Die Gesellschaft bereitet sich vor – aber auf was?
Die alten Kontrahenten von Botho Strauß können triumphieren. Da sind sie wieder, die Reizworte aus dem "anschwellenden Bocksgesang", die Rede vom Sittengesetz und der herrschenden Beliebigkeit; die "subtile geistige Verwandtschaft zwischen abendländischer und moslemischer Antimoderne", wie zwei Kolumnisten gleich spitzfindig bemerkten.
Doch der Schuss Bewunderung, den sie bei Strauß für den moslemischen Furor spüren, das "romantische Gegenprogramm zum verweichlichten Westler", steht nicht im Zentrum seiner Gedanken. Auch Strauß spricht von Regeln und Unvereinbarkeiten im Miteinander. Und er nennt zuerst die eigene, die christliche Religion und ihre Abwertung durch den Islam.
Man kann seinen Essay demografisch lesen. Aber die kulturpessimistische Furcht vor dem überwältigenden Kinderreichtum einer fremden Gesellschaft ist nur ein Randaspekt. Natürlich spricht Strauß offen aus, was nur ungern zur Kenntnis genommen wird: dass allein schon die Zahlenverhältnisse sich zu Lasten der westlichen Gesellschaften verschieben werden. Strauß ersetzt den Begriff der Parallelgesellschaften deshalb durch den der Vorbereitungsgesellschaft. Denn die Aussicht, dass wir die Migrantenkulturen weiterhin ignorieren können, ist sehr gering.
Vorbereiten - aber auf was? Auf eine ungewohnte Erfahrung von Minorität, gar von Unterlegenheit? Auf das Scheitern von Integration und friedlichem Nebeneinander? Auf einen kulturellen Antagonismus, der sich stärker erweist als alle Schmelztiegelhoffnungen der Moderne?
Der Begriff Vorbereitungsgesellschaft ist deshalb so hellsichtig, weil er alle bisherigen Assimilationsphantasien mit der Realität konfrontiert: Die soziale Integrationskraft des Islam ist groß und sie konkurriert erfolgreich mit der schwächer werdenden Integrationsfähigkeit liberaler Gesellschaften. Am Ende, so die Befürchtung, siegt Herkunft über Zukunft, Kultur über Gesellschaft, Verschiedenheit über Gemeinsamkeit.
Botho Strauß hält diesen Konflikt für unausweichlich. Vielleicht hat er Recht. Aber es geht ihm nicht um die Verteidigung westlicher Dominanz und zivilisatorischer Überlegenheit. Strauß versucht den Westen gerade nicht als zivilisatorisches Muster zu begreifen, sondern als eigene Kultur: In dieser neuen, mitunter mörderischen Konkurrenz gilt es, sagt Strauß, "unser eigenes Bestes aufzubieten, es neu zu bestimmen oder wieder zu beleben, "das Differenziervermögen an oberster Stelle, das Schönheitsverlangen, geprägt von großer europäischer Kunst, Reflexion und Sensibilität."
Schön gesagt. Man mag die Hoffnungen auf eine neue Blütezeit west-östlicher Synergien, auf ein globales Toledo im Geiste des maurischen Spaniens und den geistigen Disput der alten Schriftkulturen als absolut weltfremd belächeln. Aber um wie vieles lächerlicher wirken die Alternativen? Jenes Schwadronieren von der zivilisatorischen Gegenwehr; das ganze Kreuzzugsgerassel einer säkularisierten Welt.
Strauß zieht die Frontlinie nicht mehr zwischen Ost und West - nach dem vertrauten Muster der früheren Weltordnung -, sondern: zwischen sakral und säkular. Und sein Vertrauen ist das alte Vertrauen in den Herderschen Geist, dass nur der den Anderen wirklich respektiert, der bei sich selbst ganz zu Hause ist.
Das süffisante Lächeln all der Sozialtechnokraten muss man sich gar nicht erst ausmalen, die lieber den Weg der kulturellen Entkleidung gehen wollen, des Verzichts auf jegliche Form von Glaube und Heimat zugunsten einer gänzlich profanen Lebensform. Strauß formuliert keine weltfremde Gegenposition. Er stellt die entscheidende Frage, wie der Westen künftig das Zusammenleben seiner Bürger gestalten will, wenn die alten Mechanismen der Integration womöglich nicht mehr funktionieren.
