Die Jagd nach der Qualle
Die Rippenqualle "Mnemiopsis leidyi" wurde aus Nordamerika in europäische Gewässer eingeschleppt. Sie frisst jetzt auch in der Ostsee dem Dorsch das Futter weg und verschmäht die Dorscheier nicht. Aber ist die Qualle nur ein Schädling? Oder filtert sie Schadstoffe aus dem Wasser und hilft so, die Ostsee zu reinigen?
Schleswig-holsteinische Schüler haben sich die Aufgabe gestellt, das herauszufinden. Im Rahmen des Meereswettbewerbs "Forschen auf See" gingen sie für eine Woche an Bord des Forschungsschiffes "Aldebaran", um Rippenquallen zu fangen und gleich an Bord zu untersuchen.
Montagmorgen im Kieler Hafen. Piotr Baran und Henrik Gollek gehen an Bord des Forschungsschiffs "Aldebaran". Die Gymnasiasten aus der 9. Klasse der Ludwig-Meyn-Schule in Uetersen wollen sich fünf Tage lang auf die Spur der Rippenqualle "Mnemiopsis leidyi" machen. Sie wurde aus Nordamerika eingeschleppt – vermutlich im Ballastwasser eines Schiffes, sagt Piotr:
"Sie ist hier in der Ostsee eingewandert, also neu identifiziert vor zwei Jahren. Ja - und es ist fast nichts über sie bekannt. Also klar: Nahrungskonkurrent und Schreckgespenst für Badeurlauber. Und da wollen wir jetzt die guten Seiten der Qualle erforschen. Also die Chemikalien, ob sie die umwandelt. Also Phosphat und Ammonium und Nitrit. Ob sie die umwandeln kann und als Filter fungiert."
Im Schwarzen Meer und im Kaspischen Meer wurde die Rippenqualle für ein Verschwinden großer Fischbestände in den 80er Jahren verantwortlich gemacht. Und man befürchtet, dass sie nun in der Ostsee den schon durch die Fischerei stark dezimierten Dorsch gefährdet, weil sie ihm das Futter weg frisst und – noch schlimmer – sich auch von Dorscheiern ernährt. Aber kann die "Mnemiopsis leidyi" auch Schadstoffe aus dem Ostseewasser herausfiltern? Henrik erklärt, warum sie sich für drei ganz bestimmte chemische Stoffe interessieren:
"Also Nitrit ist ein Fischgift, Phosphat kann zu Algenblüten führen. Und dann Ammonium. Das sind Stoffe, die nicht unbedingt für die Gesundheit des Meeres zuständig sind."
Sie wussten, dass Plankton Schadstoffe aus dem Meer aufnimmt und bindet – und die Rippenqualle frisst vor allem Plankton. Da lag es für die Schüler nahe, zu untersuchen, ob die Rippenqualle sich auch direkt von chemischen Stoffen ernähren kann:
Henrik: "Wenn die Qualle das sogar als Nahrung aufnimmt, hat sie erstens eine alternative Nahrung zu Fischlarven und generell Plankton und würde dadurch gleichzeitig das Meer filtern, was eigentlich der Grundgedanke von uns war, inwieweit sie – ja – als Ostseefilter sozusagen dient."
Mit dieser Idee bewarben sich Henrik und Piotr, am Jugendwettbewerb "Forschen auf See" teilzunehmen. Ihre Biologie-Lehrerin Doris Schmidt hatte sie auf den Wettbewerb aufmerksam gemacht.
Schmidt: "Ich hab esse von diesem Wettbewerb gelesen und war sehr fasziniert davon. Bin dann gleich mit dieser Idee in die Klasse rein und habe den Schülern das vorgestellt. Piotr und Henrik waren gleich Feuer und Flamme. Dann haben wir uns rangesetzt und überlegt, was könnten wir untersuchen, was können wir erforschen, und so ist also eine Projektidee entstanden. Und jetzt sind sie hier an Bord, die beiden Schüler."
Die Lehrerin ist heute in den Kieler Hafen gekommen, um ihre Schüler zu verabschieden.
Das Forschungsschiff "Aldebaran" ist fertig zum Ablegen. An Bord sind außer den beiden Schülern der Skipper, der Co-Skipper und eine Meeresbiologin. Skipper Frank Schweikert verliest noch die Sicherheitsbestimmungen und fügt hinzu:
Schweikert: "Für alles verantwortlich hier an Bord ist natürlich der Skipper. Es gibt an Bord eines Schiffes in bestimmten Situationen auch keine Diskussionen, d.h., was der Kapitän sagt, ist auch verbindlich …"
Henrik und Piotr sind ungeduldig. Endlich geht es los:
Unter Segeln verlässt das dreizehneinhalb Meter lange Schiff den Hafen.
Die Fahrt wird schneller. Für die beiden Schüler beginnt ein fünftägiges Abenteuer, auf das sie sich gründlich vorbereitet haben:
Piotr: "Wir haben einen Marathon gemacht – also die Vorbereitung war ein Marathon, also zwei Tage normal und drei Tage Bewerbungsschreiben. Die Hoffnung war ziemlich gering, aber sie war da. Und letztendlich hat es sich auch gelohnt."
Ihr Konzept überzeugte die Ausrichter des Wettbewerbs vom Hamburger Zentrum für Marine und Atmosphärische Wissenschaften. Sie wurden ausgewählt, auf Forschungsreise an Bord der "Aldebaran" zu gehen.
Henrik: "Da haben wir uns dann natürlich, als feststand, dass wir die Rippenqualle nehmen würden, intensiv mit ihr beschäftigt, also was man in den Medien generell darüber findet, und dann haben wir angefangen, einen ziemlich genauen Plan aufzustellen, was wir hier durchführen wollen. Also wir beschäftigen uns ja damit, welche Stoffe sie eventuell aufnimmt, und da haben wir uns überlegt, welche Werte da realistisch wären usw., haben uns dann gekümmert, dass wir die Chemikalien besorgen können, die haben wir bekommen, und dann abgewogen in kleinen Fläschchen, damit wir hier nicht groß noch mit sehr feinen Waagen rumhantieren müssen, dass wir die gleich einsatzbereit haben. Also ein relativ genauer Plan und so viel Informationen wie möglich über die Qualle."
