"Die Hauptprobleme liegen im Bereich der Geringqualifizierten"
Der Arbeitsmarktökonom Holger Schäfer vom Kölner Institut der deutschen Wirtschaft (IW) hat den Ergebnissen einer aktuellen DGB-Studie widersprochen, wonach gut ausgebildete Menschen besonders stark unter der gegenwärtigen Wirtschaftskrise zu leiden hätten.
Gabi Wuttke: Die Wirtschaftskrise und der Arbeitsmarkt, da wird das dicke Ende erst noch kommen. Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat dazu eine Studie mit einer erschreckenden Zahl vorgelegt. Im Jahresvergleich stieg die Zahl der Arbeitslosen mit Abitur, Fach- oder Hochschulabschluss um über 24 Prozent.
Holger Schäfer ist Arbeitsmarktökonom beim arbeitgebernahen Institut der Deutschen Wirtschaft. Herr Schäfer, schützt auch die Zugangsberechtigung für eine Universität nicht mehr vor Arbeitslosigkeit?
Holger Schäfer: Menschen, die ein Abitur haben, waren noch nie vor Arbeitslosigkeit per se geschützt. Gleichwohl: Die Tatsache, dass die Zahl der Abiturienten, die arbeitslos sind, stärker angestiegen ist als die Zahl der Arbeitslosen mit Haupt- oder Realschulabschluss, das hat vornehmlich wohl damit zu tun, dass es mehr Abiturienten gibt. Die Zahl der Abiturienten steigt nämlich, während die Zahl der Real- und Hauptschulabsolventen abnimmt.
Wuttke: Heißt das, es relativiert den ersten Eindruck, dass man Grund hat, pessimistisch zu sein?
Schäfer: Ja. Man muss den Eindruck, dass Hochqualifizierte jetzt verstärkt arbeitslos werden, nicht nur relativieren; man muss ihn, glaube ich, auch ganz klar falsifizieren und widerlegen, denn das Gegenteil ist eigentlich richtig. Wir haben sehr starke Hinweise darauf, dass eine hohe Qualifikation eben ursächlich ist für den Erfolg auf dem Arbeitsmarkt. Wer eine gute Ausbildung hat, der wird auch seltener arbeitslos. Das zeigt sich zum Beispiel an den qualifikationsspezifischen Arbeitslosenquoten. Die liegen zum Beispiel für Akademiker seit 30 Jahren konstant bei vier bis fünf Prozent, also quasi bei Vollbeschäftigung. Das stellt dann natürlich auf die berufliche Qualifikation ab, während der DGB in seiner Studie ja hier lediglich die schulische Qualifikation untersucht hat.
Wuttke: Stellt sich für mich jetzt die Frage: Hat der DGB nicht ordentlich gerechnet?
Schäfer: Die Zahlen stimmen schon insoweit. Nur meines Erachtens handelt es sich hier um eine Fehlinterpretation der Daten. Ich glaube, der Eindruck ist nicht korrekt, dass die Hochqualifizierten zunehmend von Arbeitslosigkeit betroffen sind. Das ist in den vergangenen 30 Jahren nicht der Fall gewesen und wir haben eigentlich auch überhaupt keine ...
Wuttke: Aber in den ganzen letzten 30 Jahren ging es wirtschaftlich weltweit nie so schlecht wie heute.
Schäfer: Ja, aber Krisen hat es auch da gegeben und die letzte Arbeitsmarktkrise, wenn man sich mal erinnert, 2003/2004, da hatten wir Arbeitslosenzahlen über fünf Millionen teilweise. Die waren also noch mal deutlich höher als die Zahlen, die wir heute haben. Also was den Arbeitsmarkt betrifft, gab es schon schlimmere Krisen als die, die wir jetzt im Moment bislang sehen. Insofern gibt es überhaupt keine Veranlassung, daran zu glauben, dass nunmehr Hochqualifizierte aus irgendeinem mysteriösen Grunde besonders von Arbeitslosigkeit betroffen sein werden.
Wuttke: Heißt doch aber im Rückschluss auch: In Deutschland gibt es zu viele Abiturienten und gar nicht genug Arbeit für sie.