Wir müssen uns wohl von der Vorstellung lösen, da nur atavistische Kräfte am Werke zu sehen. Wir sollten schon den Versuch unternehmen, zu erklären, warum sich in dieser globalen Welt die Konflikte ausgerechnet entlang der alten Traditionsgrenzen entzünden und die Evolution einer globalen Kultur auf sich warten lässt. Wie viel Unterschied verträgt denn eine moderne Gesellschaft, ohne ihren Zusammenhalt zu verlieren? Was darf sein, und was schon nicht mehr? Die Grenzziehungen sind da viel schwieriger, als uns die Multikulti-Propheten versprachen.
Aber auch der Ruf nach einer verbindlichen Leitkultur geht ins Leere. Integrationsbereitschaft hat – das wissen die Soziologen - auch etwas mit den Größenverhältnissen zu tun. Anpassung und Bewahrung, das merken wir heute, müssen neu austariert werden.
Nicht zufällig sind wir in diesen Jahren Zeugen eines auffälligen Paradigmenwechsels in den Geschichtswissenschaften geworden: einer Entwicklung weg vom Leitbegriff der Gesellschaft und hin zu dem der Erinnerung. Der Begriff von Geschichte löst sich von dem der Gesellschaft und öffnet sich dem kollektiven Gedächtnis. Geschichte als Erinnerung entwickelt keine normative Kraft auf die Gesellschaft. Der alte Begriff der Kulturnation kehrt wieder als eines historischen Lebenszusammenhangs, der uns mit der Lebensform unserer Vorfahren, innerlich verknüpft. Mehr womöglich als mit der mancher Nachbarn. Es ist ein verbindlicher Lebenszusammenhang, aber eben kein normativer.
Der Soziologe Karl Otto Hondrich hat vor Jahren besorgt darauf hingewiesen, es gebe auch in Deutschland einen Konflikt der Identitäten, der sich deshalb so verschärft, weil die Visionäre der multikulturellen Gesellschaft eine eigene deutsche nationale Identität nicht anerkennen wollten. Auch wir stehen in diesen Jahren vor der schwierigen Aufgabe, unsere Identität als Erinnerung und als Erzählung wieder zu finden. Welch ungleich größere Probleme haben damit jene nachkolonialen Gesellschaften, die aus sich heraus noch gar keine eigene Moderne entwickeln konnten.
Es wäre ein Missverständnis, hinter diesem Bemühen nur die Wiederkehr des Gültigen, des Nicht-Zerfalls und der Nichtgleichgültigkeit zu vermuten, wie Botho Strauß formuliert. Gerade der Hinweis auf ein neues Toledo ist ja der Hinweis auf die eigentliche Bedeutung von Toleranz. Sie meint nicht Indifferenz und Gleichgültigkeit, sondern die Bereitschaft, Abweichungen und Unterschiede auch dort zu ertragen, wo sie schon schmerzhaft sind. Es ist keine wohlfeile Toleranz. Es ist eine, die sehr wohl nach gemeinsamen Regeln verlangt. Die aber begreift, dass sie sich auf die große Einebnungsmaschine einer globalen Ökonomie nicht mehr verlassen kann. Und ahnt, dass das Gespräch zwischen den Kulturen und Religionen von neuem beginnen muss. Kein Gespräch über historische Zeiten hinweg. Sondern eines, das eine gemeinsame Modernität der Kulturen erst noch begründen will.
Johann Michael Möller, geboren 1955 in Bietigheim bei Stuttgart, Studium der Geschichte, Germanistik und Ethnologie in Stuttgart und Frankfurt am Main. Während des Studiums Mitarbeit im Feuilleton der FAZ. 1985 Gründungsredakteur der neuen Seite 'Geisteswissenschaften' der FAZ. 1990 Wechsel ins politische Ressort der FAZ und Korrespondent für die neuen Länder Thüringen und Sachsen. 1992 Hauptabteilungsleiter Fernsehen beim neugegründeten 'Mitteldeutschen Rundfunk', verantwortlich für den Programmbereich Fernsehen im Landesfunkhaus Thüringen. Moderation der eigenen Sendung 'Erfurter Gespräch'. 1995 Wechsel zum ZDF als stellvertretender Leiter und Moderator des politischen Magazins 'Kennzeichen D'. Seit 1998 Redakteur bei der WELT, inzwischen Stellvertreter des Chefredakteurs.
