittlerweile gastronomisches Niemandsland. Die Dorfwirtschaften sterben aus. Und mit ihnen uralte bayerische Lebensart, fürchtet der Münchner Wies`n-Wirt Wigerl Hagn.

"Im Wirtshaus ist Politik gemacht worden. Es gibt drei Arten von Politik zu machen in Bayern: Die eine ist das Fernsehen, das zweite ist die Kirche. Und über das ganze wird diskutiert und abgestimmt am Stammtisch in Wirtshaus. Und das unterschätzt man."

Punkt zwölf löst sich der Stammtisch schlagartig auf. Die Männer müssen schnell heim. Das Mittagessen steht auf dem Tisch. Sonst droht Ärger mit der Frau.


Kirche geschlossen. Beispiel Nordrhein-Westfalen
Von Christine Heuer

"Kirche geschlossen" - In Nordrhein-Westfalen heißt das sehr oft "Umwidmung", gelegentlich auch Abriss. Was aber ist eine Umwidmung? Es ist die Aufgabe eines Kirchengebäudes durch Kirchenschließung. Geldmangel kann ein Grund sein, demographischer Wandel ein weiterer, Rückgang von Gottesdienstbesuchern ein anderer. Einst Zentrum des Gemeindelebens, nun also nur noch Bauwerk, sakrale Architektur. Hülle für neue Nutzzwecke – Wohnungen zum Beispiel. Oder Nutzung durch eine andere Kirche, zum Beispiel durch die russisch-orthodoxe Kirche. Die Liste ist lang.

Vor drei Jahren sind in die Bielefelder Martini-Kirche "Glück und Seligkeit" eingezogen. Ganz wörtlich ist das zu nehmen. Denn seit 2005 beherbergt das neugotische evangelische Gotteshaus ein Restaurant gleichen Namens.

Ein spektakulärer, aber kein Einzelfall. Seit Jahren werden in Nordrhein-Westfalen evangelische wie katholische Kirchen geschlossen, umgewidmet, verkauft oder abgerissen. Tendenz steigend. Allein in der Evangelischen Kirche im Rheinland sind seit 1985 32 gottesdienstlich genutzte Gebäude entwidmet worden, 22 davon in den letzten fünf Jahren.

Die EKD hat unter www.kirchengrundstuecke.de im Internet eine eigene Immobilienplattform eingerichtet. Unlängst war dort eine Kirche in Frechen im Angebot, Baujahr 1742. Auf katholischer Seite macht vor allem das Ruhrbistum Essen Schlagzeilen. Das setzt gerade ein "Zukunftskonzept" in die Tat um – sein Kern: Fast 100 der 350 katholischen Kirchen im Bistum werden geschlossen, ein Viertel davon abgerissen. Der Ruhrbischof hat das "Ende der Volkskirche" ausgerufen und nennt dafür dieselben Gründe wie Kirchen-Vertreter beider Konfessionen überall im Land. Durch Wegzug, Geburtenrückgang und die Austrittswelle in den 90er Jahren ist die Zahl der Christen, erst recht die der Kirchgänger drastisch gesunken. Die Kirchensteuer-Einnahmen sind entsprechend rückläufig. Den Kirchen fehlt Geld für Gebäude, ihre Erhaltung und geistliches Personal. Die Gemeinden schrumpfen, also werden viele von ihnen zusammengelegt. Schon das sorgt für Widerstand bei aktiven Christen. Die Umwidmung "ihrer" Kirchen in Synagogen oder orthodoxe Gotteshäuser erfreut sie wenig. Protest brandet auf, wenn die Kirchen, in denen sie getauft oder getraut wurden, weltlichen Zwecken zugeführt werden. Auch dafür gibt es viele Beispiele in NRW.
Im Bistum Aachen wurde eine katholische Kapelle zur Buchhandlung, in Essen eine Kirche zur Schule umgebaut; in Gladbeck hat eine Elektrofirma das Gelände der St. Pius-Kirche übernommen; die Kirche eines Hennefer Klosters wurde an eine Dortmunder Promotion- und Event-Agentur verkauft, eine Immobilien-Firma bewirbt derzeit "steueroptimierte Eigentumswohnungen" im Klostergebäude. In der evangelischen Trinitatis-Kirche in Wuppertal stellt ein Händler gebrauchte Orgeln aus, und in Bielefeld – da wird – Stichwort "Glück und Seligkeit" – neuerdings also gebruncht.


