"Die Iraker sind kulturhungrig ohne Ende"

Birgit Svensson im Gespräch mit Katrin Heise · 07.08.2013
Birgit Svensson ist eine der letzten im Irak verbliebenen ausländischen Journalisten, denn mit dem Abzug der US-Truppen verschwand auch das Medieninteresse. Im Interview spricht sie über den Alltag in Bagdad, das Kulturjahr, das gerade dort stattfindet, und Sicherheitsvorkehrungen gegen den Terror im Theater.
Katrin Heise: Die jüngsten Nachrichten aus Bagdad, die waren wieder niederschmetternd. Im Juli gab es im Irak durch Terroranschläge so viele Tote wie seit fünf Jahren nicht mehr. Wer denkt bei Bagdad schon an Kultur? Aber die Sechs-Millionen-Metropole Bagdad ist – das mag ja eigentlich fast zynisch klingen – in diesem Jahr die Kulturhauptstadt der arabischen Welt. Wir sprechen jetzt mit Birgit Svensson, langjährige Korrespondentin mit Sitz in Bagdad und eine der wenigen dort verbliebenen Korrespondentinnen, westlichen Journalistinnen, vor Ort. Sie berichtet unter anderem für die "Welt", für die Deutsche Welle, für den Deutschlandfunk und natürlich für Deutschlandradio Kultur. Zurzeit hält sie sich in Berlin auf und kann deswegen hier bei uns im Studio sein, darüber freue ich mich sehr. Herzlich willkommen, Frau Svensson!

Birgit Svensson: Ja, hallo, guten Tag!

Heise: Kulturhauptstadt, also in meinen Augen klingt das wirklich ein bisschen komisch, wenn man in einer Stadt vor größeren Menschenansammlungen, so stelle ich mir das jedenfalls vor, Angst haben muss, weil da ein Attentat vielleicht droht. Wie kann da ein Kulturhauptstadtjahr stattfinden?

Svensson: Das ist ja entschieden worden, als der Terror noch nicht wieder so stark war. Das war – also letztes Jahr hatten wir die niedrigsten Opferzahlen eigentlich, und das schwoll erst so ab Mai richtig an. Also im Mai gab es schon über 1.000 Tote, und jetzt im Juli wieder, und man konnte damals, als die Entscheidung getroffen wurde, nicht absehen, dass das sich so entwickeln wird. Aber für die Iraker – ich muss gleich mal sagen – ist das enorm wichtig. Die sind kulturhungrig ohne Ende, und die Veranstaltungen sind sehr, sehr gut besucht.

Heise: Was sind denn das für Veranstaltungen beispielsweise, die da stattfinden können, wie Sie das beobachten konnten bisher?

Svensson: Der Auftakt war eigentlich erst Ende März, ein bisschen mit Verspätung, aber man lud dann ausländische Gäste ein, sehr, sehr viele, die irakische Regierung hat auch Deutsche, zum Beispiel Margarete van Ess, unsere Archäologin, eingeladen, und so weiter, und natürlich die Botschafter und so, und hat da also eine große Eröffnungsveranstaltung gemacht im Hotel Rashid, das ist in der grünen Zone, da waren also sehr starke Sicherheitsvorkehrungen, die aber sehr gut gelaufen ist. Und jetzt ist es so, dass jeder Monat steht unter einem anderen Motto oder unter einem anderen Thema. Zum Beispiel jetzt im August ist Geschichte das Hauptthema, im September Literatur und vor allem Lyrik, weil der Irak ist sehr bekannt für seine Lyriker, und so schiebt sich das dann also weiter. Jetzt im Ramadan war also nichts, da wurde ausgesetzt, aber so geht das bis zum Ende des Jahres, jeder Monat steht unter einem bestimmten Motto, und da werden verschiedene Veranstaltungen zu diesem Motto oder zu diesem Thema durchgeführt.

Heise: Sie sagen, die Iraker sind sehr kulturhungrig. Das heißt, durch dieses Kulturhauptstadtjahr ist vielleicht ein bisschen mehr passiert, was so Konzerthallen angeht, oder die Öffnung oder Wiedereröffnung von Theatern, Galerien, Kinos, oder?

