Die große Pause
Staphan Balkenhols hölzerne Figuren sind inzwischen längst ein Markenzeichen: Klobige Männer und spröde Frauen, alleine oder in Gruppen, stets aus einem Stück mitsamt dem Sockel aus dem Stamm gehauen, statuarisch die Haltung, unbewegt die Miene. Dazu derbe Köpfe, skurrile Tiere oder Reliefs. Eine Werkschau würdigt jetzt den Künstler.
Ein Künstler ist erst dann so recht berühmt, wenn sich auch Anekdoten über ihn erzählen lassen. Bei Stephan Balkenhol kein Problem. 1987 soll's gewesen sein, bei einer Skulpturenschau im Stadtgebiet von Münster, dass ein Passant die Polizei rief, weil er eine lebensgroße Holzfigur des Bildhauers, die in luftiger Höhe an einer Brandmauer lehnte, für einen Selbstmörder hielt. Und in London, 1992, soll einer fast ins Wasser der Themse gesprungen sein, um einen vermeintlich Schiffbrüchigen, der dort auf einer Boje trieb, herauszufischen.
Egal ob wahr oder nur gut erfunden - Tatsache ist, dass Balkenhols hölzerne Figuren inzwischen längst ein Markenzeichen sind: Klobige Männer und spröde Frauen, alleine oder in Gruppen, stets aus einem Stück mitsamt dem Sockel aus dem Stamm gehauen, statuarisch die Haltung, unbewegt die Miene. Dazu derbe Köpfe, skurrile Tiere oder Reliefs. Alles mit dem Beitel skizzenhaft und grob behauen, dass die ruppigen Holzfasern stehen bleiben, und am Schluss werden die Skulpturen bis auf die Hautpartien grob bemalt.
Holz - als Balkenhol damit begann, galt das Material als kunsthistorisch belastet: Barlach, die Expressionisten, volkstümliche Schnitzarbeiten. Ihn hat das nicht gestört, er fand das Holz ganz einfach praktisch:
"Ich habe da nicht so eine romantische Beziehung wie das manche vielleicht haben. Also, es gibt ja oft so Bemerkungen: Ja, das Holz, das lebt, das ist so schön. Also mir geht es da überhaupt nicht um die Maserung und diese ganzen Geschichten. Was mich interessiert, ist eben die Freiheit, die ich dabei habe. Das heißt, ich kann alles alleine und selber bewerkstelligen. Ich nehme den Holzstamm ins Atelier und fange an zu arbeiten, und irgendwann ist er vollendet und wird bemalt, und dann ist es gut."
Balkenhol ist ungeheuer produktiv. In drei Ateliers schafft der Karlsruher Akademieprofessor bis zu hundert Skulpturen im Jahr, und es ist meist kein Problem, die ganze Produktion auch zu verkaufen. Trotzdem kommt der Katalog der Baden-Badener Ausstellung zu der paradoxen Diagnose, Balkenhol sei ein unterschätzter Künstler. Soll heißen, jeder glaube sein Werk zu kennen: die derben Gesellen, deren Gesichter sich so ähnlich sind, weil der Bildhauer kein Modell benutzt und die deshalb immer ein bisschen aussehen wie er selbst. Dabei habe Balkenhol doch, wie man sieht, viel mehr zu bieten als die immergleichen ungeschlachten Kunstgeschöpfe.
Ein ganzer Saal ist gefüllt mit tanzenden Paaren; lauter Zweierbeziehungen, die sich in wechselnden Posen auf brusthohen Sockeln tummeln. Oder seine Zwitterwesen aus Mensch und Tier: ein Hund mit Menschenkopf, ein Mann mit Elefantenkopf und Rüssel. Tierskulpturen wie zwei sich paarende Löwen oder ein Zebra, das sich auf dem Rücken rekelt. An den Wänden Porträtreliefs, teils bemalt, teils roh belassen. Dazwischen in einem engen Raum ein fast drei Meter hoher Frauenkopf, und eben immer wieder die Figuren, alleine oder in Gruppen, in stereotyper, ausdrucksloser Haltung:
"Mir geht es eben darum, so einen offenen Zustand zu erreiche, von dem man sich andere Zustände dann denken kann, sowohl bewegte als auch unbewegte. Aber im Grunde geht es um eine Stille, um so 'ne Pause."
