Die hängenden Gärten von Berlin

23.07.2012
Die Schilderung des dreijährigen Wachstums eines Gemeinschaftsgartens in einem Berliner Problemkiez erzählt, was sich alles aus scheinbar toten Brachen machen lässt, und dass viel mehr als Tomaten und Kartoffeln dabei zu ernten ist.
Wer beim Buchtitel an die hängenden Gärten der Semiramis denkt oder an blühende Schlossparks, wird sich wundern: Schon auf dem Titelbild wuchert es grün vor grauen Hochhauswänden. Der Gemeinschaftsgarten in Berlin-Kreuzberg hat seinen Namen nicht von einer Residenz, sondern nur von der angrenzenden Prinzessinnenstraße.

Rings um die heutige Oase brummt der Verkehr, die Zahl der Arbeitslosen und armer Kinder gehört zu den höchsten der Stadt. Bevor die Gründer hier mit ihrem Garten begannen, war das Grundstück Müllablage und Hundeauslauf, steinig und von Unkraut überwuchert, wie Fotos eindrücklich zeigen. Die Idee hatte Filmemacher Robert Shaw aus Kuba mitgebracht, wo der Mangel die Menschen in Havanna ihr Gemüse selbst ziehen lässt. Weil damit zugleich der Zusammenhalt in der Nachbarschaft enorm gewachsen ist, wollte er es auch in Berlin probieren.

Im reich illustrierten Buch berichtet Mitinitiator und Historiker Marco Clausen vom großen Widerhall, den die Idee in der Nachbarschaft fand. Viele der Anwohner stammen selbst vom Land, auch wenn ihre Heimat am Schwarzen Meer oder der Adria liegt. Sie wussten um den Wert und Geschmack selbst gezogenen Gemüses. Viele, die vorher nebeneinander her lebten, fanden über die Gartenarbeit Kontakt zueinander, Stadtkinder erlebten erstmals, dass Möhren "im Dreck" wachsen, und Arbeitslose fanden einen sinnvollen Tagesinhalt.

Der Prinzessinnengarten ist ein reiner Nutzgarten für Essbares, und so enthält das Buch eine gut geschriebene Pflanzenkunde und Kochrezepte für alle, die auf dem Balkon oder dem Dachgarten selbst etwas ernten wollen. Neben der Geschichte des einen Prinzessinengartens erzählen die verschiedenen Autoren auch von der inzwischen weltweiten Bewegung von Nachbarschaftsgärten, die oft aus der Not geboren wurden. Zum Beispiel in der einstigen Autometropole Detroit, wo in Vierteln mit sinkender Kaufkraft die Supermärkte zumachten und es keine frischen Lebensmittel mehr gab.

Ein weiteres Thema des Buches ist die Industrialisierung der Landwirtschaft und die Verarmung der Artenvielfalt. Deshalb pflanzen die Kreuzberger nur biologisch, ohne Kunstdünger und Pestizide, an. Der kurzfristige Pachtvertrag mit der Stadt macht es nötig, transportable Beete in Reissäcken oder Kisten anzulegen. Diese Mobilität erleichterte es, Ableger des Gartens in Kindergärten, Schulen und bei anderen Gemeinschaften wachsen zu lassen, auch so ist der Buchtitel "Prinzessinengärten" gemeint.

Die internationalen Daten und Fakten im Buch sprengen durchaus mitunter den Rahmen des Gemeinschaftsprojekts. Gleichzeitig machen die Autoren immer wieder deutlich, dass niemand auf einer Insel lebt und pflanzt. So bemühen sich die Macher des Prinzessinengartens um die Erhaltung alter Gemüsepflanzen und des Wissens über sie. So wird das Buch zum Muss für alle, die schon immer mal selbst gärtnern wollten oder sich für Gemeinschaftsprojekte interessieren. Auch finanzielle und rechtliche Fragen erläutern die Gründer, und eine reiche Literaturliste macht Lust auf mehr.

Besprochen von Susanne Harmsen

Nomadisch Grün (Hg.): Prinzessinnengärten - Anders gärtnern in der Stadt
mit Texten von Marco Clausen, Stefanie Müller-Frank und Robert Shaw
DuMont, Köln 2012
250 Seiten, 29,95 Euro

Links zum Thema bei dradio.de:
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Kritik: Christa Müller: "Urban Gardening - Über die Rückkehr der Gärten in die Stadt"
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