"Die Illegalen bleiben nicht in Malta oder in Spanien"

Moderation: Leonie March |
Der österreichische Europaabgeordnete Hubert Pirker hat die EU-Länder zu mehr Solidarität angesichts der Flüchtlingsströme aus Afrika gemahnt. "Es ist mehr Unterstützung notwendig im Interesse der betroffenen Staaten Europas", sagte der ÖVP-Politiker.
Leonie March: Zehntausende Afrikaner machen sich jedes Jahr auf den gefährlichen Weg in ein vermeintlich besseres Leben in Europa. Monate, manchmal jahrelang sind sie unterwegs, Kriminellen und der Willkür der Behörden in Transitstaaten wie Libyen ausgesetzt, die sie zum Beispiel aufgreifen und in der Wüste absetzen. Die, denen es gelingt, die nordafrikanische Küste zu erreichen, sind auf Schlepperbanden angewiesen. Sie nehmen ihnen das letzte Geld ab, verfrachten sie in Schlauch- und Holzboote, viele davon erreichen Europa nie.

Schätzungen zufolge kommt jeder Sechste auf der Flucht ums Leben. Abschreckend wirkt das aber nicht – immer mehr illegale Einwanderer gelangen nach Europa. Italien, Spanien und Malta sind mit der Situation inzwischen überfordert. Am Telefon begrüße ich nun den österreichischen Europaparlamentarier Hubert Pirker, er ist unter anderem der sicherheitspolitische Sprecher der ÖVP-Delegation im EU-Parlament. Guten Morgen, Herr Pirker.

Hubert Pirker: Schönen guten Morgen aus Kärnten.

March: Zur Abschreckung, aber auch zur Rettung von Flüchtlingen in Seenot wurde ja die Europäische Grenzschutzagentur Frontex gegründet. Sie überwacht die Seewege von Afrika und Europa mit Schiffen, Hubschraubern und Flugzeugen. Wie erfolgreich arbeitet die Agentur?

Pirker: Noch nicht ganz erfolgreich, ganz einfach deshalb, weil die Mitgliedsstaaten die versprochenen Mittel, wie Boote, wie Helikopter und Flugzeuge, noch nicht zur Gänze geliefert haben.

March: Liegt das Problem also in mangelnder Solidarität zwischen den EU-Mitgliedsstaaten? Die Binnenländer sehen tatenlos zu, während betroffene Staaten wie Spanien, Italien und Malta überfordert sind?

Pirker: Das stimmt. Es ist mehr Unterstützung notwendig im Interesse der betroffenen Staaten Europas. Denn Illegale bleiben nicht in Malta oder in Spanien, sondern sie gehen dann weiter in die anderen Staaten Europas, daher ist Solidarität hier nicht nur notwendig, sondern auch sinnvoll.

March: Und die Unterstützung von Frontex wäre im Prinzip auch sinnvoll, weil es ein gutes Instrument ist?

Pirker: Absolut notwendig. Es ist das einzige Instrument, das wir haben, und das auch eine präventive Wirkung gegen Schlepper hat. Wir wissen, dass dort, wo die Grenzüberwachung funktionstüchtig ist, die Schlepperwege dann sofort unterbrochen werden und andere Schlepperrouten gesucht werden, beziehungsweise der Strom der Illegalen dann abreißt.

March: Trotzdem greift man die Flüchtlinge natürlich dann erst auf, wenn sie auf dem Mittelmeer sind.

Pirker: Das ist klar. Daher suchen wir einen Weg, um enge Kooperation mit den nordafrikanischen Staaten zu bekommen. Wir wollen hier Abkommen schließen, wo die Europäische Union auf der einen Seite Wirtschaftshilfe gewährt, auf der anderen Seite Unterstützungsprogramme anbietet für den Aufbau einer besseren Grenzsicherung bereits innerhalb Afrikas.

Und dann sehen wir vor, und das halte ich für noch viel wichtiger, dass zu den Grenzkontroll- und Sicherheitsmaßnahmen dann Stabilisierungsprogramme kommen in den Ursprungsländern, und in den Transitländern, wie wir das etwa im Kongo sehr erfolgreich durchgeführt hatten.

March: Aber machen solche Abkommen mit Staaten wie Libyen Sinn, die zum Beispiel die internationale Flüchtlingskonvention nicht unterschrieben haben?

