Die geometrische Renaissance des Fra Carnevale

Von Thomas Migge |
Der Palazzo Ducale in Urbino gilt als der schönste Palast der italienischen Renaissance. Der Künstler Fra Carnevale war im 15. Jahrhundert an seiner Gestaltung beteiligt. Nach Ausstellungen in Mailand und New York wird sein Werk nun am Ort seiner Entstehung gewürdigt.
Prinz Charles kommt fast jedes Jahr. Zum Malen. Zum Aquarellieren. Er wohnt dann in einer kleinen Familienpension, etwas auswärts von Urbino. Kein Luxus, sondern nur ein einfaches Zimmer, von dessen Fenstern aus der Blick auf die Altstadt und den alles dominierenden Palazzo Ducale geht. Prinz Charles hat dieses Motiv oft aquarelliert und nach eigenen Angaben würde er nur zu gern selbst in diesem schönsten und größten Palast der italienischen Renaissance residieren. Obwohl der Palazzo Ducale und die Stadt Urbino einmalige Kunst zu bieten haben, gehören sie unbegreiflicherweise nicht zum Standardbesuchsprogramm der Italienbesucher. Nur Kenner, Liebhaber und Insider wie eben Prinz Charles kommen hierher und lassen sich von einer Symbiose aus vollendeter Kunst, geometrischer Architektur und einer üppigen Natur verführen. Schade, meint die Kunsthistorikerin Maria Rosaria Valazzi:

" Es entstand in Urbino eine Sonderform der italienischen Renaissance, die sich von der Renaissance in Florenz dadurch unterschied, dass hier immer das Prinzip der Mathematik im Vordergrund stand, des Rationalismus und weniger der Sinnenfreude. André Chastel nannte es die "mathematische Renaissance von Urbino". So zog diese Stadt, die eine ideale Stadt der Renaissance werden sollte, vor allem Künstler an, die Meister der Perspektive, der rationalen Architektur, der Geometrie waren."

Darunter auch Bartolomeo di Giovanni Corradini, den man gemeinhin Fra Carnevale nannte - nicht etwa, weil er es an den tollen Tagen besonders doll trieb, sondern weil er so gottesfürchtig war, dass er das ganze Jahr über so lebte, wie man eigentlich nur in der Fastenzeit leben sollte. Maria Rosaria Velazzi ist die Organisatorin einer Ausstellung zum Schaffen von Fra Carnevale in Urbino.

Im Unterschied zu den beiden vorherigen Ausstellungen zu diesem Künstler in Mailand und in New York wird in der Kleinstadt in der Region Marken das vielseitige Talent Fra Carnevales, der zwischen 1416 und 1484 lebte, am Ort seiner Tätigkeit vorgestellt - und nicht, wie in Mailand und in New York, in den mehr oder weniger sterilen Räumlichkeiten eines Museums. Genau das macht den besonderen Reiz der Kunstschau aus, die den Titel "Die Renaissance in Urbino" trägt.

Maria Rosaria Valazzi: " Es war Fra Carnevale, der jene Künstler aus der damaligen Renaissancehauptstadt Florenz nach Urbino rief, um am Hof von Federigo da Montefeltro zu arbeiten, die sich auf geometrische und perspektivische Darstellungen spezialisiert hatten. Bis in die Mitte des 15. Jahrhunderts hinein war Urbino eine spätgotische Stadt. In nur wenigen Jahren wurde sie von Federigo komplett umgebaut."

Die Ausstellung im Palazzo Ducale stellt nicht nur die wichtigsten Werke von Fra Carnevale vor, sondern auch seiner Zeitgenossen, die am Hofe der Familie da Montefeltro ihre Werke schufen: darunter Luca della Robbia, Paolo Uccello, Piero della Francesca.

Fra Carnevale fungierte als Vermittler zwischen den bekanntesten Renaissancekünstlern und den Montefeltro, die in jenen Jahren den mächtigen Palazzo Ducale errichteten, der trotz unregelmäßiger und vielgliedriger Gebäudeteile ein ausgeglichenes und großartiges Bauensemble darstellt. An der kostbaren Innenausstattung - zu der unter anderem das berühmte Studierzimmer, das "Studiolo", mit seinen hinreißenden Einlegearbeiten aus Holz gehört - waren Melozzo da Forlì, Joss Van Gent und Francesco di Giorgio Martini beteiligt.

Die Ausstellung der Werke von Fra Carnevale und seiner Zeitgenossen wird im frisch restaurierten Palazetto della Jole gezeigt - in jenem Teil des Palazzo Ducale, der die Idee einer mathematisch orientierten Renaissance im Sinn des Ferdigo da Montefeltro besonders deutlich zum Ausdruck bringt: weiße Wände und eierschalenfarbene Verzierungen der Kamine, der Tür- und Fensterrahmen. Verzierungen, die aus klaren Linien bestehen und die Putten sowie nackte Frauen und Männer im Stil der Antike zeigen:

" In unserer Ausstellung zeigen wir anhand von rund 100 Gemälden, Tafelbildern und Einrichtungsgegenständen den Wandel vom Einfluss der der Florentiner Renaissance, die zunächst den Hof in Urbino dominierte, zu einer eigenen, geometrisch und mathematisch orientieren Kunstform, die nur hier gepflegt wurde."

Unter den ausgestellten Werken besticht vor allem der hölzerne Alkoven des Federigo da Montefeltro: ein quadratisches und rund drei Mal drei Meter großes und hohes Möbelstück, das von Fra Carnevale mit geometrischen Figuren und Pflanzenmotiven bemalt wurde. Das Interesse an klaren Linien, an Quadraten und Rechtecken, an der Perspektive findet sich auf den meisten der zu sehenden Bilder.

Wie bei der "Madonna mit dem Kind" von Piero della Francesca: Im Hintergrund des eigentlichen Sujets sind architektonische Motive zu sehen, die das perspektivische Können Pieros deutlich machen. Fra Carnevale schuf zwischen 1445 und 1450 für Urbino eine in puncto Farben und Sujet faszinierende "Verkündigung". Ein Ölbild auf Holz, bei dem der Verkündigungsengel und Maria gerade Mal ein Drittel des Bildformats ausmachen. Der große Rest zeigt architektonisch-perspektivische Darstellungen.

Service:

Die Ausstellung ist im Palazzo Ducale in Urbino vom 20. Juli bis 14. November 2005 zu sehen.