Die Grenzen des Meeres
Unterschiedlich fallen die Erzählungen, Mythologien, Reportagen und Kulturgeschichten aus den Staaten am Schwarzen Meer aus - aber gemeinsam ist ihnen, dass sie nicht von Urlaub, Kindheit und Glück handeln, sondern von Grenzen und Gewalt.
Das Schwarze Meer mit seinen Anrainerstaaten Bulgarien, Rumänien, Moldawien, Ukraine, Russland, Türkei, Georgien sowie seit jüngstem Abchasien ist hier zu Lande weitgehend unbekannt – sieht man ab von einzelnen, durchweg durch Kriege und Krisen einschlägige Orte und Regionen wie Odessa, Jalta, die Krim, Bergkarabach. Das will der Band "Odessa Transfer" ändern, den die polnische Verlegerin Monika Sznajderman und die Suhrkamp-Lektorin für osteuropäische Literatur Katharina Raabe herausgegeben haben.
Wie der Vorgängerband "Last & Lost. Ein Atlas des verschwindenden Europa", der sich den Ruinen des untergegangenen sowjetischen Reiches widmete, vereint "Odessa Transfer" Texte und Fotos. Der Krakauer Fotograf Andrzej Kramarz fuhr die Küste des Schwarzen Meeres mit dem Fahrrad ab und fing mit seiner Kamera so alltägliche wie skurrile Szenen ein: Schlammbader in Bulgarien, Kühe zwischen Urlaubern am Strand in der Ukraine, Fischerhütten in der Türkei.
Unterschiedlich fallen die Erzählungen, Mythologien, Reportagen, Kulturgeschichten sowie das eine Langgedicht der 13 Autoren und Journalisten aus – aber gemeinsam ist ihnen, dass sie nicht von Urlaub, Kindheit und Glück handeln, sondern von Grenzen und Gewalt. Der Rumäne Mircea Cartarescu spiegelt sich faszinierend in Ovid, dem Dichter des Römischen Reiches, der an das Schwarze Meer verbannt wurde. Der Rumäne Attila Bartis gibt in einem großartigen Essay voller Sintflutvisionen seiner Trauer über die Opfer der Zwangsarbeit am Donau-Schwarzmeer-Kanal Ausdruck, und die Deutschtürkin Emine Sevgi Özdamar erinnert daran, dass die Mörder des armenischen Journalisten Hrant Dink vom Schwarzen Meer kamen.
Von Grenzen durchzogen ist das Binnenmeer seit jeher. An ihm liegen sich Europa und Asien gegenüber, hier grenzte die Sowjetunion an das Nato-Land Türkei, das Osmanische Reich an das Zarenreich, und ganz zu Beginn stießen die Kolonien gründenden Griechen an seinen Gestaden auf die sogenannten Barbaren – auf Skythen, Goten, Sarmaten, Hunnen, Kosaken, Krimtartaren und einige andere Völkerschaften. Von den Anfängen dieser Eroberung erzählt die Argonautensage: Mutig befährt Jason das für die Griechen damals furchterregende Schwarze Meer, raubt mit Hilfe der in ihn verliebten Barbarin und Königstocher Medea das Goldene Vlies und sichert so seiner Familie die Macht. Mehrmals bezieht sich "Odessa Transfer" auf diesen Mythos sowie auf den verbannten Ovid.
Erstaunlicherweise stammen die Autoren zur Hälfte nicht aus der zu entdeckenden Region, sondern aus Nichtanrainerstaaten: Andrzej Stasiuk aus Polen, Karl-Markus Gauß aus Österreich, Takis Theodoropoulos aus Griechenland, Neal Ascherson aus Großbritannien und Katja Lange-Müller, Sybille Lewitscharoff und Emine Sevgi Özdamar aus Deutschland.
"Odessa Transfer" nähert sich vielstimmig und voller Sympathie einem Meer, das es offenbar niemals leicht gehabt hat. Die Griechen fürchteten sich anfangs vor ihm. In Russland wurde es dank Puschkin so sehr zum literarischen Topos der Freiheit, dass das reale Meer dahinter zu verschwinden drohte. Und in Bulgarien, so wird erzählt, wenden sich viele Häuser an der Küste vom Meer ab. Fenster und Türen liegen zur Landseite.
