Die geistige Physiognomie eines großen Denkers
Gotthold Ephraim Lessing ist einer der unumstrittenen Klassiker der deutschen Literatur. Biographische Werke über ihn sind dennoch recht rar. Der britische Germanist Hugh Barr Nisbet bringt mit seiner umfassenden Biographie nun ein wenig Licht in das keineswegs geradlinig verlaufene Leben des Aufklärers.
Er gehört zu den unumstrittenen Klassikern der deutschen Literatur, aber unser Bild vom Menschen Lessing ist weit weniger konturiert als jenes, das wir von Goethe oder Schiller haben. Gotthold Ephraim Lessing, der von 1729 bis 1781 lebte und schon von den Zeitgenossen als die Zentralfigur der deutschen Aufklärung empfunden wurde, hat merkwürdigerweise die Biographen nie so recht gereizt.
Der britische Germanist Hugh Barr Nisbet will da Abhilfe schaffen. Nach 37 Jahren Arbeit als Lessing-Forscher legt er nun ein 1000-seitiges Opus Magnum vor, das eine vollgültige Biographie des großen Dramatikers und Publizisten zu geben verspricht.
Dabei macht er auch das Fremdeln der deutschen Biographen gegenüber Lessing zum Gegenstand seiner Überlegungen. Er erklärt es, kurz gesagt, mit dem Umstand, dass man das Leben dieses Mannes nicht als Bildungsroman erzählen kann - es gebe zuviel Unabgeschlossenes in Lessings persönlichem und schriftstellerischem Leben.
Nisbet erzählt dieses Leben in gut angelsächsischer Manier realiengesättigt bis hin zum Positivismus. Lessings Reserviertheit, mit der er - ungewöhnlich genug für das Zeitalter der Aufklärung, das ja auch jenes der Empfindsamkeit war - sein inneres Leben vor dem Blick der anderen Menschen abschirmte, wird problematisiert, jedoch auch respektiert. Da Quellen, Lessings Intimleben vor seiner späten Heirat mit Eva König betreffend, fehlen, versagt sich der Autor auch jede Spekulation, mit welchen Frauen er sonst noch Beziehungen unterhalten haben könnte.
Viel Raum gibt Nisbet allerdings den Männerfreundschaften Lessings, zumal er auf diese Weise viele illustre Geister der Epoche porträtieren kann: Lessing stand in intensivem Austausch mit fast allen deutschen Autoren seiner Zeit, besonders eng war der Kontakt mit dem jüdischen Philosophen Moses Mendelssohn sowie mit dem preußischen Dichter Ewald von Kleist.
Überhaupt liegt die große Stärke von Nisbets Darstellung in der ideengeschichtlichen Kontextualisierung. Eine solche sozialhistorischer Art kommt gleichfalls nicht zu kurz. Besonders reizvoll lesen sich die Schilderungen der Städte, in denen sich Lessings Leben abspielte: Kamenz, Meißen, Leipzig, Wittenberg, Berlin, Breslau, Hamburg, Wolfenbüttel und ihre jeweilige "geistige Lebensform" vermitteln einen guten Eindruck von Deutschlands Vielfalt im "alten Reich".
Bis zur Ermüdung des Lesers beugt sich der Autor jedoch penibel über sämtliche Hervorbringungen Lessings, wobei er kaum einen Unterschied macht zwischen abgeschlossenen und solchen, die Fragment geblieben sind.
Das große Kunststück seines Biographen besteht nun darin, Lessings geistige Physiognomie herauszupräparieren. Es ist seit einigen Jahren üblich geworden, in der Polemik Lessings intellektuellen Grundantrieb zu erkennen. Und in der Tat fällt auf, mit wie vielen Menschen sich Lessing zeit seines Lebens angelegt hat, durchaus bisweilen mit einem aggressiven Furor, der etwas von versuchter Existenzvernichtung haben konnte. Entscheidend ist dabei jedoch, laut Nisbet, dass Lessing sich bevorzugt etablierte Figuren aussuchte. Er hatte eine ausgeprägte Vorliebe für den Denkmalssturz. Dies ist nicht nur seinem aufklärerischen Impuls geschuldet, sondern auch einem Selbstbewusstsein, wie es vor allem derjenige entwickelt, der weiß, dass er die besten Schulen und Universitäten besucht hat - und auch gesellschaftlich auf der Höhe ist.
Ein Weltmann wurde Lessing wohl bereits sehr früh in Leipzig. Und doch hat er sich immer wieder auch in Gelehrsamkeit vergraben - eine intellektuelle Spannung, die für ihn typisch ist wie für nur wenige Autoren seiner Zeit.
Ganz und gar einzigartig ist Lessing aber vor allem bis heute in seiner Allgemeinverständlichkeit, in einem Stil, der am gebildeten, auch witzigen Gespräch geschult ist, was wir in der deutschen Literatur auf solchem Niveau nur noch von Heine kennen. Wenn Nisbet auf diese Eigenheiten zu sprechen kommt, etwa in seinem Kapitel über sein persönliches Lieblingsstück, Lessings so epochemachendem Lustspiel "Minna von Barnhelm", dann gerät der nüchterne Brite geradezu ins Schwärmen.
Andererseits verschweigt Nisbet auch die vielen Ungereimtheiten in Lessings Leben und Werk nicht. Er stellt ihn farbig, jedoch mitunter auch das germanistische Oberseminar nicht vermeidend, dar als Mensch in seinem Widerspruch. Damit vermag er nicht zuletzt wieder neugierig zu machen auf die Lektüre von Lessings Werken. Das wiederum wäre wohl besonders in seinem Sinne gewesen, reimte doch Lessing:
"Wer wird nicht einen Klopstock loben?