Bei den Vorbereitungen der Tests, die sie an Bord durchführen wollen, bekamen sie Hilfe von ihrer Schule:
Piotr: "Unter anderem haben wir den Chemielehrer gefragt, wie man das ausrechnet, die Formel, um eine bestimmte Konzentration zu bekommen. Die Formel haben wir dann übernommen und dann halt ausgerechnet, was für Konzentration wir brauchen."
Dann teilten sie den Organisatoren mit, was sie an Bord für ihre Versuche benötigen.
Henrik: "Wir konnten schon ziemlich genau vorgeben, was wir haben wollten. Also da waren kaum Grenzen gesetzt. An Gerätschaften war so gut wie alles da."
Davon haben sie sich vor der Fahrt überzeugt. Im Salon des Forschungsschiffs fanden sie sogar einen großen Flachbildschirm vor:
Henrik: "Also, der ist nicht zum Fernsehen gucken da. Wir haben zum Beispiel ein Binokular an Bord, das ist so was Ähnliches wie ein Mikroskop. Wenn einer reinguckt, kann der ganze Rest der Mannschaft zugucken, das wird dann halt auf den Bildschirm übertragen. Oder zum Beispiel für die Unterwasserkamera, die wir hinterm Schiff herziehen können, oder auch Taucher einsetzen können, dass halt einer was macht, und alle anderen auch zugucken können und bestimmen können."
Was die "Aldebaran" sonst noch zu bieten hat, schildert Skipper Frank Schweikert. Er ist auch Geschäftsführer der Organisation "Aldebaran", die das Schiff betreibt:
Schweikert: "Das Schiff ist eigentlich ein Segelschiff, aber vor 17 Jahren komplett umgebaut worden. Wir haben ein kleines Labor an Bord, wir haben Mikroskope an Bord, wir haben unterschiedlichste Kameras an Bord, wir haben viel, viel Elektronik, um auch die Kommunikation sicher zu stellen, es wird ja jeden Tag hier von Bord ein Tagebuch veröffentlicht – der Schüler, wir können also ins Internet, und alles was mit Navigation zu tun hat, ist auch – ich würde mal sagen – überdimensioniert, wir haben mehrere elektronische Seekarten, um einfach auf der einen Seite auf Nummer sicher zu gehen und auf der anderen Seite den Schülern auch zu zeigen, wie es in der Seefahrt, wie es auf einem richtigen Schiff so zugeht."
Die "Aldebaran" wird dabei von einem Förderverein unterstützt. Ihr Konzept ist schon mehrfach ausgezeichnet worden.
Schweikert: "Die Aldebaran ist ein einmaliges Medien- und Forschungsschiff, mit dem Ziel, den Menschen das Meer einfach näher zu bringen und zwar auf interessante, auf spannende Art und Weise, weil das Meer ein irrsinnig wichtiger Lebensraum für die Zukunft der Menschen auf dem Planeten Erde is. Und deswegen wollen wir mit diesem Boot, mit diesem Projekt ein Zeichen setzen, um Dinge, die das Meer betreffen, ganz einfach noch bekannter zu machen."
Oben an Deck bereiten sich die Schüler noch in der Nähe der Küste darauf vor, Quallen mit einem Netz zu fangen. Dabei müssen sie sich weit hinauslehnen – natürlich sind sie entsprechend gesichert, sagt Piotr.
Piotr: "Wir müssen uns da einklinken. Falls wir rausfallen, sind wir immer noch mit dem Schiff verbunden und treiben nicht hinaus. Also der Sicherheit wegen."
Sie lassen das Netz bei langsamer Fahrt ins Wasser und ziehen es nach etwa einer halben Minute wieder hoch.
Rippenquallen sind aber nicht dabei. An Bord der "Aldebaran" müssen die Experimente mit der nordamerikanischen Rippenqualle "Mnemiopsis leidyi" noch warten. Die Spezies war vor zwei Jahren erstmals in der Ostsee entdeckt worden – von Jamileh Javidpour. Sie forscht am Kieler Leibniz-Institut für Meereswissenschaften direkt an der Kieler Förde und erinnert sich an ihren Fund:
Javidpour: "Wir machen wöchentliche Probe in Kieler Förde. Für meine Doktorarbeit mache ich das. Und in Oktober 2006 wir haben eine neue Rippenqualle gesehen. Das war zum ersten Mal, dass wir das berichtet haben in Ostsee. Und dann kamen ein paar Fotos von Nordsee. Da ist es auch in Nordsee gegangen. Obwohl: wir wissen nicht, ob das erst in Nordsee gegangen ist und dann zur Ostsee oder von Ostsee ist in Nordsee eingeschleppt."
Inzwischen haben die Forscher vom Leibniz-Institut für Meereswissenschaften schon Näheres über die nordamerikanische Rippenqualle herausgefunden. Sie hatten im vergangenen Jahr in den Hauptlaichgebieten des Dorsches spezielle Netze ausgebracht, die sich in genau der Tiefe schließen lassen, in dem sich Dorscheier befinden. Jörn Schmidt, der an der Exkursion teilnahm, schildert das Ergebnis:
Schmidt: "In den Netzen haben wir dann auch Rippenquallen gefunden – zu unserem Erstaunen. Es war ja nun schon länger bekannt, dass sie in der Ostsee sind, und es war auch bekannt, dass sie teilweise schon in der zentralen Ostsee in sehr geringen Häufigkeiten nur gefunden worden sind. Also einzelne Exemplare in den Netzen. Und als wir die Proben genommen haben, haben wir feststellen müssen, dass sehr viele Quallen da waren."
Die Kieler Meereswissenschaftler gingen auch der Frage nach, ob die Rippenqualle tatsächlich Dorscheier frisst.
Schmidt: "Als wir die dann näher untersucht haben, haben wir festgestellt, dass in einigen Quallen tatsächlich auch Fischeier zu finden waren, im Magen- und Darm-Trakt. Sowohl Sprott- als auch Dorscheier. Die Rippenquallen haben tatsächlich beide Arten gefressen."
Dass die nordamerikanische Rippenqualle auch in der Ostsee neben Plankton Fischeier frisst, war für die Wissenschaftler neu – aber es war zu befürchten:
Schmidt: "Es ist bekannt aus ihrem Heimatgebiet vor der amerikanischen Küste. Und das ist auch das Hauptproblem, was dann im Schwarzen Meer und im Kaspischen Meer sich dann dargestellt hat, dass sie da halt sehr stark die Fischbrut und vor allem die Eier fressen."
