Die humorvolle Alternative zur documenta

Von Volkhard App · 21.06.2007
Während die internationale Kunstwelt auf die documenta blickt, wartet Kassel zugleich mit einer Karikaturenausstellung auf. Die Caricatura liefert eine Bestandsaufnahme der deutschsprachigen komischen Kunst.
Sie können es einfach nicht lassen: Cartoonisten spotten gern über die Helden der sogenannten Hochkultur und nehmen dabei auch den überhitzten Kunstbetrieb aufs Korn. Bei Klaus Theuerkauf muss man genau hinsehen – scheinbar hat er auf schwarzen Grund penibel die Signatur Picassos gemalt. In Wirklichkeit steht dort aber das schnöde Wort "Incasso”.

Und Marie Marcks zeigt auf ihrem Blatt, wie Anselm Kiefers bleiernes Werk "Zweistromland” tatsächlich in den Fluten versinkt, Galeristen versuchen schnell noch ihr Geschäft zu machen. Museumsneubauten sind bei Marcks derart aus den Fugen geraten, dass der innovative Architekt zwar vor Freude strahlt, die Künstler im Hintergrund dagegen besorgt dreinschauen.

Und folgt man dem Zeichner Harm Bengen, muss die jüngere Kunstgeschichte neu geschrieben werden - mit schwungvoller Feder stellt er dar, wie das erste Triptychon von Joseph Beuys entstand. Der Mann mit dem markanten Hut schaut auf diesem Cartoon ganz einfach aus dem Fenster - Fensterladen links, Fensterladen rechts, Beuys in der Mitten - fertig ist das Triptychon.

Ausgerechnet in documenta-Nähe ziehen sich solche Stricheleien und Sticheleien wie ein roter Faden durch die Caricatura - und sind doch nur ein Teil aus ihrem immensen Themenspektrum: der Alltagsfrust kommt hier nicht zu kurz, die Beziehungskiste klappert heftig und auch die Konfrontation der Kulturen ist mit Kopftüchern, abweichenden Gebräuchen und einschlägigem Mullah-Outfit immer wieder präsent. Caricatura-Geschäftsführer Martin Sonntag über die Auswahl der Bilder:
""Wir haben uns nach den Künstlern umgeschaut, die im Bereich der Komik im Jahre 2007 relevant sind. Und da haben wir dann eine Auswahl getroffen, in der sich die ganze Bandbreite spiegelt: vom Cartoon bis zur Karikatur, mit komischer Malerei und computergenerierter Kunst. Aus diesem Spektrum haben wir die Leute eingeladen, die wir für die besten halten.”"
So sind sie hier fast alle versammelt: die filigranen Meister des Cartoonisten-Gewerbes und die plakativen "Hochstapler", die subtilen Sittenschilderer und die Kalauerkönige, die Federvirtuosen und die kaum verkappten Maler.

Dass die Caricatura alle paar Jahre parallel zur documenta stattfindet, ist beileibe kein Zufall, sondern kündet vom soliden Selbstbewusstsein der Veranstalter. Eigentlich, so meinen sie, sei es ja genau umgekehrt: die documenta finde parallel zur Caricatura statt - als deren Begleitprogramm. Sonntag:
""Es hat sich eingebürgert, dass die documenta Jahre vorher anfragt, wann wir unsere große Ausstellung machen - und die hängen sich dann dran. Da gibt es eine nette Kooperation mittlerweile, das dulden wir, das ist in Ordnung. Man muss feststellen, dass die große Bestandsaufnahme Caricatura die führende Ausstellung in Deutschland im Bereich der komischen Kunst ist, was die documenta ihrerseits im Bereich der ’ernsten Kunst’ wäre.”"
Die Caricatura zieht ihr eigenes Publikum an - aber auch aus dem "Fridericianum” kommen Kunstfreunde herüber, um sich bei der leichten Muse zu entspannen. Weil einem auf der documenta das Lachen vergeht?
""Ich glaube, da gab es noch nie was zu lachen. Oder man verkneift es sich. Der Humor kommt dort zu kurz - aber das ist eine Bresche, in die wir gerne springen. Wir haben uns die Leitfragen der documenta angeschaut - was das bloße Leben tut, wenn die Moderne auf die Antike trifft (oder umgekehrt, die Frage ist ziemlich sinnlos). Während die ‘Hochkunst’ solche Fragen noch aufwirft, beantwortet die ’Komische Kunst’ sie seit langem.” "
Cartoonisten wie Gerhard Glück geben ihren absurden Bildideen durch gekonnte Mischtechnik ein malerisches Aussehen. Da fragt sich zum Beispiel ein in die Jahre gekommener Ehemann, wann er seine Frau, die gerade lustlos das Frühstück abräumt, zuletzt "süßes Bienchen” genannt habe. Vielleicht arbeitet Glück ja mit malerischer Wirkung, um einer möglichen künstlerischen Geringschätzung zu begegnen:
""Ich mache das nicht, um Vorurteile der ‘High Art’ gegenüber der ’Low Art’ zu kompensieren. Das ist bei mir ursprünglich: Ich male gern und habe festgestellt, dass die Malerei durch Farbkomposition, Stimmung und Umfeld mehr an Informationen vermitteln kann als eine Schwarzweiß-Zeichnung.” "
Solche Veranstaltungen wie die Caricatura sind eine Art Familientreffen - aber auch ein Markt, auf dem jeder genau beobachtet, was der Mitbewerber aufs Papier und die Leinwand gebracht hat:
""Das ist richtig. Man schaut sehr genau hin: Wer ist dazugekommen, wer macht was und wo sind Strömungen zu erkennen. Das ist normal, es ist wie auf einer Messe, wo sich die Leute von Stand zu Stand beäugen, auf welche Art man weitergemacht hat, oder ob man zurückgeblieben ist.”"
Tageskarikaturisten bleiben in Kassel weitgehend ausgespart – und mit ihnen das politische Personal. Gut im Rennen dieser Caricatura liegen dagegen Künstler wie Ernst Kahl, die den schlechten Geschmack auf hohem Niveau kultiviert haben. Kahl stellt uns einen legendären "Tanztee schwuler Senta-Berger-Fans” vor, und porträtiert mit allen Klischees den afghanischen Fußballmeister von 1999, den FC Kabul.
Während Rudi Hurzlmeier das explosive Gemisch aus Religion und Sex bevorzugt - da reißt der Bischof von Heilbronn das Kruzifix in die Höhe, weil eine Heilige unfreiwillig unter ihr Kleid blicken lässt. Hurzlmeier:
""Generell ist die Verbindung von Sex und Religion immer das, worauf die Leute anspringen. Mit dieser Kombination kann am ehesten jemanden hinter dem Ofen hervorlocken, wenn man das beabsichtigt. Diese Themen sind interessant, weil sie oft so mythisch behandelt werden.” "
Die großen Streitfälle der letzten Jahre werden auf dieser Caricatura noch einmal dokumentiert: Gerhard Haderers Sicht auf das "Leben von Jesus”, die Debatte um die Mohammed-Karikaturen, und die polnischen Potentaten sind als Pommes de Terre, als unförmige Erdäpfel, erneut im Blickfeld.
Vielleicht die schönste Abteilung bilden in Kassel die Blätter und Gemälde der Verblichenen - nur wenige schräge Arbeiten werden da von Robert Gernhardt, F.K. Waechter, Chlodwig Poth und Bernd Pfarr präsentiert, aber sie gehören zu den besten dieser Schau - diese Künstler werden schmerzlich vermisst.

Service: Die Caricatura V ist vom 21.6. bis 23.9.2007 im KulturBahnhof Kassel zu sehen.