Die goldenen Palmen von Biarritz

Von Siegfried Forster · 25.01.2009
"Zum Kino schaut man auf, zum Fernsehen herab" , soll Frankreichs Filmemacher Jean-Luc Godard einmal gesagt haben. Im französischen Atlantik-Städtchen Biarritz präsentierte das Internationale Festival für audiovisuelle Programme (FIPA) die besten Fernsehfilme aus aller Welt. "Ihr könnt Euch niemals sicher sein", eine deutsche Produktion der 42-jährigen Regisseurin Nicole Weegemann, bekam die Goldene Trophäe.
"La FIPA d’or dans la catégore ficiton: 'Ihr könnte Euch niemals sicher sein' von Nicole Weegemann. (Applaus)"

Ein deutscher Film triumphierte beim weltweit prestigeträchtigsten Fernsehfilm-Wettbewerb: Hinter dem etwas flapsigen Titel: "Ihr könnt Euch niemals sicher sein" steckt ein feingestricktes, wortgewaltiges, poetisch-musikalisches Psychodrama. Die 42-jährige Regisseurin Nicole Weegemann durchdringt die harte Schale eines Jugendlichen, dessen Sensibilität in der Schule keinen Platz hat, der "keine Lust hat, wie ein enthirnter Klon zu funktionieren", dem seine Flucht in gewaltsame Rapp-Reime aber zum Verhängnis wird und in der Psychiatrie landet :

"(Song) Mein Name ist Oliver… "

Nachwuchstalent Ludwig Trepte interpretiert meisterhaft den unverstandenen Oliver. "Ihr könnt Euch niemals sicher sein" bekam nicht nur die Goldene FIPA-Trophäe für den besten Film, sondern auch für das beste Drehbuch - nach der Vorlage von Eva und Volker Zahn. Der Festival-Erfolg könnte der 1,2 Millionen Euro teuren WDR-Produktion auch international den Durchbruch verschaffen. Nicole Weegemann:

"Was ich mir jetzt für den Film erhoffe, ist natürlich, dass er wahrgenommen wird, und auch international zu sehen, wie er funktioniert: also auch Publikum erreicht, jenseits des deutschsprachigen Raums. Und dem scheint wohl so zu sein. Es ist wohl auch so, dass die Leute sich identifizieren konnten mit der Problematik. Das wäre natürlich grossartig, wenn jemand den Film kaufen würde für das ausländische Fernsehen."

Frankreichs Superproduktionen "L’Affaire Salengro" und "Un homme d’honneur" - eine Geschichte von Laurent Heynemann mit Dominique Blanc rund um den Freitod des sozialistischen Premierministers Pierre Beregovoy 1993, mussten sich bei den Fernsehspielen mit den hinteren Plätzen begnügen.

Auch sonst blieben die Werke aus dem Filmland Frankreich weit hinter den Erwartungen zurück. Im Bereich Dokumentarfilme erreichten von über 356 französischen Produktionen nur vier die Endrunde. Die Goldene FIPA-Trophäe ging aber auch hier an einen Deutschen: Der 1966 geborene und gelernte Philosoph Marc Wiese schildert genauso einfühlsam wie hartnäckig den blutrünstigen albanischen Ehrenkodex "Kanun - Blut für die Ehre".

Die Tradition der Blutrache existiert dort seit 500 Jahren - von Versöhnung ist bis heute keine Spur: Spirituelle und praktische Hilfe bekam der Dokumentarfilmer von einer dort lebenden schwäbischen Nonne, die seit Jahren einen Kreuzzug gegen die Blutrache führt :

"Was hat das mit uns zu tun? Die Schwester erzählt uns sehr stark eine Geschichte von Zivilcourage, Glauben an etwas. Weil man sich bewusst sein muss, dass sie dort gegen Jahrhunderte alte Traditionen kämpft. Und sie gibt sich keinen Illusionen hin, dass sie dort schnelle Erfolge erzielt. Das erzählt mir sehr viel über Geduld, aber trotzdem den Glauben an den Menschen, nicht nur den religiösen Glauben, sondern einfach das positive Denken."

Nicht weniger als drei Dokumentarfilme schilderten auf der FIPA das Problem dieser ausserhalb Albaniens vollkommen unbekannten Blutrache - auf jeweils vollkommen unterschiedliche Art: Dahinter steckten ein deutscher, ein griechischer und zwei italienisch-belgische Regisseure.

Der Australier Michael Davi filmte vier Jahre lang eine Art Star-Academy im grössten südafrikanischen Gefängnis in Johannesburg. Die Franzosen Jean-Marc Sinclair und Jean Crousillac besuchten in Kenia, die für Männer normalerweise verbotene Frauen-Stadt "Umoja". Filmische Vielfalt, wie sie so nur auf dem FIPA-Festival gezeigt und gefördert wird, betont Konstanze Welz von German Films :

"Die FIPA hat ja den Anspruch, herausragende Produktionen, die es im Fernsehen noch weltweit gibt, zu zeigen. Die FIPA ist sicher das anspruchsvollste Fernseh-Festival in diesem Bereich überhaupt. Von daher denke ich, es ist schön, dass es dieses Festival gibt. Und es ist schön, dass es diese hochwertigen Fernsehproduktionen weltweit noch gibt."

Über 1.500 Filme aus 62 Ländern kandidierten für das FIPA-Festival. Die Goldenen "Palmen" von Biarritz sind begehrt, aber kein Wundermittel im Kampf um die grenzüberschritende Ausstrahlung. Über 80 Prozent der prämierten Filme werden nicht ausserhalb des Heimatlandes gezeigt.
Festival-Leiter Pierre-Henri Deleau empfindet das durchaus als persönliches Scheitern. Er hat vor 22 Jahren das Rendez-vous von Biarritz mitgegründet, zum weltweit führenden Festival für Fernsehproduktionen gemacht und gibt nun die Führung ab - aus Frust über die anhaltende Dummheit der Programm-Macher?

"Das würde ich nicht sagen, aber das öffentliche Fernsehen in Frankreich rannte immer hinter den Einschaltquoten hinterher, um die Werbeminuten teurer verkaufen zu können. Wie alle Sender, wie die RAI in Italien oder das Fernsehen in Spanien.

Ab dem Moment, wo man den Einschaltquoten hinterherläuft, sucht man konsensfähige, weniger anspruchsvolle Filme. Ich hoffe, dass das französische Fernsehen mit dem jetzt in Kraft getretenen Werbeverbot wieder mehr Neugier zeigen wird. Und nicht nur amerikanische Filme zeigt, wie 90 Prozent aller anderen Fernsehsender in Europa."