Neuere Untersuchungen haben gezeigt, dass die "Mnemiopsis leidyi" im Schwarzen und im Kaspischen Meer in den 80er Jahren nicht allein für den Rückgang der Fischbestände verantwortlich war. Aber bisher ist nicht allzu viel über diese Qualle bekannt. Ihre Erforschung am Kieler Leibnizinstitut für Meereswissenschaften geht weiter. Jamileh Javidpour und ihre Kollegen wissen von dem Projekt der Gymnasiasten Piotr Baran und Henrik Gollek – sie sind gespannt auf das Ergebnis.
Zurück an Bord. Für Piotr und Henrik beginnt der dritte Tag auf der "Aldebaran". Das Forschungssegelschiff hat die Nacht im Yachthafen von Damp verbracht. Nach dem Frühstück führen die Schüler Experimente mit den Rippenquallen durch, die sie inzwischen gefangen haben. Meeresbiologin Kristin Barz unterstützt sie.
In mehreren Gläsern sind verschiedene Flüssigkeiten, und darin schwimmen unterschiedlich große Quallen – oder das, was von ihnen übrig ist, sagt Henrik.
Henrik: "Wir haben jetzt hier einige sehr große Exemplare gefangen – vier bis fünf Zentimeter. Die haben jetzt zwei Tage überlebt im Aquarium. Vielleicht hätten sie im Meer noch länger überlebt. Ansonsten lebt eine Generation drei bis fünf Wochen in etwa. Also nicht so lang."
Mit ihren Experimenten sind sie an den ersten beiden Tagen ihrer Forschungsreise schon gut voran gekommen sind.
Henrik: "Wir nehmen hier jetzt gerade Proben aus unseren Gläsern, die haben wir gestern angesetzt. Das ist eine Lösung mit Nitrit. Und da haben wir sechs Quallen insgesamt drin und überprüfen jetzt gerade die Konzentration. Und höchstwahrscheinlich können wir sagen, dass das über Nacht weniger geworden ist, was dafür sprechen würde, dass die Quallen auch Nitrit aufnehmen. Einen ersten Erfolg haben wir hier schon bei Phosphat verzeichnet. Da ist das deutlich zurückgegangen. Und da können wir sogar noch ein nachfolgendes Ergebnis berichten, also so lange die Qualle lebte, hat sie diesen Phosphat in ihrer eigenen Biomasse eingelagert, wie genau, können wir jetzt nicht sagen. Und die meisten Exemplare haben sich jetzt leider schon wieder aufgelöst, und da stieg der Gehalt wieder an. D.h., so lange sie lebt, lagert sie das Phosphat irgendwie in sich selbst ein."
Aber gibt die Qualle die Schadstoffe in gleicher Menge wieder frei oder ernährt sie sich davon und macht die Stoffe auf diese Weise unschädlich? Das gilt es herauszufinden.
Henrik: "Wir messen jetzt die Größe von den Quallen, um zu sehen, inwieweit sie hungern. Also wir haben hier jetzt eigentlich keine Nahrung drin, um einfach zu sehen, ob sie das als Nahrung nimmt oder nicht. Und tendenziell kann man sagen: eher weniger. Also die Quallen schrumpfen, d.h., ja, sie haben nichts zu fressen. Also sie nehmen die Stoffe zwar auf, aber sie nehmen sie nicht als Nahrung an."
Zumindest für zwei der untersuchten Stoffe können sie das schon sagen:
Henrik: "Phosphat haben wir untersucht, also das haben wir jetzt mehr oder weniger abgeschlossen, jetzt läuft hier gerade Nitrit, ursprünglich hatten wir ja vor, auch was mit Ammonium zu machen, aber da sind wir immer noch am Rumtüfteln, irgendwas funktioniert da nicht ganz. Wir wissen jetzt nicht, ob das an der Chemikalie selbst liegt, die wir angesetzt haben, oder am Test-Kit, oder am Zusammenspiel von allem. Da sind wir noch am Überlegen, wie wir das hinkriegen."
Auch Piotr kann sich nicht erklären, was bei den Versuchen mit Ammonium schief gelaufen ist. Er sitzt mit einem Kugelschreiber über dem Heft, in das die Ergebnisse der Tests eingetragen werden:
Piotr: "Ich notiere die Ergebnisse von unserem Versuch mit Ammonium, wo wir die Quallen reingesetzt haben, in einer Konzentration von drei Milligramm pro Liter, ja, die sind leider fast alle aufgelöst, nur zwei Überlebende haben wir, denen es noch gut geht und die noch aktiv sind und sich auch bewegen – also ist nicht so, wie wir es gedacht haben, aber auch ein Ergebnis."
Piotr ist enttäuscht. Die Frage, ob sich die "Mnemiopsis leidyi" von Ammonium ernährt, muss vorerst offen bleiben.
Piotr: "Die Erwartung war eigentlich, dass die Qualle Ammonium aufnimmt oder eben nicht aufnimmt. Also eins davon wäre wahrscheinlich eingetreten. Aber jetzt wissen wir es nicht. Sie sind alle dahin geschieden."
Kristina Barz hält die beiden Schüler dazu an, alle Ergebnisse sorgfältig zu dokumentieren:
Die Meeresbiologin arbeitet am Alfred Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven. Sie begleitet die Schüler als Patin:
Barz: "Da ich über Quallen promoviert habe und das Thema für mich auch sehr interessant ist, habe ich mich dann bei Aldebaran gemeldet und mich bereit erklärt, eine Schülergruppe zu betreuen."
Die Experimente der beiden Neunt-Klässler sind für Kristina Barz alles andere als Spielerei:
Barz: "Sie lernen wissenschaftliches Arbeiten, diszipliniertes Arbeiten, worauf es ankommt in der Wissenschaft, und sie lernen auch, dass es interessant ist und Spaß macht. Und sie merken auch, dass sie selber auch viele Ideen haben, sie selber Ideen entwickeln können, auch immer weiter kommen. Also die meisten Sachen, die wir hier machen, die wurden ja nicht vorgegeben, sondern die sind mit dieser Idee gekommen und entwickeln die hier an Bord auch tatsächlich weiter. Es gibt zum einen die Sicherheit, dass sie wissen, sie können das, und sie lernen natürlich noch eine ganze Menge dazu."
