"Die Gerichte halten das Kunstfälschen für ein Kavaliersdelikt"

Peter Raue im Gespräch mit Britta Bürger · 20.08.2013
Wenn Kunstfälscher vor Gericht kommen, würden die rechtlichen Möglichkeiten oft nicht ausgeschöpft, bemängelt der Rechtsanwalt Peter Raue. Andererseits seien auch die Käufer oft mit blindem Vertrauen gesegnet, wenn es um die Angaben zur Herkunft eines Werkes gehe, das auf dem Kunstmarkt Millionen bringt.
Britta Bürger: Investmentbanker und Hedgefonds-Manager, die Großverdiener der Finanzbranche legen ihre Millionen immer häufiger gerne in Kunst an. Kein Zufall, dass sie auch zunehmend von Kunstfälscherskandalen betroffen sind. Zum Beispiel soll ein chinesischer Maler in New York Gemälde der Nachkriegsmoderne im Wert von 80 Millionen Dollar gefälscht haben, Bilder, die so aussahen, als seien sie von Pollock, Rothko oder Motherwell. Aber geht das noch mit rechten Dingen zu, wenn auch renommierten Galeristen solche Fälschungen durchgehen?

Im Studio ist unsere Kunstkritiker Carsten Probst, der die Mechanismen des Kunstmarktes kennt. Herr Probst, ich würde mir das gerne mal konkret vorstellen: Ein vermögender Mensch geht in eine bis dahin renommierte New Yorker Galerie und möchte ein Werk zum Beispiel von Jackson Pollock kaufen. Wie kann es in dieser Konstellation dazu kommen, dass der Käufer betrogen wird?

Carsten Probst: Na ja, im Idealfall steht natürlich der Name der Galerie, etwa der Galerie Knoedler in New York, für jahrzehnte-, jahrhundertelange Tradition glaubwürdiger Kunstverkäufe, und steht natürlich auch für Qualität, darauf muss sich eigentlich ein Kunstkäufer erst einmal verlassen können, das ist der Idealfall. Aber wir wissen natürlich heute, dass wir es mit einer wachsenden Grauzone aus Verschleierungstaktiken, Verführbarkeit, einem gewissen Maß an Naivität auch zu tun haben, und einem Markt, der gewaltig unter Druck steht, was ganz einfach zustande kommt dadurch, dass ein verknapptes Angebot an hochpreisiger Kunst, die eindeutig etabliert ist und historische Werte hat und auch Wertsteigerungen verspricht, dass ein solcher Markt immer knapper wird, während gleichzeitig die Nachfrage aus verschiedensten Ländern steigt und auch gleichzeitig die Möglichkeiten, versteckt große Mengen an Fälschungen auf den Markt zu bringen. Ja nicht von ungefähr, wie beispielsweise im Jahr 2009, als ungefähr 1000 Giacomettis in der Nähe von Mainz gefunden wurden, führen die Spuren dann entweder nach China oder nach Russland, wo solche Sachen überhaupt noch hergestellt werden.

Bürger: Die Fälschung, um die es in dem New Yorker Skandal geht, die soll, heißt es jetzt, sehr schlecht gewesen sein. Woran hätte man sie denn erkennen können?

Eine wachsende Grauzone, Verführbarkeit und Naivität
Probst: Das ist immer ganz unterschiedlich, also in einem Fall, wie bei Pollock, war es dann eine chemische Analyse, die klar nachgewiesen hat, also es ist quasi ein Stümperfehler gewesen, die klar nachgewiesen hat, dass ein gewisses Pigment erst nach Pollocks Lebzeiten überhaupt erst in den Markt gekommen ist. In anderen Fällen – auch das spricht eigentlich für eine eher schlampige Vorgehensweise der Fälscher – lässt sich anhand von Nachlassverzeichnissen relativ schnell eruieren, ob dieses Werk überhaupt hätte entstehen können, wenn es nirgends verzeichnet ist, können Nachlassverwalter relativ schnell herausfinden, ob die Entstehung dieses Werkes überhaupt im Werk wahrscheinlich ist beispielsweise. Dann gibt es verschiedene andere Möglichkeiten.

Gute Fälschungen, wie im Fall Beltracchi, wie wir sie ja auch jetzt bei dieser berühmten Sammlung Jägers oft gehabt haben, und wie sie auch einige Experten, na, ich sage mal, hinters Licht geführt haben, oder es einigen Experten leicht gemacht haben, sich hinters Licht führen zu lassen. Gute Fälschungen zeichnen sich dadurch aus, dass sie vordergründig auch durch chemische Analysen nicht entdeckt werden können und selbst Experten sozusagen in der Machart täuschen können.

Bürger: Gibt es ausreichend Regeln, nach denen Galeristen und Kunsthändler die Herkunft von Kunstwerken prüfen können und müssen?

