Die Iran-Sanktionen treffen die Falschen

Von Ali Fathollah-Nejad · 29.11.2012
Die Sanktionen gegen den Iran sind ein brutaler Angriff auf die Zivilbevölkerung, während die Tyrannen sich unbeeindruckt zeigen. Der Westen unterzieht die Iraner damit einer moralisch verwerflichen Kollektivstrafe, meint der Politologe Ali Fathollah-Nejad.
Sie sollen widerspenstige Gewaltherrscher zur Vernunft erziehen, ihren Missetaten nach außen wie nach innen ein Ende bereiten. Mit chirurgischer Präzision ziehen sie die Schlinge um den Hals des Tyrannen immer enger. In taumelnder Aussichtslosigkeit wird er zu außenpolitischer Vernunft angehalten und nimmt schwächelnd die Hände von der Gurgel seines Volkes. Und schließlich wird das einst malträtierte Volk auf den Weg in die Demokratie entlassen.

Sanktionen gegen Iran faszinieren westliche Politiker, die sie als Zaubermittel der Zivilisation gegen die Barbarei begreifen. Wer sie ablehnt, wird als Kumpan des Tyrannen gebrandmarkt, dessen Zähmung er offensichtlich ablehne.

Doch Widerrede ist angebracht. Zunächst einmal gilt es mit dem Mythos der gezielten Sanktionen aufzuräumen. Denn in Wahrheit haben wir es mit einem umfassenden Finanz- und Handelsembargo zu tun, das die gesamte iranische Wirtschaft lähmt und worunter die ganze Bevölkerung leidet.

Haben wir uns je gefragt, wie es ist unter diesen Sanktionen zu leben? Wie es ist, wenn Lebenshaltungskosten unaufhörlich steigen, wenn die eigene Währung nicht mehr viel wert ist, wenn selbst lebenswichtige Medikamente zur Mangelware werden, dafür aber Korruption und wirtschaftliche Not grassieren? Wie es ist, wenn von Sanktionen ausgerechnet die Geschäfte der Revolutionsgarden profitieren, während das Regime seine Macht stabilisiert und gar ausbaut?

Aber Freiheit verlange nun einmal Opfer, hallt der Zwischenruf aus Teilen des iranischen Exils von Los Angeles bis nach London. Der Preis sei zwar hoch, aber es sei an der Zeit ihn zu zahlen, beschwört auch Ramin auf Facebook. Nahezu fauchend erwidert Sara: "Wir zahlen den Preis unserer Freiheit: Wenn Du es vergessen haben solltest, das Evin-Gefängnis ist überfüllt!"

Aber noch ein Zwischenruf ertönt: Die wirtschaftliche Not würde den Volkszorn gegen das Regime richten und ihn schließlich stürzen. Vom komfortablen Ausland mag man jedoch schnell vergessen: Ein vom wirtschaftlichen Überlebenskampf geplagter Mensch wird kaum die Muße besitzen, als Bürger in den demokratischen Kampf zu ziehen.

Durch die Sanktionen aber unterziehen wir die Iraner einer moralisch verwerflichen Kollektivstrafe. Wirtschaftlich, aber auch gesellschaftlich werden dabei jene jungen Menschen, von denen andererseits erwartet wird, das Rückgrat einer Demokratisierung zu bilden, heimgesucht.

Auch scheint es, als hätte es die irakische Tragödie nie gegeben. Das soziale Gefüge der einstigen Wiege der Zivilisation wurde in den 90ern durch ebenso "gezielte Sanktionen" auf barbarische Art zerschmettert. Saddam jedoch blieb fest im Sattel.

Dieser fatalen Folgen wegen hat sich die iranische Zivilgesellschaft stets konsequent gegen Sanktionen ausgesprochen. Doch der Westen, der sich stets damit rühmt, die Demokratie in Iran zu unterstützen, hat es vorgezogen, jene Stimmen einfach zu überhören.

Die Sanktionen jedenfalls haben ihr Ziel verfehlt. Mehr noch: Im Fahrwasser gezielter Sanktionen, lässt der Ruf nach angeblich ebenso "gezielten Bombardierungen" als schließlich alternativlosem Akt meist nicht lange auf sich warten.

Halten wir also fest: Die Sanktionen sind nichts anderes als ein brutaler Angriff auf die Zivilbevölkerung, während der Tyrann sich unbeeindruckt zeigt.

Der bekannte Karikaturist Mana Neyestani hat das Thema EU-Sanktionen gegen Iran so skizziert: Der Lederschuh der Europäischen Union tritt auf den Militärstiefel des Regimes, der wiederum einen Demokratieaktivisten auf den Boden drückt. Während das Regime nur ein karges "Autsch" von sich gibt, schreit der Aktivist in Richtung der EU auf: "Zum Teufel mit Eurer Unterstützung!"

Wenn also die Sanktionen den Tyrannen an der Macht halten, was geschähe wohl, wenn man sie ... einfach aufhöbe?


Ali Fathollah-Nejad, Jahrgang 1981, ist ein in Deutschland, Frankreich und den Niederlanden ausgebildeter Politologe sowie Publizist. Momentan stellt er seine Promotion in Internationalen Beziehungen an der School of Oriental and African Studies (SOAS) der Universität London fertig. Zuletzt lag sein Forschungsschwerpunkt in den sozialen, (geo-)ökonomischen und (geo-)politischen Folgen der Iran-Sanktionen. Er ist Autor von "Der Iran-Konflikt und die Obama-Regierung" (Universitätsverlag Potsdam).

Seine Website: fathollah-nejad.com


Der Politologe Ali Fathollah-Nejad
Der Politologe Ali Fathollah-Nejad© privat
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