Schäfer: Nein, das heißt das nicht. Man darf auch nicht den Fehler machen, hier die Abiturienten mit Hochqualifizierten zu verwechseln. Wir haben ja möglicherweise Realschüler mit einer Facharbeiterausbildung, die sind für den Arbeitsmarkt besser gerüstet als ein Abiturient ohne abgeschlossene Berufsausbildung. Also ich denke, man muss da deutlich mehr auf die berufliche Ausbildung gucken.
Wuttke: Dass Menschen, die einen Hoch- und Fachschulabschluss haben, zu 14 Prozent mehr als im letzten Jahr in Hartz IV stehen, auf welches Dilemma weist das hin?
Schäfer: Ich glaube nicht, dass man hier es wirklich mit einem Dilemma zu tun hat. Die Betroffenheit von Menschen mit Hochschulabschluss bei Hartz IV ist außerordentlich gering. Aus den Daten, die der DGB da ja selber auch teilweise veröffentlicht hat, geht hervor - das sind Daten der Bundesagentur für Arbeit -, dass es ungefähr 55.000 arbeitslose Akademiker gibt, die in Hartz IV-Bezug sind. Das sind jetzt in Prozent gerechnet von den insgesamt rund 7 Millionen Akademikern, die wir im erwerbsfähigen Alter in Deutschland haben, nicht einmal ein Prozent.
Wuttke: Wenn Sie also sagen, es ist alles gar nicht so schlimm, wie es zu sein scheint, was ist denn Ihre Prognose für den deutschen Arbeitsmarkt?
Schäfer: Es besteht kein Zweifel daran, dass der deutsche Arbeitsmarkt zum einen auf die Krise reagiert und auch künftig noch stärker reagieren wird auf diese Krise. Die Arbeitslosigkeit wird ansteigen im nächsten Jahr, in diesem Jahr auch schon, aber die Hauptleidtragenden dieser Krise werden ganz sicherlich nicht die Hochqualifizierten sein, sondern ganz im Gegenteil. Die Hauptprobleme liegen im Bereich der Geringqualifizierten. Die Hochqualifizierten werden vermutlich auch von einer steigenden Arbeitslosigkeit ausgehen, aber die Arbeitsmarktchancen sind insbesondere für die Akademiker immer noch weit, weit besser als die von Personen ohne abgeschlossene Berufsausbildung.
Wuttke: Müssen wir uns also darauf einstellen, bald ein Land zu sein, in dem wirklich große Armut regiert, oder sehen Sie, dass die in Entstehung befindliche neue Regierung da schon mal richtige Gegenmaßnahmen zumindest entwickelt?
Schäfer: Es ist ja richtig, dass das Ausmaß der Armut auch von der Entwicklung der Arbeitslosigkeit abhängt, und das Ansteigen der Arbeitslosigkeit wird sicherlich auch im nächsten Jahr zu einem Ansteigen der Armut führen. Ob das allerdings auf einem höheren Niveau dann stattfindet als die Niveaus, die wir schon längst gesehen haben, das heißt, ob wir nicht möglicherweise auf einem insgesamt guten Weg sind, das muss man dann erst mal sehen, wenn die Daten vorliegen. Das wird noch eine ganze Weile dauern. Ich denke aber, dass wir nicht wieder auf den alten Stand von 2005 mit über fünf Millionen Arbeitslosen und einer relativ hohen Armutsrate zurückfallen werden, sondern ich denke, wir stehen selbst nach dieser Krise besser da als zuvor.
Wuttke: Eine Zahl aus Ihrem Hause bezieht sich genau auf das Jahr 2005. Da wurden nämlich in Deutschland, obwohl es fünf Millionen Arbeitslose gab, über sechs Millionen Arbeitsverträge unterzeichnet. Es kann also von Arbeitgeberseite auch anders gehen. Warum nicht jetzt?
Schäfer: Dieser Umschlag auf dem Arbeitsmarkt, dass nach wie vor viele Menschen eingestellt werden, das findet nach wie vor statt. Das ist nicht so, dass das jetzt aufgehört hätte, sondern auch in einer Phase, wo die Arbeitslosigkeit zunimmt und auch die Erwerbstätigkeit sinkt, in einer solchen Phase werden viele, viele Menschen neu eingestellt. Es ist nur das Problem, dass per Saldo halt mehr Menschen ihren Arbeitsplatz verlieren oder neu auf den Arbeitsmarkt kommen und keine entsprechende Beschäftigung finden. Aber trotzdem: Gelegenheiten, eine neue Beschäftigung zu finden, gibt es auch jetzt in der Krise.