Besprochen von Jörg Plath
Katharina Raabe und Monika Sznajderman (Hrsg.): Odessa Transfer. Nachrichten vom Schwarzen Meer
Mit einem Fotoessay von Andrzej Kramarz
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009
260 Seiten, 26,80 Euro
Wie der Vorgängerband "Last & Lost. Ein Atlas des verschwindenden Europa", der sich den Ruinen des untergegangenen sowjetischen Reiches widmete, vereint "Odessa Transfer" Texte und Fotos. Der Krakauer Fotograf Andrzej Kramarz fuhr die Küste des Schwarzen Meeres mit dem Fahrrad ab und fing mit seiner Kamera so alltägliche wie skurrile Szenen ein: Schlammbader in Bulgarien, Kühe zwischen Urlaubern am Strand in der Ukraine, Fischerhütten in der Türkei.
Unterschiedlich fallen die Erzählungen, Mythologien, Reportagen, Kulturgeschichten sowie das eine Langgedicht der 13 Autoren und Journalisten aus – aber gemeinsam ist ihnen, dass sie nicht von Urlaub, Kindheit und Glück handeln, sondern von Grenzen und Gewalt. Der Rumäne Mircea Cartarescu spiegelt sich faszinierend in Ovid, dem Dichter des Römischen Reiches, der an das Schwarze Meer verbannt wurde. Der Rumäne Attila Bartis gibt in einem großartigen Essay voller Sintflutvisionen seiner Trauer über die Opfer der Zwangsarbeit am Donau-Schwarzmeer-Kanal Ausdruck, und die Deutschtürkin Emine Sevgi Özdamar erinnert daran, dass die Mörder des armenischen Journalisten Hrant Dink vom Schwarzen Meer kamen.
Von Grenzen durchzogen ist das Binnenmeer seit jeher. An ihm liegen sich Europa und Asien gegenüber, hier grenzte die Sowjetunion an das Nato-Land Türkei, das Osmanische Reich an das Zarenreich, und ganz zu Beginn stießen die Kolonien gründenden Griechen an seinen Gestaden auf die sogenannten Barbaren – auf Skythen, Goten, Sarmaten, Hunnen, Kosaken, Krimtartaren und einige andere Völkerschaften. Von den Anfängen dieser Eroberung erzählt die Argonautensage: Mutig befährt Jason das für die Griechen damals furchterregende Schwarze Meer, raubt mit Hilfe der in ihn verliebten Barbarin und Königstocher Medea das Goldene Vlies und sichert so seiner Familie die Macht. Mehrmals bezieht sich "Odessa Transfer" auf diesen Mythos sowie auf den verbannten Ovid.
Erstaunlicherweise stammen die Autoren zur Hälfte nicht aus der zu entdeckenden Region, sondern aus Nichtanrainerstaaten: Andrzej Stasiuk aus Polen, Karl-Markus Gauß aus Österreich, Takis Theodoropoulos aus Griechenland, Neal Ascherson aus Großbritannien und Katja Lange-Müller, Sybille Lewitscharoff und Emine Sevgi Özdamar aus Deutschland.
"Odessa Transfer" nähert sich vielstimmig und voller Sympathie einem Meer, das es offenbar niemals leicht gehabt hat. Die Griechen fürchteten sich anfangs vor ihm. In Russland wurde es dank Puschkin so sehr zum literarischen Topos der Freiheit, dass das reale Meer dahinter zu verschwinden drohte. Und in Bulgarien, so wird erzählt, wenden sich viele Häuser an der Küste vom Meer ab. Fenster und Türen liegen zur Landseite.
Besprochen von Jörg Plath
Katharina Raabe und Monika Sznajderman (Hrsg.): Odessa Transfer. Nachrichten vom Schwarzen Meer
Mit einem Fotoessay von Andrzej Kramarz
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009
260 Seiten, 26,80 Euro