Die Hürden der Einbürgerung

Deutsch werden

Einbürgerungsurkunde und das Deutsche Grundgesetz
Einbürgerungsurkunde und das Deutsche Grundgesetz © imago/CHROMORANGE
Von Matthias Baxmann · 08.01.2018
Auf den Einbürgerungstest kann man sich vorbereiten wie auf eine Führerscheinprüfung. Mit gut der Hälfte richtiger Antworten hat man den Nachweis erbracht, sich mit Deutschland auszukennen. Doch das ist für die Bewerber um die deutsche Staatsbürgerschaft das geringste Problem.
"Sehr geehrte Damen und Herren, ich möchte sie noch mal herzlich begrüßen. Ich möchte ihnen an dieser Stelle auch mitteilen, dass wir als Bezirksamt der Einbürgerung einen hohen Wert beimessen und uns mit ihnen freuen, dass sie es jetzt sozusagen geschafft haben."
Sandra Obermeyer, Stadträtin für Jugend, Familie und Bürgerdienste bei einer feierlichen Einbürgerungsveranstaltung in Berlin Mitte.
"Was sind Gründe, warum man sich einbürgern lassen möchte? Was sind eigentlich auch die Schwierigkeiten und die Hürden, die sich auf dem Weg zur deutschen Staatsbürgerschaft stellen?"
Etwa 40 Antragsteller sitzen mit ihren Angehörigen im Saal. Heute erhalten sie ihre Einbürgerungsurkunden.
"Und dass es tatsächlich nicht leicht ist, die deutsche Staatsangehörigkeit zu erwerben, wenn man sie nicht zufälligerweise durch Geburt hat."
Mit der Staatsangehörigkeit ist man als Staatsbürger Teil der rechtlichen Gemeinschaft von Bürgern eines Landes. Kurz gesagt, wer gehört dazu? Aber auch, wer gehört nicht dazu?

Was ist eigentlich deutsch?

"Was uns jetzt heute Abend eint, ist, dass wir alle deutsch sind. Und der zentrale Wert ist das, was im deutschen Grundgesetz drin steht, und bei aller Verschiedenheit, die wir hier repräsentieren: Da sind wir uns einig und das ist auch das Allerwichtigste und ansonsten können wir relativ unterschiedlich sein. Ich finde, dass das Land auch darauf angewiesen ist, dass Menschen sich auf den Weg machen und auf diese Weise auch das Bild davon verändern, was jetzt Deutsch ist."
Deutscher kann man werden, wenn man hier acht Jahre mit einem gesicherten Aufenthaltsstatus gelebt und in dieser Zeit seinen Lebensunterhalt eigenständig gesichert hat. Außerdem muss man seine Deutschkenntnisse nachweisen und einen Einbürgerungstest absolvieren.
"Wir beraten ja die Menschen und bitten sie, mit dem gültigen Nationalpass vorzusprechen und dem gültigen Aufenthaltstitel."
Cornelia Lyssy, Leiterin der Einbürgerungsbehörde des Berliner Bezirks Mitte.
"Wir befragen natürlich auch: Wie lange sind sie in Deutschland, waren da Duldungszeiten oder Unterbrechungen dazwischen? Es zeigt sich dann aber doch auch öfter bei der Auswertung der Ausländerakten, die wir ja in jedem Fall dazu ziehen für die Einbürgerung, dass die Aufenthaltszeiten öfter auch nicht stimmen, dass wir einfach nicht auf diese acht Jahre Aufenthalt kommen, die für den Grundanspruch notwendig sind. Dass da vielleicht Unterbrechungszeiten sind oder noch ganz andere Dinge auftauchen, die dann dazu führen, dass wir eben auch nicht bei einer positiven Richtung bleiben können."
Mit ganz anderen Dingen könnte die Verurteilung wegen einer Straftat gemeint sein, ein weiteres Ausschlusskriterium für die Einbürgerung.
"Im Anspruch auf Einbürgerung ist auch definiert, dass man sagt, der Bezug von öffentlichen Leistungen schließt normalerweise die Einbürgerung aus. Man muss mindestens diesen Zeitraum von den letzten acht Jahren zu Grunde legen. Was ist da passiert, wie sieht die Erwerbsbiografie aus, welche Hinderungsgründe gab es, die Arbeit aufzunehmen oder erwerbstätig zu sein? Im Ermessen muss man wirklich prüfen, ob der Lebensunterhalt auf Dauer, auch für die Zukunft gesichert ist."
Eine junge Frau zeigt in Berlin im Rathaus Neukölln das Heft mit ihrer Einbürgerungsurkunde.
Eine junge Frau zeigt in Berlin im Rathaus Neukölln das Heft mit ihrer Einbürgerungsurkunde. © picture alliance / dpa / Klaus-Dietmar Gabbert