Die Flaschen mit den Flüssigkeiten und den Quallen sind inzwischen verstaut. Die Crew der "Aldebaran" will den Yachthafen von Damp verlassen. Co-Skipper Uli Kunz bittet zuvor zum Briefing. Auf dem großen Flachbildschirm an der Wand des Salons stellt er die Route der "Aldebaran" dar:
Kunz: "Also wir sind aus Kiel gekommen, sind dann nach Damp gefahren, und fahren heute nach Eckernförde. Also einen relativ kleinen Schlag. Wir schauen noch mal genauer hin: das ist die Eckernförder Bucht, wir sind hier oben in Damp, werden jetzt erst mal ein Stück nach Süden fahren und werden vermutlich an diesem Stück schon mal das Netz ins Wasser lassen – das habt Ihr ja die letzten Tage schon hervorragend gemacht – und werden dann hier nach Südwesten abbiegen, und diese lang gezogene Bucht Richtung Eckernförde lang segeln."
Zum Briefing gehört der Seewetterbericht:
Kunz: "Der Wind wird ein bisschen stärker, das ist die Windgeschwindigkeit: 16 Knoten, das ist ungefähr Fünf, und er wird auch aus Südwest und westlichen Richtungen kommen. Was das Wetter angeht, da kann ich Euch leider auch nicht allzu viel Hoffnungen machen. Ihr hattet ja die letzten beiden Tage schon relativ viel Pech. Wir heute – na ja – vielleicht nicht so viel Pech haben wie gestern. Hier steht, ein bisschen Regen und Niederschlag können wir erwarten, die Wolken werden vermutlich nicht allzu viel von uns weichen."
Oft steht Uli Kunz bei dieser Exkursion am Steuer. Aber er hat noch viele andere Aufgaben an Bord:
Kunz: "Ich bin Meeresbiologe und Forschungstaucher, ich bin hier der Co-Skipper und der Science-Coach. D.h. die Verbindung zwischen den Schülern oder der Projektgruppe und den Instituten. Ich mache die ganze Organisation, ich schau, dass die Geräte funktionieren, ich bin fürs Labor zuständig und helf natürlich dem Skipper bei allen Belangen."
Oben an Deck erklärt Henrik, wie man Quallen fängt:
Henrik: "Das ist kompliziert, weil diese Rippenquallen oder generell Quallen recht fragil sind, also sehr zerbrechlich. Wir haben es als erstes mit einem Plankton-Netz versucht in der Kieler Bucht. Da war allerdings eine starke Algenblüte, Kieselalgen waren da gerade sehr viel. D.h., das Netz, das war auch noch ein sehr feinmaschiges Netz, ist sehr schnell verstopft und ist uns dann leider bei einem Hol gerissen. Wir haben dann hier improvisiert, unser Skipper hatte zum Glück ein Moskito-Netz an Bord, das haben wir jetzt umgebaut, und damit funktioniert es erstaunlich gut. Also wir ziehen das dann hinter uns rein, lassen einen Teil im Wasser, und fischen dann mit Wassergläsern die Quallen raus. Dabei haben wir eigentlich kaum Verluste, also die Quallen überleben das erstaunlich gut."
Heute sollen noch einmal frische Quallen gefangen werden.
Das Netz wird hoch geholt – es sind Rippenquallen.
Die "Aldebaran" ist an vielen Projekten beteiligt, die den Menschen das Thema Meeresforschung näher bringen. Zum vierten Mal nimmt das Schiff in diesem Jahr Schülergruppen zu jeweils fünftägigen Exkursionen im Rahmen des Jugendwettbewerbs "Forschen auf See" an Bord. Der Wettbewerb wird in Zusammenarbeit mit der Hamburger Universität durchgeführt. Während Henrik und Piotr sowie ein weiteres Team einer anderen Schule sich um die nordamerikanische Rippenqualle kümmern, befassen sich andere Gruppen zum Beispiel damit, wie bei der Fischerei der Beifang von Schweinswalen vermieden werden kann oder wie Veränderungen des Planktons mit dem Klimawandel zusammen hängen. Ziel ist es, naturwissenschaftlichen Nachwuchs zu gewinnen, sagt Skipper und Biologe Frank Schweikert:
Schweikert: "Man muss sich rechtzeitig auch darum kümmern, dass man gute Leute bekommt, und das Projekt ist nach den bisherigen Erfahrungen wirklich hervorragend dazu geeignet, da ungefähr die Hälfte, wenn nicht sogar mehr der Schüler, die hier an Bord waren, so begeistert sind von dem, was sie an Wissenschaft erfahren haben, dass sie auf jeden Fall die Karriere eines Wissenschaftlers oder Meereswissenschaftlers anstreben."
Und das gilt auch für Piotr und Henrik aus der neunten Klasse der Ludwig-Meyn-Schule in Uetersen.
Piotr, Henrik: "Ja, durchaus, also ich könnte es mir vorstellen. Naturwissenschaftlich wahrscheinlich." - "Ich denke mal, ich werde irgendwie im biologischen Zweig arbeiten. Ich weiß jetzt nicht, ob es genau Meeresbiologie wird, aber nachdem ich hier auf dem Schiff war, wird das immer wahrscheinlicher. Das Grundinteresse ist auf jeden Fall da."
Die "Aldebaran" nähert sich dem Hafen von Eckernförde. Trotz des Sprühregens sind die Schüler guter Stimmung.
Henrik, Piotr: "War angenehm, also Seekrankheit zum Glück nicht. Kein bisschen. Es war ein bisschen regnerisch jetzt zum Schluss, aber sonst wunderbar." - "Man fährt zum Einsatzort und darf selber steuern, und hinterher macht man halt die Experimente. Das passt irgendwie zusammen."
Nachdem die "Aldebaran" im Hafen von Eckernförde festgemacht hat, denken die Schüler aber nicht etwa an einen ruhigen Feierabend:
Henrik: "Jetzt setzen wir noch mal eine Reihe Phosphat-Versuche an, in der letzten sind uns ja leider die Quallen kaputt gegangen – wo wir immer noch nicht genau wissen, woran das liegt, und müssen noch mal gucken, wie das mit dem Ammonium ist, ob wir da jetzt endlich mal zu einem Ergebnis kommen, warum wir da nichts messen können."
