Die Gospelsänger

Von Sigrid Brinkmann · 16.01.2009
Im Mai 2001 hat sich in der kleinen niedersächsischen Gemeinde Algermissen der Chor "Out of soul" gegründet. 40 Frauen und Männer treten nicht nur mit klassischen Spirituals auf, sondern auch mit Soul-, Rock- und Pop-Klassikern.
Sechs Tenöre und fünf Bässe stehen säulengleich vor der Hinterwand des viel zu engen, nicht sehr hohen Probenraumes mit schrägem Dach. Er schluckt das Klangvolumen. Einmal wöchentlich belegen die Freunde der Gospelmusik und des sanften Pop am späten Abend den Gemeindesaal der evangelischen Kirche in Algermissen. Vor den männlichen Choristen gruppieren sich gut 30 Frauen, die Knie leicht gebeugt, der Oberkörper wiegt sich im Rhythmus, Arme greifen schon mal aus, und manche schließt die Augen.

Claudia Fulda hat den Chor "out of soul" gegründet. Zwei Stunden lang steht sie, ohne eine Spur von Ermüdung, am Keyboard, dirigiert mit ganzem Körpereinsatz, schlägt auch mit dem Fuß gut vernehmlich den Takt – eine Frau voller Elan.

Claudia Fulda: "Ich hab’ Gesang studiert, von Haus aus bin ich klassisch erzogen, und ich hab’ ganz lange im Gospelchor gesungen, und durch meine Zeit in den USA einfach viel mitgekriegt, was da aus der Richtung kam, ich fahr’ immer gern mehrgleisig. Auch in der Klassik. Wenn man einfach nur da steht und Noten singt, das ist nicht das ..."

Claudia Fulda ist ein Jahr lang in Florida mit etlichen Chören auf Tour gegangen. Exklusiv zu arbeiten liegt ihr fern. Deshalb probt sie, außer mit "out of soul", regelmäßig mit zwei weiteren von ihr gegründeten Chören, darunter ein reiner Frauenchor, der das klassische Repertoire pflegt. Zurück zu "Vincent".

Claudia Fulda: "Jetzt einmal der Alt, ich spiel am besten einmal vor.
Wir hatten Probenphasen, die sehr intensiv waren, und das musste "topp" sitzen. Nicht so wie heute abend, da lass ich auch viel durchgehen, einfach, um den Spaß weiter zu treiben, von daher denke ich, man muss da gucken. Da war die Stimmung im Chor teilweise so schlecht, weil die Leute wussten, heute gibt’s wieder Geackere!"

Drei sehr junge Frauen singen im Sopran. Das Durchschnittsalter der Chorsänger liegt bei 50 Jahren. Zwei CD’s hat "out of soul" aus Algermissen inzwischen herausgebracht. Der wichtigste Auftritt seit Bestehen des Chors liegt erst ein paar Monate zurück: "out of soul" trat mit der vierköpfigen, in der Chorszene gefeierten a cappella-Gruppe "maybebop" auf, vor 900 Leuten. Der Beifall eines so großen Auditoriums beflügelt die Laiensänger, die allesamt berufstätig sind. Rudolf Bügling ist seit sechs Jahren dabei.

Rudolf: "Ich bin zu dem Chor gekommen über einen Bekannten, der hat mich angeworben, und ich habe vorher schon ein Instrument gespielt, aber mit Singen selber hatte ich nicht viel Berührung."

Michael Dilling, 41 Jahre alt, arbeitet in der IT-Branche. Seit drei Jahren verstärkt er die Tenöre.

Michael: "Es ist ‚ne ganz nette Runde, und man merkt das, denke ich mal, wenn man uns hört, dass wir gut miteinander auskommen. Und was uns ausmacht, ist, dass wir auswendig singen."

Die Altistin Anja Mummenthey ist Zahnärztin. Das penetrante Sirren des Bohrers vergisst die 50-Jährige auf der Stelle, wenn sie den Probenraum betritt. Die Mischung aus diszipliniertem Arbeiten und ausgelassener Fröhlichkeit empfindet sie als durch und durch wohltuend.

Anja: "Der Gospel ist die Basis, aber wir haben gemerkt: Gospel allein würde uns nicht befriedigen, so dass wir noch andere Lieder dazu genommen haben: Poplieder oder Musicals, die auch noch eine andere Stimmung und Spannung reinbringen, und auch jetzt, wo wir ein bisschen sicherer sind, auch ein bisschen was an Schauspielerischem dazu nehmen. Bisschen Gestik, Mimik, das ist so der neue Anreiz. Es fordert uns immer mehr."

Der amerikanische Sänger Kirby Shaw hat den Song "Rock him in the manger" arrangiert. Claudia Fulda sucht gezielt nach Stücken, die von Laienchören eher selten aufgeführt werden. Dazu gehören auch afrikanische Traditionals. Bei Konzerten unterstützt ein professioneller Percussionist den Chor.

Als die Probe um viertel nach zehn beendet wird, sind binnen weniger Minuten alle Stühle an ihren alten Platz gerückt. Man sieht nur entspannte Gesichter und Leute, die beschwingt in die dunkle Nacht hinaustreten.

Anja: "Wir üben und üben, aber der Spaß kommt dabei nicht zu kurz. Es ist mit sehr viel Motivation verbunden, und das kann man dann auch gern noch nach der Arbeit machen, und danach ist man so richtig fit wieder."


Immer mehr Menschen in Deutschland singen im Chor. In Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft deutscher Chorverbände (ADC) stellt Deutschlandradio Kultur jeden Freitag um 10:50 Uhr im Profil Laienchöre aus der ganzen Republik vor: Im "Chor der Woche" sollen nicht die großen, bekannten Chöre im Vordergrund stehen, sondern die Vielfalt der "normalen" Chöre in allen Teilen unseres Landes: mit Sängern und Sängerinnen jeden Alters, mit allen Variationen des Repertoires, ob geistlich oder weltlich, ob klassisch oder Pop, Gospel oder Jazz und in jeder Formation und Größe.