Deutscher per Geburt

Neben der Anspruchseinbürgerung kann man bereits durch seine Abstammung Deutscher werden. Kinder, die einen deutschen und einen ausländischen Elternteil haben, erwerben in der Regel per Geburtsrecht beide Nationalitäten. Außerdem gilt in Deutschland seit 2000 auch das Geburtsortsprinzip. Wer in Deutschland von Ausländern geboren wurde, kann die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten, wenn zumindest ein Elternteil seit mindestens acht Jahren rechtmäßig in Deutschland lebt.
Bis zur Gesetzesreform von 2014 mussten sich hier geborene Kinder bei Volljährigkeit noch zwischen deutscher und elterlicher Staatsbürgerschaft entscheiden. Jetzt werden sie automatisch zu Deutschen und können ihre ursprüngliche Nationalität behalten. Das heißt, sie erhalten zwei Pässe. Auch ausländische Ehegatten von Deutschen können sich einbürgern lassen, sofern sie sich seit drei Jahren rechtmäßig in Deutschland aufhalten.
Doch zurück zu den Problemen bei der Einbürgerung, auf die man einen Rechtsanspruch hat.
"Ein weiteres Manko sind immer noch die sprachlichen Voraussetzungen. Es gibt immer noch viele Menschen, die in Deutschland schon lange leben, aber die deutsche Sprache nicht beherrschen."
Die Sprachkompetenz muss über den Sprachtest der Stufe B 1 nachgewiesen werden. Auf diesem Niveau soll man sich spontan und fließend verständigen können, sodass ein normales Gespräch mit Muttersprachlern möglich ist.
"Da hat man ja eine Reform vorgenommen im Jahr 2000 und hat gesagt, die Sprache ist eigentlich ein derartig integrativer Bestandteil, die sollte man schon beherrschen, wenn man in Deutschland eingebürgert wird und die vollen Bürgerrechte hat und alles, was damit verbunden ist, sollte man auch verstehen, worum es eigentlich geht."