Die große Pause, das ist wohl Balkenhols Generalthema. Er hält die Zeit an und bringt den Alltag zur Besinnung. Auch Skelette führt er in seinem figürlichen Sortiment. Und von wegen Vergänglichkeit: Da hat auch das Holz ein Wörtchen mitzureden. Gelblich weiches Wawa aus Westafrika, dunkles Pockholz aus Mexiko, aber auch heimische Pappel, Buche, Kiefer oder Fichte. Zwei Dutzend Sorten hat Balkenhol schon ausprobiert, und jede hat so ihre Eigenarten. Da kriegt eine Dame mit der Zeit schon mal rissige Beine und ein Kerl einen gespaltenen Schädel. Holz lebt, so ist das nun mal, sagt Balkenhol:
"Es ist ja auch spannend, wenn sich eine Skulptur im Lauf der Jahre verändert oder wenn sie schwindet oder ein bisschen die Farbe verändert. Da hab ich kein Problem."
Kein Problem hat Balkenhol auch bei seinen riesigen bemalten Reliefs mit populären Architekturmotiven wie dem Kölner Dom oder dem Stuttgarter Fernsehturm. Sie sind eine halsbrecherische Mischung aus fleißiger Hobbykunst, gespielter Naivität und schmunzelnder Persiflage auf Kitsch und Klischee:
"Es gibt in jeder Form Kitsch, es gibt auch abstrakten Kitsch."
Hier hat jedoch die Kunst gesiegt, und das Geheimnis von Balkenhols Erfolg liegt wohl darin, dass sich mit seinen Figuren jeder identifizieren kann. Solides Handwerk imponiert immer. Balkenhol stellt keine Rätsel, weder formal noch inhaltlich, und geht doch mit der Zeit.
Das soll nicht heißen, dass der Bildhauer nichts mehr riskiert. Sein neuestes Werk liegt gleich im ersten Raum der Schau am Boden: ein abgestürzter Ikarus, ein etwas plumper, schwarzgrauer Koloss aus Gusseisen, 4,60 Meter lang. Eine satte Bauchlandung, dass die Federn fliegen. Die gefallene Figur begreift der Bildhauer als Sinnbild für den Künstlermythos, für die Gefahr der Selbstüberschätzung, für einen Höhenflug, der auch im Absturz enden kann.
Es ist bestimmt nicht Balkenhols bestes Werk. Aber er hat’s zumindest mal probiert.
Service:
Die Ausstellung ist bis zum 17. September 2006 in der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden zu sehen.
Egal ob wahr oder nur gut erfunden - Tatsache ist, dass Balkenhols hölzerne Figuren inzwischen längst ein Markenzeichen sind: Klobige Männer und spröde Frauen, alleine oder in Gruppen, stets aus einem Stück mitsamt dem Sockel aus dem Stamm gehauen, statuarisch die Haltung, unbewegt die Miene. Dazu derbe Köpfe, skurrile Tiere oder Reliefs. Alles mit dem Beitel skizzenhaft und grob behauen, dass die ruppigen Holzfasern stehen bleiben, und am Schluss werden die Skulpturen bis auf die Hautpartien grob bemalt.
Holz - als Balkenhol damit begann, galt das Material als kunsthistorisch belastet: Barlach, die Expressionisten, volkstümliche Schnitzarbeiten. Ihn hat das nicht gestört, er fand das Holz ganz einfach praktisch:
"Ich habe da nicht so eine romantische Beziehung wie das manche vielleicht haben. Also, es gibt ja oft so Bemerkungen: Ja, das Holz, das lebt, das ist so schön. Also mir geht es da überhaupt nicht um die Maserung und diese ganzen Geschichten. Was mich interessiert, ist eben die Freiheit, die ich dabei habe. Das heißt, ich kann alles alleine und selber bewerkstelligen. Ich nehme den Holzstamm ins Atelier und fange an zu arbeiten, und irgendwann ist er vollendet und wird bemalt, und dann ist es gut."
