"Die größte Revolution seit Gutenberg"

Hugh Howey im Gespräch mit Katrin Heise · 25.02.2013
Wenn Sie schreiben, aber keinen Verlag finden, der Interesse an Ihrem Manuskript hat, sollten Sie es vielleicht wie Hugh Howey machen. Der US-Autor stellte seinen Thriller "Silo" als E-Book ins Internet und wurde (nicht nur) Auflagen-Millionär. Und das war gar nicht so schwer, sagt Howey.
Katrin Heise: Mitte März erscheint sein Roman "Silo", Originaltitel "Wool", als gedrucktes Buch, und zwar zeitgleich in Deutschland und in den USA. Im Internet hat der 1975 geborene Hugh Howey bereits Millionen verdient. Die Filmrechte an dem Zukunftsthriller, die hat sich Ridley Scott gesichert.

Hugh Howey verdiente, bevor er ein erfolgreicher Autor wurde, als Dachdecker, als Skipper, als Bootsbauer und auch als Buchhändler sein Geld; immer wieder versuchte er sich an Erzählungen - und dann irgendwann schrieb er von Menschen, die in ferner Zukunft unter der Erde in einem Silo leben müssen, weil die Oberfläche verseucht ist - oder ist das alles nur eine Lüge? Sind sie manipulierte Gefangene?

Das wollten und wollen Millionen Leser wissen und forderten mehr. Ich konnte vor der Sendung mit Hugh Howley sprechen und habe ihn gefragt, warum er diese Erzählung von gut 40 Seiten im Internet veröffentlicht hat als Self-Publisher, ob er gar nicht erst bei einem Verlag angefragt hatte?

Hugh Howey: Nein, das hatte ich nicht. Weil, ich hielt diese Geschichte für nicht kommerziell genug, sie erschien mir zu kurz, zu unkonventionell. Und ich ging meinen weiteren Beschäftigungen eigentlich nach und es war eigentlich diese Mund-zu-Mund-Propaganda, die dann alles Weitere ausgelöst hat.

Heise: Ja, das müssen Sie uns mal ein bisschen genauer erzählen, diese Dynamik um dieses Buch im Netz, dieses, ja, Schneeballprinzip ist es wahrscheinlich. Also, da gab es Feedback, Kritik von den Lesern, Rezensionen, dann andere Webseiten, die sich einschalten und veröffentlichen. Was passierte da mit Ihrem Buch?

Howey: Nun, ich habe überhaupt keine Werbung für dieses Buch gemacht. Es gab sozusagen noch gar kein Buch, sondern einfach nur einen Link zu Amazon. Und innerhalb der ersten drei Monate verdiente ich plötzlich an diesem Buch mehr als mit all meinen Arbeiten bisher zusammen. Und dann fingen die ersten Kritiken an und alle sagten, das ist ein so schönes Buch, aber wir wollen mehr davon! Und ich fing dann an, weiterzuschreiben. Es war also eine Art von Zusammenarbeit.

Heise: Also, diese erste Erzählung über die Silobewohner, die endet mit dem Rätsel. Da fragt man sich, ist die Hauptfigur wirklich tot, ist die Erde wirklich unbewohnbar? Also, wenn ich da hätte aufhören müssen, wäre ich auch unzufrieden gewesen und neugierig, und das waren die Leser ja offensichtlich auch, die wollten mehr davon. Hatten Sie die Erzählung also tatsächlich gar nicht in Fortsetzung geplant, sondern schrieben Sie dann, was Ihre Leser, Ihre Kritiker wünschen, wie es weitergeht?

Howey: Nun, eigentlich war meine Erzählung damit beendet, ich hatte das als Ende durchaus geplant. Und ehrlich gesagt, in den besten Science-Fiction-Erzählungen zum Beispiel, in "Träumen Androiden von elektrischen Schafen?", was die Vorlage zu "Blade Runner" geworden ist, hörte das auch plötzlich einfach nur auf. Und dann fingen die Leser an zu diskutieren und sich verschiedenste Enden dafür auszudenken. Und es entstand eben diese Mund-zu-Mund-Propaganda, die ein neues Ende streckenweise auch für jeden Einzeln hervorrief. Und ich fand es ganz okay, auch in meinem Buch dieses offene Ende zu haben, was noch viele Fragen offenlässt. Und dann habe ich es aber dennoch weitergeführt, aber ich wollte auch immer es nur in der Form weiterführen, dass es wiederum zu neuen Diskussionen führt.