Der Einbürgerungstest ist keine große Hürde

Zum Beispiel, um die Fragen des Einbürgerungstests zu verstehen. Nach Aussagen von Cornelia Lyssy scheint dieser 2008 eingeführte Test allerdings die geringste Hürde bei der Einbürgerung zu sein. Der Katalog für den Einbürgerungstest umfasst 310 Fragen zu Themen wie Demokratie, Geschichte, Mensch und Gesellschaft.
33 davon werden für die Prüfung ausgewählt und müssen per multiple choice beantwortet werden. Drei von vier Antwortmöglichkeiten sind falsch. Mit 17 richtigen Kreuzen hat man bestanden. Wie für eine Führerscheinprüfung kann man online einen Probedurchlauf machen und die richtigen Antworten auswendig lernen.
Kritiker dieses Verfahrens wenden ein, wie man denn mit einer Faktenabfrage per Kreuzchen entscheiden könne, ob jemand eine innerlich positive Einstellung zu unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung hat oder nicht. Schulähnliche Fragen prüften nichts, was mit deutscher Identität zu tun hätte. Die Initiatoren halten dagegen, dass der Test nur ein Ergebnis der Beschäftigung mit den kulturellen und politischen Gegebenheiten Deutschlands widerspiegeln soll.
Die Erfolgsquote von 98 Prozent rechtfertigt für sie die Relevanz dieses Verfahrens. Schließlich müsse im Rahmen der Einbürgerungsvorbereitung ohnehin eine Loyalitätserklärung zum Grundgesetz unterzeichnet und auch mündlich vorgetragen werden. Seit dem Jahr 2000 wurden mehr als zwei Millionen Menschen in Deutschland eingebürgert.
"Gefühlt ist es in den letzten Jahren natürlich verstärkt aus Großbritannien, weil da die Menschen ein ganz starkes Interesse haben, in der EU zu bleiben. Bulgarien hat auch eine große Nachfrage gegeben seit dem Beitritt zur EU, Polen ist eine große Bevölkerungsgruppe. Bosnien-Herzegowina, das sind so die Nachfolgestaaten, die ein großes Interesse haben, dann natürlich auch diese Krisengebiete, Irak, Syrien, Afghanistan."
Die häufigsten Anträge der letzten Jahre kamen allerdings von Türken und Polen, gefolgt von Ukrainern und Kosovaren.
"Also, wenn die zeitlichen Voraussetzungen erfüllt sind, versucht man hier eben auch eine sichere Heimat zu finden. Es sind so besondere Bevölkerungsgruppen, die immer wie so ein bisschen auch durch das Zeitgeschehen in den Fokus kommen."
Laut Ausländerregister lebten Ende 2015 knapp fünf Millionen Ausländer seit mindestens zehn Jahren in Deutschland. Mit gut 100.000 Einbürgerungen im Jahr 2016 ist damit das Einbürgerungspotenzial erst mit zwei Prozent ausgeschöpft.
"Wenn man alle die Voraussetzungen zusammen sieht, dann ist das in der Regel ein jahrelanger Prozess, den man zurücklegen muss, und ich finde, viele Menschen sind dann wirklich auch angekommen in einem anderen Land als dem Herkunftsland, die ich sehr bewundere."

