Die Kartographen der Apokalypse

Von Peter Kaiser |
Meist verändern Erdbeben, Erdrutsche oder Flutwellen das Gelände so stark, dass die Rettungsteams umgehend hochaktuelle Land- und Straßenkarten benötigen. Doch wie fertigt man eine solche Katastrophenkarte?
Wird ein Gebiet irgendwo auf der Welt von einer Katastrophe heimgesucht, wie jüngst erst die Türkei von einem Erdbeben, sind Rettungsteams von Organisationen wie "Ärzte ohne Grenzen", Technisches Hilfswerk, THW, UN und viele andere oft in wenigen Stunden einsatzbereit. Doch die Retter vor Ort könnten kaum gezielt helfen, wenn sie nicht wissen, wie es im Katastrophengebiet aussieht.

Tobias Scheiderhan: "Bei uns im ZKI, also im Zentrum für satellitengestützte Kriseninformation, haben wir ein fünfköpfiges Team, bestehend aus einem Erstkontakt, der das Krisentelefon führt. Die Nummer ist den Nutzern bekannt, die können jederzeit bei uns anrufen. 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, 365 Tage im Jahr."

Tobias Schneiderhan ist Kartograph am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt. Er leitet hier das ZKI, das 2004 gegründet wurde:

"Dann haben wir einen Aktivierungsmanager, der vom Erstkontakt, sobald die Anfrage geklärt ist, die Anfrage übernimmt und dann die Kartierung bis zum Ende überwacht. Und dann haben wir noch einen Geoinformationsmanager. Der ist dafür zuständig, Zusatzinformation zu sammeln und das Kartenprodukt zu erstellen. Und wir haben einen Bildverarbeiter, der die Satellitendaten empfängt, prozessiert."

Die aktuellen Karten des ZKI aus Oberpfaffenhofen helfen, erste Fragen zu beantworten. Welche Brücken sind eingestürzt, wo können Notlager aufgestellt werden, wie sieht es am Unglücksort direkt aus? Doch wie werden solche Karten für den Nutzer erstellt?

"Wir müssen wissen, welche Katastrophe ist passiert. Welche Informationen benötigt er. Darauf kann man dann die Satelliten programmieren. Das heißt, je nachdem welche Naturkatastrophe passiert ist, brauche ich unterschiedliche Sensoren. Für Flut braucht man in erster Linie Radarsensoren, weil man durch die Wolkendecke durchschauen muss. Für Erdbebenschäden braucht man meistens optische, hochauflösende Satelliten. Das Problem ist, die Satelliten nehmen nicht permanent auf. Das heißt, die nehmen nur auf, wenn man ihnen sagt: Schaue genau zu dem Zeitpunkt dort hin. Und das muss dann in der ersten Phase passieren."

Um die Frage zu beantworten, wie Krisenkarten erstellt werden, lohnt sich ein Besuch im Geodätenstand auf dem Dach des Hauptgebäudes der Berliner Technischen Universität. Hartmut Lehmann öffnet die Tür zur wichtigen Satellitenbeobachtungsstelle:

"Der Geodätenstand wurde aus den Gründen gebaut, um hier hochpräzise Messungen herzustellen. Und Sie sehen, hier unten im Boden eingelassen sind eingemessene, feste Standpunkte, mit denen hochpräzise Messinstrumente aufgebaut werden können."

Denn nur, wenn man die aktuellen Positionen der Satelliten bestimmen kann, ist es auch möglich, präzise Landkarten für die Katastrophengebiete aus den gewonnenen Messungen zu erstellen. Die Satelliten für die Krisenkarten, sagt Professor Roman Galas, müssen niedrig fliegende Satelliten sein…

"…die auf niedrigen Umlaufbahnen untergebracht sind, mit Umlaufzeiten von zwei, drei, vier Stunden, die dann kontinuierlich die Aufnahmen von Erdoberfläche erstellen. Das sind Radarsensoren. Dazu gehört auch Bodeninfrastruktur, um die Bahnen der Satelliten genau zu vermessen."

