Die Heilige und der Springteufel

Von Florian Felix Weyh |
Weil Parteien wenig kommunikative Kompetenzen haben, kaufen sie sich bei Werbeagenturen ein, wo die Kreativen sitzen. Dabei sind in diesem Wahlkampf alle etablierten Parteien in die Falle der professionellen Blender gelaufen, kommentiert Florian Felix Weyh.
Sonntag, 1. September, gegen 22.00 Uhr. Es läuft das Kanzlerkandidaten-Duell. Plötzlich, A9 Nürnberg-Berlin, Höhe Hermsdorfer Kreuz, steht Angela Merkel überlebensgroß neben mir, die doch gerade im Autoradio um Stimmen wirbt. Nein, sie schwebt, gleißend hell erstrahlend, eine Erscheinung in tiefschwarzer Nacht: Madonna, errette uns! Das ist gespenstisch.

Irrtum: Das ist Wahlkampf als Fortsetzung der Politik mit kulturellen Mitteln.

Betrachten wir, was sich die Agenturprofis bei dieser Wahl ausgedacht haben – und was sie unterm Strich damit wirklich produzierten. In den 80er-Jahren gab es in der Werbung eine revolutionär neue Idee: Statt des ermüdenden Selbstlobs versuchte man, durch geschickte Erzähldramaturgie den Konkurrenten im Markt zu verschieben, und zwar auf einen für ihn ungemütlichen Platz. Pepsi Cola schaffte es so plötzlich, Coca-Cola altbacken aussehen zu lassen und gewann damit junge Kunden zurück.

Merkels Wahlkampfstrategen kannten diesen legendären Trick offensichtlich. Denn kurz nach dem TV-Duell wurde aus der Mutter der Nation die Madonna, die überlebensgroße Heilige, die mit der inzwischen berühmt gewordenen Merkel-Handraute christlicher Ikonografie huldigte. Und Peer Steinbrück tappte in die Falle. Statt die Zuweisung – hie Madonna und dort? Ja, richtig, der Springteufel! – weiträumig zu meiden, lieferte er willfährig die entsprechende Springteufel-Geste mit ausgestrecktem Mittelfinger, woraufhin die Werber im Adenauer-Haus vor Freude getanzt haben müssen.

Sofalehnen, Fußleisten, Türklinken
Zu früh gefreut, denn der eigentliche Springteufel saß bei ihnen selbst im Team. In Madonna Merkels mehrfach ausgestrahltem Close-up-Spot auf schwarzem Sofa drehte sich und sprang alles, Bildachse und Bildausschnitt, als werbe man für Sofalehnen, Fußleisten, Türklinken. Was die ruhigen Hände der Kanzlerin im Großplakat aufbauen sollten, rissen die unruhigen Hände von Kameramann und Cutter wieder ein. Denn widersprüchliche Botschaften zwischen Text- und Bildebene gehen immer zuungunsten des Textes aus. So besagte der CDU-Spot letztlich nichts weiter als: "Lass die Alte ruhig reden. Wir haben eine hippe Bildästhetik." Da durften dann die Strategen im Willy-Brandt-Haus die Korken knallen lassen.

Das Problem betrifft freilich die gesamte Politiklandschaft. Parteien haben keine kulturellen und wenig kommunikative Kompetenzen. Also kaufen sie sie ein, bei Werbeagenturen, wo junge, frische Kreative sitzen, denen man Hip- und Coolness und kulturelles Distinktionsvermögen zuschreibt. Die Regeln des Agenturgeschäfts sind aber ganz andere als die der Politik. Es geht fast nie um Endkunden – in diesem Fall Wähler –, sondern darum, dem Auftraggeber zu gefallen. Das sind jene Institutionen, die die Kampagnen für teures Geld einkaufen, zu deren Beurteilung sie – da beißt sich die Katze in den Schwanz – nicht kompetent genug sind. Wie im Kulturbetrieb insgesamt entsteht eine Anfälligkeit für Einflüsterungen: Man versteht zwar nicht, warum dies und das gut sein soll, aber wenn es die Insider sagen, wird es schon stimmen.

Verbotener Schrift-Mix
So liefen in diesem Wahlkampf alle etablierten Parteien in die Falle der professionellen Blender. Die SPD übersah – "Das Wir entscheidet!" –, dass ihr ästhetisch verbotener Mix aus Kursivschrift und Normalfett semiotische Fußangeln bereithielt, denn Kursivschrift verkörpert nie eine direkte Ansprache, sondern deren Gegenteil, eine Art flüchtiges Beiseite-Sprechen. Die Grünen appellierten mit ihren Steuerplänen an den mündigen Staatsbürger, stutzten ihn aber auf Duz-Plakaten zum kindlichen Ansprechpartner zurück. Und die FDP brachte es mit einem Butterbrot schmierenden Rainer Brüderle fertig, die satirische "heute-show" zu übertreffen, als bereite ein schon gescheiterter Kandidat eine Comedian-Karriere vor.

Kultur ist längst nicht mehr normativ; man streitet nicht mal mehr über einen verbindlichen Kanon. Politik allerdings muss sich immer noch als normsetzend begreifen, sonst verfehlt sie ihre Aufgaben – im Werbedeutsch: ihren Markenkern. Wenn die mit ästhetischem Wirrwarr jonglierende Wahlkampfkultur aller Parteien den Wählern nun unterschwellig vermittelt hat, dass auch die Politik auf Normsetzungs-Kompetenz verzichtet, wäre das wirklich schädlich.

Aber gemach! Wir orientieren uns ja alle an den Parteiprogrammen.

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