Das Interesse bei türkischstämmigen Menschen lässt nach

Als Staatsbürger in Deutschland anzukommen heißt heute aber auch, seinen bisherigen Pass abzugeben, es sei denn, man ist Spätaussiedler, der Herkunftsstaat verweigert die Entlassung aus der Staatsbürgerschaft oder man ist EU-Bürger. Deshalb besitzen zwar nach schwankenden Angaben zwischen zwei und vier Millionen Deutsche einen zweiten Pass, doch soll andererseits die Mehrstaatlichkeit vermieden werden.
Und das scheint ein Problem für viele Nicht-EU Ausländer bei der Entscheidung für oder gegen die Einbürgerung zu sein. Nach dem Staatsangehörigkeitsgesetz von 2000 müssen beispielsweise auch Türken in der Regel ihre Staatsbürgerschaft aufgeben, wenn sie Deutsche werden wollen. Seitdem ist ihr Interesse an einer Einbürgerung von Jahr zu Jahr gesunken.
Von den rund drei Millionen hier lebenden Menschen mit türkischen Wurzeln hat etwa die Hälfte keinen deutschen Pass. Ein Großteil von ihnen hat jedoch ein unbefristetes Aufenthaltsrecht und somit gute Voraussetzungen für eine Einbürgerung. Nach einer Umfrage in Nordrhein-Westfalen von 2015 möchten zwei Drittel der befragten Türken aber ihre ursprüngliche Staatsangehörigkeit nicht verlieren, wenn sie die deutsche annehmen würden.
Ein weiteres Drittel gab an, dass die deutsche Staatsbürgerschaft keine Vorteile brächte. Ein Vorteil wäre zum Beispiel die Möglichkeit der politischen Teilhabe durch das Recht zu wählen – mitgestalten und dadurch dazugehören. Der deutsche Staat stellt sie aber vor die Alternative: entweder oder, statt sowohl als auch. Wie wenn ein Kind getrennter Eltern sich zwischen Mutter oder Vater entscheiden sollte.
"Wir werden das jetzt gleich so machen, ich rufe sie einfach namentlich auf. Was mir auch wichtig ist, wenn sie gerne etwas aus ihrer Einbürgerungserfahrung erzählen wollen, kommen sie ans Mikrofon und tragen sie was zu dieser Veranstaltung bei. Sie sind herzlich dazu aufgefordert, ihre Erfahrungen hier mit uns zu teilen."
"Sehr geehrte Damen und Herren, ich bedanke mich für die Staatsbürgerschaft. Es war für mich leicht gewesen, weil ich hier geboren, hier aufgewachsen bin. Meine Eltern haben sich nicht darum gekümmert, mal die deutsche Staatsbürgerschaft zu ergattern. Mein Sohn, solange du keinen Ärger machst, bleibst du halt Türke. Aber jetzt bin ich sehr stolz darauf und froh, die Urkunde zu bekommen mit einem Immigrantenhintergrund. Ist vielleicht besser als ein Oskar."
"Ich fühle mich wie nach einer langjährigen Beziehung, man endlich eine Heiratsantrag stellt. Ich bin Deutschland sehr dankbar für mein DAAD-Stipendium, und ich fühle mich sehr glücklich und auch geehrt."
"Bei mir ist natürlich der Brexit der Auslöser gewesen und ich freue sehr, jetzt deutscher Staatsbürger zu sein. Ich muss auch sagen, dass Menschen, die in Großbritannien sich einbürgern lassen wollen, also, ist viel schwieriger."