Wuttke: Das Institut der Deutschen Wirtschaft kommentierte die neue Studie des Deutschen Gewerkschaftsbundes zur steigenden Arbeitslosenzahl bei Abiturienten und Hochqualifizierten. Im Interview dazu der Arbeitsökonom Holger Schäfer.
Holger Schäfer ist Arbeitsmarktökonom beim arbeitgebernahen Institut der Deutschen Wirtschaft. Herr Schäfer, schützt auch die Zugangsberechtigung für eine Universität nicht mehr vor Arbeitslosigkeit?
Holger Schäfer: Menschen, die ein Abitur haben, waren noch nie vor Arbeitslosigkeit per se geschützt. Gleichwohl: Die Tatsache, dass die Zahl der Abiturienten, die arbeitslos sind, stärker angestiegen ist als die Zahl der Arbeitslosen mit Haupt- oder Realschulabschluss, das hat vornehmlich wohl damit zu tun, dass es mehr Abiturienten gibt. Die Zahl der Abiturienten steigt nämlich, während die Zahl der Real- und Hauptschulabsolventen abnimmt.
Wuttke: Heißt das, es relativiert den ersten Eindruck, dass man Grund hat, pessimistisch zu sein?
Schäfer: Ja. Man muss den Eindruck, dass Hochqualifizierte jetzt verstärkt arbeitslos werden, nicht nur relativieren; man muss ihn, glaube ich, auch ganz klar falsifizieren und widerlegen, denn das Gegenteil ist eigentlich richtig. Wir haben sehr starke Hinweise darauf, dass eine hohe Qualifikation eben ursächlich ist für den Erfolg auf dem Arbeitsmarkt. Wer eine gute Ausbildung hat, der wird auch seltener arbeitslos. Das zeigt sich zum Beispiel an den qualifikationsspezifischen Arbeitslosenquoten. Die liegen zum Beispiel für Akademiker seit 30 Jahren konstant bei vier bis fünf Prozent, also quasi bei Vollbeschäftigung. Das stellt dann natürlich auf die berufliche Qualifikation ab, während der DGB in seiner Studie ja hier lediglich die schulische Qualifikation untersucht hat.
Wuttke: Stellt sich für mich jetzt die Frage: Hat der DGB nicht ordentlich gerechnet?
Schäfer: Die Zahlen stimmen schon insoweit. Nur meines Erachtens handelt es sich hier um eine Fehlinterpretation der Daten. Ich glaube, der Eindruck ist nicht korrekt, dass die Hochqualifizierten zunehmend von Arbeitslosigkeit betroffen sind. Das ist in den vergangenen 30 Jahren nicht der Fall gewesen und wir haben eigentlich auch überhaupt keine ...
Wuttke: Aber in den ganzen letzten 30 Jahren ging es wirtschaftlich weltweit nie so schlecht wie heute.
Schäfer: Ja, aber Krisen hat es auch da gegeben und die letzte Arbeitsmarktkrise, wenn man sich mal erinnert, 2003/2004, da hatten wir Arbeitslosenzahlen über fünf Millionen teilweise. Die waren also noch mal deutlich höher als die Zahlen, die wir heute haben. Also was den Arbeitsmarkt betrifft, gab es schon schlimmere Krisen als die, die wir jetzt im Moment bislang sehen. Insofern gibt es überhaupt keine Veranlassung, daran zu glauben, dass nunmehr Hochqualifizierte aus irgendeinem mysteriösen Grunde besonders von Arbeitslosigkeit betroffen sein werden.
Wuttke: Heißt doch aber im Rückschluss auch: In Deutschland gibt es zu viele Abiturienten und gar nicht genug Arbeit für sie.
Schäfer: Nein, das heißt das nicht. Man darf auch nicht den Fehler machen, hier die Abiturienten mit Hochqualifizierten zu verwechseln. Wir haben ja möglicherweise Realschüler mit einer Facharbeiterausbildung, die sind für den Arbeitsmarkt besser gerüstet als ein Abiturient ohne abgeschlossene Berufsausbildung. Also ich denke, man muss da deutlich mehr auf die berufliche Ausbildung gucken.