Für Henrik Gollek und Piotr Baran ist die fünftägige Reise an Bord des Forschungsschiffs "Aldebaran" eben nicht nur ein Ausflug – hoffentlich hält ihre Begeisterung für Naturwissenschaften an.
Montagmorgen im Kieler Hafen. Piotr Baran und Henrik Gollek gehen an Bord des Forschungsschiffs "Aldebaran". Die Gymnasiasten aus der 9. Klasse der Ludwig-Meyn-Schule in Uetersen wollen sich fünf Tage lang auf die Spur der Rippenqualle "Mnemiopsis leidyi" machen. Sie wurde aus Nordamerika eingeschleppt – vermutlich im Ballastwasser eines Schiffes, sagt Piotr:
"Sie ist hier in der Ostsee eingewandert, also neu identifiziert vor zwei Jahren. Ja - und es ist fast nichts über sie bekannt. Also klar: Nahrungskonkurrent und Schreckgespenst für Badeurlauber. Und da wollen wir jetzt die guten Seiten der Qualle erforschen. Also die Chemikalien, ob sie die umwandelt. Also Phosphat und Ammonium und Nitrit. Ob sie die umwandeln kann und als Filter fungiert."
Im Schwarzen Meer und im Kaspischen Meer wurde die Rippenqualle für ein Verschwinden großer Fischbestände in den 80er Jahren verantwortlich gemacht. Und man befürchtet, dass sie nun in der Ostsee den schon durch die Fischerei stark dezimierten Dorsch gefährdet, weil sie ihm das Futter weg frisst und – noch schlimmer – sich auch von Dorscheiern ernährt. Aber kann die "Mnemiopsis leidyi" auch Schadstoffe aus dem Ostseewasser herausfiltern? Henrik erklärt, warum sie sich für drei ganz bestimmte chemische Stoffe interessieren:
"Also Nitrit ist ein Fischgift, Phosphat kann zu Algenblüten führen. Und dann Ammonium. Das sind Stoffe, die nicht unbedingt für die Gesundheit des Meeres zuständig sind."
Sie wussten, dass Plankton Schadstoffe aus dem Meer aufnimmt und bindet – und die Rippenqualle frisst vor allem Plankton. Da lag es für die Schüler nahe, zu untersuchen, ob die Rippenqualle sich auch direkt von chemischen Stoffen ernähren kann:
Henrik: "Wenn die Qualle das sogar als Nahrung aufnimmt, hat sie erstens eine alternative Nahrung zu Fischlarven und generell Plankton und würde dadurch gleichzeitig das Meer filtern, was eigentlich der Grundgedanke von uns war, inwieweit sie – ja – als Ostseefilter sozusagen dient."
Mit dieser Idee bewarben sich Henrik und Piotr, am Jugendwettbewerb "Forschen auf See" teilzunehmen. Ihre Biologie-Lehrerin Doris Schmidt hatte sie auf den Wettbewerb aufmerksam gemacht.
Schmidt: "Ich hab esse von diesem Wettbewerb gelesen und war sehr fasziniert davon. Bin dann gleich mit dieser Idee in die Klasse rein und habe den Schülern das vorgestellt. Piotr und Henrik waren gleich Feuer und Flamme. Dann haben wir uns rangesetzt und überlegt, was könnten wir untersuchen, was können wir erforschen, und so ist also eine Projektidee entstanden. Und jetzt sind sie hier an Bord, die beiden Schüler."
Die Lehrerin ist heute in den Kieler Hafen gekommen, um ihre Schüler zu verabschieden.
Das Forschungsschiff "Aldebaran" ist fertig zum Ablegen. An Bord sind außer den beiden Schülern der Skipper, der Co-Skipper und eine Meeresbiologin. Skipper Frank Schweikert verliest noch die Sicherheitsbestimmungen und fügt hinzu:
Schweikert: "Für alles verantwortlich hier an Bord ist natürlich der Skipper. Es gibt an Bord eines Schiffes in bestimmten Situationen auch keine Diskussionen, d.h., was der Kapitän sagt, ist auch verbindlich …"
Henrik und Piotr sind ungeduldig. Endlich geht es los:
Unter Segeln verlässt das dreizehneinhalb Meter lange Schiff den Hafen.
Die Fahrt wird schneller. Für die beiden Schüler beginnt ein fünftägiges Abenteuer, auf das sie sich gründlich vorbereitet haben:
Piotr: "Wir haben einen Marathon gemacht – also die Vorbereitung war ein Marathon, also zwei Tage normal und drei Tage Bewerbungsschreiben. Die Hoffnung war ziemlich gering, aber sie war da. Und letztendlich hat es sich auch gelohnt."
Ihr Konzept überzeugte die Ausrichter des Wettbewerbs vom Hamburger Zentrum für Marine und Atmosphärische Wissenschaften. Sie wurden ausgewählt, auf Forschungsreise an Bord der "Aldebaran" zu gehen.
Henrik: "Da haben wir uns dann natürlich, als feststand, dass wir die Rippenqualle nehmen würden, intensiv mit ihr beschäftigt, also was man in den Medien generell darüber findet, und dann haben wir angefangen, einen ziemlich genauen Plan aufzustellen, was wir hier durchführen wollen. Also wir beschäftigen uns ja damit, welche Stoffe sie eventuell aufnimmt, und da haben wir uns überlegt, welche Werte da realistisch wären usw., haben uns dann gekümmert, dass wir die Chemikalien besorgen können, die haben wir bekommen, und dann abgewogen in kleinen Fläschchen, damit wir hier nicht groß noch mit sehr feinen Waagen rumhantieren müssen, dass wir die gleich einsatzbereit haben. Also ein relativ genauer Plan und so viel Informationen wie möglich über die Qualle."
Bei den Vorbereitungen der Tests, die sie an Bord durchführen wollen, bekamen sie Hilfe von ihrer Schule:
Piotr: "Unter anderem haben wir den Chemielehrer gefragt, wie man das ausrechnet, die Formel, um eine bestimmte Konzentration zu bekommen. Die Formel haben wir dann übernommen und dann halt ausgerechnet, was für Konzentration wir brauchen."