Heise: Das heißt, Sie haben nicht auf Anweisung der Leser weitergeschrieben, sondern die Leser, die Kritiker waren quasi Antreiber, dass es immer weitergehen soll, dass da mehr von dieser Geschichte geschrieben wird?

Howey: Ja, sogar in gewisser Weise möchte ich auch, dass man nicht genau weiß, was geschieht. Sie sollen nicht unbedingt das lesen, was sie erwartet haben. Und das ist ja für mich auch das Spannende letzten Endes, dass man diese ganzen Wendungen einer Geschichte gar nicht vorausahnt. Aber natürlich habe ich mir die Kritiken insofern zu Herzen genommen, dass mir schon aufgefallen ist, was ihnen gefallen hat. Das hat mich natürlich motiviert, die Geschichte dann dahingehend auch weiterzuschreiben.

Heise: Dem Leser auch mal was zumuten, ihn verstören, ihn verunsichern in seinen Gewissheiten, in seinen Alltäglichkeiten, vielleicht auch sogar mal den Leser mal ärgern mit was Neuem, mit was Unerwarteten konfrontieren, das sind ja irgendwie alles Aufgaben der Literatur. Kann man das eigentlich machen, kann man so viel zumuten, wenn man so eng mit seinen Lesern zusammenarbeitet?

Howey: Das kann man auf jeden Fall, darin liegt ja auch die Herausforderung. Selbst wenn ich vielleicht einige Leser hier und da verstört habe, waren die trotzdem mit mir sehr zufrieden und mit der Art, wie die Geschichte weiterging. Und es ist einfach so, wenn ich zum Beispiel eine Hauptfigur dann einfach verschwinden lasse oder wenn sie stirbt, natürlich sorgt es bei den Lesern für Trauer oder … Aber dann wiederum habe ich auch meinen Job einfach gut gemacht, wenn es mir gelungen ist, den Leser zu berühren. Und wenn ich es schaffe, beim Leser die Emotionen hervorzurufen, die ich beim Schreiben hatte, dann entsteht auch diese Nähe nach wie vor. Es geht also nicht darum, den Leser nur glücklich zu machen, es geht aber schon darum, diese Nähe zum Leser zu bewahren.

Heise: Der E-Book-Bestsellerautor Hugh Howey ist unser Gast im "Radiofeuilleton", sein Roman "Silo" ist seit einigen Wochen als deutsche Übersetzung im Netz zu lesen und kommt demnächst auch in Buchform auf den Markt. Herr Howey, Sie haben Ihre Geschichte ja nicht irgendwo damals im Netz versteckt, sondern bei Kindle Direct Publishing publiziert. Supererfolgreich, das haben Sie auch gesagt, Sie haben mehr verdient, als Sie davor jemals verdient haben, teilweise wurde Ihr Buch bis zu 20.000 Mal pro Tag verkauft. Wenn man da von Self-made spricht, dagen wir mal, Self-made-Publishing, wenn man da von Self-made spricht: Amazon verdient natürlich kräftig mit. Ein klassischer Verlag würde ja redigieren, würde lektorieren, würde Auftritte und Werbung organisieren. Was macht Amazon eigentlich für sein Geld?

Howey: Nun, es ist so, dass Amazon 30 Prozent nimmt und ich behalte 70 Prozent. Und das ist einfach immer noch so viel Geld und der Unterschied macht so viel aus, dass, selbst wenn man mir siebenstellige, sechsstellige Summen geboten hat von Verlagshäusern, wir das immer noch abgelehnt haben, weil wir einfach mit diesem Self-Publishing sehr viel mehr Geld verdient haben, das war sehr viel lukrativer. Aber Sie haben natürlich recht, da bleibt natürlich viel Arbeit für den Autor selber. Es geht um solche Fragen wie das Lektorieren, es geht natürlich auch darum, ein Cover zu gestalten. All diese Arbeiten, Marketing zu entwickeln. Bloß, wenn man dann wiederum so viel Geld verdient, wie ich das getan habe, kann man sich dieser zusätzlichen Arbeit auch durchaus stellen. Es gibt also sozusagen zwei Wege, die dann letztendlich zum Ziel führen.

