Die Grande Dame der türkischen Literatur

Pinar Kür, Jahrgang 1943, kommentiert in ihren Romanen die Militärputsche in der Türkei. Dreimal stand sie als Schriftstellerin vor Gericht unter anderem wegen ihrer vermeintlich sexuell freizügigen Sprache. Zum ersten Mal ist mit "Ein verrückter Baum" ein Erzählungsband von ihr auf Deutsch erschienen. Er mutet an wie ein expressionistischer Roman.
Durch die Verleihung des Literaturnobelpreises 2006 an Orhan Pamuk ist auch das Interesse an türkischer Literatur im Allgemeinen geweckt worden. Zum ersten Mal überhaupt ist nun in Deutschland ein Buch von Pinar Kür in deutscher Sprache erschienen, ein Band mit fünf Erzählungen: "Ein verrückter Baum".

Pinar Kür, Jahrgang 1943, gilt als eine der politisch kritischsten Stimmen ihres Landes. In vier Romanen prangerte sie die verschiedenen Militärputsche in der Türkei an. Dreimal stand sie als Schriftstellerin vor Gericht, zweimal wegen ihrer vermeintlich sexuell freizügigen Sprache, das letzte Mal 1980 wegen Beleidigung des Militärs. Jedes Mal wurde sie freigesprochen.

Pinar Kürs Mutter war eine berühmte Kinderbuchautorin und in ihrem Hauptberuf Diplomatin in New York; Pinar Kür hat ihre gesamte Kindheit und Jugend in den USA verbracht. Sie ging zum Studium an die Sorbonne nach Paris und erlebte dort 1968 aktiv die Studentenrevolte mit, - und das ist auch das Image, das Pinar Kür bis heute in der Türkei hat.

Sie gilt als die Alt-68erin schlechthin, darüber hinaus allerdings auch als die Grande Dame der türkischen Literatur. In Paris promovierte Pinar Kür in den Literatur- und Theaterwissenschaften. Bis heute hat sie drei Erzählbände und sechs Romane veröffentlicht. Der Erzählband "Ein verrückter Baum" erschien 1981.

Pinar Kür ist eine große Psychologin; langsam, - als sei es ein Prozess im Unterbewussten -, erschließt sich dem Leser, dass alle fünf Erzählungen zusammenhängen, und dass alle Protagonisten sogar in demselben Haus wohnen, in einem Gründerzeit-Wohnhaus in Istanbul. Filigran und raffiniert komponiert erlebt der Leser die Handelnden aus den vollkommen verschiedenen subjektiven Sichtweisen der Mit-Mieter.

Eigentlich sind diese fünf Erzählungen ein expressionistischer Roman in fünf Kapiteln, -beherrschend sind dabei die großen Themen Liebe, Familie und Beziehungen schlechthin.

Pinar Kürs Literatur ist einerseits sehr anspruchsvoll; trotzdem schafft sie es, den Leser schwindlig zu schreiben, weil sie große Themen wie Liebe, Trauer oder Glück in einfache Worte oder Bilder zu gießen versteht, z.B. in der Beobachtung eines jungen Paares: "Trotz der Schwierigkeiten sich umarmend drehen … sich lachend drehen, drehen, drehen … Deshalb brachten sie mich zum Weinen."

Pinar Kür erschafft poetische, anspruchsvolle und tiefen-psychologisch durchdachte Literatur, die den Leser herausfordert und zu der oft auch lange und komplizierte Satzkonstruktionen gehören. Als in der Vergangenheit ein deutscher Verlagslektor die Syntax von Pinar Kür vereinfachen wollte, verbot sie die Veröffentlichung.

"Ein verrückter Baum" ist eine atemberaubende Kombination aus französischem Existentialismus und bester amerikanischer Short-Story-Tradition. Pinar Kür ist eine große Schriftstellerin.

Rezensiert von Lutz Bunk

Pinar Kür: "Ein verrückter Baum".
Literaturca Verlag 2006, 195 Seiten, 14.50 €.
Übersetzt von Beatrix Caner.