Svensson: Es gab zum Beispiel ein Theaterfestival, das habe ich verfolgt, im April. Und da waren Theatergruppen aus der ganzen Welt da, vorwiegend aus dem arabischen Raum, aus Ägypten, aus Tunesien, Marokko, und so weiter, aber auch aus Deutschland, aus Frankreich, und da gab es auch schon gleich einen Eklat, weil sie vorher sagten – es ist ja ein islamisches Land, der Irak, und man hat eingeladen aus Deutschland, aus Berlin, eine Japanerin, die eine Performance vorgetragen hat in Bagdad, und sie war ganz leicht bekleidet, also nur mit einem durchsichtigen Anzug, sozusagen. Und das hat also dann sehr zum Skandal geführt, und man hat dann gesagt, ja, das kann ja nicht sein, und Nacktheit in der islamischen Welt ist ein ganz großes Problem, und daraufhin wurde dann der Direktor des Nationaltheaters, der das entschieden hatte, dass sie da auftritt, gefeuert, ja. Und ein Mann, sozusagen Malikis, von Premier Maliki aus der Partei, wurde jetzt an seine Stelle gesetzt. Also das ist nicht ohne …

Heise: Wie ist denn das eigentlich im Alltag? Das ist jetzt so ein Vorkommnis von ausländischen Künstlern, aber wie ist es im irakischen Alltag, wenn wir da mal die Kultur angucken, unter dieser Regierung, unter dieser ja auch etwas rigideren Regierung durchaus? Wie frei ist die Kultur da?

Svensson: Man darf nicht vergessen, die Iraker waren sozusagen isoliert über Jahre, also fast 20 Jahre. Und sie wollen jetzt versuchen, gerade die Kulturszene, es entwickelt sich im Moment gerade eine sehr lebendige Kulturszene heraus in Bagdad, möchte natürlich Anschluss finden an die westlichen Standards. Und man hat jetzt dieses Kulturhauptstadtjahr dazu benutzt, dass man eben ausländische Gruppen einlädt und sich misst beziehungsweise auch zusammen arbeitet. Das kann man sehr schön am Film zum Beispiel erkennen, da gibt es gute Koproduktionen mit ausländischen Filmemachern, und diese Produktionen, die befruchten sich gegenseitig. Die Filmproduktion im Irak ist schon viel besser geworden durch diese Kooperation mit ausländischen Filmproduzenten und Filmemachern, teilweise auch mit Filmemachern, die aus dem Exil jetzt zurückkommen. Und das wollte ich auch noch mal sagen, das ist auch so das Hauptanliegen, glaube ich, oder das Wesensmerkmal dieser Kulturhauptstadt, die irakische Regierung lädt jetzt die Kulturschaffenden, die im Exil sind, auch von Berlin zum Beispiel – Theatermacher, Filmemacher und so – ein, zurückzukommen nach Bagdad und zu schauen, was läuft jetzt da, und mit denen, die im Irak verblieben sind, zu arbeiten.

Heise: Berichtet Birgit Svensson, Korrespondentin, die regelmäßig in Bagdad lebt und von dort berichtet. Da steht und fällt ja so eine Kooperation damit, wie der Westen oder überhaupt wie die Welt, die internationale, auf Bagdad, auf den Irak guckt, wie groß das Interesse noch ist. Jetzt muss man ja sagen, ich habe es noch eingangs erwähnt, dass Sie eine der wenigen westlichen Journalistinnen noch in Bagdad sind. Mit Abzug der Amerikaner vollzog sich nämlich so eine Art Exodus, kann man wahrscheinlich doch so nennen, der amerikanischen, aber auch anderer Journalisten, ausländischer Journalisten. Welche Auswirkungen hat das eigentlich für den Irak?

Svensson: Ich bin da ziemlich entsetzt, was da so läuft diesbezüglich. Ich finde, das grenzt fast an Zynismus – ich kann mich noch erinnern, vor zehn Jahren, als die Amerikaner einmarschiert sind, da haben wir jeden Bombenanschlag beobachtet, jeder Bombenanschlag war eine Nachricht, war einen Bericht wert, und so weiter. Jetzt, wenn 50, 60 Leute getötet werden, kräht kein Hahn mehr danach. Ich biete also dann auch Berichte an, es will keiner mehr haben. Das Medieninteresse bezüglich Irak, zumindest in den westlichen Staaten, tendiert gen null. Die Amerikaner haben teilweise ihre Büros geschlossen – man muss sich mal vorstellen, von der "New York Times" waren 13 Korrespondenten im Irak, jetzt ist noch einer da. "Washington Post" hat dichtgemacht, "Los Angeles Times" hat dichtgemacht, es ist unglaublich – also mit den Truppen sind die Medien abgezogen, mit den Truppen ist auch das Medieninteresse gesunken. Und ich finde das sehr, sehr schade, weil auch die Iraker sagen, es kümmert sich jetzt niemand mehr um uns, und das kann eigentlich nicht sein.