Heise: Sie haben Ihre Autorentätigkeit dann ja auch professionalisiert und zum Beispiel eine Agentin engagiert. Aber wenn man … Sie haben ja auch wirklich großen Erfolg gehabt. Jetzt als Rezept für andere Self-Publisher, die vielleicht nicht eine solche Story gleich am Markt haben, die begeben sich ja doch auch in eine große Abhängigkeit, wenn sie bei Amazon dann tatsächlich auch gut platziert werden wollen und nicht irgendwo im Netz verschwinden?

Howey: Nun, wenn es eine gute Geschichte ist, dann wird sie den Leser wahrscheinlich auch in irgendeiner Form finden, ganz egal, wie man sie publiziert. Ob man sie jemandem nur vorliest, ob man das per E-Mail macht, ob man einen Blog hat oder sie ins Internet stellt: Ich glaube, wenn man jemanden unterhalten will und unterhalten kann, dann findet man auch eine Leserschaft. Dann geht es auch gar nicht darum, reich und berühmt zu werden, sondern es geht einfach nur darum, ein Geschichtenerzähler zu sein und Spaß daran zu haben, Geschichten zu erzählen. Und wenn meine Frau zum Beispiel die Einzige ist, die zuhört, dann habe ich da auch schon jemanden, der das liest. Und das ist etwas, was man versuchen sollte. Wenn man sich als Geschichtenerzähler fühlt, dann muss man in irgendeiner Form versuchen, es aufzuschreiben und es einfach den Leuten in die Hand zu drücken beispielsweise, das würde ja auch gehen. Und ich glaube, es gab keine bessere Zeit für Geschichtenerzähler als die heutige.

Heise: Aus dem Grund, weil das Internet eben so streut, weil die Geschichten eben viele Leute erreichen können? Ist das eben gerade auch eine gute Zukunft des E-Publishing, des Self-Publishing?

Howey: Oh, das finde ich auf jeden Fall. Ich muss ehrlich sagen, diese Revolution durch das Internet ist wahrscheinlich die größte seit der Erfindung des Buches durch Gutenberg. Damals war das ja auch eine Möglichkeit, dass man Bücher mehr Leuten zugänglich machen konnte. Und genau so ist das letztendlich auch heute. Und ich finde, da gibt es auch keinen wirklichen Gegensatz. Durch diese Möglichkeit wie den Kindle oder andere digitale Lesegeräte kann man die Bücher für wesentlich weniger Kosten eben auch weltweit zugänglich machen. Und wenn dann ein Verlag wie Piper kommt und sagt, wir möchten das aber gerne in einer gedruckten Form auf den Markt bringen, dann finde ich das wunderbar, ich finde, da besteht überhaupt kein Wettbewerb zwischen diesen verschiedenen Formen, wie man heute Bücher lesen kann. Und da hat man einfach das Beste aus beiden Welten, was man da miteinander verbinden kann.

Heise: Sie waren ja früher mal selber Buchhändler. Was bedeutet es denn für Sie, wenn Sie jetzt so dieses Buch richtig in Händen halten, wie es jetzt eben auf dem deutschen und dem US-amerikanischen Markt herauskommt, als richtig dickes Buch?

Howey: Also, es gibt zwei Dinge, die ich wirklich liebe: Ich liebe Bücher und ich liebe Geschichten. Und meine Liebe zu guten Storys, zu Geschichten, das führt dann auch dazu, dass ich Filme mag, dass ich Comicbücher mag. Aber ich liebe auch alte Bücher, selbst in Sprachen, die ich gar nicht beherrsche. Aber allein diese alten Ledereinbände oder wie so ein Buch dann riecht, da empfinde ich schon eine große Freude dabei. Und ich versuche immer nur, dass sich diese beiden Welten nicht gegeneinanderstellen sozusagen. Und wenn ich dann dieses Buch wirklich hatte, muss ich ganz ehrlich gestehen, war ich so gerührt, dass mir fast die Tränen gekommen sind. Aber andererseits ist es auch so, dass hier sozusagen zwei Lieben, zwei ganz unterschiedliche Lieben zu einer Liebe zusammengefunden haben.

Heise: Sagt Hugh Howey, E-Book-Bestsellerautor aus den USA. Danke schön für Ihren Besuch, thank you very much for visiting us!

Howey: Danke schön for having me!

Heise: Am 12. März erscheint sein Thriller "Silo", Originaltitel "Wool", als gedrucktes Buch, und zwar in Deutschland bei Piper und zeitgleich in den USA bei Simon and Schuster.


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