"Ich bin auch Engländer gewesen. Ich wünsche, dass gebürtige Deutsche tatsächlichen wissen würden, wie gut das Leben hier ist, was für ein Land es ist. Und wenn man ein bisschen herumgereist ist wie ich, man schätzt das sehr."
"Ich freue mich auf meine neue Staatsangehörigkeit. Ich komme aus Indien. Ich habe mich vom ersten Tag in Deutschland sehr wohl gefühlt, und jetzt ich fühle hier zu Hause."
"Am Wichtigsten finde ich, dass in Deutschland die doppelte Staatangehörigkeit in Deutschland irgendwann erlaubt wird, weil ich stolz bin, dass ich Sudanese bin und meine Kinder, meine Frau, die sind ja auch Sudanesen."
Diese Menschen haben die Einbürgerung bereits hinter sich. Doch welche emotionalen Probleme schwingen vor der Entscheidung mit, Deutscher oder Deutsche zu werden?
"Mein Name ist Derek Scally. Ich bin gerade 40 Jahre alt geworden. Ich wohne seit 17 Jahren in Berlin. Ich bin gebürtiger Dubliner."

Sprache als Heimat?

Muss man eine nationale Identität aufgeben, um eine neue zu erhalten?
"Ich heiße Irena, bin 39 Jahre alt und komme aus Tschechien, aus Mähren und seit 22 Jahren in Deutschland."
Welche Bedeutung haben dabei Gefühle von Verwurzelung oder Heimat, die ethnische oder soziokulturelle Herkunft?
"Ich bin Tejan Lamboi, 41 Jahre alt. Ich komme ursprünglich aus Sierra Leone und lebe neun Jahre hier in Deutschland."
Kann man auch in seiner Sprache beheimatet sein?
"Ich heiße Clive und komme aus Südengland, lebe seit fast 30 Jahren hier, fast die Hälfte meines Lebens."
Welcher Gesellschaft fühlt man sich zugehörig, in Vergangenheit und Gegenwart?
"Ich hatte viel Glück, ich wurde akzeptiert. Ich habe auch von Anfang an gnadenlos deutsch gesprochen und wollte verstehen, wo ich bin. Ich hatte wunderbare Menschen, die mich begleitet haben, unterstützt haben und nie ein Gefühl bekommen, die Fremde zu sein. Es gibt jedoch viele Momente, an die ich mich erinnere, wo ich erst nachhinein verstanden habe, ach so, das war dieser Kulturunterschied, das war ein Relikt aus Tschechien."
"Der Unterschied, finde ich, wenn man rüber kommt in ein anderes Land, man muss sich entscheiden und es langfristig sehen. Wenn man kommt rüber und dann immer denkt, ich gehe sowieso zurück, dann integriert man sich selbst nicht so wie jemand, der anders denkt."
"In Tschechien bin ich gar nicht angemeldet, ich habe auch keinen tschechischen Ausweis, also, da bin ich nicht existent seit meinem 18. Lebensjahr. In Deutschland habe ich keinen Personalausweis, weil ich Tschechin bin und damit hängen auch viele andere Sachen zusammen, nämlich auch Wahlen. Ich wähle nicht, aber lebe hier seit 22 Jahren."
"Das finde ich echt schade, weil, für mich ist Deutschland eine Heimat, und ich will auch in der politischen Entscheidung ein Wort haben, also, teilnehmen."
Ein Mann aus Kamerun bei einer Einbürgerungszeremonie mit einer Einbürgerungsurkunde der Bundesrepublik Deutschland.
Ein Mann aus Kamerun bei einer Einbürgerungszeremonie mit einer Einbürgerungsurkunde der Bundesrepublik Deutschland.© dpa / picture alliance / Julian Stratenschulte