Balkenhol ist ungeheuer produktiv. In drei Ateliers schafft der Karlsruher Akademieprofessor bis zu hundert Skulpturen im Jahr, und es ist meist kein Problem, die ganze Produktion auch zu verkaufen. Trotzdem kommt der Katalog der Baden-Badener Ausstellung zu der paradoxen Diagnose, Balkenhol sei ein unterschätzter Künstler. Soll heißen, jeder glaube sein Werk zu kennen: die derben Gesellen, deren Gesichter sich so ähnlich sind, weil der Bildhauer kein Modell benutzt und die deshalb immer ein bisschen aussehen wie er selbst. Dabei habe Balkenhol doch, wie man sieht, viel mehr zu bieten als die immergleichen ungeschlachten Kunstgeschöpfe.
Ein ganzer Saal ist gefüllt mit tanzenden Paaren; lauter Zweierbeziehungen, die sich in wechselnden Posen auf brusthohen Sockeln tummeln. Oder seine Zwitterwesen aus Mensch und Tier: ein Hund mit Menschenkopf, ein Mann mit Elefantenkopf und Rüssel. Tierskulpturen wie zwei sich paarende Löwen oder ein Zebra, das sich auf dem Rücken rekelt. An den Wänden Porträtreliefs, teils bemalt, teils roh belassen. Dazwischen in einem engen Raum ein fast drei Meter hoher Frauenkopf, und eben immer wieder die Figuren, alleine oder in Gruppen, in stereotyper, ausdrucksloser Haltung:
"Mir geht es eben darum, so einen offenen Zustand zu erreiche, von dem man sich andere Zustände dann denken kann, sowohl bewegte als auch unbewegte. Aber im Grunde geht es um eine Stille, um so 'ne Pause."
Die große Pause, das ist wohl Balkenhols Generalthema. Er hält die Zeit an und bringt den Alltag zur Besinnung. Auch Skelette führt er in seinem figürlichen Sortiment. Und von wegen Vergänglichkeit: Da hat auch das Holz ein Wörtchen mitzureden. Gelblich weiches Wawa aus Westafrika, dunkles Pockholz aus Mexiko, aber auch heimische Pappel, Buche, Kiefer oder Fichte. Zwei Dutzend Sorten hat Balkenhol schon ausprobiert, und jede hat so ihre Eigenarten. Da kriegt eine Dame mit der Zeit schon mal rissige Beine und ein Kerl einen gespaltenen Schädel. Holz lebt, so ist das nun mal, sagt Balkenhol:
"Es ist ja auch spannend, wenn sich eine Skulptur im Lauf der Jahre verändert oder wenn sie schwindet oder ein bisschen die Farbe verändert. Da hab ich kein Problem."
Kein Problem hat Balkenhol auch bei seinen riesigen bemalten Reliefs mit populären Architekturmotiven wie dem Kölner Dom oder dem Stuttgarter Fernsehturm. Sie sind eine halsbrecherische Mischung aus fleißiger Hobbykunst, gespielter Naivität und schmunzelnder Persiflage auf Kitsch und Klischee:
"Es gibt in jeder Form Kitsch, es gibt auch abstrakten Kitsch."
Hier hat jedoch die Kunst gesiegt, und das Geheimnis von Balkenhols Erfolg liegt wohl darin, dass sich mit seinen Figuren jeder identifizieren kann. Solides Handwerk imponiert immer. Balkenhol stellt keine Rätsel, weder formal noch inhaltlich, und geht doch mit der Zeit.
Das soll nicht heißen, dass der Bildhauer nichts mehr riskiert. Sein neuestes Werk liegt gleich im ersten Raum der Schau am Boden: ein abgestürzter Ikarus, ein etwas plumper, schwarzgrauer Koloss aus Gusseisen, 4,60 Meter lang. Eine satte Bauchlandung, dass die Federn fliegen. Die gefallene Figur begreift der Bildhauer als Sinnbild für den Künstlermythos, für die Gefahr der Selbstüberschätzung, für einen Höhenflug, der auch im Absturz enden kann.
Es ist bestimmt nicht Balkenhols bestes Werk. Aber er hat’s zumindest mal probiert.
Service:
Die Ausstellung ist bis zum 17. September 2006 in der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden zu sehen.