„Die Gesellschaft ergrünt“
Der Grünen-Europapolitiker Sven Giegold ruft seine Partei dazu auf, sich auch angesichts der stark gewachsenen Umfragewerte treu zu bleiben. Die zentrale Idee seiner Partei sei immer gewesen, Lebensweisen, Arbeit und Konsum den „Realitäten des Planeten“ anzupassen.
Jörg Degenhardt: Sich die Wirklichkeit schönzureden, das wird mitunter den Politikern vorgeworfen, aber es gibt auch den umgekehrten Fall: Da werden große Zuwächse in Umfragen kleingeredet. Bei den Grünen passiert das gerade. In Stuttgart und Berlin könnten sie den aktuellen Zahlen zufolge nächstes Jahr die Regierungschefs von ihren Posten vertreiben, im Bund 2013 zumindest koalieren. 20 Prozent haben sie derzeit, und deutlich mehr in den beiden Ländern, also an der Spree und in Baden-Württemberg. So sieht es aus vor der Bundesdelegiertenkonferenz, die heute in Freiburg beginnt, und über die wollen wir reden mit Sven Giegold. Er sitzt für die Grünen im Europaparlament. Guten Morgen, Herr Giegold!
Sven Giegold: Guten Morgen!
Degenhardt: Die Grünen auf dem Weg zur Volkspartei – wie gefällt Ihnen das?
Giegold: Also mir gefällt das gut, welche Umfrageergebnisse wir haben, und gleichzeitig bedeutet das natürlich nicht, dass man sich deshalb verändern muss, sondern das bedeutet vor allem erst mal, dass man sich treu bleiben muss. Das, was die Grünen sicher verändern muss, ist, sobald wir Regierungsverantwortung übernehmen – und darauf bereiten wir uns jetzt vor.
Degenhardt: Was heißt sich treu bleiben? Sie wollen doch keine Dagegen-Partei bleiben.
Giegold: Das waren die Grünen nie. Die Grünen hatten immer die zentrale Idee, die Art und Weise, wie wir leben, arbeiten, konsumieren, das anzupassen den Realitäten des Planeten, und das bedeutet nicht, vor allem gegen etwas zu sein, sondern einen neuen Stil des Lebens und Arbeitens zu verbreiten, der derzeit sich verbreitet. Die Gesellschaft ergrünt, und das kann natürlich nicht bedeuten, dass die Grünen weniger grün werden.
Degenhardt: Welche Prioritäten muss Ihre Partei politisch setzen, oder sollte sie den Anspruch haben, das komplette Programm bieten zu können, also von, sagen wir, Sozialpolitik bis hin zu Finanz- und Steuerfragen? Abgesehen von der Ökosteuer sind das ja keine urgrünen Themen.
Giegold: Nein. Also die Grünen sind sicherlich keine Partei, die mit 20 Prozent eine Spezialpartei bleiben kann, sondern wir bearbeiten inzwischen alle politischen Felder, und das erwarten die Wählerinnen und Wähler auch zu recht von uns. Darüber hinaus bleibt der Markenkern natürlich die Umweltpolitik plus das Eintreten für Frieden und Gerechtigkeit, und zwar Gerechtigkeit natürlich auch im sozialen Sinne. Und ich denke, gerade Letzteres, die Sozialpolitik – dort gibt es auf jeden Fall die Notwendigkeit, das Profil nachzuschärfen. Das bedeutet also, klarer zu stellen, dass wir uns der Ungleichheit in der Gesellschaft, dem stärkeren Auseinanderfallen zwischen Arm und Reich mit aller Kraft entgegenstellen, und dass wir dafür Projekte und Vorschläge haben.
Degenhardt: Wenn ich da gleich noch mal nachhaken darf: Mehr soziale Gerechtigkeit, die kostet ja auch Geld. Wo soll der Staat das Geld hernehmen?
Giegold: Soziale Gerechtigkeit kostet vor allem, dass man endlich dafür sorgt, dass alle Menschen den Zugang zum Arbeitsmarkt haben, das kostet natürlich Geld, sowohl in der Bildung, das kostet natürlich auch Geld, was Investitionen angeht, aber diese Investitionen stellen wir uns oft auch privat vor. Und zudem ist es so, dass diese Investitionen nicht zu machen, ungleich teurer ist, und von daher unterm Strich das, was wir Grünen New Deal nennen, gleichzeitig für mehr soziale Gerechtigkeit sorgt, aber eben auch für wirtschaftlichen Aufschwung. Wir sind nicht nur eine Verteil-Partei, sondern eine Investitions- und Wertschöpfungs- und Wohlstands-Partei in dieser Hinsicht.