Steuern zahlen müssen, aber nicht wählen dürfen

Tejan kam vor zehn Jahren aus dem heißen Westafrika das erste Mal nach Deutschland. Es war Winter und für ihn stand fest: In diesem Land kann ich nicht leben! Doch die Bindung an seine deutsch Freundin war stärker. Er heiratete sie und blieb. Tejan arbeitet als Trainer und Berater für interkulturelle Projekte.
"Der deutsche Staat ist in der Lage, meine Einkommensteuer zu nehmen, aber meine Stimme, das wollen sie nicht haben. Kirchensteuer, Einkommensteuer, ich darf in die deutsche Rentenkasse einzahlen, wählen darf ich nicht. Und die einzige Möglichkeit wäre dann, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen."
"Ich habe die Beratung im Bürgeramt gehabt. Ich habe schon angefangen, die ganzen Formulare auszufüllen, aber ich bin immer hin und her gerissen irgendwie. Also, das habe ich noch nicht abgegeben, ich bin immer noch am Überlegen. Manchmal weiß ich nicht, ob ich das überhaupt machen will, aber es gibt Gründe darum."
"Ich bin vor einem Jahr zur Einbürgerungsbehörde, bekam ein Formular in die Hand und dieses Formular habe ich tatsächlich über ein Jahr ausgefüllt, Stück für Stück. Warum hat sich das so lange hingezogen? Irgendwo im Tiefen brauchte ich noch mal eine Bestätigung dafür, dass es so sein soll, wohl wissend, dass es noch unklar ist, ob ich den tschechischen Pass abgeben muss. Aber für mich war klar, in dem Fall, dass ich den tschechischen Pass abgeben muss, werde ich das tun."

Gleich dreisprachig aufgewachsen

Irena hat eine Ausbildung als Fremdsprachenkorrespondentin. Sie arbeitet beim Rundfunk. Ihre erwachsene Tochter ist mit ihr und einem amerikanischen Vater gleich dreisprachig aufgewachsen. Was ihre Muttersprache ist, glaubt Irena daran zu erkennen, in welcher Sprache ihre Tochter zählt. Momentan sei es deutsch, aber das könne sich mit ihren Auslandsaufenthalten auch ändern.
"Es war eine interessante Situation, da kam dieser Brexit, und ich habe das fast geahnt, die blöden Engländer sozusagen werden das so machen und dafür stimmen. Und kurz danach, einige Kollegen und Freunde haben gesagt: Und? Würdest du jetzt Deutscher sein? Und ich sage, äh, was meinst du? Ich bin Brite, was soll das? Kam für mich eigentlich gar nicht in Frage, wusste überhaupt nicht, dass es möglich war. Dann habe ich einen Engländer, der lebt in Süddeutschland, habe ihn gefragt, ob er denkt etwas zu tun. Und irgendwann rief er mich an und meinte, du, ich bin jetzt Deutscher! Und er meinte, mach das doch mal, das tut nicht weh! Und das war der Anstoß, erstmal zu überlegen, das zu tun."
"Warum bin ich ein bisschen zögerlich? Der Hauptgrund, warum ich noch nicht weiter gekommen bin, war ein Gespräch mit einem deutschen Freund. Wir waren zusammen in Dublin, und ich habe ihm gesagt, du, Jochen, ich überlege mal, deutscher Staatsbürger zu werden. Ich habe ihm meine Gründe erklärt und dann hat er mir gesagt, du willst deutscher Staatsbürger werden? Und wie hast du es so mit dem Holocaust?
Und ich bin fast von dem Bürgersteig gefallen, weil, damit wurde ich mit etwas konfrontiert: Die deutsche Staatsbürgerschaft ist nicht nur ein Pass, ist nicht nur Wahlrecht, sondern, das ist die deutsche Geschichte. Und wie habe ich das dann mit dem Holocaust? Ich bin aufgeklärt, ich habe öfter KZs besucht, aber ich hätte es mir nie vorstellen können, dass dieser furchtbare Teil der deutschen Geschichte Meins werden könnte. Diese Gretchenfrage, wie hast Du es dann mit dem Holocaust, das ist bis heute ein gewisser Bremsklotz. Ich glaube, es löst sich gerade. Ich glaube, ein deutscher Pass ist wie ein Lebensmittelpunktschein. Meine Realität ist hier, meine soziale Umgebung, und ich werde langsam deutsch."

