Die Gelassenheit des Alters

14.12.2010
1860, nur wenige Wochen nach dem Tod seines Bruders Wilhelm, hielt Jacob Grimm die nun wieder veröffentlichte "Rede über das Alter". Darin widmet er sich verschiedenen Aspekten des Altwerdens und " bekennt sich zu seinen Idealen der freien Forschung.
Dass dieser kleine Band, zum ersten Mal anno 1963 erschienen, jetzt wieder neu zu haben ist, verdankt sich dem Umstand, dass schriftstellerische Eitelkeit der Welt manchmal von Nutzen ist.
Günter Grass hat in diesem Herbst einen Roman über die Brüder Grimm publiziert, in dem er - so im Hin- und Herassoziieren zwischen den Grimmschen Werken und seinem eigenen – Parallelen zwischen deren und seiner eigenen Rolle in der deutschen Kultur und Geschichte zog. Dabei nahm er sich auch zwei Reden vor, die dereinst vor der Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin gehalten wurden.

Als Beiwerk zum neuen Grass hat Steidl, dessen Hausverlag, die beiden Reden neu herausgebracht. Jacob Grimm hat sie 1860 vorgetragen, die erste, die "Rede über das Alter" nur wenige Wochen nach dem Tod Wilhelm Grimms; die zweite, die "Rede auf Wilhelm Grimm", ein halbes Jahr später.

Es sind kurze, nachdenkliche und wunderschön uneitle Essays, die beim Lesen die sehr spezielle und wohltuende Wirkung entfalten, die ordnendes Denkens haben kann.

Allerdings tut sich schon mit dem ersten Satz ein tiefer Abgrund auf, der zwischen damals und heute liegt.

"Wer hat nicht Cicero 'De senectute' gelesen?"

Für Jacob Grimm eine rhetorische Frage, für uns, 150 Jahre später, eine nahezu absurde. Die Bücher, die in unserer Zeit über das Alter gelesen werden, sind doch von ganz anderer Art.

Der alte Philologe spricht über das Alter, indem er aus dem Schatz zitiert, den er und sein Bruder zu heben geholfen haben. Das vielleicht schönste Zitat stammt aus einer mittelhochdeutschen Dichtung des Hugo von Trimberg. Da wird das Alter zugleich mit Abendsonne und einer müden Biene im Regen verglichen. Zugleich nützt er dieses öffentliche Nachdenken über sehr verschiedene mögliche Aspekte des Altwerdens – nachlassende Kraft, Gebrechen, Geiz, Gelassenheit, Ruhe, Konzentriertheit – zu einem persönlichen wissenschaftlich-ethischen wie politischen Credo. Als "freigesinnter alter Mann" bekennt er sich zu seinen Idealen der freien Forschung und eines Staatswesens, das "es verstünde, mit dem größten Schutz aller einen ungestörten und unantastbaren Spielraum für jeden einzelnen zu schaffen und zu vereinbaren".

Die zweite Rede ist eine liebevolle Würdigung Wilhelm Grimms – als Bruder wie als Wissenschafter. Die unterschiedlichen Arbeitsweisen und Interessen der beiden fast symbiotisch lebenden und arbeitenden Brüder und ihre gemeinsamen Absichten werden hier sehr genau beschrieben. Und in den exakten Darlegungen Jacobs, des Autors der "Deutschen Grammatik", der wollte, dass "dem ratlosen und unbehaglichen Schweifen auf dem wogenden Meer der Wörter endlich gesteuert" würde, wird deutlich, dass dieser die eigenen Grenzen und die seiner Methoden sehr wohl kannte.

Abgerundet wird das Bändchen durch ein Nachwort von Herman Grimm, der die beiden Reden nach dem Tod seines Onkels edierte und den Blick der folgenden Generation auf das Werk der Brüder Grimm wirft.

Besprochen von Katharina Döbler

Jacob Grimm: Rede über das Alter. Rede auf Wilhelm Grimm
Steidl Verlag, Göttingen 2010
192 Seiten, 17,90 EUR