Die geschwungene Form
Nierentisch und Petticoat, Sehnsuchtsschlager und Salzstangen bestimmen das Bild der 50er Jahre. Man verdrängte den Krieg, blickte nach vorn und wollte sich amüsieren. Das Zeitkolorit fängt die Ausstellung "Die 50er Jahre - Alltagskultur und Design" im <papaya:link href="http://www.mkg-hamburg.de/" text="Museum für Kunst und Gewerbe" title="Museum für Kunst und Gewerbe" target="_blank" /> in Hamburg ein.
Also Ärmel aufgekrempelt und ran. Und so ging es schon bald wieder aufwärts. Man kaufte, was man so brauchte nach einem verlorenen Krieg: Stühle, Tische, Küchengeräte, Geschirr - nur die Form vieler Dinge hatte sich grundlegend verändert. Martin Faass, der die Ausstellung kuratierte:
" Es hat damit zu tun, dass man sich von dem Grauen des Krieges absetzen wollte. Das man neue Formen und neue Ausdrucksmöglichkeiten suchte, um einen Neuanfang zu wagen. Design wird in dieser Zeit vor allen Dingen deshalb wichtig, weil es in vielen Bereichen zur Zusammenarbeit kommt: Zusammenarbeit zwischen Künstlern und Industrie, so dass man ganz deutlich erkennen kann, dass es auch in vielen Bereichen um eine neue Gestaltung von Lebenswirklichkeit geht. "
Mit über 450 Objekten aus allen Bereichen des Designs spürt die Ausstellung dieser Formensuche nach, die Sinnbild werden sollte für eine Gesellschaft im Aufbruch. Da gab es einmal den Rückgriff auf die 20er Jahre und die Bauhaustradition, an der sich Unternehmen wie BRAUN oder WMF mit Designern wie Wilhelm Wagenfeld orientierten - so entstanden Radios, Porzellan, Trinkgläser oder Vasen in schlichter, funktionaler Form.
Die Hauptrichtung aber war die, die bis heute unser Bild vom Design der 50er Jahre bestimmt: die geschwungene Form.
" Was für die 50er Jahre sehr typisch ist, dass sich in unterschiedlichen Bereichen ganz ähnliche Formen durchsetzen. Sowohl in den Bereichen des hohen Designs, wo sie mit Entwürfen von Jakobsen oder Sarrinen gerade Formen haben, die geschwungene Silhouetten zeigen, finden Sie ähnliches auf einer ganz anderen Formstufe auch im Design des Alltags, in den Nierentischen und Blumenetageren. So sehr beide Bereiche sich unterscheiden in ihren Formen und dem, was sie damit sagen, sind sie sich doch sehr ähnlich, und als Kinder einer Epoche zu erkennen."
Mit der organischen Form wollten Industrie, Designer und Künstler Anschluss finden an die ausländische Konkurrenz und den internationalen Geschmack. Dass die Idee so neu gar nicht war, machen Verweise auf die Skulpturen von Henry Moore und Hans Arp deutlich. Doch weil das Geschwungene eben dynamisch und weltoffen wirkte, griff man es im exquisiten Design ebenso auf wie in der industriellen Massenproduktion: ein Nierentisch als gewagter Blickfang, eine resopalbeschichtete Blumenetagere, die aus den USA übernommene Partykultur mit Salzstangenhalter und geschwungenen Gläsern, dazu eine Vase mit abstrakten Mustern - all dies war bald ein "Muss" in jedem Haushalt.
" Es ist schon so, dass in dieser Zeit kein Attribut so wichtig war wie das des Modernen. Man musste unbedingt modern sein. Man wollte modern sein. Man musste es zeigen und man konnte es zeigen, indem man sich viele dieser auch modischen Dinge wie Nierentische und Tütenlampe zulegte, um sich von dem doch etwas soliden Geschmack der 30er Jahre abzusetzen."