Die Deutschen und die EU

Trotzdem wird Derek nicht um Einbürgerungstest und Sprachprüfung herumkommen, falls er denn seine Zögerlichkeit aufgibt und einen Einbürgerungsantrag stellt. Fast 20 Jahre Leben in Deutschland sind für die Behörden keine Gewähr dafür, sich in der Landessprache verständigen zu können. Auch nicht für einen Korrespondenten der Irish Times wie Derek Scally.
Clive arbeitet als Informatiker bei der Bahn. Er entwickelt Software und Simulationsmodelle, damit auf deutschen Gleisen keine Züge zusammenstoßen.
"Die Deutschen waren für uns in England immer sehr arrogant. Wir kannten natürlich nur die Westdeutschen. Und diese arroganten Leute, wie komme ich damit klar? Wir Engländer sind sehr zurückhaltend. Die Westdeutschen, wenn sie wollen etwas, sie machen es. Es ist letztendlich keine Arroganz, aber es kommt für uns Engländer so rüber. Ich könnte mich nie so verhalten wie ein Westdeutscher. Das geht gar nicht, obwohl ich finde, das, was sie machen, ist richtig so.
Die Ostdeutschen sind sehr ähnlich wie die Engländer in vieler Hinsicht. Und das denke ich mir, fühle ich mich eigentlich, ehrlich gesagt, näher zu die Ostdeutschen als zu die Westdeutschen. Und ich denke, die Ostdeutschen mussten auch dieses Problem haben, die mussten sich plötzlich an ein fremdes System orientieren - noch schlimmer, weil, sie können nicht zurück."
Obwohl er seit 30 Jahren in Deutschland wohnt und arbeitet, muss auch er einen Einbürgerungstest machen, wenn er Deutscher werden will. Doch das sei für ihn in Ordnung. Gleiches Recht für alle, meint er.
"Den deutschen Pass zu beantragen, davor stand eine große Wutwelle. Ungefähr vor einem Jahr fing das an. Auf einmal sah ich - dort, wo ich her komme - das war auf einmal fremd. Ich konnte es nicht verstehen: Die Ausrichtung der tschechischen Regierung, viele sprechen sich auch für einen Austritt aus der EU aus, nur als Beispiel.
Und mit vielen Gesprächen im Freundeskreis merkte ich, dass ich nicht einverstanden bin mit dem, was ich von meinem Gegenüber höre. Dann kam auch diese Wurzelsuche, das fing vor fünf Jahren an und jetzt im letzten Jahr kam dazu dieser Ärger und dieses Nein! Das ist nicht meins! Und ein weiteres Jahr haben meine Gedanken noch gearbeitet, um festzustellen, dass mein Zuhause in Deutschland ist und ich mehr von Deutschland erwarten kann als von Tschechien."
"Was spricht dagegen? Das Gefühl, dass es - es ist doch kein rein bürokratischer Akt. Also, wählen zu wollen, das ist alles schön und gut, das kommt alle vier Jahre, aber was macht man zwischen den Wahlen? Dann ist man deutscher Staatsbürger, und man hat diese Situation in Europa, ich dürfte meine irische Staatsbürgerschaft behalten, aber die Regel ist, mit doppelter Staatsbürgerschaft: In Deutschland wäre ich Deutscher. Wenn ich Probleme hätte, dürfte ich mich nicht an die irische Botschaft wenden. In Irland wäre ich Ire, und ich dürfte mich nicht an die deutsche Botschaft wenden. Also, man darf nicht zwei Staaten gegeneinander ausspielen, das verstehe ich."
"Wenn das möglich wäre, dass ich diese doppelte Staatsbürgerschaft mit Sierra Leone möglich ist, also Deutschland, Sierra Leone, dann sofort. Weil, ich kann das nicht wegstreichen, für mich ist Deutschland auch wie ein zweites Zuhause, aber Sierra Leone bleibt immer noch meine erste Heimat."
"Es gibt im Steuerrecht Lebensmittelpunkt, und ich glaube, es gibt auch ein Lebensmittelpunkt fürs Herz. Ich werde immer Ire sein wahrscheinlich im tiefsten Sinne, weil man da sozialisiert wurde, aber ich glaube, Staatsbürgerschaft heutzutage, da wir alle so mobil sind, es hat auch was Pragmatisches und dann muss ich einfach sehen, wie diese zwei Seelen in meiner Brust zusammen leben. Die leben sowieso zusammen, ich würde eher etwas formalisieren, was eh vorhanden ist."
"Solange die United Kingdom ist noch Teil von der Europäischen Union, darf man doppelte Staatsbürgerschaft haben und behalten den britischen Pass. Ich frage mich, wenn es dann durch ist, wie ich mich entscheiden würde, wenn ich müsste, gebe ich den Deutschen ab oder den Britischen? Weiß ich nicht!"
"Wenn ich meinen irischen Pass abgeben müsste, wäre das schon ein Schlag ins Gesicht. Das wäre so, als ob man ein Glied oder ein Teil des Herzes raus schneiden muss und zwar vor einem Beamten in einem Büro mit Gummipflanzen. Also, das ist sehr schwer, und ich finde es immer extrem schwierig, wenn das zu eine politischen Spielball wird."
"Generell wäre ich am Glücklichsten, wenn ich einen europäischen Pass haben könnte, wenn es den geben würde."
"Ich werde nie Deutscher sein, im Herzen und im Geist. Manche Politiker haben gedacht, sobald sie haben den deutschen Pass, dann sind sie Deutscher. Ja, das ist es nicht. Man ist nicht automatisch ein anderer Bürger in dem Sinn, dass man fühlt sich dann wie ein Deutscher. Man ist immer noch ein Brite oder Türke. Das verliert man nie, auch wenn man 30 Jahre in dem anderen Land gelebt hat schon."
"Ich hin sehr viel unterwegs, vor allem in Sierra Leone, wo ich auch arbeite. Meine Freunde sagen manchmal zu mir, oh, du bist sehr deutsch geworden, du verhältst dich so jetzt wie ein Deutscher. Also, ich merke auch, dass ich einiges von der Kultur hier gelernt habe, das heißt, ich bin wirklich zwischen die zwei Welten. Das wäre prima, wenn das so bleibt!"
"Man will die Buslinie abschaffen mit der sie immer zur Arbeit fahren. Was können sie machen, um die Buslinie zu erhalten?"
"Was gibt es da zur Auswahl?"