Insbesondere hochkomplizierte Laserapparaturen, verteilt auf mehrere Stationen weltweit ermöglichen es, die Position der Satelliten extrem genaue zu bestimmen.

Doch Krisenkarte ist nicht gleich Krisenkarte, meint auch Hartmut Lehmann. Sie müssen schnell erstellt werden und für die Hilfskräfte vor Ort auch eindeutig lesbar, also mit Erläuterungen versehen sein:

"Die Kartengraphik spielt eine riesengroße Rolle. Genauso die Ausrichtung auf die Zielgruppe. Also eine ganz übliche topographische Karte, so wie wir es kennen aus der konventionellen Kartographie, würde offensichtlich für diese Zwecke nicht zureichen und wäre beinahe zu komplex. Und in solchen Fällen scheint es wichtig zu sein, möglich schnell genau Informationen der Physiognomie der entsprechenden Landschaft zu bekommen."

Satelliten sind die Hauptinformationsgeber im Katastrophenfall. Die Strahlung des DLR-Satelliten "Terrasar-X" etwa passiert Wolken. Land und Wasser reflektieren die Strahlung, später sind auf dem Radarbild ruhige Wasserflächen als dunkle Bereiche zu sehen, Gebirge als helle, Land ist gräulich. All das ergibt ein Lagebild. Tobias Schneiderhan und sein Team verarbeiten dann die Daten:

"Und so, wie der Nutzer sich das gewünscht hat, dann in Kartenprodukte umgesetzt, in Karten. Und dann eben ausgeliefert in der Form, wie sich es der Nutzer eben wünscht. Ob jetzt als E-mail-Anhang, oder auf den FDP-Server als Download von unserer Webseite. Oder, was auch sein kann, wir drucken ihm das in A1-Format aus, laminieren es, schicken es ihm an den Flughafen, so dass er es mit seinem nächsten Flieger mit ins Feld nehmen kann."

Die Burkina-Faso-Flut, Deutschland- oder Polen-Fluten, Island-Vulkan... ohne die DLR-Kartographen vor den Bildschirmen würde jede Hilfe vor Ort zu spät kommen, weil die Retter selbst in die Irre gehen. Denn die Krisenkarten zeigen, was vor Ort wo gebraucht wird, wo Gefahren noch lauern, Tote und Verletzte liegen oder Straßen nicht mehr passierbar sind. Darum muss die Kartenerstellung sehr schnell erfolgen.

Tobias Schneiderhan: "Das heißt, in dieser Phase des Satellitenprogrammierens, bis dann aufgenommen wird und ausgeliefert wird an den Daten, also an den Serviceprovider, da können zum Teil 24 bis 48 Stunden schon alleine vergehen. Und wir als Analyseteam, wir brauchen dann vielleicht noch mal so sechs bis acht Stunden, um das Produkt zu generieren."

Inzwischen kommen immer öfter Informationen direkt aus den Krisengebieten. Hilfsorganisationen schicken Excel-Tabellen mit Flüchtlingszahlen und Fotos. Non-Profit-Organisationen wie MapAction bringen Freiwillige direkt ins Feld, die, ausgerüstet mit vernetzten Computern, GPS-Geräten und einem Farbdrucker zusätzlich Informationen liefern. Mehr und mehr aber helfen die Betroffenen selbst per Twitter, SMS oder E-Mail. "Recall aus dem Feld" wird das genannt, in Oberpfaffenhofen will man diesen "Recall" in Zukunft noch intensivieren. Denn in Zukunft, sagt Tobias Scheiderhan, wird es immer mehr zu tun geben.

"Das hat auch mehrere Gründe. Zum einen natürlich aus Gründen des Klimawandels, weil ganz einfach mehr Naturkatastrophen passieren. Zum anderen aber auch, dass die Nutzer immer mehr wissen, dass sie auf solche Ressourcen zurückgreifen können. Das heißt, das Bewusstsein ist dafür geschaffen."

Homepage des Zentrums für satellitengestützte Kriseninformation (ZKI)