Man kann seinen Essay demografisch lesen. Aber die kulturpessimistische Furcht vor dem überwältigenden Kinderreichtum einer fremden Gesellschaft ist nur ein Randaspekt. Natürlich spricht Strauß offen aus, was nur ungern zur Kenntnis genommen wird: dass allein schon die Zahlenverhältnisse sich zu Lasten der westlichen Gesellschaften verschieben werden. Strauß ersetzt den Begriff der Parallelgesellschaften deshalb durch den der Vorbereitungsgesellschaft. Denn die Aussicht, dass wir die Migrantenkulturen weiterhin ignorieren können, ist sehr gering.
Vorbereiten - aber auf was? Auf eine ungewohnte Erfahrung von Minorität, gar von Unterlegenheit? Auf das Scheitern von Integration und friedlichem Nebeneinander? Auf einen kulturellen Antagonismus, der sich stärker erweist als alle Schmelztiegelhoffnungen der Moderne?
Der Begriff Vorbereitungsgesellschaft ist deshalb so hellsichtig, weil er alle bisherigen Assimilationsphantasien mit der Realität konfrontiert: Die soziale Integrationskraft des Islam ist groß und sie konkurriert erfolgreich mit der schwächer werdenden Integrationsfähigkeit liberaler Gesellschaften. Am Ende, so die Befürchtung, siegt Herkunft über Zukunft, Kultur über Gesellschaft, Verschiedenheit über Gemeinsamkeit.
Botho Strauß hält diesen Konflikt für unausweichlich. Vielleicht hat er Recht. Aber es geht ihm nicht um die Verteidigung westlicher Dominanz und zivilisatorischer Überlegenheit. Strauß versucht den Westen gerade nicht als zivilisatorisches Muster zu begreifen, sondern als eigene Kultur: In dieser neuen, mitunter mörderischen Konkurrenz gilt es, sagt Strauß, "unser eigenes Bestes aufzubieten, es neu zu bestimmen oder wieder zu beleben, "das Differenziervermögen an oberster Stelle, das Schönheitsverlangen, geprägt von großer europäischer Kunst, Reflexion und Sensibilität."
Schön gesagt. Man mag die Hoffnungen auf eine neue Blütezeit west-östlicher Synergien, auf ein globales Toledo im Geiste des maurischen Spaniens und den geistigen Disput der alten Schriftkulturen als absolut weltfremd belächeln. Aber um wie vieles lächerlicher wirken die Alternativen? Jenes Schwadronieren von der zivilisatorischen Gegenwehr; das ganze Kreuzzugsgerassel einer säkularisierten Welt.
Strauß zieht die Frontlinie nicht mehr zwischen Ost und West - nach dem vertrauten Muster der früheren Weltordnung -, sondern: zwischen sakral und säkular. Und sein Vertrauen ist das alte Vertrauen in den Herderschen Geist, dass nur der den Anderen wirklich respektiert, der bei sich selbst ganz zu Hause ist.
Das süffisante Lächeln all der Sozialtechnokraten muss man sich gar nicht erst ausmalen, die lieber den Weg der kulturellen Entkleidung gehen wollen, des Verzichts auf jegliche Form von Glaube und Heimat zugunsten einer gänzlich profanen Lebensform. Strauß formuliert keine weltfremde Gegenposition. Er stellt die entscheidende Frage, wie der Westen künftig das Zusammenleben seiner Bürger gestalten will, wenn die alten Mechanismen der Integration womöglich nicht mehr funktionieren.