Die Staatsbürgerschaft verliert an Bedeutung

Mit Fragen aus dem Einbürgerungstest prüfen Schüler einer Berliner Gemeinschaftsschule ihr Wissen über Deutschland.
"Ich beteilige mich an einer Bürgerinitiative um die Erhaltung der Buslinie oder gründe selbst eine Initiative."
Sie sind zwischen 13 und 15 Jahre alt.
"Ich werde Mitglied in einem Sportverein und trainiere Radfahren."
Außerdem sollen sie in dieser Stunde über das Deutschsein diskutieren, über Heimat und Verwurzelung. Doch sie zucken zunächst eher mit den Schultern. Es scheint keine rechte Bedeutung für sie zu haben. Zwischen ihnen und ihren ausländischen Freunden spielt dieses Thema sowieso keine Rolle. Bei Verständigungsschwierigkeiten wechselt man ganz selbstverständlich ins Englische.
"Ich würde meine Sprache nicht als mein Zuhause bezeichnen. Ich könnte mich genauso gut an eine andere Sprache gewöhnen."
"Ich würde sagen, wenn du dich an eine andere Sprache gewöhnst, dann hast du immer noch dieses Deutsche in deiner Sprache selbst, dass du immer noch deutsch denkst, in deutschen Wegen denkst, weil du in Deutschland aufgewachsen bist."
"Dass man einfach nach dieser Art wahrscheinlich denkt oder?"
"Ja, dass man nach dieser deutschen Art denkt."
"Wenn man sagt, man denkt deutsch, dann klingt das auch leicht falsch."
"Ich höre immer wieder, dass Deutsche eher logisch denken als andere Kulturen."
"Man hat gewisse Aspekte aus seiner Sprache, aus seiner Kultur, von allem, was man erlebt hat, man hat Erinnerungen an gewisse Sachen, und ich glaube, das fließt alles einfach mit in dich hinein quasi. Also, vielleicht nach etlichen Jahren würde das wahrscheinlich irgendwann langsam verschwinden, aber man behält ja immer irgendetwas von dem, wo man sich dran gewöhnt hat."
Mit ihrer deutschen Herkunft werden die jungen Menschen vor allem im Ausland konfrontiert.
"Ich war in den Sommerferien in London, und man merkt, dass die englische Mentalität anders ist einfach. Also, Engländer sind zum Beispiel viel freundlicher einfach."
"Ich glaube, in England gibt es genauso Szenen, wo Leute so unwirsch sind wie hier."
"In Rumänien ist es mir schon mal passiert. Da wollten die uns erst kein Hotel geben und als sie dann erfahren haben, dass wir Deutsche sind, da war das auf einmal anders."
"Die Erfahrung habe ich auch gemacht, dass wir in verschiedenen Ländern, wenn wir gesagt haben, dass wir aus Deutschland kommen - die habe uns mehr gefeiert, die waren einfach so als wären wir Adlige oder so. Das war voll heftig. Also, die waren wesentlich netter, wenn die das erfahren haben. Ich schäme mich dafür. Ich bin nicht mehr wert als die, nur weil ich aus Deutschland komm. Ich bin genauso ein Mensch wie die."
"Ich habe ein paar Verwandte in Norwegen, und die müssen sich öfter so was anhören wie Mini-Hitler, weil sie aus Deutschland kommen. Das hat mich schockiert, als ich das gehört habe. Die haben dann die Schule gewechselt."
"Also, wenn man sich Deutschland anguckt im Vergleich zu anderen Ländern und dann erst merkt, wie man hier lebt und wie man hier im Überfluss auch lebt. Und wenn man dann andere Menschen sieht, die das überhaupt nicht haben, wenn man zum Beispiel irgendwelche Flüchtlingsheime besucht, das ist schon krass."
"Aber vielleicht ist es ja schlimmer, weil, wir leben im Überfluss auf die Kosten von den anderen Menschen. Das ist der Kapitalismus, das geht uns gut, dafür leidet leider der Rest der Welt."
"Aber ich glaube, man kann ja trotzdem glücklich sein mit dem, was man hat. Klar kann man sagen, wir bereichern uns, und anderen Leuten geht es dafür schlecht, und das ist auf jeden Fall auch sehr schlimm. Aber ich finde halt trotzdem, dass man das wertschätzen kann, dass man das alles hat, weißt du? Also, dass es einem gut geht."
Wir sind zurück bei der feierlichen Einbürgerungsveranstaltung in Berlin Mitte:
"Damit haben wir alle Urkunden überreicht, und es gibt jetzt noch einen feierlichen Ausklang. Wir hören jetzt noch die Nationalhymne. Keine Angst, wir müssen die nicht mitsingen, aber ich würde sie bitten aufzustehen."
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