Doch wird ihn jeder lesen? Nein!
Wir wollen weniger erhoben
Und fleißiger gelesen sein."
Rezensiert von Tilman Krause
Hugh Barr Nisbet: Lessing. Eine Biographie
Aus dem Englischen von Karl S. Guthke
C.H. Beck, München 2008
1024 Seiten, 38 EUR
Der britische Germanist Hugh Barr Nisbet will da Abhilfe schaffen. Nach 37 Jahren Arbeit als Lessing-Forscher legt er nun ein 1000-seitiges Opus Magnum vor, das eine vollgültige Biographie des großen Dramatikers und Publizisten zu geben verspricht.
Dabei macht er auch das Fremdeln der deutschen Biographen gegenüber Lessing zum Gegenstand seiner Überlegungen. Er erklärt es, kurz gesagt, mit dem Umstand, dass man das Leben dieses Mannes nicht als Bildungsroman erzählen kann - es gebe zuviel Unabgeschlossenes in Lessings persönlichem und schriftstellerischem Leben.
Nisbet erzählt dieses Leben in gut angelsächsischer Manier realiengesättigt bis hin zum Positivismus. Lessings Reserviertheit, mit der er - ungewöhnlich genug für das Zeitalter der Aufklärung, das ja auch jenes der Empfindsamkeit war - sein inneres Leben vor dem Blick der anderen Menschen abschirmte, wird problematisiert, jedoch auch respektiert. Da Quellen, Lessings Intimleben vor seiner späten Heirat mit Eva König betreffend, fehlen, versagt sich der Autor auch jede Spekulation, mit welchen Frauen er sonst noch Beziehungen unterhalten haben könnte.
Viel Raum gibt Nisbet allerdings den Männerfreundschaften Lessings, zumal er auf diese Weise viele illustre Geister der Epoche porträtieren kann: Lessing stand in intensivem Austausch mit fast allen deutschen Autoren seiner Zeit, besonders eng war der Kontakt mit dem jüdischen Philosophen Moses Mendelssohn sowie mit dem preußischen Dichter Ewald von Kleist.
Überhaupt liegt die große Stärke von Nisbets Darstellung in der ideengeschichtlichen Kontextualisierung. Eine solche sozialhistorischer Art kommt gleichfalls nicht zu kurz. Besonders reizvoll lesen sich die Schilderungen der Städte, in denen sich Lessings Leben abspielte: Kamenz, Meißen, Leipzig, Wittenberg, Berlin, Breslau, Hamburg, Wolfenbüttel und ihre jeweilige "geistige Lebensform" vermitteln einen guten Eindruck von Deutschlands Vielfalt im "alten Reich".
Bis zur Ermüdung des Lesers beugt sich der Autor jedoch penibel über sämtliche Hervorbringungen Lessings, wobei er kaum einen Unterschied macht zwischen abgeschlossenen und solchen, die Fragment geblieben sind.
Das große Kunststück seines Biographen besteht nun darin, Lessings geistige Physiognomie herauszupräparieren. Es ist seit einigen Jahren üblich geworden, in der Polemik Lessings intellektuellen Grundantrieb zu erkennen. Und in der Tat fällt auf, mit wie vielen Menschen sich Lessing zeit seines Lebens angelegt hat, durchaus bisweilen mit einem aggressiven Furor, der etwas von versuchter Existenzvernichtung haben konnte. Entscheidend ist dabei jedoch, laut Nisbet, dass Lessing sich bevorzugt etablierte Figuren aussuchte. Er hatte eine ausgeprägte Vorliebe für den Denkmalssturz. Dies ist nicht nur seinem aufklärerischen Impuls geschuldet, sondern auch einem Selbstbewusstsein, wie es vor allem derjenige entwickelt, der weiß, dass er die besten Schulen und Universitäten besucht hat - und auch gesellschaftlich auf der Höhe ist.
Ein Weltmann wurde Lessing wohl bereits sehr früh in Leipzig. Und doch hat er sich immer wieder auch in Gelehrsamkeit vergraben - eine intellektuelle Spannung, die für ihn typisch ist wie für nur wenige Autoren seiner Zeit.
Ganz und gar einzigartig ist Lessing aber vor allem bis heute in seiner Allgemeinverständlichkeit, in einem Stil, der am gebildeten, auch witzigen Gespräch geschult ist, was wir in der deutschen Literatur auf solchem Niveau nur noch von Heine kennen. Wenn Nisbet auf diese Eigenheiten zu sprechen kommt, etwa in seinem Kapitel über sein persönliches Lieblingsstück, Lessings so epochemachendem Lustspiel "Minna von Barnhelm", dann gerät der nüchterne Brite geradezu ins Schwärmen.
Andererseits verschweigt Nisbet auch die vielen Ungereimtheiten in Lessings Leben und Werk nicht. Er stellt ihn farbig, jedoch mitunter auch das germanistische Oberseminar nicht vermeidend, dar als Mensch in seinem Widerspruch. Damit vermag er nicht zuletzt wieder neugierig zu machen auf die Lektüre von Lessings Werken. Das wiederum wäre wohl besonders in seinem Sinne gewesen, reimte doch Lessing:
"Wer wird nicht einen Klopstock loben?
Doch wird ihn jeder lesen? Nein!
Wir wollen weniger erhoben
Und fleißiger gelesen sein."
Rezensiert von Tilman Krause
Hugh Barr Nisbet: Lessing. Eine Biographie
Aus dem Englischen von Karl S. Guthke
C.H. Beck, München 2008
1024 Seiten, 38 EUR