Degenhardt: Große Fragen von Sozialpolitik oder Umverteilung werden aber in Freiburg erst mal ausgespart, so ist jedenfalls zu hören – vielleicht auch, weil man Krach und Streit um jeden Preis vermeiden will?
Giegold: Wir hatten ja einen großen Parteitag zur klassischen Sozialpolitik vor drei Jahren in Nürnberg.
Degenhardt: Richtig, da wurde auch ein staatliches Grundeinkommen beispielsweise diskutiert.
Giegold: Das wurde da diskutiert und von der Mehrheit abgelehnt, stattdessen aber ein, wie ich finde, nach wie vor äußerst realitätstaugliches und gleichzeitig solidarisches Modell als Alternative zu Hartz IV beschlossen. Aber was wir auf dem Parteitag jetzt machen, ist, dass wir reden über Gesundheitspolitik. Das ist das Thema, an dem sich die Grundzüge grüner Politik im Sozialbereich sehr gut konkretisieren lassen. Es braucht nämlich dort nicht einfach nur das Verteilen von Geld, sondern es geht darum, gleichzeitig soziale Institutionen zu schaffen, die dafür sorgen, dass Menschen gar nicht erst krank werden, und wenn sie krank sind, alle einen gleichen Zugang zu den gleichen Gütern haben, also in diesem Falle sozialen Dienstleistungen im Gesundheitsbereich. Und die heutige Zwei-Klassen-Medizin widerspricht natürlich diametral den Vorstellungen einer Gleichheit zum gemeinsamen Gut Gesundheit.
Degenhardt: Stichwort Verteilen von Geld, Sie sprachen gerade davon. Eine Frage an Sie, an den Europapolitiker für die Grünen: Wie würden Sie beispielsweise den Iren oder Portugiesen oder auch den Griechen helfen, ihre finanzielle Lage wieder in den Griff zu kriegen? Das ist ja auch ein Problem dieser Tage, dem sich die Grünen stellen müssen.
Giegold: Absolut. Die Grundsituation in Irland und Griechenland ist ja die, dass das eben keine Spezialkrisen sind, sondern die Eurozone entwickelt sich auseinander. Einige Länder leben sehr gut mit dem Euro, werden immer wettbewerbsfähiger im Vergleich zu anderen, die Niederlande, Deutschland, Österreich. Auf der anderen Seite haben Sie die südlichen Länder aber auch Irland, die, sage ich mal, immer weiter an Abstand gewinnen. Und wenn das zusammenhalten soll – und es muss zusammenhalten, weil das Scheitern des Euros gleichzeitig ein Scheitern der politischen Integration in Europa wäre –, dann muss man dafür sorgen, dass neue Ausgleichsmechanismen entstehen. Es reicht nicht aus, ein Rettungspaket nach dem anderen zu schnüren und irgendwann festzustellen, dass man kein Geld mehr hat, sondern wir brauchen Mechanismen, die dafür sorgen, dass die Länder nicht immer weiter auseinanderdriften. Und da müssen alle auf ihre Privilegien in gewisser Weise verzichten. Die südlichen Länder müssen dafür sorgen, dass sie ihre Preisentwicklungen in den Griff bekommen und können nicht mehr die Preise schneller steigen lassen als die Produktivität, und dafür muss es auch klare und harte Sanktionen geben. Soweit hat die Bundesregierung recht. Bei den stark laufenden Ländern wie Deutschland brauchen wir dagegen auch deutliche Verpflichtungen, die Ausgaben, also die Nachfrage mitlaufen zu lassen mit der Einnahme, das heißt also, das deutsche Exportmodell – wir exportieren auf Teufel komm raus, und konsumieren nicht entsprechend –, das treibt die Eurozone dem Abgrund zu, und braucht genauso klare Grenzen. Das sind zumindest mal zwei Elemente.
Degenhardt: Ich sehe schon, da habe ich ein weites Feld angetippt.
