Die Grenzen der Mathematik

Rezensiert von Gerrit Stratmann · 10.05.2006
Über Kurt Gödel hat man gesagt: Ihn den bedeutendsten Logiker seit Aristoteles zu nennen, sei eine Untertreibung. Rebecca Goldstein schildert in ihrer zum 100. Geburtstag Gödels erschienenen Biografie die Eigenarten eines mathematischen Genies. Der berühmteste unbekannte Mathematiker hat mit nur zwei legendären Sätzen die Mathematik erschüttert. Seine Unvollständigkeitssätze beweisen streng logisch, dass in der Mathematik nicht alles bewiesen werden kann.
Die 1931 veröffentlichten Beweise eines jungen, unscheinbaren Logikers hatten es in sich. Über ihre Bedeutung und Folgen wird noch heute diskutiert, und ihr Urheber Kurt Gödel, so wie Rebbecca Goldstein ihn beschreibt, scheint selbst darunter gelitten zu haben, dass man die weit reichenden Konsequenzen seiner Sätze nicht wahrhaben wollte.

Das hervorstechendste Merkmal des Logikprofessors und mehrfachen Ehrendoktors Kurt Gödel war, nach Goldsteins Beschreibung, seine Zurückgezogenheit. Wie es sich für einen Logiker geziemt, äußerte er sich niemals spekulativ, sondern nur, wenn seine Äußerungen fundiert waren. Er war nicht sonderlich gesellig und lebte gerade im Alter in einer zunehmenden, selbst gewählten Isolation, die noch verschärft wurde nachdem seine wenigen Vertrauten, zu denen auch Albert Einstein zählte, verstorben waren.

Gödel war Österreicher und siedelte 1939 nach Princeton in die USA über, wo er bis an sein Lebensende blieb. Es war eine halbherzige Flucht aus dem nationalsozialistischen Wien. Die politische Situation in Europa während der 30er Jahre scheint ihn relativ gleichgültig gelassen zu haben. Seiner Überzeugung nach war die Welt im Kern vernünftig, deshalb konnte nichts, was geschah, vollkommen widersinnig sein. Diese apolitische Haltung wurde ihm von vielen nur nachgesehen, weil er in wissenschaftlicher Hinsicht als Genie galt und eine Ausnahmeerscheinung war.

Seine im Alter von 24 Jahren erstmals vorgestellten Unvollständigkeitssätze gelten manchen Mathematikern als die bedeutendsten Beweise in der Geschichte der Logik schlechthin. Zu Gödels Zeit wollte man zeigen, dass die Mathematik ein in sich widerspruchsfreies System ist, was man intuitiv auf Grund ihres strengen und logischen Aufbaus auch allgemein vermutete. Es fehlte lediglich der Beweis. Aber Gödel gelang es entgegen allen Erwartungen zu zeigen, dass sich in jedem mathematischen System immer Aussagen formulieren lassen, die sich widersprechen. Für ihn war das gleichzeitig ein Beweis dafür, dass es jenseits der von formalen, mathematischen Regeln gezogenen Grenzen offensichtlich Dinge gibt, die nicht bewiesen werden können. Damit berührt sein Beweis auch die Metaphysik.

Rebecca Goldstein versucht mit Gödels Biografie einen Spagat: Sie möchte einen Mann und sein Leben beschreiben, von dem nur wenige Äußerungen bekannt geworden sind und der sein Innenleben streng für sich behalten hat. Als Ausweg beschreibt sie ausführlich das geistige Umfeld, von dem Gödel in Europa geprägt wurde, insbesondere seine Zeit als stiller Teilnehmer des so genannten Wiener Kreises und seine unausgesprochene, ablehnende Haltung gegenüber der Philosophie Wittgensteins, der von den Mitgliedern des Kreises verehrt wurde. Die Gründe, warum Gödel seine eigenen Ergebnisse für unvereinbar mit Wittgensteins Sprachspielen hielt, schildert Rebecca Goldstein überzeugend als Wettstreit zweier gegensätzlicher philosophischer Haltungen, des Platonismus und des Positivismus.

Bei diesem Fokus auf die geistige Welt Gödels, stutzt der Leser des Buches, wenn er nach über zwei Dritteln zum ersten Mal erfährt, dass Gödel auch verheiratet war und er offensichtlich ein Privatleben hatte, von dem keine Biografie etwas sicheres sagen kann. Aus Not hat die Autorin sich wohl deshalb an den Satz Wittgensteins gehalten: Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.

Rebecca Goldstein: Kurt Gödel. Jahrhundertmathematiker und großer Entdecker
Piper Verlag, München 2006
Rezensiert von Gerrit Stratmann
320 Seiten, 19,90 Euro