Probst: Ja, natürlich, es gibt ja auch wissenschaftliche Expertisen. Es gibt in Berlin ein großes Forschungslabor, extra für Provenienzforschungszwecke errichtet, das Rathgen-Forschungslabor beispielsweise, in dem Werke mit Naturwissenschaften, unter naturwissenschaftlichen Bedingungen durchleuchtet werden, aber gleichzeitig muss man sagen, dass der rechtliche Raum vollkommen ungesichert ist, es gibt nach wie vor einen großen Haftungsausschluss, beispielsweise für Auktionatoren. Die kriegen geradezu einen Freibrief für solche Aktionen, weil ihnen immer große Fahrlässigkeit nachgewiesen werden muss, und das ist bekanntermaßen ziemlich schwer.

Bürger: Es gibt immer mehr finanzstarke Menschen, die ihr Vermögen gerne in Kunst investieren und sichern möchten. Setzt das den Kunstmarkt auch unter Druck, ist das verführerisch für Händler, diesen Markt zu bedienen?

Das Angebot an hochpreisiger, etablierter Kunst wird knapper
Probst: Dieser Markt hat sich vollkommen verändert, weil auch die Ansinnen von Sammlern sich massiv verändert haben. Sie können quasi von einem, ja, von einer - in Anführungszeichen - guten, alten Zeit ausgehen, wo ein Kunstsammler ein Kenner war, der seine Sammlung vervollständigen wollte. Das war vielleicht eher so der Regelfall: ein Interesse an dieser Kunst selbst, am Kunst machen, und während heute doch Kunst eher aus Prestigegründen beispielsweise aus sogenannten Schwellenländern gekauft wird, wo plötzlich große Vermögen verdient werden, oder aber auch von Hedgefonds-Managern – gerade New York ist immer sehr beliebt bei solchen Sachen –, wo große Spekulantenfirmen, Finanzspekulanten ihre Firmen, also ihre spekulativen Firmenkonglomerate mit Kunst ausstatten, mit hochpreisiger Kunst ausstatten, um so Glaubwürdigkeit zu gewinnen. Es gibt unterschiedlichste Formen von Kunstnutzung, Kunstbeliebtheit, von Kunstfunktionalisierung, die mittlerweile so massiv den Markt beeinflusst, dass eigentlich es erstaunt, in welcher Naivität immer noch Kunstkäufer auf diesen Markt von außen zukommen.

Bürger: Die anerkannten Werte der Kunstgeschichte, schreibt die "FAZ" heute, sollen die erfundenen Vermögen der Finanzspekulanten realer erscheinen lassen, Kunst und Finanzwelt schaukelten sich gegenseitig hoch. Wie gefährlich sind diese Entwicklungen für den Ruf der Galeristenszene?

Probst: Das ist katastrophal, natürlich ist es katastrophal, und nicht nur für die Galeristen, sondern für alle Kunstinstitutionen, weil ja auch immer häufiger Museen mit hineindrängen in diese Szene. Und man hat es am Fall Beltracchi gemerkt, wo es eine große Schlammschlacht unter lauter großen Namen gegeben hat im Anschluss an das Auffliegen dieser Affäre, wo alle gesagt haben, sie könnten nichts dafür, und jeder mit dem Finger auf den anderen gezeigt hat. Also die Panik vor solchen Situationen, vor solchen Entdeckungen ist immens und schädigt den Ruf nachhaltig.

Bürger: Der Kunstkritiker Carsten Probst, danke Ihnen für dieses Gespräch, das wir jetzt mit dem auf Kunst spezialisierten Rechtsanwalt Peter Raue fortsetzen. Er hat unter anderem den Max-Ernst-Experten Werner Spieß vertreten, der gefälschte Gemälde von Wolfgang Beltracchi geprüft und für echt befunden hatte. Schönen guten Tag, Herr Raue!

Peter Raue: Ich grüße Sie, Frau Bürger!

Bürger: Wie kommt es, dass es anscheinend so schwierig ist, Kunstfälscher dingfest zu machen?

Raue: Zunächst einmal ist das ein Nachweis, dass es eine hohe Technik im Kunstfälschen gibt, und das Auge der schlechteste Zeuge für die Echtheit eines Bildes ist. Vor dem gefälschten großen Bild von Max Ernst stand die Witwe von Max Ernst, die damals noch lebte, und sagte, das sei der schönste Wald, den sie je von Max Ernst gesehen hat, war aber vollkommen gefälscht.

Jackson Pollock vor seinem Werk "Self portrait"
Jackson Pollock: Eine chemische Analyse enttarnte eine Fälschung, die dem Künstler untergejubelt wurde.© picture alliance / dpa / UPI
Das Auge der schlechteste Zeuge für die Echtheit eines Bildes
Das heißt, man muss andere Kriterien suchen, und da fällt ja immer wieder auf, in diesem Bereich, wie leichtgläubig – weil mit Verlaub gesagt - geldgeil die Beteiligten sind, wenn es um die Provenienz geht. Bei jedem Bild von einigermaßen hoher Bedeutung fragt man sich, wo kommt dieses Bild eigentlich her. Beltracchi hat die Sammlung Jägers frei erfunden, und in dem amerikanischen Fall, den wir jetzt haben, da behauptet irgendeine Frau, die kein Mensch kennt, sie sei auf einen Sammler aus Mexiko gestoßen, der eine Riesensammlung hat und von der er sich jetzt allmählich lösen will. Statt dass da alle Alarmglocken läuten, genügt der Name Knoedler in dem Fall, um die Provenienzfrage nicht mehr zu stellen.