Wuttke: Dass Menschen, die einen Hoch- und Fachschulabschluss haben, zu 14 Prozent mehr als im letzten Jahr in Hartz IV stehen, auf welches Dilemma weist das hin?
Schäfer: Ich glaube nicht, dass man hier es wirklich mit einem Dilemma zu tun hat. Die Betroffenheit von Menschen mit Hochschulabschluss bei Hartz IV ist außerordentlich gering. Aus den Daten, die der DGB da ja selber auch teilweise veröffentlicht hat, geht hervor - das sind Daten der Bundesagentur für Arbeit -, dass es ungefähr 55.000 arbeitslose Akademiker gibt, die in Hartz IV-Bezug sind. Das sind jetzt in Prozent gerechnet von den insgesamt rund 7 Millionen Akademikern, die wir im erwerbsfähigen Alter in Deutschland haben, nicht einmal ein Prozent.
Wuttke: Wenn Sie also sagen, es ist alles gar nicht so schlimm, wie es zu sein scheint, was ist denn Ihre Prognose für den deutschen Arbeitsmarkt?
Schäfer: Es besteht kein Zweifel daran, dass der deutsche Arbeitsmarkt zum einen auf die Krise reagiert und auch künftig noch stärker reagieren wird auf diese Krise. Die Arbeitslosigkeit wird ansteigen im nächsten Jahr, in diesem Jahr auch schon, aber die Hauptleidtragenden dieser Krise werden ganz sicherlich nicht die Hochqualifizierten sein, sondern ganz im Gegenteil. Die Hauptprobleme liegen im Bereich der Geringqualifizierten. Die Hochqualifizierten werden vermutlich auch von einer steigenden Arbeitslosigkeit ausgehen, aber die Arbeitsmarktchancen sind insbesondere für die Akademiker immer noch weit, weit besser als die von Personen ohne abgeschlossene Berufsausbildung.
Wuttke: Müssen wir uns also darauf einstellen, bald ein Land zu sein, in dem wirklich große Armut regiert, oder sehen Sie, dass die in Entstehung befindliche neue Regierung da schon mal richtige Gegenmaßnahmen zumindest entwickelt?
Schäfer: Es ist ja richtig, dass das Ausmaß der Armut auch von der Entwicklung der Arbeitslosigkeit abhängt, und das Ansteigen der Arbeitslosigkeit wird sicherlich auch im nächsten Jahr zu einem Ansteigen der Armut führen. Ob das allerdings auf einem höheren Niveau dann stattfindet als die Niveaus, die wir schon längst gesehen haben, das heißt, ob wir nicht möglicherweise auf einem insgesamt guten Weg sind, das muss man dann erst mal sehen, wenn die Daten vorliegen. Das wird noch eine ganze Weile dauern. Ich denke aber, dass wir nicht wieder auf den alten Stand von 2005 mit über fünf Millionen Arbeitslosen und einer relativ hohen Armutsrate zurückfallen werden, sondern ich denke, wir stehen selbst nach dieser Krise besser da als zuvor.
Wuttke: Eine Zahl aus Ihrem Hause bezieht sich genau auf das Jahr 2005. Da wurden nämlich in Deutschland, obwohl es fünf Millionen Arbeitslose gab, über sechs Millionen Arbeitsverträge unterzeichnet. Es kann also von Arbeitgeberseite auch anders gehen. Warum nicht jetzt?
Schäfer: Dieser Umschlag auf dem Arbeitsmarkt, dass nach wie vor viele Menschen eingestellt werden, das findet nach wie vor statt. Das ist nicht so, dass das jetzt aufgehört hätte, sondern auch in einer Phase, wo die Arbeitslosigkeit zunimmt und auch die Erwerbstätigkeit sinkt, in einer solchen Phase werden viele, viele Menschen neu eingestellt. Es ist nur das Problem, dass per Saldo halt mehr Menschen ihren Arbeitsplatz verlieren oder neu auf den Arbeitsmarkt kommen und keine entsprechende Beschäftigung finden. Aber trotzdem: Gelegenheiten, eine neue Beschäftigung zu finden, gibt es auch jetzt in der Krise.
Wuttke: Das Institut der Deutschen Wirtschaft kommentierte die neue Studie des Deutschen Gewerkschaftsbundes zur steigenden Arbeitslosenzahl bei Abiturienten und Hochqualifizierten. Im Interview dazu der Arbeitsökonom Holger Schäfer.