Gleichzeitig wurden ständig weitere Bedürfnisse geschaffen: Multifunktionale Küchengeräte, die Mixer, Entsafter, Eierlikörmacher und Bohrer in einem waren, durften - so die gleichfalls ausgestellte Werbung - in keinem Haushalt fehlen. Den Preis in Höhe eines knappen Monatslohns druckte man dabei lieber nur klein. Doch schnell avancierten die neuesten Küchengeräte zu Prestigeobjekten - nicht zuletzt, weil sie massiv beworben wurden. So weiß Martin Faass:
" Dass es ein massives Direktmarketing gab. Dass unheimlich viele Vertreter durch die Städte zogen und an den Haustüren versuchten, ihre Küchenmaschinen loszuwerden. Familien haben in der Zeit viele Mühen und Entbehrungen auf sich genommen, um solche Gerätschaften sich zulegen zu können."
Die Ausstellung eröffnet nicht nur einen sehr erhellenden Blick auf Tradition und Entwicklung des Designs der 50er Jahre. Dadurch, dass sie auch Alltagsgegenstände, Plakate und Werbung zeigt, vermittelt sie gleichzeitig ein Stück Lebensgefühl - und das hieß vor allem: Konsum - denn nur dann war man wieder wer! Dass dabei keine Zeit blieb, sich mit der jüngsten Vergangenheit zu beschäftigen, war durchaus beabsichtigt. Und dass die meisten für vieles, was heute so typisch für die 50er Jahre ist, kein Geld hatten, macht die Ausstellung auch unmissverständlich deutlich: die Isetta, die samt Camping-Anhänger das Herzstück der Ausstellung bildet, blieb für die meisten ein Traum, gerade einmal 160.000 Stück wurden in den 50er Jahren verkauft.
Doch die Industrie schürte weiter die Sehnsucht nach Mobilität: Der Ausstellungsraum ist regelrecht tapeziert mit den verheißungsvollen Bildern von Italien und Sonne und Meer. Die Strategie hatte Erfolg: In den 60er Jahren brachen die Deutschen massenweise auf, um im eigenen Auto Italien zu erobern - und die Wirtschaft boomte.
Immer neue käufliche Träume wurden entwickelt: so wie die Kleider von Dior, die in einem Raum mit Filmplakaten gezeigt werden. Plakate für Heimat- und Sissyfilmen, die die heile Welt versprachen, nach der sich viele so sehr sehnten: Eine Welt ohne Erinnerungen an die jüngste blutige Vergangenheit mit Millionen von Toten. Eine schöne, glitzernde Welt, der man hoffte, durch Konsum wenigstens ein Stückchen näher zu kommen.
Service:
Die Ausstellung "Die 50er Jahre - Alltagskultur und Design" ist im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg vom 9. September bis 13. November 2005 zu sehen.
" Es hat damit zu tun, dass man sich von dem Grauen des Krieges absetzen wollte. Das man neue Formen und neue Ausdrucksmöglichkeiten suchte, um einen Neuanfang zu wagen. Design wird in dieser Zeit vor allen Dingen deshalb wichtig, weil es in vielen Bereichen zur Zusammenarbeit kommt: Zusammenarbeit zwischen Künstlern und Industrie, so dass man ganz deutlich erkennen kann, dass es auch in vielen Bereichen um eine neue Gestaltung von Lebenswirklichkeit geht. "
Mit über 450 Objekten aus allen Bereichen des Designs spürt die Ausstellung dieser Formensuche nach, die Sinnbild werden sollte für eine Gesellschaft im Aufbruch. Da gab es einmal den Rückgriff auf die 20er Jahre und die Bauhaustradition, an der sich Unternehmen wie BRAUN oder WMF mit Designern wie Wilhelm Wagenfeld orientierten - so entstanden Radios, Porzellan, Trinkgläser oder Vasen in schlichter, funktionaler Form.
Die Hauptrichtung aber war die, die bis heute unser Bild vom Design der 50er Jahre bestimmt: die geschwungene Form.
" Was für die 50er Jahre sehr typisch ist, dass sich in unterschiedlichen Bereichen ganz ähnliche Formen durchsetzen. Sowohl in den Bereichen des hohen Designs, wo sie mit Entwürfen von Jakobsen oder Sarrinen gerade Formen haben, die geschwungene Silhouetten zeigen, finden Sie ähnliches auf einer ganz anderen Formstufe auch im Design des Alltags, in den Nierentischen und Blumenetageren. So sehr beide Bereiche sich unterscheiden in ihren Formen und dem, was sie damit sagen, sind sie sich doch sehr ähnlich, und als Kinder einer Epoche zu erkennen."