Giegold: Das ist leider nicht mit einem Satz zu machen, zumindest nicht dann, ...
Degenhardt: Das ist wohl wahr, und wahrscheinlich auch nicht ausführlich auf dem Parteitag Ihrer Partei in Freiburg heute und morgen bis zum Ende durchzudiskutieren. Wir müssen an dieser Stelle erst mal einen Punkt machen. Das war Sven Giegold, er sitzt für die Grünen im Europaparlament, vor dem Grünen-Parteitag in Freiburg haben wir miteinander gesprochen. Vielen Dank dafür, Herr Giegold!
Giegold: Vielen Dank! Tschüss!
Sven Giegold: Guten Morgen!
Degenhardt: Die Grünen auf dem Weg zur Volkspartei – wie gefällt Ihnen das?
Giegold: Also mir gefällt das gut, welche Umfrageergebnisse wir haben, und gleichzeitig bedeutet das natürlich nicht, dass man sich deshalb verändern muss, sondern das bedeutet vor allem erst mal, dass man sich treu bleiben muss. Das, was die Grünen sicher verändern muss, ist, sobald wir Regierungsverantwortung übernehmen – und darauf bereiten wir uns jetzt vor.
Degenhardt: Was heißt sich treu bleiben? Sie wollen doch keine Dagegen-Partei bleiben.
Giegold: Das waren die Grünen nie. Die Grünen hatten immer die zentrale Idee, die Art und Weise, wie wir leben, arbeiten, konsumieren, das anzupassen den Realitäten des Planeten, und das bedeutet nicht, vor allem gegen etwas zu sein, sondern einen neuen Stil des Lebens und Arbeitens zu verbreiten, der derzeit sich verbreitet. Die Gesellschaft ergrünt, und das kann natürlich nicht bedeuten, dass die Grünen weniger grün werden.
Degenhardt: Welche Prioritäten muss Ihre Partei politisch setzen, oder sollte sie den Anspruch haben, das komplette Programm bieten zu können, also von, sagen wir, Sozialpolitik bis hin zu Finanz- und Steuerfragen? Abgesehen von der Ökosteuer sind das ja keine urgrünen Themen.
Giegold: Nein. Also die Grünen sind sicherlich keine Partei, die mit 20 Prozent eine Spezialpartei bleiben kann, sondern wir bearbeiten inzwischen alle politischen Felder, und das erwarten die Wählerinnen und Wähler auch zu recht von uns. Darüber hinaus bleibt der Markenkern natürlich die Umweltpolitik plus das Eintreten für Frieden und Gerechtigkeit, und zwar Gerechtigkeit natürlich auch im sozialen Sinne. Und ich denke, gerade Letzteres, die Sozialpolitik – dort gibt es auf jeden Fall die Notwendigkeit, das Profil nachzuschärfen. Das bedeutet also, klarer zu stellen, dass wir uns der Ungleichheit in der Gesellschaft, dem stärkeren Auseinanderfallen zwischen Arm und Reich mit aller Kraft entgegenstellen, und dass wir dafür Projekte und Vorschläge haben.
Degenhardt: Wenn ich da gleich noch mal nachhaken darf: Mehr soziale Gerechtigkeit, die kostet ja auch Geld. Wo soll der Staat das Geld hernehmen?
Giegold: Soziale Gerechtigkeit kostet vor allem, dass man endlich dafür sorgt, dass alle Menschen den Zugang zum Arbeitsmarkt haben, das kostet natürlich Geld, sowohl in der Bildung, das kostet natürlich auch Geld, was Investitionen angeht, aber diese Investitionen stellen wir uns oft auch privat vor. Und zudem ist es so, dass diese Investitionen nicht zu machen, ungleich teurer ist, und von daher unterm Strich das, was wir Grünen New Deal nennen, gleichzeitig für mehr soziale Gerechtigkeit sorgt, aber eben auch für wirtschaftlichen Aufschwung. Wir sind nicht nur eine Verteil-Partei, sondern eine Investitions- und Wertschöpfungs- und Wohlstands-Partei in dieser Hinsicht.
Degenhardt: Große Fragen von Sozialpolitik oder Umverteilung werden aber in Freiburg erst mal ausgespart, so ist jedenfalls zu hören – vielleicht auch, weil man Krach und Streit um jeden Preis vermeiden will?