Heise: Hat das denn auch Konsequenzen im Irak, dass quasi die Beobachtung – also mit der Aufmerksamkeit auch die Beobachtung – wegfällt?

Svensson: Ja, natürlich, und für mich stellt sich jetzt auch die Frage: Ich bin eine – wie sie schon sagten –, eine der wenigen, die da verblieben ist. Für mich stellt sich jetzt auch die Frage, ob ich das weiter aufrechterhalten kann, auch aus finanziellen Gründen, auch wenn jetzt der Terror wieder zunimmt, brauche ich wieder mehr Sicherheit, wie schon vorher, und ob man das überhaupt aufrechterhalten kann, das ist natürlich die Kardinalfrage im Moment.

Heise: Wenn man eben so jüngste Berichte von diesen blutigen Monaten hört, wie sieht das eigentlich in Ihrer Wirklichkeit aus? Sie haben eben von Ihrer Sicherheit gesprochen. Wie gehen Sie damit um?

Svensson: Also ich bewundere ja die Iraker, und ich messe mich so ein bisschen an ihnen, oder halte mich auch an ihnen fest, am Anfang war es so, sie hatten ja keine Erfahrung mit Terror. Terror gab es im Irak nicht vor dem Einmarsch der Amerikaner und Briten. Und da waren vor allen Dingen die Frauen natürlich sehr, sehr verunsichert – manche Frauen haben sich überhaupt nicht mehr rausgetraut aus dem Haus, weil sie einfach Angst hatten. Mittlerweile glaube ich, dass der Terror zum Alltag geworden ist oder zum Alltag sogar gehört, sie lassen sich jetzt nicht mehr beeindrucken davon. Sie passen zwar auf, sie gehen jetzt nicht mehr so viel auf Märkte, wo so viele Leute sind, also sie meiden Menschenansammlungen, wenn es geht, aber sie lassen sich davon nicht mehr dominieren. Und das finde ich einen Riesenschritt, und ich versuche, das ebenso zu tun. Dominieren lassen vom Terror finde ich, blockiert, die Angst ist ein schlechter Ratgeber, und ich versuche, das zu überwinden. Was für mich immer schwierig war, waren die Entführungen, muss ich gestehen, davor hatte ich am meisten Angst. Das ist jetzt nicht mehr, diese Gefahr für uns Ausländer besteht nicht mehr im Moment, seit … vor drei Jahren, glaube ich, ist der letzte Ausländer, ein Amerikaner, entführt worden, seitdem nicht mehr – also ich kann damit umgehen.

Heise: Sie haben gerade von den Menschenansammlungen gesprochen, die man ja meidet, was man eben lernt, gleichzeitig sich nicht dominieren lassen wollen – da komme ich noch mal auf dieses Kulturhauptstadtjahr zurück: Solche Veranstaltungen, geht man da immer mit so einem flauen Gefühl hin?

Svensson: Ja, die finden zumeist im Nationaltheater statt, und das ist relativ gut gesichert, das ist auch renoviert worden jetzt für die Kulturhauptstadt, und das ist ziemlich gut gesichert, es gibt Taschenkontrollen, es gibt teilweise Leibeskontrollen, es kommt drauf an, ob gerade eine Terrorwarnung ist oder nicht. Man versucht schon, sichere Plätze zu finden, wo die Veranstaltungen stattfinden. Und es werden zwar Ausländer eingeladen, aber ich denke, dass man das jetzt auch reduziert hat aufgrund des Terrors. Wie gesagt, jetzt im Ramadan, der jetzt eben zu Ende geht, passierte nichts, aber ich denke, jetzt im August und September wird wahrscheinlich die ausländische Präsenz doch zurückgefahren werden und meistens Iraker da sein.

Heise: Und gleichzeitig wünschen Sie sich aber genau das Gegenteil eigentlich, nämlich erhöhte internationale Aufmerksamkeit, was den Irak angeht?

Svensson: Ja, natürlich, weil ich finde, wir können die Iraker nicht vergessen. Und wir dürfen sie nicht vergessen.

Heise: Über den Alltag in Bagdad, Birgit Svensson berichtet regelmäßig von dort und fürchtet eben das nachlassende Interesse des Westens. Frau Svensson, ich danke Ihnen ganz herzlich für Ihren Besuch hier und wünsche Ihnen alles Gute!

Svensson: Ich danke Ihnen!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.