Dann teilten sie den Organisatoren mit, was sie an Bord für ihre Versuche benötigen.
Henrik: "Wir konnten schon ziemlich genau vorgeben, was wir haben wollten. Also da waren kaum Grenzen gesetzt. An Gerätschaften war so gut wie alles da."
Davon haben sie sich vor der Fahrt überzeugt. Im Salon des Forschungsschiffs fanden sie sogar einen großen Flachbildschirm vor:
Henrik: "Also, der ist nicht zum Fernsehen gucken da. Wir haben zum Beispiel ein Binokular an Bord, das ist so was Ähnliches wie ein Mikroskop. Wenn einer reinguckt, kann der ganze Rest der Mannschaft zugucken, das wird dann halt auf den Bildschirm übertragen. Oder zum Beispiel für die Unterwasserkamera, die wir hinterm Schiff herziehen können, oder auch Taucher einsetzen können, dass halt einer was macht, und alle anderen auch zugucken können und bestimmen können."
Was die "Aldebaran" sonst noch zu bieten hat, schildert Skipper Frank Schweikert. Er ist auch Geschäftsführer der Organisation "Aldebaran", die das Schiff betreibt:
Schweikert: "Das Schiff ist eigentlich ein Segelschiff, aber vor 17 Jahren komplett umgebaut worden. Wir haben ein kleines Labor an Bord, wir haben Mikroskope an Bord, wir haben unterschiedlichste Kameras an Bord, wir haben viel, viel Elektronik, um auch die Kommunikation sicher zu stellen, es wird ja jeden Tag hier von Bord ein Tagebuch veröffentlicht – der Schüler, wir können also ins Internet, und alles was mit Navigation zu tun hat, ist auch – ich würde mal sagen – überdimensioniert, wir haben mehrere elektronische Seekarten, um einfach auf der einen Seite auf Nummer sicher zu gehen und auf der anderen Seite den Schülern auch zu zeigen, wie es in der Seefahrt, wie es auf einem richtigen Schiff so zugeht."
Die "Aldebaran" wird dabei von einem Förderverein unterstützt. Ihr Konzept ist schon mehrfach ausgezeichnet worden.
Schweikert: "Die Aldebaran ist ein einmaliges Medien- und Forschungsschiff, mit dem Ziel, den Menschen das Meer einfach näher zu bringen und zwar auf interessante, auf spannende Art und Weise, weil das Meer ein irrsinnig wichtiger Lebensraum für die Zukunft der Menschen auf dem Planeten Erde is. Und deswegen wollen wir mit diesem Boot, mit diesem Projekt ein Zeichen setzen, um Dinge, die das Meer betreffen, ganz einfach noch bekannter zu machen."
Oben an Deck bereiten sich die Schüler noch in der Nähe der Küste darauf vor, Quallen mit einem Netz zu fangen. Dabei müssen sie sich weit hinauslehnen – natürlich sind sie entsprechend gesichert, sagt Piotr.
Piotr: "Wir müssen uns da einklinken. Falls wir rausfallen, sind wir immer noch mit dem Schiff verbunden und treiben nicht hinaus. Also der Sicherheit wegen."
Sie lassen das Netz bei langsamer Fahrt ins Wasser und ziehen es nach etwa einer halben Minute wieder hoch.
Rippenquallen sind aber nicht dabei. An Bord der "Aldebaran" müssen die Experimente mit der nordamerikanischen Rippenqualle "Mnemiopsis leidyi" noch warten. Die Spezies war vor zwei Jahren erstmals in der Ostsee entdeckt worden – von Jamileh Javidpour. Sie forscht am Kieler Leibniz-Institut für Meereswissenschaften direkt an der Kieler Förde und erinnert sich an ihren Fund:
Javidpour: "Wir machen wöchentliche Probe in Kieler Förde. Für meine Doktorarbeit mache ich das. Und in Oktober 2006 wir haben eine neue Rippenqualle gesehen. Das war zum ersten Mal, dass wir das berichtet haben in Ostsee. Und dann kamen ein paar Fotos von Nordsee. Da ist es auch in Nordsee gegangen. Obwohl: wir wissen nicht, ob das erst in Nordsee gegangen ist und dann zur Ostsee oder von Ostsee ist in Nordsee eingeschleppt."
Inzwischen haben die Forscher vom Leibniz-Institut für Meereswissenschaften schon Näheres über die nordamerikanische Rippenqualle herausgefunden. Sie hatten im vergangenen Jahr in den Hauptlaichgebieten des Dorsches spezielle Netze ausgebracht, die sich in genau der Tiefe schließen lassen, in dem sich Dorscheier befinden. Jörn Schmidt, der an der Exkursion teilnahm, schildert das Ergebnis:
Schmidt: "In den Netzen haben wir dann auch Rippenquallen gefunden – zu unserem Erstaunen. Es war ja nun schon länger bekannt, dass sie in der Ostsee sind, und es war auch bekannt, dass sie teilweise schon in der zentralen Ostsee in sehr geringen Häufigkeiten nur gefunden worden sind. Also einzelne Exemplare in den Netzen. Und als wir die Proben genommen haben, haben wir feststellen müssen, dass sehr viele Quallen da waren."
Die Kieler Meereswissenschaftler gingen auch der Frage nach, ob die Rippenqualle tatsächlich Dorscheier frisst.
Schmidt: "Als wir die dann näher untersucht haben, haben wir festgestellt, dass in einigen Quallen tatsächlich auch Fischeier zu finden waren, im Magen- und Darm-Trakt. Sowohl Sprott- als auch Dorscheier. Die Rippenquallen haben tatsächlich beide Arten gefressen."
Dass die nordamerikanische Rippenqualle auch in der Ostsee neben Plankton Fischeier frisst, war für die Wissenschaftler neu – aber es war zu befürchten:
Schmidt: "Es ist bekannt aus ihrem Heimatgebiet vor der amerikanischen Küste. Und das ist auch das Hauptproblem, was dann im Schwarzen Meer und im Kaspischen Meer sich dann dargestellt hat, dass sie da halt sehr stark die Fischbrut und vor allem die Eier fressen."