Wir müssen uns wohl von der Vorstellung lösen, da nur atavistische Kräfte am Werke zu sehen. Wir sollten schon den Versuch unternehmen, zu erklären, warum sich in dieser globalen Welt die Konflikte ausgerechnet entlang der alten Traditionsgrenzen entzünden und die Evolution einer globalen Kultur auf sich warten lässt. Wie viel Unterschied verträgt denn eine moderne Gesellschaft, ohne ihren Zusammenhalt zu verlieren? Was darf sein, und was schon nicht mehr? Die Grenzziehungen sind da viel schwieriger, als uns die Multikulti-Propheten versprachen.
Aber auch der Ruf nach einer verbindlichen Leitkultur geht ins Leere. Integrationsbereitschaft hat – das wissen die Soziologen - auch etwas mit den Größenverhältnissen zu tun. Anpassung und Bewahrung, das merken wir heute, müssen neu austariert werden.
Nicht zufällig sind wir in diesen Jahren Zeugen eines auffälligen Paradigmenwechsels in den Geschichtswissenschaften geworden: einer Entwicklung weg vom Leitbegriff der Gesellschaft und hin zu dem der Erinnerung. Der Begriff von Geschichte löst sich von dem der Gesellschaft und öffnet sich dem kollektiven Gedächtnis. Geschichte als Erinnerung entwickelt keine normative Kraft auf die Gesellschaft. Der alte Begriff der Kulturnation kehrt wieder als eines historischen Lebenszusammenhangs, der uns mit der Lebensform unserer Vorfahren, innerlich verknüpft. Mehr womöglich als mit der mancher Nachbarn. Es ist ein verbindlicher Lebenszusammenhang, aber eben kein normativer.
Der Soziologe Karl Otto Hondrich hat vor Jahren besorgt darauf hingewiesen, es gebe auch in Deutschland einen Konflikt der Identitäten, der sich deshalb so verschärft, weil die Visionäre der multikulturellen Gesellschaft eine eigene deutsche nationale Identität nicht anerkennen wollten. Auch wir stehen in diesen Jahren vor der schwierigen Aufgabe, unsere Identität als Erinnerung und als Erzählung wieder zu finden. Welch ungleich größere Probleme haben damit jene nachkolonialen Gesellschaften, die aus sich heraus noch gar keine eigene Moderne entwickeln konnten.
Es wäre ein Missverständnis, hinter diesem Bemühen nur die Wiederkehr des Gültigen, des Nicht-Zerfalls und der Nichtgleichgültigkeit zu vermuten, wie Botho Strauß formuliert. Gerade der Hinweis auf ein neues Toledo ist ja der Hinweis auf die eigentliche Bedeutung von Toleranz. Sie meint nicht Indifferenz und Gleichgültigkeit, sondern die Bereitschaft, Abweichungen und Unterschiede auch dort zu ertragen, wo sie schon schmerzhaft sind. Es ist keine wohlfeile Toleranz. Es ist eine, die sehr wohl nach gemeinsamen Regeln verlangt. Die aber begreift, dass sie sich auf die große Einebnungsmaschine einer globalen Ökonomie nicht mehr verlassen kann. Und ahnt, dass das Gespräch zwischen den Kulturen und Religionen von neuem beginnen muss. Kein Gespräch über historische Zeiten hinweg. Sondern eines, das eine gemeinsame Modernität der Kulturen erst noch begründen will.
Johann Michael Möller, geboren 1955 in Bietigheim bei Stuttgart, Studium der Geschichte, Germanistik und Ethnologie in Stuttgart und Frankfurt am Main. Während des Studiums Mitarbeit im Feuilleton der FAZ. 1985 Gründungsredakteur der neuen Seite 'Geisteswissenschaften' der FAZ. 1990 Wechsel ins politische Ressort der FAZ und Korrespondent für die neuen Länder Thüringen und Sachsen. 1992 Hauptabteilungsleiter Fernsehen beim neugegründeten 'Mitteldeutschen Rundfunk', verantwortlich für den Programmbereich Fernsehen im Landesfunkhaus Thüringen. Moderation der eigenen Sendung 'Erfurter Gespräch'. 1995 Wechsel zum ZDF als stellvertretender Leiter und Moderator des politischen Magazins 'Kennzeichen D'. Seit 1998 Redakteur bei der WELT, inzwischen Stellvertreter des Chefredakteurs.