Mit der organischen Form wollten Industrie, Designer und Künstler Anschluss finden an die ausländische Konkurrenz und den internationalen Geschmack. Dass die Idee so neu gar nicht war, machen Verweise auf die Skulpturen von Henry Moore und Hans Arp deutlich. Doch weil das Geschwungene eben dynamisch und weltoffen wirkte, griff man es im exquisiten Design ebenso auf wie in der industriellen Massenproduktion: ein Nierentisch als gewagter Blickfang, eine resopalbeschichtete Blumenetagere, die aus den USA übernommene Partykultur mit Salzstangenhalter und geschwungenen Gläsern, dazu eine Vase mit abstrakten Mustern - all dies war bald ein "Muss" in jedem Haushalt.
" Es ist schon so, dass in dieser Zeit kein Attribut so wichtig war wie das des Modernen. Man musste unbedingt modern sein. Man wollte modern sein. Man musste es zeigen und man konnte es zeigen, indem man sich viele dieser auch modischen Dinge wie Nierentische und Tütenlampe zulegte, um sich von dem doch etwas soliden Geschmack der 30er Jahre abzusetzen."
Gleichzeitig wurden ständig weitere Bedürfnisse geschaffen: Multifunktionale Küchengeräte, die Mixer, Entsafter, Eierlikörmacher und Bohrer in einem waren, durften - so die gleichfalls ausgestellte Werbung - in keinem Haushalt fehlen. Den Preis in Höhe eines knappen Monatslohns druckte man dabei lieber nur klein. Doch schnell avancierten die neuesten Küchengeräte zu Prestigeobjekten - nicht zuletzt, weil sie massiv beworben wurden. So weiß Martin Faass:
" Dass es ein massives Direktmarketing gab. Dass unheimlich viele Vertreter durch die Städte zogen und an den Haustüren versuchten, ihre Küchenmaschinen loszuwerden. Familien haben in der Zeit viele Mühen und Entbehrungen auf sich genommen, um solche Gerätschaften sich zulegen zu können."
Die Ausstellung eröffnet nicht nur einen sehr erhellenden Blick auf Tradition und Entwicklung des Designs der 50er Jahre. Dadurch, dass sie auch Alltagsgegenstände, Plakate und Werbung zeigt, vermittelt sie gleichzeitig ein Stück Lebensgefühl - und das hieß vor allem: Konsum - denn nur dann war man wieder wer! Dass dabei keine Zeit blieb, sich mit der jüngsten Vergangenheit zu beschäftigen, war durchaus beabsichtigt. Und dass die meisten für vieles, was heute so typisch für die 50er Jahre ist, kein Geld hatten, macht die Ausstellung auch unmissverständlich deutlich: die Isetta, die samt Camping-Anhänger das Herzstück der Ausstellung bildet, blieb für die meisten ein Traum, gerade einmal 160.000 Stück wurden in den 50er Jahren verkauft.
Doch die Industrie schürte weiter die Sehnsucht nach Mobilität: Der Ausstellungsraum ist regelrecht tapeziert mit den verheißungsvollen Bildern von Italien und Sonne und Meer. Die Strategie hatte Erfolg: In den 60er Jahren brachen die Deutschen massenweise auf, um im eigenen Auto Italien zu erobern - und die Wirtschaft boomte.
Immer neue käufliche Träume wurden entwickelt: so wie die Kleider von Dior, die in einem Raum mit Filmplakaten gezeigt werden. Plakate für Heimat- und Sissyfilmen, die die heile Welt versprachen, nach der sich viele so sehr sehnten: Eine Welt ohne Erinnerungen an die jüngste blutige Vergangenheit mit Millionen von Toten. Eine schöne, glitzernde Welt, der man hoffte, durch Konsum wenigstens ein Stückchen näher zu kommen.
Service:
Die Ausstellung "Die 50er Jahre - Alltagskultur und Design" ist im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg vom 9. September bis 13. November 2005 zu sehen.