Neuere Untersuchungen haben gezeigt, dass die "Mnemiopsis leidyi" im Schwarzen und im Kaspischen Meer in den 80er Jahren nicht allein für den Rückgang der Fischbestände verantwortlich war. Aber bisher ist nicht allzu viel über diese Qualle bekannt. Ihre Erforschung am Kieler Leibnizinstitut für Meereswissenschaften geht weiter. Jamileh Javidpour und ihre Kollegen wissen von dem Projekt der Gymnasiasten Piotr Baran und Henrik Gollek – sie sind gespannt auf das Ergebnis.
Zurück an Bord. Für Piotr und Henrik beginnt der dritte Tag auf der "Aldebaran". Das Forschungssegelschiff hat die Nacht im Yachthafen von Damp verbracht. Nach dem Frühstück führen die Schüler Experimente mit den Rippenquallen durch, die sie inzwischen gefangen haben. Meeresbiologin Kristin Barz unterstützt sie.
In mehreren Gläsern sind verschiedene Flüssigkeiten, und darin schwimmen unterschiedlich große Quallen – oder das, was von ihnen übrig ist, sagt Henrik.
Henrik: "Wir haben jetzt hier einige sehr große Exemplare gefangen – vier bis fünf Zentimeter. Die haben jetzt zwei Tage überlebt im Aquarium. Vielleicht hätten sie im Meer noch länger überlebt. Ansonsten lebt eine Generation drei bis fünf Wochen in etwa. Also nicht so lang."
Mit ihren Experimenten sind sie an den ersten beiden Tagen ihrer Forschungsreise schon gut voran gekommen sind.
Henrik: "Wir nehmen hier jetzt gerade Proben aus unseren Gläsern, die haben wir gestern angesetzt. Das ist eine Lösung mit Nitrit. Und da haben wir sechs Quallen insgesamt drin und überprüfen jetzt gerade die Konzentration. Und höchstwahrscheinlich können wir sagen, dass das über Nacht weniger geworden ist, was dafür sprechen würde, dass die Quallen auch Nitrit aufnehmen. Einen ersten Erfolg haben wir hier schon bei Phosphat verzeichnet. Da ist das deutlich zurückgegangen. Und da können wir sogar noch ein nachfolgendes Ergebnis berichten, also so lange die Qualle lebte, hat sie diesen Phosphat in ihrer eigenen Biomasse eingelagert, wie genau, können wir jetzt nicht sagen. Und die meisten Exemplare haben sich jetzt leider schon wieder aufgelöst, und da stieg der Gehalt wieder an. D.h., so lange sie lebt, lagert sie das Phosphat irgendwie in sich selbst ein."
Aber gibt die Qualle die Schadstoffe in gleicher Menge wieder frei oder ernährt sie sich davon und macht die Stoffe auf diese Weise unschädlich? Das gilt es herauszufinden.
Henrik: "Wir messen jetzt die Größe von den Quallen, um zu sehen, inwieweit sie hungern. Also wir haben hier jetzt eigentlich keine Nahrung drin, um einfach zu sehen, ob sie das als Nahrung nimmt oder nicht. Und tendenziell kann man sagen: eher weniger. Also die Quallen schrumpfen, d.h., ja, sie haben nichts zu fressen. Also sie nehmen die Stoffe zwar auf, aber sie nehmen sie nicht als Nahrung an."
Zumindest für zwei der untersuchten Stoffe können sie das schon sagen:
Henrik: "Phosphat haben wir untersucht, also das haben wir jetzt mehr oder weniger abgeschlossen, jetzt läuft hier gerade Nitrit, ursprünglich hatten wir ja vor, auch was mit Ammonium zu machen, aber da sind wir immer noch am Rumtüfteln, irgendwas funktioniert da nicht ganz. Wir wissen jetzt nicht, ob das an der Chemikalie selbst liegt, die wir angesetzt haben, oder am Test-Kit, oder am Zusammenspiel von allem. Da sind wir noch am Überlegen, wie wir das hinkriegen."
Auch Piotr kann sich nicht erklären, was bei den Versuchen mit Ammonium schief gelaufen ist. Er sitzt mit einem Kugelschreiber über dem Heft, in das die Ergebnisse der Tests eingetragen werden:
Piotr: "Ich notiere die Ergebnisse von unserem Versuch mit Ammonium, wo wir die Quallen reingesetzt haben, in einer Konzentration von drei Milligramm pro Liter, ja, die sind leider fast alle aufgelöst, nur zwei Überlebende haben wir, denen es noch gut geht und die noch aktiv sind und sich auch bewegen – also ist nicht so, wie wir es gedacht haben, aber auch ein Ergebnis."
Piotr ist enttäuscht. Die Frage, ob sich die "Mnemiopsis leidyi" von Ammonium ernährt, muss vorerst offen bleiben.
Piotr: "Die Erwartung war eigentlich, dass die Qualle Ammonium aufnimmt oder eben nicht aufnimmt. Also eins davon wäre wahrscheinlich eingetreten. Aber jetzt wissen wir es nicht. Sie sind alle dahin geschieden."
Kristina Barz hält die beiden Schüler dazu an, alle Ergebnisse sorgfältig zu dokumentieren:
Die Meeresbiologin arbeitet am Alfred Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven. Sie begleitet die Schüler als Patin:
Barz: "Da ich über Quallen promoviert habe und das Thema für mich auch sehr interessant ist, habe ich mich dann bei Aldebaran gemeldet und mich bereit erklärt, eine Schülergruppe zu betreuen."
Die Experimente der beiden Neunt-Klässler sind für Kristina Barz alles andere als Spielerei:
Barz: "Sie lernen wissenschaftliches Arbeiten, diszipliniertes Arbeiten, worauf es ankommt in der Wissenschaft, und sie lernen auch, dass es interessant ist und Spaß macht. Und sie merken auch, dass sie selber auch viele Ideen haben, sie selber Ideen entwickeln können, auch immer weiter kommen. Also die meisten Sachen, die wir hier machen, die wurden ja nicht vorgegeben, sondern die sind mit dieser Idee gekommen und entwickeln die hier an Bord auch tatsächlich weiter. Es gibt zum einen die Sicherheit, dass sie wissen, sie können das, und sie lernen natürlich noch eine ganze Menge dazu."