Giegold: Wir hatten ja einen großen Parteitag zur klassischen Sozialpolitik vor drei Jahren in Nürnberg.
Degenhardt: Richtig, da wurde auch ein staatliches Grundeinkommen beispielsweise diskutiert.
Giegold: Das wurde da diskutiert und von der Mehrheit abgelehnt, stattdessen aber ein, wie ich finde, nach wie vor äußerst realitätstaugliches und gleichzeitig solidarisches Modell als Alternative zu Hartz IV beschlossen. Aber was wir auf dem Parteitag jetzt machen, ist, dass wir reden über Gesundheitspolitik. Das ist das Thema, an dem sich die Grundzüge grüner Politik im Sozialbereich sehr gut konkretisieren lassen. Es braucht nämlich dort nicht einfach nur das Verteilen von Geld, sondern es geht darum, gleichzeitig soziale Institutionen zu schaffen, die dafür sorgen, dass Menschen gar nicht erst krank werden, und wenn sie krank sind, alle einen gleichen Zugang zu den gleichen Gütern haben, also in diesem Falle sozialen Dienstleistungen im Gesundheitsbereich. Und die heutige Zwei-Klassen-Medizin widerspricht natürlich diametral den Vorstellungen einer Gleichheit zum gemeinsamen Gut Gesundheit.
Degenhardt: Stichwort Verteilen von Geld, Sie sprachen gerade davon. Eine Frage an Sie, an den Europapolitiker für die Grünen: Wie würden Sie beispielsweise den Iren oder Portugiesen oder auch den Griechen helfen, ihre finanzielle Lage wieder in den Griff zu kriegen? Das ist ja auch ein Problem dieser Tage, dem sich die Grünen stellen müssen.
Giegold: Absolut. Die Grundsituation in Irland und Griechenland ist ja die, dass das eben keine Spezialkrisen sind, sondern die Eurozone entwickelt sich auseinander. Einige Länder leben sehr gut mit dem Euro, werden immer wettbewerbsfähiger im Vergleich zu anderen, die Niederlande, Deutschland, Österreich. Auf der anderen Seite haben Sie die südlichen Länder aber auch Irland, die, sage ich mal, immer weiter an Abstand gewinnen. Und wenn das zusammenhalten soll – und es muss zusammenhalten, weil das Scheitern des Euros gleichzeitig ein Scheitern der politischen Integration in Europa wäre –, dann muss man dafür sorgen, dass neue Ausgleichsmechanismen entstehen. Es reicht nicht aus, ein Rettungspaket nach dem anderen zu schnüren und irgendwann festzustellen, dass man kein Geld mehr hat, sondern wir brauchen Mechanismen, die dafür sorgen, dass die Länder nicht immer weiter auseinanderdriften. Und da müssen alle auf ihre Privilegien in gewisser Weise verzichten. Die südlichen Länder müssen dafür sorgen, dass sie ihre Preisentwicklungen in den Griff bekommen und können nicht mehr die Preise schneller steigen lassen als die Produktivität, und dafür muss es auch klare und harte Sanktionen geben. Soweit hat die Bundesregierung recht. Bei den stark laufenden Ländern wie Deutschland brauchen wir dagegen auch deutliche Verpflichtungen, die Ausgaben, also die Nachfrage mitlaufen zu lassen mit der Einnahme, das heißt also, das deutsche Exportmodell – wir exportieren auf Teufel komm raus, und konsumieren nicht entsprechend –, das treibt die Eurozone dem Abgrund zu, und braucht genauso klare Grenzen. Das sind zumindest mal zwei Elemente.
Degenhardt: Ich sehe schon, da habe ich ein weites Feld angetippt.
Giegold: Das ist leider nicht mit einem Satz zu machen, zumindest nicht dann, ...
Degenhardt: Das ist wohl wahr, und wahrscheinlich auch nicht ausführlich auf dem Parteitag Ihrer Partei in Freiburg heute und morgen bis zum Ende durchzudiskutieren. Wir müssen an dieser Stelle erst mal einen Punkt machen. Das war Sven Giegold, er sitzt für die Grünen im Europaparlament, vor dem Grünen-Parteitag in Freiburg haben wir miteinander gesprochen. Vielen Dank dafür, Herr Giegold!
Giegold: Vielen Dank! Tschüss!