Pirker: Es ist der einzige Weg, den Weg der Kooperation, des Gespräches zu finden, weil wir damit Sicherheit exportieren in diese Staaten. Und diesen Staaten dann auch klar machen, dass es der einzige Weg ist, eben für die Staaten selbst, Sicherheit zu gewährleisten und kriminelle Organisationen zu bekämpfen. Das Beispiel sollte eigentlich Schule machen.

March: Wenn die Flüchtlinge erst mal in Europa sind, werden sie nach nationalem Recht behandelt, zum Teil sehr unterschiedlich. Sie, Herr Pirker, haben ja kürzlich einen Bericht zur europäischen Asylpolitik verfasst. Könnte ein gemeinsames Asylsystem sowohl den Flüchtlingen als auch der EU zugute kommen?

Pirker: Das glaube ich in jedem Fall. Nur müssen wir hier eines klarstellen. Wir haben jetzt über illegale Einwanderer gesprochen. Das sind Arbeitsmigranten in der Regel, und darunter befinden sich nur ganz wenige Menschen, die einen Antrag auf Asyl stellen.

March: Weil sie es vielleicht nicht wissen, dass sie das können, dass sie das Recht darauf haben.

Pirker: Doch. Sie sind bestens informiert. Sie machen es aber nicht, auch wenn sie gefragt werden. Weil diese Menschen einfach sagen, wir wollen ein besseres Leben, wir wollen Arbeit finden. Das ist ihr Ziel. Und damit machen auch die Schlepperorganisationen das Geschäft.

Unabhängig davon müssen wir aber danach trachten, dass wir einheitliche und schnelle Asylverfahren haben für die, die einen Antrag auf Asyl stellen und den Flüchtlingsstatus zu Recht erhalten wollen, und denen wollen wir rasch Hilfe gewähren. Daher ist hier ein anderes Vorgehen als bisher üblich notwendig.

March: Wie weit ist die EU von einem solchen gemeinsamen System entfernt?

Pirker: Ich glaube, nicht mehr sehr weit, sondern es gibt eine Grundsatzverständigung darüber, dass es hier sehr einfache, sehr schnelle Verfahren mit hochqualifizierten Beamten in den Mitgliedsstaaten in den nächsten Jahren erfolgen sollen. Und dass wir eben auch eine Liste sicherer Drittstaaten erstellen, das heißt, eine Fülle von Einzelpunkten, die eine praktische Koordination und Kooperation ermöglichen.

Und alles mit dem Ziel, denen, die tatsächlich den Flüchtlingsstatus erhalten sollten - das sind Gott sei Dank mittlerweile sehr wenige Menschen -, denen sehr rasch zu helfen, aber auch klar zu machen, dass die, die eben den Flüchtlingsstatus nicht bekommen, sehr rasch Bescheid wissen, dass sie diese Hilfe eben nicht bekommen können.

March: Und die müssen dann auch wieder nach Hause geschickt werden?

Pirker: Die müssen dann auch wieder zurück, ja.

March: Oft gibt es ja das Problem, dass man überhaupt nicht weiß, wo die Flüchtlinge herkommen. Die haben keine Pässe bei sich. Wie soll man diesem Problem denn begegnen?

Pirker: Na, es gibt Möglichkeiten, bei den Interviews drauf zu kommen, aus welchen Staaten diese Menschen kommen. Das sind eben geschulte Leute, es gibt viel Information und es gibt gute Interviewmöglichkeiten, um das auch tatsächlich dann über die Bühne zu bringen. Da sind wir bereits sehr weit.

March: Also, unter dem Strich, Herr Pirker, man ist auf dem richtigen Weg, auch wenn es Nachholbedarf gibt in einigen Punkten?

Pirker: Ich glaube, die Union ist auf dem Weg zu einer Sicherheitsunion. Sie weiß, was sie den Bürgern schuldig ist, sie weiß, dass sie gemeinsam mehr erreichen kann als über einzelstaatliche Unternehmen. Und sie weiß auch, dass sie diesen Staaten, die in besonderen Schwierigkeiten sind, wie Malta, auch besondere Unterstützung zukommen lassen muss und das im Interesse der Sicherheit der gesamten Europäischen Union.