Die Helden von morgen

Vorgestellt von Lutz Bunk |
Der 15-jährige Ward ist ein verträumter Einzelgänger. Er leidet unter seinem dominanten Vater, der der beste Surfer weit und breit ist. Doch eines Tages ist er derjenige, der seinem Vater das Leben rettet. Einfühlsam beschreibt die Neuseeländerin Kirsty Gunn das Heranwachsen eines Jugendlichen.
Zwei Tage beschreibt dieses Buch. Es ist Sommer, es ist heiß, das Meer blau und verführerisch, und der 15-jährige Ward, der Hauptprotagonist von Kirsty Gunns "Der Junge und das Meer", verbringt an der nordamerikanischen Küste seine Ferien, zusammen mit seinen Eltern und einigen Jugendlichen: abhängen, kiffen, Partys und vor allem Surfen.

Der 15-jährige Ward ist ein verträumter Einzelgänger. Er leidet unter seinem dominanten Vater, der der beste Surfer weit und breit ist. Aber am zweiten Tag, von dem "Der Junge und das Meer" erzählt, erwischen Ward und sein Vater dieselbe Monsterwelle. Nur der Sohn meistert sie und rettet seinem Vater das Leben. Das Surfen und die Konfrontation mit dem Meer ist auch eine Metapher für das Erwachsenwerden.

"Der Junge und das Meer" der Neuseeländerin Kirsty Gunn ist eine Auftragsarbeit für den deutschen Marebuchverlag, eine Welt-Erstveröffentlichung. Nikolaus Hansen, der Verleger des Marebuchverlages, konnte Kirsty Gunn dafür gewinnen, diese Novelle für die mittlerweile 20-bändige mare-Bibliothek zu schreiben, die ausschließlich literarische Texte zum Thema Meer veröffentlicht.

Kirsty Gunn, heute 41 Jahre alt, wurde in Neuseeland geboren, studierte Literatur in Oxford und lebt heute in London. Direkt nach ihrem Studium begann sie, Romane und Erzählungen zu veröffentlichen. Schon ihr Debütroman "Regentage", 1995 in Deutschland erschienen, wurde in den USA und in England von Kritik und Publikum gefeiert und mittlerweile auch verfilmt.

Kirsty Gunns Hauptthema sind die Schrecken des Heranwachsens von Jugendlichen in einer chaotischen Welt. Ihr Stil – Kompliment an die Übersetzerin Bettina Abarbanell – ist sanft bis handfest. Die Umgangssprache der Teenager kommt wie ein Rap daher, die Beschreibungen des Meeres und des Surfens sind dagegen poetisch.

Manchmal dehnt Kirsty Gunn die Zeit und lädt zum Träumen ein, etwa wenn sie eine Welle sich auf acht Seiten auftürmen und dann brechen lässt. Die spannende Novelle mit raffinierten Wechseln der Erzählperspektive zwischen zwei Erzählern, einem geheimnisvollen "Ich" und dem Meer selbst, ist bis in das kleinste Detail durchkomponiert.

"Der Junge und das Meer" wirkt wie eine mit Federkiel und Tinte verfasste Geschichte: zeitlos, existenzialistisch und zum Heulen schön. Dieses Buch schreit geradezu danach, in den deutschen Schulen die eher deprimierenden Romane "Fänger im Roggen" von Salinger und "Der alte Mann und das Meer" von Hemingway abzulösen. In Kirsty Gunns Novelle sind die Kids von heute keine "verlorene Generation", sondern die Helden von morgen.

Kirsty Gunn: "Der Junge und das Meer"
Übersetzt von Bettina Abarbanell
marebuchverlag 2005,
140 Seiten