Die Handwerkskultur der Reduzierung

Von Adolf Stock |
"Katachi" steht für "Form" oder "Sinn der Form". Dabei geht um die perfekte Form von Alltagsgegenständen, die in Japan eine lange, religiös vermittelte Tradition besitzt. Das Berliner Bauhaus-Archiv zeigt jetzt unter dem Titel "Katachi – Die leise Form aus Japan" japanisches Design, das sich mühelos neben den Design-Ikonen der Bauhäusler behaupten kann.
Japan, du hast es besser. In seinem Buch "Das japanische Haus und sein Leben" hatte der Architekt BrUNO Taut schon 1936 das Hohelied auf die japanische Wohnkultur gesungen. Ein wundersamer Bericht über Handwerk, Buddha und lackierte Suppenschalen. Kaum angekommen schrieb er über sein neues Zuhause: "Die Umrisse des Raumes waren ganz klar, und es war in dieser Einfachheit eine vollendet ästhetische Welt."

Heute erinnern sich junge japanische Designer wieder an ihre alte Tradition und entwerfen mit sicherem Gespür schlichte, schnörkellose Formen. In der Berliner Ausstellung sind jetzt gut 100 Exponate zu sehen. Annemarie Jaeggi, Leiterin des Berliner Bauhaus Archivs.

"Man kann das in Japan seit Anfang des 21. Jahrhunderts beobachten, dass es wieder ein, ja ich möchte fast sagen ein Zurück zu einer traditionellen Schlichtheit gibt, aber auch einer Schlichtheit, die über das Traditionelle weit hinausgeht. Und es ist für uns Deutsche fast sogar ein bisschen irritierend oder befremdlich, weil wir sehen, dass das Design der Ulmer Hochschule für Gestaltung der 50er- und 60er-Jahre dort in einer Form wiederkommt, die nachgerade über Ulm hinausgeht."

Man denkt an das legendäre Braun-Design, doch es gibt gewaltige Unterschiede. Als 1907 der Deutsche Werkbund gegründet wurde, waren die heimischen Industriegüter eine ästhetische Katastrophe. Sorgfältige Handwerksarbeit war für die Massenproduktion nicht geeignet, und ein stilsicheres Produktdesign gab es noch nicht. In den 20er-Jahren hat sich das Bauhaus um innovative und ästhetisch ansprechende Produkte gekümmert – die Teekannen, Lampen und Stühle aus Dessau sind heute Klassiker des modernen Industriedesigns. Während das Bauhaus und Ulm mit ihren Produkten die Menschen erziehen und bessern wollten, schauen die Japaner einfach zurück und besinnen sich auf ihre große Vergangenheit. Miki Shimokawa, Kuratorin der Ausstellung. Sie steht vor einer Vitrine.

"Diese Schalen oder Bestecke kamen aus dem heutigen China und Korea. Damals solche Produkte waren sehr, sehr wichtig und wurden nur für Rituale benutzt. Normale Leute konnten nicht solche Sachen benutzen. Solche Schalen sind einfach und ganz schlich, ohne Ornamente. Ornamente produzierten Schmutz, deswegen ursprüngliche Objekte waren alle heilige Schalen."

Die Handwerker trugen damals Priesterkleidung. Sie waren Hüter einer spirituellen Reinheit, die jenseits von Ornament und Dekor nach einfachen schlichten Formen suchten. In Japan wird seit Jahrhunderten mit religiösem Eifer an der perfekten Form gefeilt. Schlicht gesagt, all die Schalen, Dosen und Vasen sind eher ein Ergebnis der Evolution als des modischen Designs. In Japan gibt es ein Wort dafür: "Katachi", was soviel wie "Form" bedeutet oder besser gesagt "Sinn der Form". Annemarie Jaeggi:

"Es gibt eine Fülle von Alltagsgegenständen zu sehen, die heue in Japan produziert werden, die man kaufen kann. Es sind sehr viele kleine Dinge, Schälchen, eine ganze Falange von Essstäbchen in den unterschiedlichsten Variationen, aber es sind auch Messer und Werkzeuge zu sehen, die nicht mit den herkömmlichen Formen in Verbindung zu bringen sind."

Die Ausstellung zeigt eine Handwerkskultur, die jeden Gegenstand auf das Notwendige reduziert: formvollende Stäbchen, lichtdurchscheinende Holzschalen, hauchdünne Gläser und filigrane Bambuskörbchen. Material, Funktion und Design ergänzen sich vollkommen.

Simples Teetrinken folgt in Japan bis heute einem festgefügten Ritual. Es ist ein ausgedehntes Schauspiel mit strengen Regeln. Miki Shimokawa:

"Im 8. Jahrhundert schon gab es schon Teezeremonien, dieses buddhistische Ritual. Diese Teezeremonie heißt 'Der Weg vom Tee', das bedeutete nicht nur Tee zu trinken, sondern solchen Weg beobachten, und nicht nur Tee kochen, sondern Lebensart, Lebenskunst."

Die Dinge sind beseelt, sie sind während der Herstellung und beim Gebrauch eingebunden in uralte Rituale. So spirituell hat hierzulande nur Rainer Maria Rilke auf die Welt der Dinge geschaut, weil er zu spüren glaubte, dass die Dinge eine Seele haben und Teil des Göttlichen sind. Dagegen ist ein Bauhaus-Stuhl reichlich profan. Ein kühl konstruiertes Objekt aus der Dessauer Meisterwerkstatt, das die Lobby einer Bank oder das Wartezimmer einer Zahnarztpraxis ziert.

Literatur:
BrUNO Taut: "Das japanische Haus und sein Leben", Gebr. Mann Verlag, Berlin 1997 (deutsche Erstausgabe)