Die Flaschen mit den Flüssigkeiten und den Quallen sind inzwischen verstaut. Die Crew der "Aldebaran" will den Yachthafen von Damp verlassen. Co-Skipper Uli Kunz bittet zuvor zum Briefing. Auf dem großen Flachbildschirm an der Wand des Salons stellt er die Route der "Aldebaran" dar:
Kunz: "Also wir sind aus Kiel gekommen, sind dann nach Damp gefahren, und fahren heute nach Eckernförde. Also einen relativ kleinen Schlag. Wir schauen noch mal genauer hin: das ist die Eckernförder Bucht, wir sind hier oben in Damp, werden jetzt erst mal ein Stück nach Süden fahren und werden vermutlich an diesem Stück schon mal das Netz ins Wasser lassen – das habt Ihr ja die letzten Tage schon hervorragend gemacht – und werden dann hier nach Südwesten abbiegen, und diese lang gezogene Bucht Richtung Eckernförde lang segeln."
Zum Briefing gehört der Seewetterbericht:
Kunz: "Der Wind wird ein bisschen stärker, das ist die Windgeschwindigkeit: 16 Knoten, das ist ungefähr Fünf, und er wird auch aus Südwest und westlichen Richtungen kommen. Was das Wetter angeht, da kann ich Euch leider auch nicht allzu viel Hoffnungen machen. Ihr hattet ja die letzten beiden Tage schon relativ viel Pech. Wir heute – na ja – vielleicht nicht so viel Pech haben wie gestern. Hier steht, ein bisschen Regen und Niederschlag können wir erwarten, die Wolken werden vermutlich nicht allzu viel von uns weichen."
Oft steht Uli Kunz bei dieser Exkursion am Steuer. Aber er hat noch viele andere Aufgaben an Bord:
Kunz: "Ich bin Meeresbiologe und Forschungstaucher, ich bin hier der Co-Skipper und der Science-Coach. D.h. die Verbindung zwischen den Schülern oder der Projektgruppe und den Instituten. Ich mache die ganze Organisation, ich schau, dass die Geräte funktionieren, ich bin fürs Labor zuständig und helf natürlich dem Skipper bei allen Belangen."
Oben an Deck erklärt Henrik, wie man Quallen fängt:
Henrik: "Das ist kompliziert, weil diese Rippenquallen oder generell Quallen recht fragil sind, also sehr zerbrechlich. Wir haben es als erstes mit einem Plankton-Netz versucht in der Kieler Bucht. Da war allerdings eine starke Algenblüte, Kieselalgen waren da gerade sehr viel. D.h., das Netz, das war auch noch ein sehr feinmaschiges Netz, ist sehr schnell verstopft und ist uns dann leider bei einem Hol gerissen. Wir haben dann hier improvisiert, unser Skipper hatte zum Glück ein Moskito-Netz an Bord, das haben wir jetzt umgebaut, und damit funktioniert es erstaunlich gut. Also wir ziehen das dann hinter uns rein, lassen einen Teil im Wasser, und fischen dann mit Wassergläsern die Quallen raus. Dabei haben wir eigentlich kaum Verluste, also die Quallen überleben das erstaunlich gut."
Heute sollen noch einmal frische Quallen gefangen werden.
Das Netz wird hoch geholt – es sind Rippenquallen.
Die "Aldebaran" ist an vielen Projekten beteiligt, die den Menschen das Thema Meeresforschung näher bringen. Zum vierten Mal nimmt das Schiff in diesem Jahr Schülergruppen zu jeweils fünftägigen Exkursionen im Rahmen des Jugendwettbewerbs "Forschen auf See" an Bord. Der Wettbewerb wird in Zusammenarbeit mit der Hamburger Universität durchgeführt. Während Henrik und Piotr sowie ein weiteres Team einer anderen Schule sich um die nordamerikanische Rippenqualle kümmern, befassen sich andere Gruppen zum Beispiel damit, wie bei der Fischerei der Beifang von Schweinswalen vermieden werden kann oder wie Veränderungen des Planktons mit dem Klimawandel zusammen hängen. Ziel ist es, naturwissenschaftlichen Nachwuchs zu gewinnen, sagt Skipper und Biologe Frank Schweikert:
Schweikert: "Man muss sich rechtzeitig auch darum kümmern, dass man gute Leute bekommt, und das Projekt ist nach den bisherigen Erfahrungen wirklich hervorragend dazu geeignet, da ungefähr die Hälfte, wenn nicht sogar mehr der Schüler, die hier an Bord waren, so begeistert sind von dem, was sie an Wissenschaft erfahren haben, dass sie auf jeden Fall die Karriere eines Wissenschaftlers oder Meereswissenschaftlers anstreben."
Und das gilt auch für Piotr und Henrik aus der neunten Klasse der Ludwig-Meyn-Schule in Uetersen.
Piotr, Henrik: "Ja, durchaus, also ich könnte es mir vorstellen. Naturwissenschaftlich wahrscheinlich." - "Ich denke mal, ich werde irgendwie im biologischen Zweig arbeiten. Ich weiß jetzt nicht, ob es genau Meeresbiologie wird, aber nachdem ich hier auf dem Schiff war, wird das immer wahrscheinlicher. Das Grundinteresse ist auf jeden Fall da."
Die "Aldebaran" nähert sich dem Hafen von Eckernförde. Trotz des Sprühregens sind die Schüler guter Stimmung.
Henrik, Piotr: "War angenehm, also Seekrankheit zum Glück nicht. Kein bisschen. Es war ein bisschen regnerisch jetzt zum Schluss, aber sonst wunderbar." - "Man fährt zum Einsatzort und darf selber steuern, und hinterher macht man halt die Experimente. Das passt irgendwie zusammen."
Nachdem die "Aldebaran" im Hafen von Eckernförde festgemacht hat, denken die Schüler aber nicht etwa an einen ruhigen Feierabend:
Henrik: "Jetzt setzen wir noch mal eine Reihe Phosphat-Versuche an, in der letzten sind uns ja leider die Quallen kaputt gegangen – wo wir immer noch nicht genau wissen, woran das liegt, und müssen noch mal gucken, wie das mit dem Ammonium ist, ob wir da jetzt endlich mal zu einem Ergebnis kommen, warum wir da nichts messen können."
Für Henrik Gollek und Piotr Baran ist die fünftägige Reise an Bord des Forschungsschiffs "Aldebaran" eben nicht nur ein Ausflug – hoffentlich hält ihre Begeisterung für Naturwissenschaften an.