Und erhalten wir die Kirche. Eine Geschichte aus Mecklenburg
Von Alexa Hennings

Rekorde sind die Sache der Barkower gemeinhin nicht. Und dennoch ist von einem Rekord zu berichten. Aus Barkow, aus einem Dorf, das nie groß auffiel in seiner fast 700-jährigen Geschichte. Ruhig lebte man dort, im Herzen Mecklenburgs, in der Nähe von Plau am See. Bis im Jahre 2004 ein ungewöhnliches Ereignis die Barkower aus ihrem beschaulichen Dasein riss. Wie man es schaffte, die eingestürzte Dorfkirche in Barkow in nur zwei Jahren wieder herzustellen – davon erzählt der folgende Beitrag.

Zeit, Sturm zu läuten, hatten die Barkower nicht. Am Abend des 3. April 2004, nach einem Sturm, stürzte ihre Kirche ein. Klappte einfach in sich zusammen wie ein Kartenhaus. Der Dachstuhl, Balken und Ziegel begruben das Kirchenschiff samt der Sitzbänke unter sich. Ein Glück, dass an diesem Abend keiner in der Kirche war.

Beim Bläserkonzert zum Beispiel, von denen es reichlich gibt in Barkow, denn hier ist Martin Huss zuhause, der Landesposaunenwart von Mecklenburg-Vorpommern.

Unglück und Glück und Wunder – das sind Dinge, die in Barkow ganz dicht beieinander liegen. Zumindest für Martin Huss, der vor zehn Jahren aus Argentinien nach Mecklenburg kam.

"Ich bin eine Person, ich glaube noch heute an Wunder, so wie sie in der Bibel geschildert werden. Die gibt es jeden Tag noch!"

"Das letzte Wunder, das ich erlebt habe, war unsere Kirche. Unsere Kirche, die 2004 eingestürzt ist. Und ich glaube, wir hatten in unserer Baukasse der Kirchgemeinde 450 Euro. Und dann haben wir gesagt: Ja, was machen wir nun?"

Anpacken, sagten sich die Barkower und legten, egal ob Kirchenmitglied oder nicht, ein rasantes Tempo vor. Einen Monat nach dem Einsturz gründen sie einen Förderverein, der Geld organisieren soll. Einen weiteren Monat später treffen sich die Barkower das erste Mal zum Aufräumen des Bauschutts. Abbrucharbeiten und Steineputzen folgen. Fast jedes Wochenende ist man am Werken.

"Wir haben etwas Einzigartiges vollbracht in Mecklenburg. Und das sage ich den Einwohnern jeden Tag wieder neu. Das Einmalige ist, dass innerhalb von anderthalb Jahren die Kirche wieder aufgebaut worden ist. Ich glaube, in Mecklenburg gab es das noch nie. Das ist wirklich ein Wahnsinn."

Nicht nur unzählige unentgeltliche Aufbaustunden, sondern auch viele Benefiz-Konzerte haben ihren Anteil daran, dass die 650-jährige Kirche im Dorf blieb. Mehr als 20 Konzerte gab allein Martin Huss mit seinen verschiedenen Bläsergruppen, und in ganz Deutschland wurden Solidaritätskonzerte für Barkow gespielt. Musiker von Bielefeld bis Berlin, von Hannover bis Herford engagierten sich für die kleine mecklenburgische Dorfkirche und spendeten die Einnahmen von Orgel-, Klarinetten- und Trompetenkonzerten.

"Wir leben, ob Sie es wollen oder nicht, in einer Wirtschaftswelt. Und meistens, wenn man irgendwohin geht, dann heißt es meistens: So, und was bekomme ich dafür? Was erwartet mich? Lohnt sich das oder nicht?"

Weitere Literaturhinweise:
Bund Heimat und Umwelt Deutschland (Hrg.): Dorfkirchen in Deutschland
Bonn, 2007