Die israelische Band TheAngelcy

Trotzige Träumer

Schlagzeug
Schlagzeug © imago/Westend61
Von Noemi Schneider · 25.01.2016
"Wir sind eine Naturkatastrophe" singen vier Männer und zwei Frauen der israelischen Band TheAngelcy. In ihrer Heimat sind sie durch diese Zeilen seit Jahren bestens bekannt. In Deutschland soll das mit ihrem Debütalbum "Exit Inside" jetzt auch passieren.
"TheAngelcy war eine Art Witz. Als ich in Europa auf der Straße lebte, habe ich das gesagt. Hippies lieben es ja zweideutige Sachen zu sagen und wenn mich die Leute fragten: ´Wieso lebst du so, was machst du?' Habe ich geantwortet: Ich bin ein Engel, ich bin auf geheimer Mission, ich arbeite für die Angelcy, eine Agentur für Engel."
Rotem Bar Or, der 36-jährige Bandleader, Songschreiber und Gitarrist der "Angelcy", sitzt in einem Café in Tel Aviv. Seine Birkenstock hat er neben sich gestellt, er ist am liebsten barfuß, auch auf der Bühne – eine Hippie-Gewohnheit aus seinen Lehr-und Wanderjahren, nach dem Militärdienst, als Straßenmusiker in Europa und Asien.
"Als ich zurück kam, wusste ich, dass ich etwas aus dieser Inspiration machen muss, die ich auf meinen Reisen gekriegt habe, aber ich wusste nicht genau was. Ich habe vieles ausprobiert, aber es hat immer irgendwas gefehlt. Die Leute haben gesagt: Ich sei talentiert aber, ehrlich gesagt, wenn du jemandem einen Song vorspielst und der sagt dann: ´Wow du hast Talent, dass muss im Radio laufen', dann ist das genau die falsche Reaktion, die richtige Reaktion wäre, wenn die Person weint."
Was Rotem und seinen Liedern ganz offensichtlich fehlte, als er 2010 in seine Heimat zurückehrte, war die "richtige" Live-Band, die er einfach nicht fand. Als er kurz davor war die Musik an den Nagel zu hängen, bot ihm ein Freund seine Hilfe an.
"Er sagte, ich helfe Dir eine Band zusammen zu stellen, lass uns eine Liste machen von allem, was wir brauchen und er verlangte von mir, dass ich mehr Verantwortung übernahm, was die Arrangements betraf, denn ich hatte da so eine Regel, dass ich niemandem vorschreiben würde, was er oder sie zu spielen hat, das war wohl ein bisschen zu romantisch. Tja und dann hatten wir auf einmal eine Band."
Mit der richtigen Besetzung ging plötzlich alles ganz schnell: Schon nach kurzer Zeit erspielten sich TheAngelcy mit Bar Ors lyrischen englischen Texten und leichtfüßigen, folkigen Arrangements in Israel eine wachsende Fangemeinde. 2011 veröffentlichten sie ihre erste Demo Ep "Beginners Love", 2014 folgte das Debütalbum: "Exit Inside" und erste Auftritte in Europa.
Einer ihrer größten Hits
"My baby boy is in the army of disbelief, my baby boy is in the army of midsummer grief."
Einer ihrer größten Hits "My baby boy" wurde innerhalb kürzester Zeit zur Hymne einer desillusionierten säkularen israelischen Jugend, die ratlos und zunehmend verzweifelt die Zuspitzung der gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse in ihrer Heimat beobachtet, in der die extremen religiösen und nationalistischen Parteien immer mehr Zulauf bekommen und die Hoffnung auf Frieden in immer weitere Ferne rückt.
"Das Grundgefühl dieses Liedes könnte man als lebendige Verzweiflung beschreiben. Es ist nicht einfach nur traurig, es ist auch sehr lebendig, aber es ist verzweifelt, es ist ein verzweifeltes Lied."
"We are a natural desaster..."
Die sechs Bandmitglieder leben alle in Tel Aviv, der Stadt, die gemein hin oft als Blase bezeichnet wird, weil in keiner anderen Stadt soviel gefeiert und so intensiv gelebt wird, wie in der Stadt am Meer, doch auch die toleranteste "Insel" Israels ist bedroht.
"Das ganze Land entwickelt sich zunehmend in eine Richtung, die immer weniger mit dem zu tun hat, was wir fühlen und ich glaube leider, dass das früher oder später auch Tel Aviv erreichen wird."
Im Lied "Freedom Fighters" thematisieren TheAngelcy in klaren Worten die Sinnlosigkeit des Dauer-Kriegszustands in ihrer Heimat. So explizite Kritik hört man von jungen Musikern nicht oft im patriotischen Israel. Rotem Bar Or nimmt kein Blatt vor den Mund und doch ist das Album eher indirekt politisch und mehr poetisch zu verstehen.
Verzweiflung, Verlorenheit, Sehnsucht, Suche und Spiritualität sind die Themen der Lieder, die von Soldaten, Liebenden, Wartenden, Künstlern, Kämpfern, Engeln und Gestrandeten erzählen begleitet von melancholischen aber auch durchaus heiteren, tanzbaren Klängen mit Balkan und Klezmer-Anleihen.
Wir stehen auf verlorenem Posten, aber das heißt nicht, dass wir die Hoffnung aufgeben, sagt Rotem, zumindest noch nicht.