Bürger: Klingt wie ein schlechter Hollywood-Film eigentlich.

Raue: Ja, es ist ein schlechter Hollywood-Film, und die Hoffnung oder der Irrglaube, dass Beltracchi der Höhepunkt der Kunstfälschung des 20. und 21. Jahrhunderts war, ist einfach gottsdämlich, weil allein die Tatsache, dass ein Bankraub aufgeflogen ist, andere vom Bankrauben nicht abhalten wird, und so ist das hier auch, es geht um so wahnsinnig viel Geld.

Bürger: Aber was hätte man jetzt aus dem Fall Beltracchi lernen müssen, können, und warum geschieht das nicht?

Raue: Man hätte lernen können, dass man bei Bilder, die in einem Millionenwert sind, zunächst einmal fragt – Herr Probst hat das ja ganz richtig gesagt –, wo kommen die Bilder eigentlich her. Und ein Bild, das keine glaubwürdige Provenienz hat, fasst man eigentlich nicht an. Und bei dem amerikanischen Skandal jetzt gilt das wie auch bei dem – wir haben ja auch die Parallelgeschichte mit den russischen Arbeiten, die in Israel produziert worden sind –, ein Bild, das keine Geschichte, das nicht in der Sammlung sowieso hing, das nicht im Werkverzeichnis da ist, einem solchen Bild darf man nicht trauen.

Und dann fängt die Recherche an, dann lässt man es chemisch untersuchen, wie bei Pollock, da wäre es von Erfolg gewesen, aber das allein reicht nicht, denn die Untersuchung kann immer nur feststellen, ob das Bild mit Materialien gearbeitet worden ist, die es damals nicht gab, aber es kann nie die Echtheit eines Bildes feststellen, das ist das Problem.

Bürger: Wenn ein Sammler oder Galerist mit einem Kunstwerk zu Ihnen kommt, weil ihm der Verdacht kommt, das könnte gefälscht sein, wie gehen Sie dann vor?

Ein Bild ohne glaubwürdige Provenienz fasst man nicht an!
Raue: Ich werde ihm erst mal raten, die Provenienz zu klären. Ich werde ihm dann raten, das Bild chemisch untersuchen zu lassen, und bitte, wir reden hier von Bildern, die Millionenwerte haben. Ein Gerhard Richter kostet 30 Millionen, da lohnt es sich schon auch einmal, 1000 Euro für eine Untersuchung auszugeben. Und ich würde immer sagen: Lass dir von dem, der dir das verkauft, nachweisen, wo das Bild herkommt!

Bürger: Carsten Probst hat eben gesagt in diesem Kontext, der rechtliche Raum bei diesem Thema sei völlig ungesichert, wie sehen Sie das?

Raue: Ja, völlig ungesichert ist es nicht, es stehen ja auch hier jetzt wieder einige vor Gericht, aber ich habe immer noch den Eindruck, dass die Gerichte gerade auch in Deutschland das Kunstfälschen für ein Kavaliersdelikt halten. Beltracchi hat eine Strafe von vier Jahren bekommen, ist davon befreit worden, wenigstens im Gericht zu erzählen, wie viele Bilder er gefälscht und wohin er sie verkauft hat, sodass die Fälschungen heute noch im Museum hängen, war am nächsten Tag Freigänger und schreibt jetzt ein Buch und verkauft seine Rechte für viel Geld an ein Filmunternehmen. Ja, wenn das so gemütlich ist, dann kann man nur sagen, dann versuchen wir es doch auch mal ein paar Mal.

Bürger: Das heißt, sie plädieren für stärkere Bestrafung?

Raue: Ja, gar nicht stärker, sondern dem Gesetz entsprechende Bestrafung, das würde ja schon ausreichen. Und man darf nicht vergessen, das sind keine – irgendwie habe ich den Eindruck, die Gerichte sagen, das sind Irre untereinander. Wenn einer 20 Millionen für ein Bild zahlt, dann hat er so viel Geld, dass er auch nicht mehr schutzwürdig ist, das ist so der Hintergrund. Wenn man mal sieht, dass es also hohe Millionenschäden sind, die da angerichtet werden, dann, denke ich, sollte man das Gesetz anwenden.

Bürger: Der auf Kunst spezialisierte Rechtsanwalt Peter Raue. Ich danke Ihnen fürs Gespräch, Herr Raue!

Raue: Danke schön, Frau Bürger!


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